Imperialism In the Twenty First Century– Globalization, Super-Exploitation, and Capitalism’s Final Crisis von John Smith

Eine Rezension von Magnus Thiems

Der Imperialismus im 21. Jahrhundert, das ist ein vielschichtiges, komplexes System. John Smith versucht sich mit seinem Werk Imperialism in the Twenty-First Century – Globalization, Super-Exploitation, and Capitalism’s Final Crisis an einigen Betrachtungen dieses weltumspannenden Systems. Smith ist in marxistischen Kreisen renommierter US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und versteht sich selbst als Marxist-Leninist. Er publiziert regelmäßig in der sozialistischen Monatszeitschrift Monthly Review und hat im Jahr 2014 den Baran-Sweezy-Memorial-Preis für sein Werk zum Imperialismus erhalten. Wer erwartet, Smith würde eine allumfassende und detaillierte Analyse des Imperialismus im 21. Jahrhundert bieten, der wird enttäuscht: Was der Autor vielmehr mit seinem 2016 erschienenen Werk vorlegt, ist eine ökonomische Untersuchung des imperialistischen Weltsystems und seiner Dynamiken, welche grundlegendere Prozesse des Systems in den letzten 40 Jahren aufdeckt und versucht, eine neue Dependenztheorie zu entwickeln.

Bei seiner Argumentation geht Smith induktiv vor: Als Ausgangsbeispiel der Beziehung zwischen imperialistischen Staaten im Norden und ihren nicht-imperialistischen Gegenstücken im Süden dienen im ersten Kapitel The Global Commodity die drei globalen Waren T-Shirt, Mobiltelefon und Kaffee (S.13-34). Anhand dieser wird laut dem Autor die umfassende Globalisierung der Produktion offensichtlich: Die Produktion dieser Waren findet übermäßig viel im Süden statt, während die Profite von den monopolistischen transnationalen Konzernen (transnational companies, TNCs)im Norden abgeschöpft werden (S.34f). Von diesem Ungleichgewicht in der Wertschöpfung, wie die bürgerliche Wissenschaft dies nennt, profitierten aber nicht nur die Unternehmen, sondern auch die imperialistischen Staaten und ihre Regierungen selbst, nämlich durch hohe Steuereinnahmen, sowie auch die werktätigen Massen, welche, wenn auch unterschiedlich stark, bestochen würden (S.41ff).
Im zweiten Kapitel Outsourcing, or the Globalization of Production vertieft Smith die Analyse der Verschiebung der Produktion in den Globalen Süden: Die treibende Kraft hinter diesem Prozess sei die Nachfrage nach immer billigeren Arbeitskräften zum doppelten Zweck der Kostensenkung bei gleichzeitiger Profitmaximierung (S.39ff). In den letzten vierzig Jahren seit Beginn der neoliberalen Phase des Kapitalismus ließ sich ein massiver Strom von Ausländischen Direktinvestitionen (foreign direct investments, FDIs) in Richtung des Globalen Südens beobachten, der dort vor allem arbeitsintensive, aber gleichzeitig sehr billige Produktivkräfte aufbaute, in denen günstig für den Markt in den imperialistischen Staaten produziert werden konnte (S.41ff). Dieser Prozess zeige sich auch an der veränderten Rolle der nicht-imperialistischen Staaten: Während diese Staaten ,,prä-neoliberal‘‘ vor allem Quellen von Ressourcen und Absatzmärkten für die imperialistischen Staaten waren, sind sie heute Zentren der industriellen Produktion, in denen bereits 67% des Mehrwerts der TNCs hergestellt werden (S.49ff). Trotz der veränderten Rolle der Staaten des Globalen Südens, schreibt Smith, bliebe die Beziehung zwischen diesen und den imperialistischen Staaten allerdings grundsätzlich die gleiche: die imperialistischen Staaten unterdrückten die nicht-imperialistischen Staaten weiterhin (S.50ff). Hinsichtlich der Bedeutung der Ressourcen in der heutigen Zeit ist die Analyse des Autors besonders interessant: Am Beispiel der Öl-exportierenden Staaten des Mittleren Ostens, deren Wirtschaft primär von der Förderung und dem Verkauf dieser Ressource bestimmt sind, zeige sich keine wirtschaftliche Rückständigkeit oder Abhängigkeit, sondern tatsächlich die Macht dieser Staaten (S.52f).

Profite: im Süden produziert, im Norden realisiert

Im dritten Kapitel The Two Forms of Outsourcing Relationship legt Smith dar, dass heute zwei Arten des Outsourcing dominieren einerseits die Ausländischen Direktinvestitionen, welche direkte Firmenbeteiligungen durch die transnationalen Unternehmen nach sich ziehen und in den Statistiken der bürgerlichen Ökonomen auch als Kapitalströme erscheinen würden (in-house outsourcing), und andererseits vertragliche Bindungen zwischen TNCs und formal unabhängigen Unternehmen im Globalen Süden, die statistisch nicht auftauchten und deren Anteil besonders seit der Finanzkrise 2007/08 steigen würde (arm’s length outsourcing) (S.68ff). Beide verbindet, dass der große Konkurrenzdruck – sei es unter den TNCs selbst oder noch verschärfter unter den formal unabhängigen Produzenten des Globalen Südens – negative Folgen für Arbeitern und die Umwelt bedeute: massiver Lohndruck, Umgehung von Arbeits- und Baugesetzen und Umweltverschmutzung (S.80ff). Trotz alledem oder gerade genau deshalb ginge der Trend zur Globalisierung der Produktion weiter, führt Smith im vierten Kapitel Southern Labor, Peripheral No Longer aus. Er geht davon aus, dass mit der Globalisierung der Produktion einhergehend auch eine zunehmende Feminisierung (S.124ff) und Prekarisierung der südlichen Arbeiterklasse stattfinde, dies sei ausgelöst durch den Hunger der nördlichen TNCs auf billige Arbeitskräfte auf der Jagd nach Profitmaximierung (S.116ff). Die Globalisierung schlage sich auch in der Beschäftigungsrate der einzelnen Sektoren und Arbeitslosigkeit der Staaten nieder: Während in den imperialistischen Zentren eine deutliche Deindustrialisierung stattfinde, steige der Anteil der Industriearbeiter im Globalen Süden (S.101ff). Laut Smith würde die bürgerliche Wissenschaft in dieser Entwicklung eine Parallele ziehen zur Industrialisierung der heutigen imperialistischen Staaten: Der Globale Süden mache die gleichen kapitalistischen Entwicklungsphasen durch und dieser Prozess führe automatisch zu einer Konvergenz der Lebensbedingungen aller Länder (S.119ff). Um sein Argument zu unterstützen, unterzieht Smith die bewährten ökonomischen Vergleichswerte wie die Kaufkraftparität im fünften Kapitel Global Wage Trends in the Neoliberal Era einer eingehenden Kritik und befindet, dass diese aufgrund ihrer Kopplung an Leitwährungen wie den Dollar für den Vergleich nördlicher und südlicher Volkswirtschaften ungeeignet seien (S.136ff). Im sechsten Kapitel The Purchasing Power Anomaly and the Productivity Paradox führt Smith weiter aus: bürgerliche Ökonomen würden die niedrigen Löhne im Globalen Süden auf die dortige angeblich niedrigere Produktivität zurückführen und so implizit legitimieren (S.170ff). Diese Analyse widerlegt Smith und vertritt den marxistischen Standpunkt: die Produktivität in der kapitalistischen Ökonomie werde anhand der produzierten Tauschwerte, die in Form von Preisen steigen oder sinken, bestimmt, jedoch müssten die produzierten Gebrauchswerte verglichen werden und diese zeigten eine ähnliche Produktivität zwischen nördlichen und südlichen Arbeitern an (S.174ff). Im siebten Kapitel, Global Labor Arbitrage: The Key Driver of the Globalization of Production, analysiert Smith nun ausführlich den globalen Trend des Outsourcings. TNCs hätten zwei Wege, billige Arbeitskräfte zu beschäftigen: erstens die Immigration in ihr Stammland – z.B. Saisonarbeitern – oder eben das Outsourcing von Arbeitsplätzen in den Globalen Süden, im Englischen global labor arbitrage, wobei der letztere Prozess aufgrund restriktiver werdender Migrationspolitik durch die imperialistischen Zentren an Bedeutung gewinne (S.188ff).

Globalisierung der Produktion und Überausbeutung

Dieser Prozess gepaart mit massivem Druck auf Löhne bedeute für die dortigen Arbeitern unbezahlte Überstunden, Unterschreiten des Mindestlohnes, Sklaven- und Kinderarbeit, in einem Wort: Überausbeutung (S.191ff). Bei der Entscheidung, Produktionen in den Globalen Süden zu verlegen, spielten zwar auch immer noch Zugang zu Märkten und Ressourcen eine wichtige Rolle, wichtigste Ursache seien allerdings die billigen Arbeitskräfte (S.192ff). Dies sei ein globaler, alle kapitalistischen Staaten umfassender Prozess, woraus Smith letztlich zu der Einschätzung kommt: Outsourcing und ökonomische Durchdringung der Zielländer im Globalen Süden sei ein neues, wesentliches Charakteristikum des Imperialismus im 21. Jahrhundert (S.199ff). Vornehmlich komme es zur Beherrschung der Welt durch die imperialistischen Zentren, allerdings ohne direkte Kolonialverhältnisse und oft ohne Waffengewalt (S.206ff). Bedingt durch diese neue Form der asymmetrischen Abhängigkeit komme es in den Staaten des Globalen Südens zu einer ungleichmäßigen Entwicklung (S.207ff). Smith kritisiert weiterhin den bürgerlichen Ansatz, dass Arbeiter in imperialistischen Zentren produktiver seien und deshalb einen höheren Lohn bekämen: Laut Smith lasse dies aber die weiter fortgeschrittene Entwicklung der Produktivkräfte außer Acht (S.220f). Schlussendlich benennt Smith die Ursache für den seit Beginn der neoliberalen Ära andauernden Prozess der Globalisierung der Produktion: den tendenziellen Fall der Profitrate, welcher den Kapitalismus in den 1970er-Jahren an den Rand des Kollapses gebracht hätte. Im achten Kapitel Imperialism and the Law of Value schließt der Autor, dass Lenins Imperialismus-Analyse ein solides Grundgerüst darstelle, welches aber aufgrund der globalisierten Welt einer Weiterentwicklung benötige (S.228ff). Anschließend an die Beobachtungen der vorigen Kapitel argumentiert er, dass die Macht und die Profite der TNCs und der imperialistischen Staaten nicht nur aufgrund der Möglichkeit, Preise zu bestimmen, auftrete, sondern grundlegend auch durch möglichst weites Herabdrücken von Löhnen, die Überausbeutung (S.229f). Marx, so schreibt Smith, sah darin die dritte Möglichkeit, dem Fall der Profitrate entgegen zu wirken – neben der Verlängerung des Arbeitstages und der Reduktion der Lebenshaltungskosten (S.238ff). Im neunten Kapitel greift Smith erneut die Illusion der Konvergenz der Staaten auf: das Bruttoinlandsprodukt , ein wichtiger Indikator für die wirtschaftliche Stärke einer Volkswirtschaft und damit letztlich der Stellung im imperialistischen Weltsystem, verschleiere den ausbeutenden Charakter der imperialistischen Zentren und trotz einer Abnahme der relativen Ungleichheit zwischen den Staaten könne nicht von einer Annäherung oder Konvergenz gesprochen werden (S.255ff). Methoden wie die Berechnung des Bruttonationaleinkommen, bei der Profite zwar in den südlichen Staaten statistisch verrechnet, aber dennoch von nördlichen TNCs abgeschöpft werden würden, täten ihr Übriges, um die wahren Abhängigkeitsverhältnisse zu verschleiern (S.256).

Alle Wege führen in die Krise

Im letzten Kapitel, All Roads lead into the Crisis, fasst Smith seine Betrachtungen zur Entwicklung des Imperialismus im 21. Jahrhundert zusammen: Die 1970er-Jahre führten zu Niedergang des Kapitalismus und spezifisch der Profitrate in imperialistischen Ländern (S.280ff). Als Antwort darauf kam es seit Beginn der neoliberalen Ära zu einer massiven Zunahme der Verschuldung, besonders im Globalen Süden, und einer verschärften Ausbeutung von ArbeiterInnen (S.307ff). Durch diese Maßnahmen konnten dem tendenziellen Fall der Profitrate für weitere 30 Jahre entgegengewirkt werden (S.296f). Allerdings erfolgte dies zum Preis einer erhöhten Krisenanfälligkeit des globalen kapitalistischen, imperialistischen Systems und zu immer häufiger auftretenden, in ihrer Stärke zunehmenden Überproduktionskrisen, wie der Finanzkrise 2007/08 (S.309ff). Trotz eines steigenden Finanzvolumens und immer noch gewaltiger Profite durch TNCs in den imperialistischen Zentren würde dort verhältnismäßig wenig in Strukturprojekte investiert (S.292ff). Vielmehr würden die Extraprofite der TNCs für Finanzspekulationen an der Börse genutzt, um dort noch höhere Profite zu erzielen (S.294ff). Für die Staaten des Globalen Südens bedeute die Konzentration von Mitteln auf eine export-orientierte Industrialisierung ein zweischneidiges Schwert: Zwar sei die exportorientierte Entwicklung für die Staaten des Globalen Südens ein Schritt Richtung Entwicklung der eigenen Volkswirtschaft und Richtung Aufstieg im imperialistischen System, allerdings geschehe dies nur unter massiver Verschuldung und Abhängigkeit von den imperialistischen Staaten des Nordens – neben den oben erörterten Begleiterscheinungen für Mensch und Natur (S.301ff). Die Gefahr, so Smith, sei, dass die nächste kommende Krise die ökonomische Grundlage vieler südlicher Staaten zerstören, da Überproduktionskrisen in zunehmenden Maßen und dann besonders heftig auch diese Staaten betreffen (S.308ff). Die Entwicklungen der jüngsten Zeit zeigten, dass Regierungen in einem vermehrten Maße eine protektionistische Handelspolitik gepaart mit neuen Austeritätsprogrammen verfolgen würden, die unmittelbar die Lage der ArbeiterInnen im Globalen Norden und Süden verschlechtern und die zwischenimperialistische Konkurrenz verstärken würden (S.310). Der einzige Ausweg, so resümiert und schließt John Smith sein Buch, könne nur die sozialistische Revolution sein (S.315).

Alles dies gesagt, stellt sich nun die Frage: Was ist die Relevanz dieses Werks für die Klärung der Imperialismusfrage und die aktuelle Debatte um den Krieg in der Ukraine? In Smiths Buch wird Russland nur selten behandelt, es lässt sich also keine konkrete Analyse herausziehen, die sagt, ob Russland imperialistisch sei oder eben nicht. An einer Stelle wird Smith jedoch auch bezüglich der Einordnung Russlands im imperialistischen System konkreter: Hinsichtlich des Complexity Index, der aussagt, wie komplex die Exportprodukte einzelner Volkswirtschaften im Schnitt sind, findet sich Russland 2010 an 18. Stelle, hinter Staaten wie den USA, Deutschland, Japan, aber vor Staaten wie beispielsweise Spanien, Israel oder Saudi-Arabien. Dies deutet daraufhin, dass Russland nicht nur Exporteur von primären Waren wie Gas, Erdöl oder Getreide ist, wie so oft angeführt wird, sondern auch Hochtechnologie eine gewichtige Rolle in der Außenhandelswirtschaft Russlands spielt. Wie Smith aber selbst ausgeführt hat, müssen ökonomische Indices vorsichtig genutzt werden: So liegt Russland laut einem Ranking der Harvard-Universität im Jahr 2022 nur auf Platz 51.

Smiths Beitrag zum Verständnis des Imperialismus unserer Zeit setzt auf einer allgemeineren Ebene an: Er zeigt deutlich auf, dass der Imperialismus seit Lenins Lebzeiten, als er geprägt war durch eine Hand voll Räuber, die die Kolonien und Halbkolonien dieser Welt als Ressourcenquellen und als Absatzmärkte nutzten, sich in zunehmenden Maß verändert hat und einer neuen Analyse bedarf. Die Abhängigkeiten zwischen imperialistischen Zentren wie den USA, Subimperialismen wie Brasilien und schließlich nicht-imperialistischen Staaten wie Bangladesh gestaltet sich heute deutlich komplexer als noch vor 100 Jahren: Zwar habe sich das Wesen des Imperialismus nicht grundlegend verändert, das entscheidende Merkmal dieses ,,neuen‘‘ Imperialismus, auf das John Smith sein Hauptaugenmerk legt, ist die zunehmende Überausbeutung von Arbeitern im Globalen Süden durch die (sub-)imperialistischen Staaten. Unter diesem Gesichtspunkt sollten wir auch unsere Analyse von einer ökonomischen Perspektive aus unternehmen.
Insgesamt bietet John Smiths Buch einige spannende Betrachtungen des Imperialismus unserer Zeit. Wer sich also für grundlegendere ökonomische Prozesse interessiert und sich dabei nicht an verschachtelten englischen Sätzen stört, dem sei John Smiths Buch herzlich empfohlen.

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