Zum imperialistischen Krieg in der Ukraine und zur revolutionären Strategie

von Joschua Relko

Ich möchte mich mit folgendem Beitrag in unserer aktuellen Diskussion positionieren. Mir ist bewusst, dass die Argumentation nicht ausgereift ist, aber ich möchte einige Aspekte zum Imperialismus, zum derzeitigen Krieg in der Ukraine und zur Position der Kommunisten einbringen, weil ich sie für wichtig halte.

Arnold Schölzel schrieb am 01. März in der Jungen Welt:

„…Wettrüsten in neuer Dimension. Russland hat sich darauf ebenso wie China bislang nicht eingelassen, es hat kein globales Netz von Militärbasen, betreibt keinen Neokolonialismus, sondern stoppt westliche Kriege. Wer da von Imperialismus auf beiden Seiten redet, dem sind die Maßstäbe der Leninschen Analyse gründlich verlorengegangen.“ (Arnold Schölzel, Rüstungswalze – Kommentar in der Jungen Welt)

Ich denke, der folgende Ausschnitt aus den Programmatischen Thesen kann durchaus als Beispiel für die Position herangezogen werden, die Schölzel hier kritisiert:

„Eine der zentralen Spaltungslinien in der kommunistischen Weltbewegung ist die Debatte um die These „objektiv antiimperialistischer“ Staaten. So wird z.B. Russland wegen seiner Interessendivergenzen mit den USA oft eine solche Rolle zugesprochen. Diese These ist jedoch falsch. Sie beruht auf der falschen Vorstellung, der Imperialismus sei die Vorherrschaft einiger, „westlicher“ oder „nördlicher“ Staaten wie der USA, Westeuropas und Japans. Wir halten jedoch daran fest, dass der Imperialismus eine gesetzmäßige Entwicklung des Kapitalismus in seinem monopolistischen Stadium ist. Es ist falsch, bestimmten, relativ unterlegenen imperialistischen Polen innerhalb dieses Systems ein prinzipielle Friedensfähigkeit oder fortschrittliche Rolle zuzuschreiben.“ (KO, Programmatische Thesen)

Meinem Verständnis nach steht diese Aussage im klaren Widerspruch zur These von Schölzel, dass es auf russischer Seite nicht um Imperialismus ginge. Die Imperialismus ist gesetzmäßige Entwicklung des Kapitalismus, (objektiv) antiimperialistische kapitalistische Staaten sind nicht existent.

Es geht um Imperialismus und imperialistischen Krieg

Wir haben in den Programmatischen Thesen nicht konkret ausgeführt, wie wir zu der zitierten Einschätzung gelangten, haben uns genau das aber richtigerweise vorgenommen. Es stellen sich Fragen, zu dieser Einschätzung, auf die ich gern eingehen würde, aber dafür bräuchte ich etwas mehr Vorbereitungszeit und ehrlich gesagt auch Unterstützung: Wie ist das russische Kapital wirklich aufgestellt, wie sieht die Monopolisierung aus? Welchen Einfluss gibt es international und wo, ökonomisch, politisch, kulturell,…? Welche Bedeutung gewinnt die umfangreiche militärische Macht in den internationalen zwischenimperialistischen Widersprüchen? Und so weiter – ich möchte auf die „Thesen zum Imperialismus entlang der Achse von Russland und China“ der Kommunistischen Partei der Türkei (TKP) von 2017 (letzten Sommer ins Deutsche übersetzt) hinweisen, als übersichtliche und genauere Beschreibung, welche Fragen für so eine Einschätzung relevant sind.

Vielleicht ist die bisher ausstehende Klärung zu diesen Fragen eine Ursache dafür, dass jetzt die (faktische) Relativierung des imperialistischen Charakters Russlands hier und da aufkommt. Damit meine ich die Positionen, die Russlands imperialistische Militäraktionen in der Ukraine rechtfertigen mit dem Argument, es handle sich um einen Verteidigungskrieg, den ein sozialistischer Staat möglicherweise genauso führen würde.

Deshalb noch etwas zum imperialistischen Krieg und warum ich denke, dass sich beim aktuellen russischen Einmarsch um imperialistischen Krieg handelt.

Ich will auf zwei Aussagen von Lenin verweisen. Bevor jetzt die Augen verdreht werden, möchte ich eins voranstellen: Das Werk Lenins ist keine Autorität in unserer Diskussion, nur weil es von Lenin ist! Nur etwas von ihm zu zitieren, heißt nicht, dass man im Recht ist. Ich führe Lenin (und die Aussagen, die ihr sicher gut kennt) hier an, weil er eine der Grundlagen ist, auf die wir uns geeinigt haben und weil er die Sache gut erklärt.

„Der Krieg steht in keinem Widerspruch zu den Grundlagen des Privateigentums, er stellt vielmehr eine direkte und unvermeidliche Entwicklung dieser Grundlagen dar. Unter dem Kapitalismus ist ein gleichmäßiges Wachstum in der ökonomischen Entwicklung einzelner Wirtschaften und einzelner Staaten unmöglich. Unter dem Kapitalismus gibt es keine anderen Mittel, das gestörte Gleichgewicht von Zeit zu Zeit wiederherzustellen, als Krisen in der Industrie und Kriege in der Politik.“ (Lenin, Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa)

Lenin weist auf die Wurzeln des imperialistischen Krieges hin, die bei keiner imperialistischen Konfrontation außer Acht gelassen werden können, weil sie über den Krieg letztlich bestimmen. Der Krieg ist unter kapitalistischen, imperialistischen Staaten also unvermeidlich, weil ihre ökonomischen Grundlagen früher oder später immer zum Krieg führen. Zweite Aussage:

„Aber stellen wir uns einmal vor, ein Sklavenhalter, Besitzer von 100 Sklaven, läge im Krieg mit einem anderen Sklavenhalter, Besitzer von 200 Sklaven. Es ist klar, dass die Anwendung der Begriffe „Verteidigungs“krieg oder „Vaterlandsverteidigung“ auf einen solchen Fall historisch verlogen und praktisch ein glatter Betrug wäre, begangen von gerissenen Sklavenhaltern am einfachen Volk, an den Kleinbürgern, an der unaufgeklärten Masse.“ (Lenin, Sozialismus und Krieg. Die Stellung der SDAPR zum Krieg).  

Lenin schließt in seine Ablehnung des Krieges unter kapitalistischen, imperialistischen Staaten auch die Möglichkeit mit ein, dass eine Kriegspartei ökonomisch schwächer aufgestellt ist, als die andere. Ich finde, die Aussagen passen sehr gut zum aktuellen Geschehen in der Ukraine. Sie unterstreichen die Position, dass es Russland eben nicht einfach darum geht (gehen kann), die Ukraine zu „entnazifizieren“ und zu „entmilitarisieren“. Sie unterstreichen die Position, dass es sich beim russischen Einmarsch in die Ukraine nicht einfach um eine Verteidigung des russischen Vaterlandes oder der russischen Bevölkerung in der Ukraine gegen die NATO-Aggression handelt (handeln kann). In erster Linie geht es um eine Auseinandersetzung zwischen den Imperialisten um die Neuaufteilung der Welt.

Was unter anderem diskutiert und geklärt werden sollte

Ich denke, drei Punkte fassen die oben beschriebenen Umstände gut zusammen und ich stelle sie als meine Position zum Thema für Beiträge von weiteren Genossen zur Diskussion:

1. Russland ist ein imperialistisches Land. Seine Stellung im imperialistischen Weltsystem müssen wir noch genauer analysieren ausgehend von den verschiedenen Ebenen (siehe oben), die auf diese Stellung Einfluss nehmen.

Ich bin der Ansicht, dass der russische Imperialismus eine gestaltende, aktive Rolle in diesem Weltsystem einnimmt. Mindestens militärisch befindet er sich auf Weltmachtsniveau. Er ist kein Verbündeter der Arbeiterklasse in ihrem eigenständigen (!) Kampf, auch wenn er von Zeit zu Zeit die nationale Souveränität von verbündeten Staaten und traditionellen Einflussgebieten gegen die Einmischung des NATO-Blocks verteidigt, weil es hier zu Überschneidungen mit den imperialistischen Interessen Russlands kommt. So ist es im Falle Syriens geschehen und so geschieht es jetzt vermutlich in den Autonomiegebieten in der Ostukraine.

2. Der Krieg, der sich aktuell in der Ukraine Bahn bricht, ist ein imperialistischer Krieg, ein Krieg unter Räubern um die Aufteilung ihrer Reviere, wobei die Ukraine selbst keineswegs einseitig abhängig von ihnen sein muss (siehe dazu auch die Thesen der TKP zum Imperialismus, These 12), auch wenn ihre eigenen kapitalistischen Interessen in der aktuellen Situation vielleicht gewissermaßen in den Hintergrund rücken. Die Arbeiterklasse hat in diesem Krieg keine der Kriegsparteien zum Verbündeten, weil diese Auseinandersetzung im Kern der Kampf der Imperialisten um Einfluss in der Ukraine ist.

3. Die KO als Ausdruck der Sammlung von Kommunisten und Aufbauorganisation der KP muss das imperialistische Kriegstreiben aufdecken und die Arbeiterklasse aufklären soweit sie es in ihrer aktuellen Verfasstheit und angesichts der Aufgabe des Parteiaufbaus kann. Entsprechend der Leitlinie „Der Hauptfeind“ stehen die Aktivitäten der BRD und der NATO in dieser Auseinandersetzung im Vordergrund. Aber es ist nicht Aufgabe der Kommunisten, den russischen Imperialismus in irgendeiner Weise vor der NATO-Aggression in Schutz zu nehmen. Der Kampf gegen den deutschen Imperialismus und die NATO bedeutet nicht, den russischen Imperialismus zu stärken, sondern dass es der einzige Weg für die Arbeiterklasse ist, den Krieg zu beenden. Das steht natürlich in krassem Gegensatz dazu, vom Kriegstaumel angeheizt nur auf die fremden Imperialisten zu schimpfen, wie es ein bedeutender Teil der „deutschen Linken“ längst tut.

Unsere Aufgabe

Als Kommunisten müssen wir für den Sozialismus-Kommunismus kämpfen und das ist eine zwar langwierige, aber sehr konkrete Angelegenheit. Das möchte ich hervorheben angesichts des Vorwurfs gegen die oben angeführten Positionen, dass man sich ja mit der Forderung nach Revolution leicht herausreden könne, dass der Sozialismus „abstrakt“ sei und, dass es zu einfach sei, den Krieg als imperialistisch „abzutun“. Ich halte diese Vorwürfe für abwegig. Die Erklärung des Sozialismus zu einem fernen Ziel kann außerdem Etappen-Theorien befördern, die die revolutionäre Strategie verwässern, weil sie auf z.B. antimonopolistische Zwischenetappen auf dem Weg zu Sozialismus setzen. Sie richten den Kampf nicht an der Aufgabe der sozialistischen Revolution aus, sondern schüren Illusionen in Teile der gegnerischen Klasse, in der falschen Hoffnung, dort Verbündete zu finden. Eine falsche Hoffnung ist es meiner Ansicht nach daher auch, im internationalen Lager der gegnerischen Klasse Verbündete der Arbeiterklasse zu suchen.

In Teilen der internationalen kommunistischen Bewegung konnten solche falschen Strategien aufgearbeitet werden oder sie werden gerade aktiv aufgearbeitet. In der Folge können diese Teile unter anderem auch dem aktuellen Krieg mit einer revolutionären, antiimperialistischen Perspektive begegnen. Wir haben uns die Aufarbeitung im kommunistischen Klärungsprozess zur Aufgabe gemacht.

Zu guter Letzt noch einmal die TKP. Das ist ein Auszug aus einer ihrer Stellungnahmen anlässlich der russischen Einmarschs und der zunehmenden Eskalation in der Ukraine. Ich denke, er sollte in unserer aktuellen Diskussion hervorgehoben werden:

„Communists come from a tradition that opposes race- and national-base conflicts, and that stands for class-based conflicts.“ („Kommunisten kommen aus einer Tradition, die rassen- oder nationalbasierten Konflikten entgegensteht und die für klassenbasierte Konflikte steht.“) (TKP, Who will stop NATO?)

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