Wochenendseminar der KO zum Hamburger Aufstand 1923

Vom 5.-7. Mai 2023 kamen etwa 30 Seminarteilnehmer, darunter Genossen der KO sowie Gäste, in Schleswig-Holstein zusammen, um sich ein Wochenende lang mit dem Hamburger Aufstand 1923 auseinanderzusetzen, ihn politisch einzuordnen und historische Lehren aus dem Aufstand sowie seine heutige Bedeutung zu diskutieren.

Freitag: Revolutionäre Strategie und die Kommunistische Partei

Der erste Vortrag begann mit einer politischen Einordnung und arbeitete heraus, dass die Beschäftigung mit dem Hamburger Aufstand nicht wegen des 100-jährigen Jubiläums wichtig ist, sondern weil wir aus der Situation Schlüsse ziehen können und die Thematik wichtige Fragen von heute berührt. Zwar sind die Umstände damals und heute sehr unterschiedlich, trotzdem lohnt es sich die bedeutenden Fragen zur Strategie und Taktik, zu subjektiven und objektiven Voraussetzungen der Revolution in einer revolutionären Situation, zur Aufgabe von Kommunisten vor, während und nach einer solchen revolutionären Situation zu diskutieren.

In seinem Referat machte der Genosse deutlich, dass die revolutionäre Situation unabhängig vom Willen der Kommunisten und sogar einzelner Klassen eintritt: Eine revolutionäre Situation sei also eine objektiv bestimmbare Situation der politischen Krise in einem oder mehreren Ländern, in denen die Bourgeoisie nicht mehr auf die alte Weise herrschen kann und die Unterdrückten und Ausgebeuteten die Herrschaft nicht mehr akzeptieren. Es gehe demnach darum, den subjektiven Faktor, die Kommunistische Partei, die Arbeiterklasse und die mit ihr verbündeten Klassen und Schichten auf die revolutionäre Situation vorzubereiten.

Im Laufe dieser ersten Diskussion kristallisierten sich Fragen zum Verhältnis zwischen objektiven und subjektiven Bedingungen der Revolution heraus. Wie beeinflussen sich diese Faktoren? Welchen Einfluss können Kommunisten mit ihrer Praxis auf das Eintreten einer solchen Situation ausüben? Wie erprobt die Kommunistische Partei möglichst viele unterschiedliche Kampfformen in nicht-revolutionären Zeiten? Sind die Kampfformen vor allem abhängig von den objektiven Bedingungen? Was sind aktuell die Hauptaufgaben der Kommunisten zur Vorbereitung der Revolution?

Die grundlegende Bedingung für strukturiertes Lernen, für das Zentralisieren und Auswerten von Erfahrung und für ein einheitliches Vorgehen der Kommunisten auf Basis einer einheitlichen revolutionären Theorie und Praxis ist die Bildung einer Kommunistischen Partei an sich. Die wichtigste Aufgabe der Kommunisten ist zu lernen, auf Basis einer richtigen Analyse der Verhältnisse die Führung im Kampf zu übernehmen und damit der Avantgarde-Rolle der Partei in der Klasse gerecht zu werden.

Heute ist die kommunistische Bewegung in Deutschland weit entfernt von einer Situation, wie es sie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts gab. Es gibt keine Kommunistische Partei in Deutschland, die ihrem Anspruch gerecht wird, kaum Massenverankerung und keine relevanten Massenkämpfe in Deutschland. Die noch vorhandenen Massenorganisationen, zum Beispiel die DGB-Gewerkschaften, verharren auf der Linie der Sozialpartnerschaft und sind durchsetzt von der Sozialdemokratie und ihrer bürgerlichen Ideologie. Auch die objektive Situation ist alles andere als revolutionär. Wie gestaltet sich also der Aufbau der Kommunistischen Partei? Sind es vor allem technische Fähigkeiten, die wir erlernen müssen? Oder geht es nicht viel mehr darum, dass sich Kommunisten mit der revolutionären Theorie wappnen und lernen, in den Kämpfen die Führung zu übernehmen und die unzähligen Fähigkeiten, die in der Arbeiterklasse vorhanden sind, sinnvoll im Kampf zum Einsatz zu bringen?

Aus der Geschichte der kommunistischen Bewegung in Deutschland lässt sich ableiten, dass es falsch ist, auf das spontane Zusammentreten von revolutionären Kräften in einer revolutionären Situation zu warten. Dieser Prozess muss von eben diesen Kräften bereits in nicht-revolutionären Zeiten systematisch organisiert werden. Wenn die Herrschaft der Bourgeoisie bröckelt und damit ihre ideologische und tatsächliche Dominanz ins Schwanken gerät, muss eine Kommunistische Partei bereits darauf vorbereitet sein und ihre Strukturen müssen bereit sein, die Situation zu nutzen. Zentrales Ziel muss die Gewinnung der Mehrheit der Arbeiterklasse für die Revolution sein. In allen Kampffeldern und -formen muss sich die Partei bewiesen haben und ständig beweisen. Das funktioniert nur, wenn bereits Strukturen bestehen, die in der Lage sind, sich an die objektiven Veränderungen anzupassen und aus Fehlern zu lernen.

Samstag Teil 1: Einheitsfront und Arbeiterregierung

Der erste Vortrag dieses Tages begann mit einer Einordnung der historischen Ausgangslage des frühen 20. Jahrhunderts. Die Baseler Konferenz (1912) hatte die in der 2. Internationalen versammelten Sozialdemokraten an eine Positionierung und an die Aktivität gegen Kriege gebunden. Schon 1914 verriet jedoch der Großteil der sozialdemokratischen Parteien Europas diese Linie und folgte ihrer nationalen Bourgeoisie in das imperialistische Gemetzel des 1. Weltkrieges.

Bereits kurz nach dem Krieg mussten die Kommunisten feststellen, dass die Imperialisten der Erde bereits auf einen neuen imperialistischen Krieg zusteuerten und dass die Kräfte des Kapitals in die Offensive gegen die immer noch starke Arbeiterbewegung gingen.

Die Antwort der in der Kommunistischen Internationale versammelten Parteien war die Orientierung auf die Einheitsfronttaktik mit sozialdemokratischen, syndikalistischen, anarchistischen Arbeitern gegen das Kapital und die Führung der Sozialdemokratie bei gleichzeitiger Zusammenarbeit mit dieser, wo es nötig und sinnvoll war. In 25 Leitsätzen erläuterte das EKKI (Exekutiv Komitee der Kommunistischen Internationale) 1921 die Taktik der Einheitsfront. Im Rahmen einer Gruppenarbeit verschafften wir uns eine Übersicht darüber, wie das EKKI erstens die politische und gesellschaftliche Lage generell einschätzte, zweitens welche Anweisungen es für unterschiedliche nationale Sektionen (die Kommunistischen Parteien der einzelnen Länder) gab und welche Aufgaben sich drittens für die Kommunisten konkret ergaben. Das EKKI beschrieb, wie sich die wirtschaftliche Lage verschärft hatte, wie die Arbeitslosigkeit massiv anstieg, wie das Kapital in fast allen Ländern eine Offensive gegen die Arbeiterklasse gestartet hatte und wie sich die Unvermeidlichkeit eines neuen imperialistischen Krieges äußerte.

Zuletzt stellte der Vortrag die Verbindung zur Losung der Arbeiterregierung in Zusammenhang mit der Einheitsfront dar. Die Arbeiterregierung war der Versuch der Kommunisten mit Sozialdemokraten im bürgerlichen System zu regieren und dies zu nutzen, um konkrete Vorbereitungen für Aufstände und schlussendlich auch die Revolution, die Diktatur des Proletariats, zu treffen. Diese auch vom EKKI unterstützte Ausrichtung wurde allerdings unterschiedlich ausgelegt. In Deutschland wurden die Arbeiterregierungen aus KPD und SPD in Sachsen und Thüringen nicht genutzt, um direkt die Revolution und den bewaffneten Aufstand vorzubereiten, stattdessen blockierten und verzögerten sie die Vorbereitungen dazu und verzichteten darauf, den Aufstand im ganzen Land auszurufen.

Samstag Teil 2: Die Entstehung der KPD

Im folgenden Vortrag am Samstag beleuchteten wir die Entstehungsgeschichte der KPD bis 1921. Spätestens ab 1914 stellte sich für revolutionäre Kräfte in Deutschland die Frage des konsequenten Bruchs mit der Sozialdemokratie.

Viele Strömungen und Persönlichkeiten orientierten sich in dieser Zeit neu und bildeten Vereinigungen und Parteien mit unterschiedlicher Ausrichtung, darunter die Bremer Linksradikalen und die Gruppe Internationale. Nach Betrachtung der wichtigsten historischen Persönlichkeiten, Entwicklungen, Presseorgane, Vereinigungen und Spaltungen kamen wir zu den Inhalten des Gründungsparteitags der KPD. Dieser Parteitag behandelte vor allem Inhalte, die für Kommunisten nach wie vor aktuell sind: Die Parteifrage (inhaltliche Ausrichtung und struktureller Aufbau), die Frage nach der Beteiligung an Parlamentswahlen, die Frage des bewaffneten Aufstandes und die Gewerkschaftsfrage.

In einem zweiten Teil seines Vortrags ging der referierende Genosse auf die Märzkämpfe 1921 ein, die in der Industrieregion Halle-Merseburg tobten. Hier hatten Kommunisten erste Erfahrungen im Kampf gegen die reaktionären Truppen des Staates gesammelt. Als Ursachen für die Niederlage in diesen Kämpfen stellte der Genosse die Isolation der Kämpfe, fehlende Waffen und eine mangelhafte Einheit und Führung der Kommunisten heraus.

Im Anschluss widmeten wir uns dem Jahr 1923 und dem Hamburger Aufstand. Bei der Einordnung des Jahres und der politisch-ökonomischen Lage in Deutschland betrachteten wir die großen politischen Ereignisse, die dem Hamburger Aufstand vorangingen und die Ereignisse, die die Lage verschärften. Zu nennen sind die Märzkämpfe, die einsetzende Hyperinflation und die Ruhrbesetzung durch Frankreich. Bezüglich des Aufstands in Hamburg konzentrierten wir uns in unserer Auseinandersetzung auf das Vorgehen der Genossen der KPD, ihre Planung und den Verlauf des Aufstandes an sich. Im Vortrag wurde erläutert, welche Probleme dabei auftraten, warum der Aufstand am Ende scheiterte und welche Konsequenzen dies nach sich zog. So konnten wir lernen, dass der Hamburger Aufstand kein zufälliges spontanes Aufbegehren war. Dieser Aufstand sollte den Start eines gesamtdeutschen bewaffneten Aufstandes sowie von Massenstreiks bedeuten, er war Teil eines Plans zur Revolution in Deutschland, erarbeitet von der Kommunistischen Internationale und der KPD.

Im vierten Vortrag widmeten sich die Seminarteilnehmer den zentralen Lehren des Hamburger Aufstands und ihrer Bedeutung für uns in der heutigen Zeit. Als erstes betrachteten wir die zehn Lehren, die Ernst Thälmann 1925 aus dem Aufstand ableitete. Nach einer Phase der Aufteilung in Gruppen, in der wir Debattenbeiträge von Ruth Fischer, Hermann Remmele und Heinrich Brandler in der Diskussion in der KomIntern 1924 im Anschluss an den Hamburger Aufstand lasen und kommentierten, trugen wir die Ergebnisse wieder in einer großen Runde zusammen. Die Debatte im EKKI verlief entlang der Frage, welche Faktoren und wer für das Scheitern des Aufstands verantwortlich waren. Während Ernst Thälmann, das EKKI, aber auch die später zur Konterrevolutionärin gewordene Ruth Fischer die Fehler in der Partei und insbesondere in der Führung der Partei erkannten, waren das frühere Mitglieder der Parteileitung Heinrich Brandler und der für kurze Zeit als Vorsitzende fungierende Hermann Remmele davon überzeugt, dass „die Zeit nicht reif gewesen sei“, dass also die subjektiven und objektiven Bedingungen zur Revolution nicht gegeben gewesen seien. Nachdem wir die verschiedenen Aussagen zum Hamburger Aufstand des EKKI und der anderen Genossen diskutiert hatten, konnten wir Rückschlüsse auf deren Revolutionsverständnis ziehen und diese bewerten.

Sonntag: Lehren aus dem Hamburger Aufstand

Mit Bezug zur Diskussion am Vortag widmeten wir uns den unterschiedlichen Lehren und Analysen zum Hamburger Aufstand, die innerhalb der KPD und der Kommunistischen Internationale existierten. Der Fokus lag dabei auf der Einschätzung der Einheitsfronttaktik damals und heute.

Mit einer hohen Einigkeit konnte die Runde feststellen, dass die Einheitsfront nur unter schärfster Klarheit der Partei gelingen kann und dass das Ziel dieser Taktik die Anbindung der Massen an die Kommunistische Partei sein muss. Wir konnten feststellen, wie wichtig es war, damals in die sozialdemokratische Bewegung, die von ihr auch damals schon dominierten Massenorganisationen und ihre Massenbasis zu wirken, statt darauf zu warten, dass die Arbeiterklasse zu den Kommunisten kommt. Auch heute existiert die Notwendigkeit einer Einheitsfront gegen Faschismus, die Reaktion und die Angriffe des kapitalistischen Staates auf unsere Lebensbedingungen und unsere Organisationen. Unter ständiger Entlarvung des grundlegenden Verrates der sozialdemokratischen Führung an der Arbeiterklasse müssen wir auch heute mit ihren Anhängern an der Basis sowie mit den unorganisierten Teilen der Klasse in Kontakt treten, um sie dem Einfluss der bürgerlichen Propaganda zu entziehen.

In einem abschließenden Vortag wollten wir unser Verständnis von der Kommunistischen Partei gemeinsam schärfen. Was verstehen wir unter der Kommunistischen Partei und wie schaffen wir sie? Aus der Zeit des Hamburger Aufstands konnten wir die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer disziplinierten Partei neuen Typs an praktischen Beispielen erkennen. Eine funktionierende, ihrer Rolle gerecht werdende Kommunistische Partei ist also nicht das zufällige Produkt spontaner Kämpfe oder einer bestimmten revolutionären Situation, sondern ein bewusst geführter und planmäßiger Aufbauprozess.

Einigkeit bestand unter den Seminarteilnehmern darin, dass eine solche Partei zunächst die Strategiefrage in ihrem Parteiprogramm beantworten muss. Ihre Taktik muss in der jeweiligen Situation dieser Strategie untergeordnet werden und ständig in sie eingebettet sein, also zum Erreichen strategischer Ziele beitragen. Für die Erarbeitung eines revolutionären Programms muss die Partei eine hohe theoretische Klarheit erreicht haben und Anknüpfungspunkte zur Umsetzung in die Praxis erarbeiten, um eine organisatorische Einheit bilden zu können. Ein revolutionäres Programm führt nicht automatisch zu einer erfolgreichen Partei, einer Partei mit Verankerung in den Massen, allerdings ist ein Programm eine zentrale Vorrausetzung dafür.

Wie die KO aktuell den Weg zu einer solchen Partei vorschlägt und ihre eigene Rolle im Aufbau sieht, ist in den „Thesen zum Charakter der Kommunistischen Partei und zum Selbstverständnis der Kommunistischen Organisation nachzulesen. Anhand einiger Auszüge daraus diskutierten die Seminarteilnehmer die Ziele des Klärungsprozesses, den Organisationsaufbau, die Entwicklung eines Kaderstamms und weitere Fragen: Welche Rolle spielen spontane Kämpfe? Unterschätzen wir ihre Bedeutung? Wie äußert sich der Revisionismus heute?

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