Der Mythos eines vom Reformismus unbefleckten Ursprungs der antimonopolistischen Strategie

Zur Bedeutung des Mannheimer Parteitags der DKP von 1978 und dem dort beschlossenen Programm

von Jona Textor

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Vorbemerkung: Dieser Text wurde ursprünglich im August 2017 als Beitrag zur Strategiedebatte in der DKP verfasst, seine Veröffentlichung in den offiziellen Organen der Partei damals jedoch unter formalen Vorwänden verhindert. In der Zwischenzeit ist viel passiert. 80 Genoss*innen (darunter auch ich) sind auf Grundlage ihrer Kritik an deren Strategie und Praxis aus DKP und SDAJ ausgetreten. Außerhalb dieser bestehenden Organisationen beginnt sich seither ein kommunistischer Klärungsprozess zu formieren. Wir sollten in diesem Prozess keinesfalls den Fehler begehen, uns ausschließlich an der DKP und ihren Verfehlungen abzuarbeiten. Eine kritische Aufarbeitung der Geschichte der antimonopolistischen Strategie (AMS) und deren Auswirkungen auf die kommunistische Bewegung in Deutschland bleibt aber auch nach unserem Austritt notwendig und aktuell. Nicht zuletzt, weil wir auch in Zukunft Diskussionen mit Mitgliedern von DKP und SDAJ führen werden – und wie der bisherige Verlauf der Strategiedebatte gezeigt hat, gibt es in deren eigenen Reihen große Illusionen, Unwissenheit und Unklarheit über den tatsächlichen Inhalt und Charakter der AMS. Dieser Beitrag bleibt also auch in der jetzigen Situation noch aktuell.

***

In den Debatten über die „antimonopolistischen Strategie“ (AMS) der DKP wird immer wieder Bezug auf das Programm von 1978 genommen. Zwar beginnt die Geschichte der AMS nicht erst 1978, dennoch kommt dem Mannheimer Parteitag und dem dort beschlossenen Programm besondere Bedeutung zu. Viele der Vorstellungen, die der Strategie der DKP bis heute zugrunde liegen, spielten schon bei der Wiedergründung der KPD 1945 und während ihrer Illegalität von 1956 bis 1968 eine zentrale Rolle. Eindeutig dokumentiert ist diese Tendenz bereits im „Aufruf der KPD“ vom 11. Juni 1945 und in ihrem Programmentwurf von 1968, die beide offen auf einen parlamentarischen Reformweg orientieren. (1)

An diese Traditionslinie knüpfte die DKP bei ihrer Gründung bzw. Neukonstituierung 1968 nahtlos an. Mit der damals verabschiedeten „Erklärung zur Konstituierung der Deutschen Kommunistischen Partei“ wurden die wichtigsten Grundgedanken der AMS bereits dargelegt. Es folgten die „Grundsatzerklärung des Essener Parteitags“ von 1969 und die „Thesen des Düsseldorfer Parteitags“ von 1971, die diese strategische Orientierung bestätigten und weiter konkretisierten. (2) Dennoch sollte es nach der Gründung der DKP noch zehn Jahre dauern, bis sich die Partei auf dem Mannheimer Parteitag von 1978 ein ausgearbeitetes Programm gab. In diesem Programm wurde die Orientierung auf eine Übergangsperiode der „antimonopolistischen Demokratie“ zum ersten Mal als verbindliche Strategie der DKP beschlossen. Seit dem aktuell gültigen Programm von 2006 wird diese Formulierung in der Regel vermieden und es ist stattdessen nur noch etwas schwammiger von „antimonopolistischen Übergängen“ die Rede, das bedeutet allerdings keinesfalls, dass es seither eine grundsätzliche Revision der Strategie der DKP gegeben hätte. (3)

Bei einigen Vertreter*innen der AMS hält sich hartnäckig der Mythos, es gäbe zwei „sich in letzter Konsequenz diametral widersprechende Interpretationen der antimonopolistischen Strategie“, wie etwa Klaus Mausner aus Stuttgart in einem Diskussionsbeitrag auf news-dkp behauptet. (4) Laut dieser Sichtweise gibt es erstens „eine reformistische Variante in Form der ‚Transformationstheorie‘, die zwar v. a. in der Europäischen Linkspartei die Linie vorgibt […], die sich aber auch in Teilen der DKP z. B. in den ‚Thesen‘ des ehemaligen PV-Sekretariats widerspiegelt.“ Zweitens aber, so Mausner weiter, gäbe es angeblich „eine revolutionäre Orientierung der DKP heute, die aber als unsere antimonopolistische Strategie im Sinne einer revolutionären Überwindung des Imperialismus neu präzisiert werden muss.“ Auch das im Mai 2016 erschienene Bildungsheft zum Thema „Strategie und Taktik“, welches die Strategiedebatte in der DKP erneut angefacht hat, folgt im wesentlichen dieser Argumentationslinie. (5)

Konkrete Belege für einen angeblich „diametralen“ Gegensatz zwischen AMS und Transformationsstrategie bleiben sowohl der Artikel von Klaus Mausner als auch das Bildungsheft jedoch schuldig. Der Eindruck einer Wesensähnlichkeit beider Strategievorstellungen überwiegt allen Anstrengungen zum Trotz. Beide haben zumindest die zentrale strategische Grundannahme gemeinsam, dass es möglich sei, die politische Macht innerhalb des bürgerlichen Staates und auf dem ökonomischen Boden der kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse auf friedlichem Weg zu erobern und den Staat so in ein Instrument der gesellschaftlichen Transformation zu verwandeln. Der zentrale Unterschied beider Richtungen besteht allenfalls noch darin, dass die einen beteuern, auf diesem Weg einen irgendwie gearteten „revolutionären Bruch“ herbeiführen und letztlich eine sozialistische Gesellschaft aufbauen zu wollen, während die anderen rundheraus zugeben, dass sie einen solchen qualitativen Bruch mit dem Kapitalismus gar nicht für nötig halten, sondern allenfalls eine Aneinanderreihung „vieler kleiner Brüche“.

Das Problem mit der AMS, wie sie im Parteiprogramm von 2006 beschrieben ist, so argumentiert Mausner weiter, bestünde lediglich darin, dass sich dort „einige tendenziell reformistische Illusionen […] niedergeschlagen“ hätten, die auf den „Kompromisscharakter“ des Programms zurückzuführen seien. Dieses wurde 2006 schließlich in harten Flügelkämpfen ausgehandelt. Dabei rangen einerseits jene Kräfte, die damals noch die Parteiführung innehatten und sich nach ihrer Niederlage auf dem 20. Parteitag 2013 in Form der „Marxistischen Linken“ und des „Kommunistischen Netzwerks“ offen als rechtsopportunistische Fraktion organisiert haben, und andererseits jene Kräfte, die sich damals als linke Opposition zu sammeln begannen und die mit dem 20. Parteitag die Parteiführung übernahmen, um die politische Linie der DKP.

In der Strategiedebatte 2017 verteidigten interessanterweise beide Strömungen dasselbe Programm und nahen jeweils für sich in Anspruch, die rechtmäßigen Erben der Traditionslinie der AMS zu sein. Auf der einen Seite Leo Mayer und Konsorten – mittlerweile mit einem Teil der rechten Fraktion ebenfalls aus der Partei ausgetreten – auf der anderen Seite Patrik Köbele und die Mehrheit des Parteivorstands. Köbele hatte sich 2006 noch gegen das Programm gestellt und sich als einer der Köpfe der damaligen Opposition als Kritiker desselben profiliert, ist seit dem 20. Parteitag aber zu einer aus meiner Sicht eindeutig zentristischen Kompromissposition übergegangen, die den Status Quo gegen Kritik von rechts und links verteidigte und die Abspaltung der rechten Fraktion zu verhindern versuchte. Die beiden Lager trennt, dass sich die einen auf die Gültigkeit der am offensten reformistischen Formulierungen des 2006er Programms berufen, während die anderen auf eine vermeintlich „revolutionäre Lesart“ der antimonopolistischen Strategie pochen.

Warum sollten wir uns ausgerechnet heute wieder mit dem alten Parteiprogramm von 1978 beschäftigen? Die oben exemplarisch nachgezeichnete Argumentation von Klaus Mausner, die offenbar von vielen Genoss*innen in der DKP immer noch geteilt wird, läuft letztlich auf die Behauptung hinaus, es habe vor dem „Kompromissprogramm“ von 2006 eine quasi vom Reformismus und Revisionismus unbefleckte, ursprüngliche Variante der antimonopolistischen Strategie gegeben. Dieser Mythos hat seinen Ursprung auf dem Mannheimer Parteitag von 1978. Das dort verabschiedete Programm wird zum Teil bis heute als „lupenrein marxistisch-leninistisch“ verklärt. Die reformistische Kontamination der damals beschlossenen Strategie habe angeblich erst mit dem Erstarken der rechtsopportunistischen Kräfte nach dem Umbruch von 1989/90 begonnen. Es geht heute also nicht darum, so die aus dieser Sicht logische Schlussfolgerung, die Grundannahmen der AMS konsequent auf den Prüfstand zu stellen, sondern sie muss lediglich „aktualisiert und geschärft“ werden. Ginge es nach den Vertreter*innen dieser Position, so müsste die DKP ihr Parteiprogramm von 2006 nur hier und da „von reformistischem Beiwerk entschlacken“ (Mausner), um den ursprünglich revolutionären Charakter der AMS wiederherzustellen. Einer Grundsätzlichen Kritik an der Strategie der Übergänge, wie sie die 80 ausgetretenen Genoss*innen formulieren, wird damit eine klare Absage erteilt.

Da das DKP Programm von 1978 online nicht verfügbar und mittlerweile weitgehend vergriffen ist, erscheint es mir zweckmäßig, den interessierten Genoss*innen innerhalb und außerhalb von SDAJ und DKP ein ausführliches und nur sehr knapp kommentiertes Exzerpt der wichtigsten Abschnitte des 1978er Programms zur Verfügung zu stellen. An dieser Stelle werde ich die Kritik an der Strategie der antimonopolistischen Übergänge nicht noch einmal widerholen, diese haben ich und eine Reihe anderer Genoss*innen an anderer Stelle bereits ausführlich dargelegt. (6)

Bei der Lektüre dieses Exzerpts kann sich jede und jeder selbst davon überzeugen, dass der Mythos einer „ursprünglich revolutionären“ oder gar „lupenrein marxistisch-leninistischen“ Variante der AMS genau das ist – ein Mythos. Ein Mythos, der eine unbequeme Wirklichkeit verschleiern soll, nämlich dass die DKP schon seit Jahrzehnten eine im Kern reformistische Strategie verfolgt.

Alle im Folgenden angegebene Seitenzahlen und Zitate beziehen sich auf den folgenden Protokollband:

  • Parteivorstand der Deutschen Kommunistischen Partei (Hrsg.), Protokoll des Mannheimer Parteitags der Deutschen Kommunistischen Partei. Für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt, 1978.

Hervorhebungen durch Fettdruck stammen von mir und sollen der Übersichtlichkeit dienen. Seitenumbrüche innerhalb der Exzerpte werden durch Seitenzahlen in eckigen Klammern kenntlich gemacht. Auslassungen durch […].

Zum Einleitungsreferat von Willi Gerns

Der Abstimmung über das Parteiprogramm auf dem Mannheimer Parteitag ging ein Referat von Willi Gerns voran, der den Vorsitz der Antragskommission innehatte. Gerns war damals einer der wichtigsten Theoretiker der DKP und gehörte neben Robert Steigerwald und anderen zu den geistigen Vätern der antimonopolistischen Strategie. Sein Referat ist aus heutiger Perspektive aus verschiedenen Gründen interessant.

Zunächst betonte Gerns vor den Parteitagsdelegierten erneut die Tragweite und große Bedeutung der bevorstehenden Entscheidung. Zu diesem Zweck gab er nochmals einen kurzen und aufgrund seiner Klarheit sehr lesenswerten Überblick über die Grundlinien der Etappenvorstellungen der AMS, die das gesamte Programm prägen:

Was unsere Zielsetzung einer Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt angeht, so handelt es sich um eine Orientierung für die unmittelbar vor uns liegende Periode. Dabei geht es darum, die Versuche des Großkapitals, einen reaktionären Ausweg aus der Krise zu finden, zu durchkreuzen, die sozialen und demokratischen Errungenschaften des arbeitenden Volkes sowie die Ergebnisse der Entspannungspolitik zu verteidigen und den aktiven Kampf für ihre Erweiterung zu führen.

Wir gehen davon aus, daß sich in diesen Auseinandersetzungen das Kräfteverhältnis zugunsten der Arbeiterklasse und der anderen demokratischen Kräfte verändern wird, und damit zugleich auch die notwendigen Bedingungen geschaffen werden können für das erfolgreiche Ringen um grundlegende antimonopolistische Umgestaltungen und unser sozialistisches Ziel.

Die in der Orientierung auf eine Wende zu demokratischen und sozialem Fortschritt gestellten Aufgaben gehen noch nicht über den Kapitalismus hinaus. Sie bleiben noch im Rahmen der alten Gesellschaft. Innerhalb dieses Rahmens schränken sie die Macht der Monopole ein und verbessern so die Positionen der Arbeiterklasse und der anderen antimonopolistischen Kräfte.

Zu grundlegenderen Veränderungen kommt es, wenn – wie wir das für möglich und erstrebenswert halten – der Kampf um eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt in eine antimonopolistische Demokratie einmündet. Auch sie stellt allerdings noch keine neue Gesellschaftsordnung dar. Vielmehr handelt es sich um eine, ausgehend von den heutigen Bedingungen des Klassenkampfes in einem hochentwickelten kapitalistischen Land wie der Bundesrepublik, mögliche Form der Einleitung des revolutionären Prozesses des Übergangs von der alten zur neuen Ordnung. Es geht bei einer antimonopolistischen Demokratie um eine Periode des revolutionären Kampfes, in der noch Elemente des Kapitalismus, aber auch schon Keimformen des Sozialismus vorhanden sind. Wobei in dieser Periode zunächst noch Elemente des Alten überwiegen, im Klassenkampf aber mehr und mehr die Keimformen der neuen Gesellschaft das Übergewicht erlangen müssen, wenn es der Konterrevolution nicht gelingen soll, den revolutionären Prozeß zu ersticken. [188]

Die neue Gesellschaftsordnung wird mit dem Sozialismus zur Wirklichkeit, der den Kapitalismus durch neue politische Macht- und ökonomische Eigentumsverhältnisse überwindet. Seine grundlegenden Kriterien sind seit dem „Manifest der Kommunistischen Partei“, der Geburtsurkunde des wissenschaftlichen Sozialismus, bekannt. […]

Unser weitestgehendes Ziel ist der Sozialismus. Auch hier wäre es nicht richtig, Sozialismus und antimonopolistische Demokratie einfach gleichzusetzen. Es wäre aber wiederum ebenso falsch, den inneren Zusammenhang außer acht zu lassen. Wir lassen uns vielmehr davon leiten, daß der Kampf um eine antimonopolistische Demokratie, ausgehend von den heutigen Bedingungen, am besten geeignet ist, den Weg zum Sozialismus zu öffnen. Wir sagen ausdrücklich, daß wir die antimonopolistische und die sozialistische Umwälzung als miteinander verbundene Entwicklungsstadien in dem einheitlichen revolutionären Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus betrachten. (S. 187-188)

Sehr Aufschlussreich ist das Einleitungsreferat von Willi Gerns auch mit Blick darauf, wie das 1978er Programm zustande gekommen ist und welche Diskussionen dabei in der Partei geführt wurden. Die Vermutung läge nahe, dass im Rahmen einer so grundsätzlichen Entscheidung wie der Beschlussfassung über ein Programm, das eine neue Strategie enthält, in einer kommunistischen Partei eine breite Debatte über zentrale Fragen des wissenschaftlichen Sozialismus geführt werden: Wie kann es der Arbeiterklasse in der aktuellen Kampfetappe gelingen, die politische Macht zu erobern? Welche anderen sozialen Klassen und Schichten müssen dabei in ihr revolutionäres Bündnis integriert werden? Welcher Kampfformen muss sich die Kommunistische Partei dabei bedienen? Wie sind der Parlamentarismus und der bürgerliche Staat dabei einzuschätzen? Mit welchen Formen des politischen und militärischen Widerstands durch die Bourgeoisie ist dabei zu rechnen? Oder kann es unter bestimmten Bedingungen sogar einen friedlichen und demokratischen Übergang zum Sozialismus geben?

Diese und viele Fragen mehr drängen sich geradezu auf, liest man den knappen Überblick, den Gerns in seinem Referat über die antimonopolistische Strategie gibt. Immerhin gibt die damals formulierte AMS sehr konkrete Antworten auf all diese Fragen, und zwar in einer Weise, die in offensichtlichem Widerspruch zu den klassischen Positionen des wissenschaftlichen Sozialismus stehen. So ist etwa, um hier nur einen Aspekt aufzugreifen, an keine Stelle in Gerns Referat die Rede davon, dass der bürgerliche Staat zerschlagen werden und eine proletarische Rätedemokratie an seine Stelle gesetzt werden muss, wie Marx, Engels und Lenin aus der Erfahrung der Pariser Kommune von 1871 schlussfolgerten. Im Gegenteil: Es wird von einem friedlichen Übergang und einem Hinüberwachsen des bürgerlichen Staats in den Sozialismus ausgegangen.

Vor diesem Hintergrund ist also mehr als verwunderlich, dass es, wie ebenfalls aus Gerns Referat hervorgeht, offenbar zu keiner dieser zentralen Fragen der Strategie im Vorfeld des Parteitags oder auf dem Parteitag selbst eine kritische Debatte gegeben hat. Gerns nennt drei Themenkomplexe, zu denen Änderungsanträge eingereicht wurden, die die Antragskommission abzulehnen empfahl, da sie im Widerspruch zur politischen Linie der DKP standen. Dabei ging es erstens um die Frage der „friedlichen Nutzung der Kernenergie“ (S. 188), für die sich die DKP damals einsetze; zweitens um die Frage, ob die Begriffe Ehe und Familie aus dem Programm gestrichen werden sollten, da es sich dabei aus Sicht einer Minderheit von Kritiker*innen um „überholte Institutionen“ (S. 190) der bürgerlichen Gesellschaft handelte; und drittens um die weltbewegende Frage, ob „alternative Wohn- und Lebensformen“ (S. 191) wie WGs dazu geeignet seien, auf dem Weg zum Sozialismus den „neuen Menschen“ zu formen oder nicht. Schließlich gab es noch eine zu vernachlässigende Zahl von vier Änderungsanträgen, die das positive Verhältnis der DKP zur Sowjetunion abschwächen wollten (vgl. S. 192).

Ich will mit dieser Aufzählung keinesfalls sagen, dass diese Themen nicht diskussionswürdig waren, sondern einen anderen Punkt in den Vordergrund rücken: Kein einziger der von der Antragskommission zur Ablehnung vorgeschlagenen Änderungsanträge berührte Kernpunkte der antimonopolistischen Strategie. Nicht einmal die Vorstellung, dass sich der bürgerliche Staat der BRD und der Bundestag durch eine antimonopolistische Koalitionsregierung in ein Instrument der wahren „Volkssouveränität“ transformieren ließe, wie weiter unten im Programm beschrieben, scheint also in der Partei damals auch nur den geringsten Widerstand hervorgerufen zu haben – was höchst erstaunlich ist, sah und sieht die DKP sich doch eindeutig in der Tradition von Marx, Engels und Lenin.

Auf das Referat von Willi Gerns folgte keine Diskussion über die einzelnen Änderungsanträge, sondern der Parteitag folgte dem Vorschlag der Antragskommission, den von ihr überarbeiteten Programmentwurf als Antrag Nr. 1 direkt zur Abstimmung zu stellen. Auf die Frage des Versammlungsleiters Gerd Deumlich, ob es zum Verfahrensvorschlag oder zum vorgelegten Programmentwurf Wortmeldungen gebe, meldete sich niemand. Im Protokoll wurde nach der Abstimmung zufrieden vermerkt: „Wir haben einstimmig das Programm der Deutschen Kommunistischen Partei beschlossen“ (S. 196).

Der zweite Tag des Parteitags, für den die Programmdebatte angesetzt war, hatte um 9:00 begonnen. Pünktlich um 10:15 war das Parteiprogramm beschlossen und die Übergangsvorstellung einer antimonopolistischen Demokratie offiziell zur Strategie der Deutschen Kommunistischen Partei erhoben. Nicht eine der zahlreichen Parteigliederungen hatte dazu einen kritischen Antrag gestellt, kein einziger der knapp 650 Parteitagsdelegierten einen kritischen Redebeitrag gehalten.

„Für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt“ – Das DKP Programm von 1978

Die folgenden Exzerpte sind nicht chronologisch, sondern nach Kernthemen der Strategiedebatte geordnet. Die strukturierenden Zwischenüberschriften stehen so nicht im Programm, sondern sind von mir zur besseren Übersichtlichkeit eingefügt.

Weite Teile des Programms, insbesondere das Kapitel III. „Für eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt – Für Frieden und Völkerfreundschaft“, beschreiben keine Strategie im engeren Sinne, sondern bestehen ähnlich wie das aktuelle „Zukunftspapier“ der SDAJ aus einer langen Liste detailliert ausgearbeiteter taktischer „Übergangsforderungen“. Dieses Herangehen ist insgesamt zwar durchaus charakteristisch für die Übergangs- und Etappenvorstellung der AMS, die einzelnen Forderungen finden im Folgenden aus Platzgründen jedoch keine besondere Berücksichtigung.

Einschätzung des Imperialismus und der internationalen Kräfteverhältnisse

Im Kapitel „Unsere Epoche ist die Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus im Weltmaßstab“ schätzte die DKP 1978 ein, die erreichte Verschiebung der globalen Kräfteverhältnisse sei „unumkehrbar“:

In den zurückliegenden Jahrzehnten, insbesondere seit der Zerschlagung des Hitlerfaschismus, hat sich der revo-[202]lutionäre Weltprozeß bedeutend beschleunigt. Im Internationalen Kräfteverhältnis sind weitere unumkehrbare Veränderungen zugunsten der Kräfte des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus erfolgt. (S. 201-202)

An vielen Stellen im Programm wird, den zahlreichen imperialistischen Kriegen und Interventionen, wie etwa in Kuba, Vietnam und Chile, zum Trotz, die Möglichkeit einer „friedliche Koexistenz“ mit dem Imperialismus betont:

Der Imperialismus unterliegt einem starken Zwang zur Anpassung an die neue Weltlage. Er wurde zur Anerkennung der Prinzipien der friedlichen Koexistenz von Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung gezwungen. Das ist ein entscheidendes Merkmal unserer Zeit. Die Politik der Entspannung ist vor allem das Ergebnis der wachsenden Macht und der konsequenten Friedenspolitik der Sowjetunion und der anderen sozialistischen Staaten sowie des Kampfes der weltweiten Friedensbewegung. (S. 205)

An zwei Stellen im Programm findet sich zudem die irritierende Formulierung, die DKP sehe sich in ihrem Antiimperialismus im Einklang mit den „nationalen Interessen der Bundesrepublik“:

Die Deutsche Kommunistische Partei ist ein konsequenter Gegner des Imperialismus. Sie wirkt dafür, daß das arbeitende Volk unseres Landes durch den Kampf gegen den BRD-Imperialismus und die Entfaltung internationaler Solidarität einen würdigen Beitrag zur Befreiung der Völker von imperialistischer Ausbeutung und Unterdrückung leistet. Das entspricht zugleich den nationalen Interessen der Bundesrepublik. (S. 207)

Es scheint fast so, als würde hier die Rhetorik der antikolonialen Befreiungskämpfe fälschlicherweise auf eines der mächtigsten imperialistischen Länder des Westens übertragen. An anderer Stelle heißt es: „Der deutsche Imperialismus setzte nach 1945 seine aggressive und antinationale Politik fort.“ (S. 211)

Widersprüche zwischen den Monopolgruppen

Das Programm geht davon aus, dass sich Widersprüche zwischen den verschiedenen Monopolgruppen zur Durchsetzung von Reformen im Sinne der Arbeiterklasse ausnutzen lassen. Die kleine und mittlere Bourgeoisie wird dabei augenscheinlich nicht mehr zu dem durch den ideellen Gesamtkapitalisten integrierten herrschenden Block gerechnet.

Die Widersprüche zwischen den verschiedenen Monopolgruppen sowie zwischen diesen und den staatlichen Organen werden damit [durch die „Vereinigung der macht der Monopole und des Staates“] allerdings nicht aufgehoben. Um die Gesamtinteressen des Großkapitals zu wahren, muß der Staat zum Teil gegen die Sonderinteressen einzelner Monopole handeln. Aus diesen Widersprüchen ergeben sich Möglichkeiten für die Arbeiterklasse, durch aktives Handeln staatliche Entscheidungen zu beeinflussen. […]

Angesichts der staatsmonopolistischen Eigentums- und Machtverhältnisse in der Bundesrepublik ist ganz offensichtlich: Die Arbeiterklasse und die anderen Werktätigen können nur in dem Maße ihre Rechte behaupten und ihre Lage verbessern, wie die Macht und die Privilegien des Monopolkapitals beschnitten werden, wie sein Einfluß zurückgedrängt und schließlich überwunden wird. (S. 210)

Die Macht der Monopole, so die sich durch das gesamte Dokument ziehende idealistische Vorstellung, lässt sich schon auf dem ökonomischen Boden des Kapitalismus politisch zurückdrängen. Der Staat, so wird weiter unten noch deutlicher werden, erscheint dabei als ein klassenneutrales Instrument, dass die Arbeiterklasse ebensogut wie die Bourgeoisie zu ihrem Nutzen einsetzen kann.

Widerspruch zwischen nichtmonopolistischen Unternehmern und der Monopolbourgeoisie

Genau wie das Programm von 2006 konstruiert auch das Programm von 1978 einen grundsätzlichen Widerspruch zwischen den Monopolen und der kleinen und mittleren Bourgeoisie:

Die Monopole beuten die Arbeiter, Angestellten und die Intelligenz aus, sie mißbrauchen ihre Schöpferkraft. In ständig steigendem Ausmaß unterwerfen sie sich Landwirtschaft, Handel und Gewerbe, enteignen sie Bauern, Handwerker, Einzelhändler und kleine und mittlere Unternehmer. Sie haben sich die ganze Gesellschaft tributpflichtig gemacht. (S. 209)

Der Grundwiderspruch der kapitalistischen Gesellschaft, der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit bzw. zwischen den beiden Hauptklassen Bourgeoisie und Proletariat, wird in der Analyse der DKP von 1978 im Stadium des staatsmonopolistischen Kapitalismus verschoben zu einem angeblichen Grundwiderspruch zwischen den Monopolen und allen nichtmonopolistischen Teilen der Gesellschaft, zu denen auch ein Teil der Bourgeoisie gehört:

In unserem Land ist […] eine solche Polarisierung erfolgt, daß sich die Gesellschaft jetzt deutlicher denn je in zwei Lager teilt. Auf der einen Seite steht eine kleine Gruppe von Konzernherren und Multimillionären. Auf der anderen Seite steht die überwältigende Mehrheit des Volkes, die Arbeiterklasse, die Bauern, die Intelligenz, die lohnabhängigen und die gewerblichen Mittelschichten und sogar kleine und mittlere Unternehmer. All diese Klassen, Schichten und sozialen Gruppen sind der ökonomischen und politischen Herrschaft des Monopolkapitals unterworfen.

Aus diesem grundlegenden gesellschaftlichen Gegensatz erwächst die Notwendigkeit und die Möglichkeit des gemeinsamen Handelns der Arbeiterklasse und eines breiten Bündnisses aller nichtmonopolistischen Kräfte. (S. 257)

Zwar wird die widersprüchliche Rolle der kleinen und mittleren Unternehmer an einer Stelle problematisiert, trotzdem wird grundsätzlich an einem strategischen Bündnis zwischen diesen und dem Proletariat festgehalten.

Die Mittelschichten nehmen in der kapitalistischen Gesellschaft eine widerspruchsvolle soziale Stellung ein. Da sie jedoch immer mehr unter den Druck des Monopolkapitals geraten, ergeben sich wachsende Möglichkeiten, sie für ein Bündnis mit der Arbeiterklasse zu gewinnen. Auch kleine und mittlere Unternehmer geraten häufig in Konflikt mit dem Großkapital. Das ändert nichts an ihrem sozialen Gegensatz zur Arbeiterklasse, bietet aber durchaus Ansätze dafür, auch sie in antimonopolistisches Handeln einzubeziehen. (S. 265)

Antimonopolistisches Bündnisse mit Teilen der Bourgeoisie und bürgerlichen Parteien

Aus dieser Analyse leitete die DKP die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit eines strategischen Bündnisses mit der kleinen und mittleren Bourgeoisie ab. Noch deutlicher als im Programm von 2006, in dem die vermeintlichen „Kräfte des Fortschritts“ aufgezählt werden, werden im Programm von 1978 unter der Überschrift „die demokratischen Kräfte sammeln“ auch bürgerliche Parteien in dieses antimonopolistische Bündnis einbezogen:

Es geht darum, im Ringen um den Schutz des Erreichten die Kräfte zu sammeln und zu entfalten für die Erweiterung der sozialen und demokratischen Rechte der Werktätigen, für die Zurückdrängung der Macht der Monopole. (S. 223)

In diesen Kämpfen und Bewegungen [gemeint sind die vorher aufgezählten sozialen Bewegungen] sind die Kräfte sichtbar geworden, die – wenn sie sich formieren – imstande sind, eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt zu erzwingen. Das sind all jene, deren Interessen unvereinbar sind mit dem Macht- und Profitstreben, mit der reaktionären Politik des Großkapitals. Das sind die Arbeiter und Angestellten, Beamten, Techniker und Wissenschaftler, Lehrer und Künstler, Bauern, Handwerker und Gewerbetreibenden. Das sind die Auszubildenden, die Studenten und Schüler. Das sind Kommunisten und Sozialdemokraten, Liberale, Christen und parteilose Demokraten. […]

[225] Alle Bewegungen und Organisationen, die für wirtschaftliche und soziale Verbesserungen, für demokratische Rechte und Freiheiten, für Frieden und antiimperialistische Solidarität eintreten, können sich der aktiven Unterstützung der DKP gewiß sein. […]

Für die Stellung zu anderen politischen Parteien und zu Regierungen gilt grundsätzlich: Die DKP unterstützt alles, was für die arbeitenden Menschen von Nutzen ist. Ebenso konsequent bekämpft sie alles, was dem werktätigen Volk schadet. (S. 224-225)

Ähnlich wie im Programm von 2006 wird auch schon im Programm von 1978 – hier mit dem Begriff der „gewerblichen Mittelschichten“ – häufig mit schwammigen Formulierungen verschleiert, ob es sich bei den gemeinten Bündnispartnern nun um Teile der Bourgeoisie oder um kleinbürgerliche Schichten handelt.

Die DKP geht davon aus, daß die Arbeiterklasse, die Bauern, die Intelligenz, die lohnabhängigen und gewerblichen Mittelschichten grundlegende gemeinsame Interessen haben. (S. 231)

An anderer Stelle bezeichnen die gewählten Formulierungen dagegen unmissverständlich Teile der Bourgeoisie, auch wenn nie konkretisiert wird, was genau mit „nichtmonopolistisch“ oder „klein“ eigentlich gemeint ist. Diesen Teilen der Bourgeoisie versucht die DKP in ihrem Programm die antimonopolistische Demokratie schmackhaft zu machen, indem sie unter anderem schreibt:

Die Handwerker, die Gewerbetreibenden und auch nichtmonopolistische Unternehmer würden aus der Abhängigkeit vom Monopolkapital befreit. Die ständige Gefahr ihrer Enteignung durch die Monopole wäre gebannt. (S. 255)

Unter der Überschrift „Sozialismus sichert persönliches Eigentum“ geht das Programm von 1978 sogar so weit, den kleinen Unternehmern den Erhalt ihres Privateigentums an Produktionsmitteln (und damit notwendig die Fortsetzung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen) selbst im Sozialismus noch zuzusichern:

Den Werktätigen Bauern, den Handwerkern, den Gewerbetreibenden und den kleinen Unternehmern droht keine Enteignung. Beim Aufbau des Sozialismus werden sie gün-[250]stige Bedingungen für die Erhaltung ihrer Initiative erhalten und einen langen Prozeß an der Seite der Arbeiterklasse […] selbst die Wege finden, auf denen sie ihre persönlichen Interessen am vorteilhaftesten mit denen der ganzen Gesellschaft in Übereinstimmung bringen können. Die DKP tritt dafür ein, daß bei der Überführung von Unternehmen in öffentliches Eigentum die Entschädigungsregelungen insbesondere die Interessen der Kleinaktionäre berücksichtigen. (S. 250)

Die hier so unschuldig aufgezählten „persönlichen Interessen“ der „kleinen Unternehmer“ können unter Beibehaltung des Privateigentums an den Produktionsmitteln natürlich keine anderen sein als – Profitinteressen. Die DKP machte sich auf dem Mannheimer Parteitag also geradezu zur wahren Schutzpatronin der unternehmerischen Freiheit der nichtmonopolistischen Bourgeoisie. Dieses sei nicht etwa durch die Revolution und den Sozialismus, sondern einzig durch die Monopole bedroht. Das angestrebte politische Bündnis, mit dessen Hilfe der Übergang zur antimonopolistischen Demokratie und schließlich zum Sozialismus vollzogen werden sollte, wird wie folgt beschrieben:

Auch im Sozialismus gibt es unterschiedliche soziale Klassen und Schichten ebenso wie unterschiedliche weltanschauliche und religiöse Strömungen. Die DKP wirkt dafür, daß all diese Kräfte am Aufbau des Sozialismus teilnehmen. Sie strebt ein Bündnis der verschiedenen Parteien an, um den Übergang zum Sozialismus und seinen Aufbau gemeinsam mit ihnen zu vollziehen. (S. 251)

Etwas anderes als ein (Wahl-)Bündnis auch mit bürgerlichen Parteien kann mit dieser Formulierung nicht gemeint sein. Hauptsächlich richteten sich solche Bündnisbestrebungen aber natürlich an die Sozialdemokratie.

Kommunisten und Sozialdemokraten

Als Voraussetzung und Grundlage des antimonopolistischen Bündnisses, so damals wie heute ein Grundgedanke der AMS, bedarf es der „Aktionseinheit“ der Arbeiterklasse, wie sie Dimitroff auf dem VII. Weltkongress der Komintern 1935 mit Blick auf den unmittelbar drohenden Faschismus gefordert hatte. Die Herstellung einer solchen Aktionseinheit wird im Programm von 1978 hauptsächlich unter dem Aspekt der Herstellung eines Parteienbündnisses zwischen Kommunisten und Sozialdemokraten thematisiert. Es geht dabei explizit um die Organisationen der Sozialdemokratie, allen voran die SPD, und nicht etwa vorrangig um deren Mitgliederbasis:

Im Ringen um die Aktionseinheit mißt die DKP dem gemeinsamen Handeln von Kommunisten und Sozialdemokraten entscheidende Bedeutung bei. Sie repräsentieren die beiden Hauptströmungen der Arbeiterbewegung in der Bundesrepublik. Die DKP erstrebt ein vertrauensvolles, kameradschaftliches Verhältnis zu den Mitgliedern, Anhängern und Organisationen der Sozialdemokratie. Sie tritt, geleitet von den Interessen der Arbeiterklasse, für die Zusammenarbeit mit der SPD ein. (S. 259)

Die kritischeren Einschätzungen zur Rolle der Sozialdemokratie beschränken sich ausschließlich auf deren „Führer“, nicht etwa auf ihre stabilisierende und integrierende Rolle im Kapitalismus insgesamt, auf die negativen historischen Erfahrungen seit 1914 oder auf das sozialdemokratische Bewusstsein, dass auch damals schon an ihrer Mitgliederbasis von SPD und Gewerkschaften weit verbreitet war.

Die DKP übersieht nicht die Schwierigkeiten, die dem Zusammenwirken von Kommunisten und Sozialdemokraten entgegenstehen. Das Haupthindernis liegt in der Politik und Ideologie der rechtssozialdemokratischen Führer, die das kapitalistische System verteidigen, die Interessen des arbeitenden Volkes denen des Großkapitals unterordnen, mit ihrem Antikommunismus die Spaltung der Arbeiterklasse vertiefen und mit administrativen Mitteln Sozialdemokraten am gemeinsamen Handeln mit Kommunisten hindern. (S. 259)

Verhältnis zum bürgerlichen Staat, zum Grundgesetz und zum Parlamentarismus

Zwar betont die DKP in ihrem 1978er Programm immer wieder die Wichtigkeit außerparlamentarischer Kämpfe und Bewegungen, räumt aber auch der „Erringung parlamentarischer Positionen“ (S. 225) eine wichtige strategische Rolle ein. Dabei steht zwar zunächst nicht die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung im Vordergrund, es geht aber eindeutig um „politischen Einfluß“ im bürgerlichen Parlamentarismus.

In der Politik der DKP verbindet sich der außerparlamentarische Kampf eng mit dem Streben um die Veränderung des parlamentarischen Kräfteverhältnisses zugunsten der arbeitenden Menschen, um die Erringung und Stärkung fortschrittlicher Positionen in den Parlamenten. Die Vergrößerung der Zahl der Wählerstimmen für die DKP, der Einzug kommunistischer Abgeordneter in mehr kommunale Parlamente sowie die Landtage und in den Bundestag – das ist ein unverzichtbarer Bestandteil des Kampfes um eine Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt. Starke parlamentarische Positionen der DKP vergrößern wesentlich den politischen Einfluß des arbeitenden Volkes. Sie erleichtern den Kampf um eine Politik und Gesetzgebung, die sich mehr an den sozialen und demokratischen Belangen der Werktätigen orientiert. (S. 225)

Der leninistische Grundsatz, die Kommunistische Partei müsse das Parlament hauptsächlich als Tribüne nutzen, um die Massen über den Klassencharakter des bürgerlichen Staates aufzuklären und so ihr Bewusstsein zu schärfen, fällt hier völlig unter den Tisch. Die Gefahr, in der Arbeiterklasse durch eine solche Politik gefährliche Illusionen in den bürgerlichen Staat, den Kapitalismus und dessen Reformierbarkeit zu schüren, wird an keiner Stelle thematisiert.

Es scheint der DKP in ihrer Beteiligung am bürgerlichen Parlamentarismus folgerichtig vor allem um das Durchsetzen von Reformen zu gehen. Dabei wird der Fokus in klassisch reformistischer Manier immer auf das objektive Ergebnis gerichtet, nicht auf die Kampferfahrung und die Bewusstseinsentwicklung der Arbeiterklasse, also den subjektiven Faktor.

Einen bedeutenden Platz im Kampf der Arbeiterbewegung nimmt das Ringen um demokratische Reformen ein. Die DKP wirkt mit Entschiedenheit für alles, was der Verbesserung der Lage der Arbeitenden, der Erweiterung ihrer Rechte, der Vergrößerung ihres politischen Hand-[226]lungsspielraums, der Schaffung von Möglichkeiten der Mitbestimmung und demokratischen Kontrolle dient. Sie betrachtet die Durchsetzung solcher Reformen durch das arbeitende Volk als wichtigsten Bestandteil des Kampfes um die Herbeiführung einer Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt. (S. 225-226)

Mit einer „Dialektik von Reform und Revolution“, wie sie etwa von Rosa Luxemburg beschrieben wird, hat das wenig zu tun.

Das Programm von 1978 geht sogar so weit zu behaupten, dass nach einem friedlichen und demokratischen Übergang zu einer „sozialistischen Bundesrepublik“ der Bundestag in seiner bürgerlich-demokratischen Form erhalten bleiben würde:

In einer sozialistischen Bunderepublik werden die gewählten Volksvertretungen die höchsten staatlichen Machtorgane sein. Die DKP tritt dafür ein, daß der Bundestag – befreit von jeglicher großkapitalistischer Einflußnahme – als wahres Parlament des Volkes, als Organ wirklicher Volkssouveränität tätig wird. (S. 251)

Arbeiterkontrolle schon im Kapitalismus?

Stärker als im 2006er Programm betont die DKP 1978 auch die angeblichen Möglichkeiten ökonomischer Mitbestimmung oder sogar Kontrolle der Arbeiterklasse schon innerhalb des Kapitalismus und im Rahmen der bürgerlichen Staatsmacht:

Die DKP erstrebt eine demokratische Investitionskontrolle und -lenkung, die den Belegschaften, den Gewerkschaften sowie den betrieblichen und gewerkschaftlichen Vertretungsorganen der Arbeiterklasse wirksame Mitbestimmung über die gesamte Investitionspolitik der Großunternehmen und des Staats verschafft. […]

Die DKP fordert die Überführung entscheidender Schlüsselzweige der Wirtschaft aus dem Eigentum des Monopolkapitals in demokratisch kontrolliertes öffentliches Eigentum. (S. 235)

Zu den Reformen, die die DKP laut ihrem Programm noch auf dem Boden des Kapitalismus anstrebte, gehörte damals auch das „Recht auf Arbeit“, das im Grundgesetz verankert werden sollte:

Das wichtigste wirtschafts- und sozialpolitische Ziel vom Standpunkt der Werktätigen sind wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, insbesondere der Jugendarbeitslosigkeit. Zur Verwirklichung des Menschenrechts auf Arbeit bedarf es vor allem entschlossener betrieblicher Aktionen der Belegschaften und ihrer Gewerkschaften […] Zugleich verlangt die DKP die Verankerung des Rechts auf Arbeit im Grundgesetz und in einem fortschrittlichen Arbeitsgesetzbuch. Hierdurch würden die Bedingungen für eine Verwirklichung dieses elementaren Menschenrechts verbessert. (S. 227)

Interessanter Weise findet sich diese Forderung auch im Leitantrag zum 22. Parteitag wieder. Dass die Umsetzung solcher Forderungen unter kapitalistischen Eigentumsverhältnissen schlicht unmöglich ist, sollte für Marxist*innen eigentlich auf der Hand liegen. Sie dennoch aufzustellen, bedeutet nichts anderes, als in der Arbeiterklasse die Illusion zu verbreiten, all ihre Wünsche und Bedürfnisse ließen sich durch die richtige Reformpolitik bereits im Kapitalismus verwirklichen. Warum also überhaupt noch für die Revolution und den Sozialismus kämpfen?

Antimonopolistische Demokratie als Weg zum Sozialismus

Das Programm von 1978 formuliert eine Strategie in drei Kampfetappen:

Die Herbeiführung einer Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt führt zu einer Schwächung des Monopolkapitals. Sie festigt die Aktionseinheit der Arbeiterklasse. Sie läßt breite demokratische Bündnisse entstehen. Sie bedeutet eine spürbare Veränderung des inneren Kräfteverhältnisses zugunsten des Arbeiterklasse und der anderen demokratischen Kräfte. Sie schafft reale Voraussetzungen dafür, daß das arbeitende Volk die Kraft und die Entschlossenheit findet, tiefgreifende antimonopolistische Umgestaltungen zu erkämpfen und sich im Klassenkampf schließlich den Weg zum Sozialismus zu öffnen. (S. 246)

Aufgrund der gegenwärtigen Bedingungen geht die DKP davon aus, daß der Kampf der Arbeiterklasse und der anderen demokratischen Kräfte um eine antimonopolistische Demokratie am besten geeignet ist, den Weg zum Sozialismus zu öffnen. Sie betrachtet die antimonopolistische und sozialistische Umwälzung als miteinander verbundene Entwicklungsstadien in dem einheitlichen revolutionären Prozeß des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus. (S. 256)

Anders als im Programm von 2006, aus dem die Formulierung „antimonopolistische Demokratie“ verschwunden ist, obwohl es weiterhin an der grundlegenden Vorstellung einer Periode des antimonopolistischen Übergangs unter Regierungsbeteiligung der Kommunistischen Partei innerhalb des Kapitalismus festhält, wird diese Übergangsetappe im Programm von 1978 sehr ausführlich beschrieben:

Unter einer antimonopolistischen Demokratie versteht die DKP eine Periode grundlegender Umgestaltungen, in der die Arbeiterklasse und die anderen demokratischen Kräfte über so viel politische Kraft und parlamentarischen Einfluß verfügen, daß sie eine ihre gemeinsamen Interessen vertretende Koalitionsregierung bilden können. Diese Regierung würde – unter Berücksichtigung der Erfahrungen der Geschichte und gestützt auf die demokratische Legitimation durch das Volk – die Armee, die Polizei, die Justiz und den Verwaltungsapparat sowie die Massenmedien vom Einfluß neonazistischer und militaristischer Kräfte befreien und den Mißbrauch der staatlichen Machtorgane gegen das Volk und die verfassungsmäßige Regierung unterbinden. Im Zuge einer solchen Entwicklung würde eine von der Arbeiterklasse und den anderen demokratischen Kräften getragene antimonopolistisch-demokratische Staatsmacht geschaffen.

Durch eine fortschrittliche Gesetzgebung – gestützt auf die außerparlamentarische Aktivität der Arbeiterklasse und der anderen demokratischen Kräfte – könnten, unter den Bedingungen einer antimonopolistischen Demokratie, tiefgreifende politische und ökonomische Umgestaltungen durchgesetzt werden. Es würde sich die Möglichkeit eröffnen, die Mitbestimmung der Arbeiterklasse und ihrer Gewerkschaften sowie anderer antimonopolistischer Kräfte bis hin zu einer demokratischen Produktions- und Investitionskontrolle in den großen Unternehmen auszubauen. Hierdurch sowie durch die fortschreitende Überführung von Großkonzernen in öffentliches Eigentum könnte die ökonomische Macht des Monopolkapitals weiter zurückgedrängt und schließlich überwunden werden. Damit würde auch die Einleitung einer demokratischen Wirtschaftsplanung möglich. Die DKP erstrebt diese grundlegenden Umgestaltungen auf der Basis der demokratischen Prinzipien und Rechte des Grundgesetzes. (S. 254)

In dem Maße, wie durch den Kampf der Arbeiterklasse und der anderen demokratischen Kräfte, durch parlamentarische Entscheidungen und Regierungsmaßnahmen die ökonomische Macht des Monopolkapitals überwunden wird, würde auch die schärfste Form der kapitalistischen Ausbeutung, die Ausbeutung durch die Monopole, beseitigt. (S. 255)

Die Feststellung, die DKP strebe im Rahmen ihrer AMS eine Regierungsbeteiligung innerhalb des Kapitalismus an – wie es auch im Programm von 2006 eigentlich unzweideutig geschrieben steht – führt immer noch regelmäßig zu Ausbrüchen der Empörung in den Reihen der Parteimitglieder. Diese freche Behauptung sei, so werden langjährige Genoss*innen nicht müde immer wieder zu beteuern, nichts als eine gemeine Verleumdung, mit der linksradikale Sektierer der Partei zu schaden versuchen. Das angeblich vom Reformismus unbefleckten Programm von 1978 spricht da jedoch eine andere Sprache.

Friedlicher Übergang zum Sozialismus?

Schon das Programm von 1978 enthält die illusionäre Einschätzung, die Bourgeoisie ließe sich durch eine langsame Verschiebung der Kräfte- und Mehrheitsverhältnisse daran hindern, alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel der Gewalt und Repression gegen die revolutionäre Bewegung einzusetzen:

Im harten Kampf muß durch die Arbeiterklasse und das ganze werktätige Volk der unvermeidliche Widerstand des Großkapitals überwunden und ein solches Übergewicht der zum Sozialismus strebenden Kräfte erreicht werden, das es ermöglicht, die Reaktion an der Anwendung blutiger konterrevolutionärer Gewalt zu hindern und den für die arbeitenden Menschen günstigsten Weg zum Sozialismus durchzusetzen. (S. 253)

Die Periode der antimonopolistischen Demokratie erscheint als Schlüssel zu einem friedlichen Übergang zum Sozialismus. Der Bourgeoisie, so scheint es, bliebe in einem solchen Szenario schlicht nichts anderes übrig, als ihre Macht und ihre Privilegien kampflos aufzugeben:

[In der antimonopolistischen Demokratie] erwüchsen Möglichkeiten, durch Einengung des Handlungsspielraums der Reaktion konterrevolutionäre Gewaltanwendung zu verhindern und den Übergang zur sozialistischen Umgestaltung kontinuierlich und unter weitestgehender Berücksichtigung der Interessen und Vorstellungen aller beteiligten gesellschaftlichen und politischen Kräfte zu gestalten. (S. 255)

Die Liste der historischen Beispiele, die das Gegenteil belegen, nämlich dass die demokratische Mehrheit allein eben nicht gegen die bewaffnete Gewalt der Bourgeoisie schützt, ist so lang, dass man kaum weiß, wo man die Aufzählung beginnen soll. Mit dem faschistischen Militärputsch in Chile, der dem Versuch eines parlamentarisch-friedlichen Übergangs zum Sozialismus auf breiter Massenbasis ein blutiges Ende setze, sei hier nur ein Beispiel genannt. Die Erinnerung an diese schmerzhafte Lektion hätte auf dem Parteitag 1978 eigentlich noch frisch sein müssen.

Rolle der Kommunistischen Partei

Das Programm von 1978 orientiert eindeutig und einseitig auf den Organisationstypus einer Massenpartei.

Die Vergrößerung der Mitgliederzahl der DKP und ihre immer festere Verwurzelung in der Arbeiterklasse ist die Grundvoraussetzung für die Veränderung des politischen Kräfteverhältnisses zugunsten des arbeitenden Volkes. Die Entwicklung der DKP zu einer Massenpartei ist unerläßlich für die Herbeiführung einer Wende zu demokratischem und sozialem Fortschritt, für die Erkämpfung einer antimonopolistischen Demokratie, für die Durchsetzung der sozialistischen Gesellschaftsordnung in der Bundesrepublik. (S. 267)

Lenins Theorie der „Partei neuen Typs“ findet an keiner Stelle Erwähnung. Das Problem der gezielten Kaderentwicklung und der bewussten Mitgliederpolitik wird völlig ausgespart, Quantität erscheint als einzig wichtiger Maßstab. Selbst die heute gängige Kompromissformulierung, es gebe zwischen Kader- und Massenpartei keinen Gegensatz, sondern beide bildeten im Organisationsmodell der DKP eine „dialektische Einheit“, ist im Programm von 1978 noch nicht zu finden.

Mit Blick auf die internationale kommunistische Bewegung beschloss der Mannheimer Parteitag:

Jede kommunistische Partei erarbeitet ihre Politik selbständig. Sie trägt hierfür die Verantwortung vor der eigenen Arbeiterklasse und Nation und zugleich vor den Werktätigen aller Länder. (S. 271)

Diese Vorstellung, die man als die Vorstellung eines „Marxismus in einem Lande“ beschreiben könnte, entspricht auch heute noch der Auffassung der DKP.

Fazit

Wie die Lektüre des Programms von 1978 eindeutig belegt, kann von einer ursprünglich revolutionären Tradition der AMS, die erst im angeblichen „Kompromissprogramm“ von 2006 durch einzelne reformistische Illusionen getrübt worden sei, keine Rede sein. Tatsache ist vielmehr, dass der reformistische Kern der AMS auf dem Mannheimer Parteitag sogar noch wesentlich offener und weniger verklausuliert zutage trat, als er es in den jüngeren Schriften der Verteidiger*innen dieser Strategie tut.

Im Gegensatz zu damals wird heute von vielen Genoss*innen abgestritten, dass es sich bei der AMS um eine Strategiekonzeption handelt, die auf einen (weitgehend) friedlichen und parlamentarischen Weg zum Sozialismus im breiten Klassenbündnis mit dem Kleinbürgertum und Teilen der Bourgeoisie und einer Regierungsbeteiligung der KP als Regelfall orientiert. Der Parteitag von 1978 hingegen ließ daran überhaupt keine Zweifel. Der Kern der AMS ist durch die Vorstellung bestimmt, man könne den kapitalistischen Tiger nicht nur reiten, sondern ihm auch noch aus dem Sattel in aller Ruhe die Zähne und Klauen ziehen.

Im Augenblick ist die Parteiführung eher darum bemüht, den reformistischen Kern der AMS zu verschleiern, gleichzeitig aber entschieden an genau dieser Tradition festzuhalten. Aus meiner Sicht lässt sich ein solches Vorgehen nur aus einer bewusst zentristischen Taktik des PV heraus erklären, die die Partei allen inneren Widersprüchen zum Trotz um jeden Preis zusammenhalten soll. Gegenüber der vergleichsweise kleinen Minderheit in DKP und SDAJ, die die antimonopolistische Strategie von links kritisierte, wurde deren reformistischer Inhalt heruntergespielt, kleingeredet, mit revolutionären Phrasen überdeckt, auf angeblich einzelne „Neben- oder Seitenaspekte“ reduziert oder gleich ganz geleugnet. Gegenüber dem zahlenmäßig stärkeren rechten Flügel der Partei, der seit dem 20. Parteitag durch die radikale Rhetorik der neuen Führung und die angekündigten Maßnahmen gegen die offene Fraktionsbildung immer mehr in Aufruhr geraten ist, wurde durch das klare Bekenntnis zur AMS unmissverständlich signalisiert, dass die Partei ihnen weiterhin alle Türen offenhält, solange sie nur bereit sind auf dem Boden der gemeinsamen (!) Strategie zu einem Mindestmaß an Beschlussdisziplin zurückkehren.

In der UZ vom 4. August 2017 schrieb Patrik Köbele, der einstimmig beschlossene Leitantrag zum 22. Parteitag erteile jenen Genoss*innen in der Partei, die mit den traditionellen strategischen Konzepten der Partei brechen wollten, „eine klare Absage“. (7) Mit Blick auf die Strategiefrage spricht der Antrag eine entsprechend eindeutige Sprache. Einleitend schreiben Hans-Peter Brenner und Patrik Köbele dazu:

die Strategie der DKP hat sich unseres Erachtens seit 1968 grundsätzlich bewährt. Sie baut auf den Überlegungen von Lenin, der Kommunistischen Internationale und der KPD unter Thälmann, Pieck und Reimann auf. Wir wollen sie für die heutigen Verhältnisse fortschreiben und aktualisieren und nicht verwerfen.

Gleichzeitig stellen wir fest, dass es auch zunehmend Fragen zu dieser Strategie „von links“ gibt. Fragen, die alle berechtigt sind. Fragen, die manchmal aber auch das Kind mit dem Bade ausschütten. Immer dann nämlich, wenn Neben- oder Seitenaspekte der antimonopolistischen Strategie überhöht

werden. Wenn eine Nebenfrage zum zentralen Wesen der Strategie gemacht werden soll. Dazu gehört sowohl die Frage nach Bündnismöglichkeiten mit nicht-monopolistischen Teilen der Bourgeoisie, die es gibt, die aber für die Kommunisten im Verhältnis zum Kampf um die Aktionseinheit der Arbeiterklasse einen nachgeordneten Stellenwert hat. Dazu gehört auch die Bedeutung von Wahlen oder die Beteiligung an Regierungen. (Leitantrag zum 22. Parteitag, UZ Diskussion, S. 2)

Die AMS war also, so die klare Ansage, seit 1968 richtig und es gibt keinen Grund, sie heute in Frage zu stellen. Auch nach den jüngsten Austritten deutet alles darauf hin, dass die DKP-Führung jetzt erst recht an ihrem „weiter so“ festhalten wird.

Es ist nur konsequent, dass sich durch den gesamten Leitantrag im Kern dieselben strategischen Etappenvorstellungen ziehen, die schon im Programm von 1978 den roten Faden bilden, wenn auch weniger klar formuliert und teils anders benannt. Vor diesem Hintergrund zu behaupten, die Frage nach strategischen Bündnissen mit Teilen der Bourgeoise, die Frage nach Regierungsbeteiligung der KP und damit die Frage nach dem Charakter der bürgerlichen Staatsmacht – also letztlich die Kernfragen der Revolution – seien nur „Nebenfragen“, die von den Kritiker*innen überhöht würden, ist, gelinde gesagt, einfach dreist. Das Gegenteil ist richtig: Genau in diesen Fragen offenbart sich das „zentrale Wesen“ der antimonopolistischen Strategie.

Mit dem Austritt sowohl der 80 Genoss*innen auf Grundlage ihrer Ablehnung der AMS als auch eines bedeutenden Teils der rechten Fraktion ist die zentristische Taktik der Parteiführung offensichtlich gescheitert. Ob das zu einem Umdenken und einer selbstkritischen Überprüfung der Strategie und Taktik der DKP führen wird, bleibt abzuwarten.

Anmerkungen

(1) Aufruf der KPD (11.6.1945), in: KPD 1945-1968. Dokumente. Band 1, Neuss 1989, S. 135-143. Programm der KPD – Entwurf (Februar 1968), in: KPD 1945-1968. Dokumente. Band 2, Neuss 1989, S. 395-441.

(2) Die Vorgeschichte der antimonopolistischen Strategie ist lang und müsste grundsätzlich bis zu Lenins Imperialismusanalyse, dem VII. Weltkongress der Komintern und schließlich dem richtungsweisenden XX. Parteitag der KPdSU zurückverfolgt werden. Die Frage, in welche Traditionslinie sich die Vertreter*innen der AMS dabei zu Recht stellen und wo die Konstruktion des eigenen historischen Narrativs durchaus auch widersprüchlich und kritikwürdig ist, würde Stoff für eine eigene weitreichende Diskussion liefern. Einen lesenswerten Überblick über die Vorgeschichte der AMS nach 1945 gibt einer ihrer wichtigsten Begründer: Willi Gerns, Zur Ausarbeitung der strategischen Orientierung der DKP, in: Max Schäfer (Hrsg.), Die DKP. Gründung, Entwicklung, Bedeutung, Frankfurt a.M. 1978, S. 209-232.

(3) Einen sehr lesenswerten und aufschlussreichen Überblick über die Diskussionen, die in der DKP von 1989/90 bis heute geführt wurden, gibt Philipp Kissel in seinem Artikel „Zum Verlauf der Debatte“. Kissel zeigt, dass die antimonopolistische Strategie der DKP zwar immer wieder von einzelnen Strömungen kritisiert wurde, eine klärende Diskussionen zu den Grundfragen der Strategie aber zu keinem Zeitpunkt geführt wurde. Kissel beschreibt auch den Entstehungsprozess des „Kompromissprogramms von 2006. Siehe: http://wieweiter.net/zum-verlauf-der-debatte/

(4) Klaus Mausner, Die revolutionäre Strategie schärfen und aktualisieren. Die Ausstrahlungskraft des Programms hat unter dem Reformismus gelitten – es muss überarbeitet werden, Link: http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2017/03/die-revolutionaere-strategie-schaerfen-und-aktualisieren/

(5) Kommission marxistische Theorie und Bildung (Hrsg.), Bildungsheft Strategie und Taktik (Mai 2016), Link: http://dkp-bw.de/wp-content/uploads/2010/10/DKP-Bildungsheft_Strategie-und-Taktik-Kopie.pdf

(6) Einen kompakten Überblick über die Debatte sowie zahlreiche Verweise zu ausführlicheren Artikeln gibt folgender Beitrag: Thanasis Spanidis/Jona Textor/Bob Oscar/Antonio Veiga, Worum geht es bei den Diskussionen in DKP und SDAJ? Thesen zur Strategie-, Organisations-, und Imperialismusdebatte, in: http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2017/05/worum-geht-es-bei-den-diskussionen-in-dkp-und-sdaj/ Eine grundsätzliche Kritik an Strategie und Praxis von DKP und SDAJ ist außerdem formuliert in der Austrittserklärung der 80 Genoss*innen: wieweiter.net/kollektive-austrittserklaerung-von-80-genossen/

(7) Siehe: http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2017/08/parteivorstand-erarbeitet-leitantrag/

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