„Der Verräter, Stalin, bist du“?

Ursachen und Bewertung des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags von 1939

Gastbeitrag von Jon Peco

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Inhaltsverzeichnis

1Einleitung

„Der Verräter, Stalin, bist du!“

Mit diesen Worten endet der Artikel Willi Münzenbergs aus dem Jahre 1939 mit dem Namen „Der russische Dolchstoss“, verfasst als Reaktion auf den Abschluss des Nichtangriffsvertrags zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion.1 Russland sei nun kein sozialistisches Land mehr, es verteidige lediglich „seine imperialistischen Machtansprüche mit Feuer und Schwert“, so Münzenberg. Der Sozialismus sei dementsprechend „in Stalin-Russland ein für alle Mal tot und begraben“. Der Kampf der internationalen Arbeiterklasse, schlussfolgert Münzenberg, müsse in gleichem Maße gegen Stalin und Hitler gerichtet werden, den Feinden der „freiheitlichen und demokratischen Völker der Erde.“

Um der Gefahr solch einer einseitigen und verzerrenden Darstellung entgegenzuwirken, müssen die Zusammenhänge dargestellt und analysiert werden, ohne deren Beachtung der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag und seine Folgeabkommen nicht angemessen beurteilt werden können.

Es muss auf die Vorgeschichte des Nichtangriffsvertrags eingegangen werden, die konkreten historischen Bedingungen seines Zustandekommens sowie die internationalen Konstellationen, die ihn überhaupt erst möglich gemacht haben.

Dazu gehörte die aggressive Expansionspolitik Japans und das, primär gegen Osten gerichtete, Eroberungsstreben Deutschlands sowie die sowjetischen Bemühungen für ein kollektives Sicherheitssystem mit den Westmächten zum Schutze vor faschistischer Aggression, die Reaktionen Englands, Frankreichs und der USA auf diese Bemühungen und die Zwangslage, in welche die Politik der UdSSR nach dem Scheitern dieser Bemühungen geriet.

Nur vor diesem Hintergrund lässt sich die historische Wahrheit über den deutsch- sowjetischen Nichtangriffsvertrag erschließen und insbesondere die Ausweglosigkeit erkennen, in welche die sowjetische Politik sich vor allem durch das Verhalten der Westmächte gedrängt sah.

2 Die Pläne eines „Kreuzzugs“ gegen die UdSSR und wer sie unterstützte

Seitdem sich die Erkenntnis festigte, dass der Sieg des Sozialismus in Russland keine Welle von siegreichen Revolutionen in Europa mit sich bringen würde, musste die Führung der UdSSR sich ernsthafte Sorgen über die Einkreisung des ersten sozialistischen Staates durch eine ihm feindlich gesonnene kapitalistische Umwelt machen. Die Mächte, welche gleich nach der Oktoberrevolution in Russland intervenierten, mit dem Ziel durch Waffengewalt die sozialistische Regierung zu stürzen, waren ihrem Vorhaben treu geblieben. In den 1930er Jahren waren es folgende Akteure, dessen Handeln für die UdSSR die größte Gefahr darstellte:

2.1 Die sowjetische Ostgrenze – das militaristische Kaiserreich Japans

Der Erfolg des japanischen Kaiserreichs im Ersten Weltkrieg ohne sonderliche Anstrengungen regte die Expansionsbestrebungen der herrschenden Elite des Landes an. Sie träumten von neuen Eroberungen und von der Errichtung ihrer Herrschaft in ganz Ostasien und im pazifischen Raum. Dies machte den bewaffneten Zusammenstoß zwischen Japan und der UdSSR zu einer durchaus realen Gefahr. So erklärte der Kriegsminister des japanischen Kaiserreichs, General Araki, auf einer Beratung von Gouverneuren im Jahre 1933, dass „Japan […] bei der Durchführung seiner Staatspolitik zwangsläufig mit der Sowjetunion kollidieren [muss]“ und, dass es „für Japan unumgänglich [ist], auf militärischem Wege die Primorje-Region, Transbaikalien und Sibirien in Besitz zu nehmen“2. So war die UdSSR, trotz der ausgeprägten Widersprüche zwischen Japan und England sowie den Vereinigten Staaten, für das Kaiserreich der „Feind Nummer eins“3.

Japans intensive Aufrüstung musste also als in erster Linie als gegen die Sowjetunion gerichtet gesehen werden und die Besatzung der Mandschurei sowie Koreas als große Gefahr für diese. So erklärte der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, M. Litwinow, am 29. Dezember 1933, die Politik Japans sei „heute die dunkelste Gewitterwolke am internationalen politischen Horizont.“4

2.2 Die sowjetische Westgrenze – die Aggressionsvorhaben Hitlerdeutschlands

Ein noch gefährlicherer Kriegsherd, der zu einem neuen imperialistischen Weltkrieg führen könnte, entstand zu dieser Zeit im Herzen Europas in Gestalt des faschistischen Deutschlands. Die deutschen Imperialisten hielten trotz ihrer Niederlage im Ersten Weltkrieg an ihren aggressiven Absichten fest. Nachdem Deutschland schon Ende der 20er Jahre seine alten Rivalen Großbritannien und Frankreich im Umfang der Industrieproduktion überflügelt hatte, begann es mit dem Wiederaufbau einer militärischen Macht, um als „Revanche“ für die erlittene Niederlage hinaus die politische Landkarte Europas nach eigenem Ermessen umzugestalten. Dieses Bestreben manifestierte sich in der Machteroberung durch die NSDAP, welche ein faschistisches Reich mit 80 bis 100 Millionen Einwohnern „arischer“ Abstammung im Zentrum Europas schaffen wollten. „Zu diesem Kern“, so behauptete Hitler im Jahre 1932, „gehört Österreich. Das ist eine Selbstverständlichkeit. Es gehört dazu aber auch Böhmen und Mähren, und es gehören dazu die Westgebiete Polens […] Es gehören aber auch dazu […] die baltischen Staaten.“5. Die Bevölkerung dieser Gebiete, mit Ausnahme der dort lebenden Deutschen und der „einer Eindeutschung würdigen Elemente“, sollte ausgerottet oder aber ausgesiedelt werden. Auf einer Beratung mit den Befehlshabern der deutschen Teilstreitkräfte am 3. Februar 1933 informierte Hitler über seine Pläne zur allseitigen Stärkung der Wehrmacht, um die „politische Macht“ wiederzuerringen. In diesem Treffen kam er darauf zu sprechen, wozu er diese „politische Macht“ brauchte: „Eroberung neuer Lebensräume im Osten und dessen rücksichtslose Germanisierung.“6 Die deutschen Faschisten zogen aus der Erfahrung des Ersten Weltkrieges ihre eigene Konsequenz: Das Zustandekommen eines neuen Zweifrontenkrieges im Osten und im Westen sei zu verhindern, jedoch nicht der Krieg an sich, dieser sei notwendig. „Gegen England, Frankreich und gegen Russland anzutreten, dieser Fehler sollte allerdings nicht wiederholt werden“, sagte von Ribbentrop.7 Stattdessen beschlossen sie, schrittweise auf ihr Ziel loszusteuern und ihre Gegner einzeln zu schlagen, wobei zuerst die Schwächeren an die Reihe kommen sollten. „Alles, was ich unternehme“, erklärte Hitler in einem Gespräch mit Carl Jacob Burckhardt, dem Völkerbundkommissar für Danzig, „ist gegen Russland gerichtet“. Sein Ziel sei es, erläuterte er, sich mit „versammelten Kräften gegen die Sowjetunion zu wenden.“8

2.3 Das Kalkül der Westmächte

Die Eroberungsgelüste Nazideutschlands stellten eine ungeheure Gefahr für die Völker ganz Europas dar. Daher waren diese Völker zutiefst daran interessiert, die faschistischen Aggressoren zu Räson zu bringen und ihre menschenfeindlichen Pläne zu durchkreuzen.

Hätten England und Frankreich gemeinsam mit der Sowjetunion und anderen Staaten den Weg eines entschlossenen Kampfes gegen die Aggression eingeschlagen, hätten die räuberischen Kriege der faschistischen Mächte verhindert werden können, wäre der Frieden erhalten geblieben. Doch die herrschende Klasse dieser Länder vertrat nicht die Interessen ihrer Völker, sondern verfolgte stattdessen eine Politik, die nur einem Interesse gerecht wurde – dem ihrer Klasse, der imperialistischen Bourgeoisie.

Anstatt die Gefahr des Faschismus zu erkennen und entschlossen gegen ihn zu kämpfen, sahen sie vielmehr eine Chance in ihm. Die Chance, sich des Faschismus im Kampf gegen die UdSSR und allen revolutionären Kräften bedienen zu können. Wie der amerikanische Historiker F. Dulles feststellte, hoffte man in den Vereinigten Staaten von Amerika, „dass, sollte in Europa ein Krieg beginnen, es vielleicht irgendwie gelingen würde, ihn in einen Kreuzzug gegen den Kommunismus zu verwandeln und die Ziele9 zu verwirklichen, die man durch die Intervention der Alliierten im Jahre 1918 nicht hatte erreichen können.“10

Identisch war es bei der englischen Bourgeoisie, welche bei diesen Überlegungen von dem Grundsatz ausging: „Wenn Großbritannien leben soll, dann muss der Bolschewismus sterben!“ Dieser Kurs der britischen Außenpolitik auf eine Übereinkunft mit den Nazis auf Kosten der Sowjetunion manifestierte sich in der Unterzeichnung des durch Benito Mussolini ins Leben gerufenen Abkommens zwischen Italien, Frankreich, Großbritannien und Deutschland – dem sogenannten Viererpakt – am 15. Juli 1933. In diesem verkündeten die Mächte zwar an der Erhaltung des Friedens zu arbeiten, dies solle durch das Verfolgen einer gemeinsamen politischen Linie in europäischen wie außereuropäischen, insbesondere auch kolonialen Fragen realisiert werden. Doch Frieden wahren und einheitliche Politik unter der Vorherrschaft Deutschlands und Italiens ist eindeutig ein Widersinn. Der stellvertretende Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, M. Litwinow, erklärte in Angesicht dieser Unterzeichnung: „Da die vier Mächte, die diesen Pakt schließen wollen, untereinander außerordentlich viele Differenzen haben, scheint der einzige Punkt, indem sie keine Differenzen haben, ihre gemeinsame Feindschaft gegen den Kommunismus zu sein.“11

2.4 Die Rolle der kleineren Nachbarstaaten der UdSSR

Ein weiteres für die Außenpolitik der Sowjetunion wichtiges Ereignis war die Annäherung Polens an Nazideutschland. Der deutsche Propagandaminister Goebbels schlug in einem Gespräch mit dem polnischen Außenminister, J. Beck, vor, die deutsch-polnischen Beziehungen auf folgender Grundlage zu regeln: Polen würde den sogenannten Korridor, das heißt polnisches Küstengebiet, an Deutschland abtreten und selbst Zugang zum Meer erhalten, jedoch auf Kosten Litauens und Lettlands. Anschließend sollten beide Länder gegen die UdSSR vorgehen, wobei Polen durch die Annektierung der Ukraine Zutritt auch zum Schwarzen Meer erhalten würde. Die deutschen Faschisten stießen bei der polnischen Nationalbewegung auf fruchtbaren Boden, welche, trotz der gewährten Unabhängigkeit in Folge der russischen Revolution, „[n]ach 123 Jahren Fremdherrschaft […] durchaus der Meinung [war], sogar die Grenzen von 1772 wiederherzustellen.“12 Diese Träume von einem erneuten großpolnischen Staat und einer Besatzung Moskaus durch Polen wie im Jahre 1612 bespielte der hochrangige Nazi H. Göring im Januar 1932, wenn er bei einem Gespräch mit Pilsudski „ein antirussisches Bündnis und einen gemeinsamen Marsch auf Moskau“ vorschlug, sowie dass die Ukraine polnisches Einflussgebiet sein werde.13 Obwohl Polen selbst von den Hitlerfaschisten bedroht war, die ja die Einverleibung seines Territoriums und die Ausrottung der Bevölkerung des Landes beabsichtigten, beharrte die Regierung Polens auf ihrem Vorhaben, sich fremden Boden anzueignen. So stellte der VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale fest: „Der deutsche Imperialismus hat in Europa einen Verbündeten im polnischen Faschismus gefunden, der ebenfalls bestrebt ist, sein Territorium auf Kosten der Tschechoslowakei, der baltischen Länder und der Sowjetunion zu erweitern.“14

Ernsthafte Bedrohungen für die Sowjetunion gingen dazu auch noch von der Möglichkeit der Ausdehnung des hitlerfaschistischen Einflusses auf das Baltikum aus. Es bestand die Gefahr der Verwandlung der baltischen Staaten in eine Aufmarschbasis für einen Überfall auf die UdSSR. Dazu kam noch, dass die UdSSR im Falle eines Krieges gegen Deutschland, Japan und Polen auch Aggressionshandlungen von Seiten Finnlands befürchten musste. Dies nahm eine feindliche Haltung gegenüber der Sowjetunion ein und hatte Pläne zur Eroberung Sowjetkareliens. „An den Flanken unserer Operation“, notierte sich Hitler für den kommenden Krieg, „kann man auf die aktive Intervention durch […] Finnland im Krieg gegen Sowjetrußland zählen.“15 Der lettische Gesandte in Finnland informierte seinerseits Riga am 16. Juni 1934: „In den Köpfen der finnischen Aktivisten […] ist die karelische Frage tief verwurzelt. Diese Kreise erwarten mit irgendeiner Großmacht – früher mit Polen und jetzt mit Deutschland oder Japan -, um ihr Programm zu verwirklichen. Diese Bewegung […] kann einmal der Funke sein, der das Pulverfass entzündet.“16

Der sowjetische Historiker V.J. Sipols fasst in seinem Werk zur Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags die Lage in der sich die UdSSR zu Beginn der 1930er Jahre befand wie folgt zusammen:

„[Es] zogen sich an den östlichen und auch an den westlichen Grenzen der Sowjetunion die Gewitterwolken eines Krieges zusammen. Die japanischen und die deutschen Imperialisten, die den Weg der Aggression und des Krieges eingeschlagen haben, richteten ihre Blicke auf das sowjetische Territorium. In den anderen imperialistischen Ländern gab es nicht wenige, die ihnen den Segen zu einem ‚heiligen Krieg‘ gegen die Sowjetunion zu erteilen bereit waren. In einigen kleineren Nachbarländern der UdSSR gab es einflussreiche Kräfte, die sich im Falle eines solchen Krieges auf die Seite der deutschen und japanischen Aggressoren schlagen würden. Die Sowjetunion, damals das einzige sozialistische Land der Erde, war von feindlich gesinnten kapitalistischen Staaten eingekreist.“17

3 Sowjetische Bemühungen für ein kollektives Sicherheitssystem in Europa

Die UdSSR legte, angesichts der Tatsache, dass außer ihr auch noch andere Staaten bedroht wurden, größten Wert darauf, möglichst viele Länder zur Abwehr der Aggressoren zusammenzuschließen. Sie berücksichtigte daher die Widersprüche, die zwischen den beiden kapitalistischen Machtgruppierungen bestanden. Die vom Aggressorenblock mit Deutschland und Japan an der Spitze geschmiedeten Pläne zur Neuaufteilung der Welt stellten auch eine bedeutende Gefahr für eine andere Gruppe imperialistischer Mächte (Frankreich, Großbritannien und die USA) dar, die als Sieger aus dem imperialistischen Krieg 1914-1918 hervorgegangen waren, die Welt nach ihren eigenen Interessen bereits aufgeteilt hatten und seitdem bestrebt gewesen waren, ihre Machtposition in der Welt zu halten. Die Sowjetregierung war weit davon entfernt, die Bedingungen des von diesen Siegermächten geschaffenen Systems von Friedensverträgen für gerecht zu halten. Doch bedeutete das selbstverständlich nicht, dass sie zur Veränderung dieser Bedingungen einen neuen Weltkrieg für erforderlich hielt. Ganz im Gegenteil, sie war gegen einen solchen Krieg. Dies bedeutete, dass man eine Basis für gemeinsame Aktionen der Sowjetunion und dieser Mächtegruppierung zur Abwendung des Krieges hätte finden können. Dieser Front zur Verteidigung des Friedens hätten sich auch eine Reihe von mittelgroßen und kleinen Ländern anschließen können. Die Sowjetregierung hielt die Zusammenarbeit dieser Länder zur Erhaltung des Friedens nicht nur durchaus für möglich, sondern sogar für notwendig. Dieser Gedanke lag auch den sowjetischen Vorschlägen zur Schaffung eines Systems der kollektiven Sicherheit in Europa zum Schutz vor einer Aggression zugrunde.

Da die bürgerliche Propaganda die Kommunisten maßlos verleumdete indem sie behauptete, Moskau träume von nichts anderem als nur davon, einen Krieg zwischen zwei kapitalistischen Machtblöcken auszulösen, um eine revolutionäre Situation herbeizuführen, behandelte die Kommunistische Internationale auf ihrem VII. Weltkongress im Jahre 1935 diese Frage intensiv. Der diesbezügliche Standpunkt der sowjetischen Kommunisten wurde in der Rede W. Knorins, dem Leiter des Sekretariats des ZK der Kommunistischen Partei von Belarus, präzise dargelegt. „Obwohl der Krieg letzten Endes zu einer revolutionären Krise in den kapitalistischen Ländern führen wird“, unterstrich er, „wird er die Werktätigen in ungeheure Qualen, in Tod, Hunger und Leiden stürzen, die Produktivkräfte aller Länder zerstören und die Arbeiterorganisationen zerschlagen. Der Krieg bedroht das Leben von Millionen Proletariern und die Reste der Demokratie, die in einigen Ländern den Werktätigen doch gewisse Möglichkeiten zum Schutze ihrer Interessen im Kapitalismus gewähren. Der Krieg gefährdet die Unabhängigkeit der kleinen und schwachen Völker. Er ist die größte Katastrophe für alle Völker. Darum sind die Kommunisten, die die Interessen der Völker verteidigen, auch die Verteidiger des Friedens, und sie müssen den Krieg verhindern.“18

Der Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten der UdSSR, M. Litwinow, charakterisierte die friedliebende sowjetische Außenpolitik wie folgt:

„Der Sowjetstaat, dem Chauvinismus, Nationalismus, nationale oder Rassenvorurteile fremd sind, sieht seine staatlichen Aufgaben nicht in Eroberungen, Expansion und in der Erweiterung seines Territoriums, er sieht die Ehre des Volkes nicht in dessen Erziehung im Geiste des Militarismus und des Blutdurstes, sondern einzig und allein in der Verwirklichung jenes Ideals, um dessentwillen er entstanden ist und in indem er den ganzen Sinn seines Bestehens sieht, nämlich im Aufbau der sozialistischen Gesellschaft. Dieser Tätigkeit gedenkt er, wenn man ihn nicht daran hindert, alle seine Staatskraft zu widmen, und das ist der unversiegbare Quell seiner Friedenspolitik.“19

Diese Bemühungen und die durchaus große Opferbereitschaft der UdSSR, um den Frieden zu erhalten, brachte ihr viele frühe Erfolge in der Friedenspolitik und der Festigung der internationalen Stellung ein. So schloss sie zu Beginn der 30er Jahre diverse Nichtangriffspakte mit benachbarten Staaten, um ihre Grenzen zu sichern und erreichte die Herstellung von diplomatischen Beziehungen mit allen Großmächten außer den Vereinigten Staaten von Amerika. Dies war nur möglich, da die Sowjetunion es schaffte, die durch den Weltkrieg, den Bürgerkrieg und die ausländische militärische Intervention zerstörte Wirtschaft erfolgreich wiederherzustellen und die innenpolitische Situation zu stabilisieren, was dazu führte dass die Sowjetunion sich zu einem der mächtigsten Staaten der Welt entwickelte, welche selbst von seinen hartnäckigsten Gegnern auf internationaler Ebene nicht mehr ignoriert werden konnte.

3.1 Sowjetische Ambitionen für gemeinsame Aktionen im Pazifikraum

Zu solchen hartnäckigen Gegnern gehörten die Vereinigten Staaten von Amerika. Doch im Angesicht der zunehmenden amerikanisch-japanischen Gegensätze in Asien und im ganzen Pazifikraum sowie der Möglichkeit, dass diese in einen bewaffneten Konflikt ausarten, musste die Regierung der USA ihre Haltung der UdSSR gegenüber revidieren. So wurde am 16. Mai 1933 erstmals direkte Kontakte zwischen den beiden Regierungen hergestellt und am 16. November des gleichen Jahres die UdSSR anerkannt – dies war ein Eingeständnis, dass die Politik der Isolierung und Schwächung des ersten sozialistischen Staates gescheitert war. Im Februar 1934 erklärte ein bevollmächtigter Vertreter der UdSSR in einem Gespräch mit Roosevelt, dass „es nicht leicht sein wird, Japan zurückzuhalten und seinen Appetit zu zügeln. Japan wird separat weder auf Amerika noch auf die UdSSR hören, doch auf beide zusammen wird es selbst im letzten Augenblick hören, darum müssen wir in Kontakt bleiben.“20 Am 13. Mai 1934 hob M. Litwinow in einem Gespräch mit W. Bullit hervor, dass „[das] einzige effektive Mittel, die Japaner zurückzuhalten, […] eine gemeinsame Aktion aller Mächte, die im Pazifikraum Interessen haben, unverzüglich zu vereinbaren“21 sei. Doch auf dieses sowie auf andere Angebote für einen Nichtangriffsvertrag zwischen den USA und der UdSSR wurde nicht weiter eingegangen. In Angesicht dieser Tatsachen lässt sich feststellen, „dass die Sowjetregierung zu einer aktiven Zusammenarbeit mit den USA bereit war, um eine japanische Aggression zu verhindern, die USA-Regierung jedoch nicht daran dachte, wirklich effektive Maßnahmen gegen die Aggressoren zu ergreifen, da sie hoffte, dass Japan einen Krieg zuerst gegen die UdSSR beginnen würde, was die Lage der USA erleichtert hätte“22.

3.2 Die Initiative der UdSSR hinsichtlich einer gesamteuropäischen Anti-Hitler Koalition

Durch die stets steigende Gefahr eines Weltkrieges und die immer offenere Kriegslust der faschistischen Aggressoren, war die einzige Möglichkeit, den Frieden in Europa zu retten, der Zusammenschluss aller von der Aggression bedrohten Länder, um den potentiellen Aggressoren eine noch größere Macht entgegenzusetzen. Diese Chance bot sich durch den Abschluss über konkrete gegenseitige Hilfe zwischen den von einem Überfall bedrohten Ländern. Diese Gefahr wurde besonders in der französischen Bevölkerung und von einigen weitsichtigen französischen Politikern deutlich gesehen. Daher kam es, trotz vieler Komplikationen, zu einer Annäherung der beiden Regierungen, welche dazu führte, dass die sowjetische mit der französischen Regierung in Gespräche über einen Beistandsvertrag kam. Einem in diesem Kontext verfassten Dokument der Sowjetregierung vom Dezember 1933 ist besonderes Augenmerk zu schenken, da in diesem in knapper Form die wichtigsten prinzipiellen Zielsetzungen der UdSSR in den Verhandlungen mit der französischen Regierung dargelegt werden sollte.

In diesem hieß es:

„1) Die UdSSR ist bereit, unter bestimmten Bedingungen, dem Völkerbund beizutreten.

2)Die UdSSR erhebt keine Einwände, wenn im Rahmen des Völkerbundes ein Regionalabkommen über gegenseitigen Schutz vor einer Aggression Deutschlands abgeschlossen wird.

3) Die UdSSR ist einverstanden, dass an diesem Abkommen Belgien Frankreich, die Tschechoslowakei, Polen, Litauen, Lettland, Estland und Finnland bzw. einige von diesen Ländern, unbedingt aber Frankreich und Polen, teilnehmen. […]“23

Die Sowjetunion schlug also unmissverständlich, und dies schon im Jahre 1933, eine militärische Anti-Hitler Koalition vor, welche dazu führen würde, dass Deutschland, wenn es den Krieg beginnen würde, ihn gegen alle Paktunterzeichner gleichzeitig führen müsste – also einen Zweifrontenkrieg führen müsste, welchen die Nazis so unbedingt verhindern wollten. Wichtig zu beachten ist auch, dass für die UdSSR die Beteiligung Polens an diesem Vertrag von großer Bedeutung war. Dies hätte garantiert, dass Deutschland keinen Zugang zur sowjetischen Westgrenze bekommt und ermöglicht, dass die Sowjetunion in einem Kriegsszenario mit Polen gemeinsam ihre Truppen bis an die deutsche Grenze heranführen könnte. Die sowjetische Führung hatte also ein objektives Interesse an der Sicherung der Unabhängigkeit und Souveränität Polens und war bereit, dafür einzustehen.

Trotz dieses immensen Nutzens, den dieser Pakt für die Sicherung des Friedens in Polen sowie auf der gesamten Welt gehabt hätte, verweigerte die polnische Regierung weiterhin jegliche Zusammenarbeit mit der Sowjetunion. Die Ambitionen der sowjetischen Diplomatie, der polnischen Regierung die Bedeutung des Pakts für die Sicherung der Unabhängigkeit Polens klarzumachen, scheiterten. Ebenso wie die polnische, verhielt sich die finnische, deutsche und englische Regierung negativ zu den französisch-sowjetischen Vorschlägen. Somit wurden die Pläne eines sogenannten „Pacte de l’Est“ vereitelt.

3.3 Der Fall Tschechoslowakei24

Obwohl der Versuch einer gesamteuropäischen Anti-Hitler Koalition scheiterte, gab es eine Übereinkunft zwischen Frankreich und der Sowjetunion. Produkt dieser Übereinkunft war der sowjetisch-französische Beistandsvertrag vom 2. Mai 1935, in dieses Bündnis reihte sich der Verbündete Frankreichs, die Tschechoslowakische Republik, am 16. Mai ein. Da diese Staaten allesamt keine gemeinsamen Grenzen besaßen, kam wiederholt die Frage auf, wie militärischer Beistand im Falle eines Angriffs aussehen könnte.

Am 17. Februar 1937 teilten der Bevollmächtigte Vertreter und der Militärattaché der UdSSR in Paris dem französischen Generalstab die Antwort des sowjetischen Generalstabs mit:

„Die militärische Hilfe der UdSSR ist in zwei Varianten möglich.

  1. Falls Polen, das mit Frankreich verbündet ist, und Rumänien, das mit Frankreich und der Tschechoslowakei verbündet ist, ihre Pflicht erfüllen und ihre Einwilligung zum Durchmarsch sowjetischer Truppen durch ihr Territorium aufgrund einer von ihnen selbstständig getroffenen Entscheidung beziehungsweise in Übereinstimmung mit einem Beschluss des Völkerbundrats geben, so hat die UdSSR die Möglichkeit, mit allen Teilstreitkräften Hilfe und Unterstützung zu gewähren.
  2. Falls sich Polen und Rumänien aus unbegreiflichen Gründen dem widersetzen, dass die UdSSR Frankreich und der Tschechoslowakei Hilfe gewährt, und falls sie den Durchmarsch sowjetischer Truppen durch ihr Territorium nicht gestatten, wird die Hilfe der UdSSR unvermeidlich begrenzt sein

[…] Das Ausmaß dieser Hilfe ist durch eine Sondervereinigung zwischen den interessierten Staaten festzulegen.“25

Dieses Dokument beweist, dass die Sowjetregierung entschlossen war, im Kampf gegen eine eventuelle Aggression Hitlerdeutschlands, seinen Verbündeten zur Seite zu stehen. Das Ausbleiben einer Antwort auf die sowjetischen Fragen sowie die Ausarbeitung konkreter Bedingungen für die gegenseitige Hilfsleistung zeugt davon, dass dies über die französische Regierung nicht zu behaupten ist.

Es stellt sich die Frage, wie die verschiedenen Akteure auf die gesteigerte Aktivität und Militanz der faschistischen Sudetendeutschen Partei und die gleichzeitige deutsche Truppenkonzentration im Jahre 1938 reagierten, also auf ernsthafte Anzeichen einer deutschen Intervention. Dies ist von besonderer Relevanz, da, wie Holger Michael festhält, die „sogenannte Sudetenkrise […] zur Nagelprobe für die Verteidigungsbereitschaft der westlichen Demokratien gegenüber dem deutschen Faschismus [wurde], denn hier wurde das gesamte Nachkriegssystem in Frage gestellt und ein souveräner Staat und militärischer Bündnispartner bedroht.“26

Während die Sowjetunion der tschechoslowakischen Regierung erläuterte, dass die UdSSR bereit sei, „falls sie darum ersucht wird, […] im Einvernehmen mit Frankreich und der Tschechoslowakei alle Maßnahmen zu treffen, die sich auf die Sicherheit der Tschechoslowakei beziehen“27, erklärte der Chef des französischen Generalstabs gegenüber dem britischen Kriegsminister, dass „Frankreich die Tschechoslowakei unmöglich militärisch unterstützten kann.“28 Im Krassen Gegensatz zum Ansatz der Sowjetunion, die mit aller Kraft versuchte den Frieden und die territoriale Integrität der Tschechoslowakei zu wahren, stand das Vorgehen Großbritanniens, dessen Regierung den Aggressionsbestrebungen Hitlers in die Hände spielte. Die aktive Beihilfe, welche die britische Regierung in der Zerstückelung der Tschechoslowakei leistete, lässt sich anhand einer Botschaft dieser vom 9. Mai 1938 an das Auswärtige Amt Deutschlands veranschaulichen. In dieser bat sie die deutsche Regierung ihnen vertraulich mitzuteilen, wie sie die sudetendeutsche Frage zu lösen gedenken, denn dann könnte die „Englische Regierung in Prag einen solchen Druck ausüben […], dass die tschechoslowakische Regierung gezwungen würde, die deutschen Wünsche anzunehmen.“29

Daraufhin wurde auf Initiative der Briten zu einer Konferenz aufgerufen um die Sudetenfrage zu klären, an dieser sollten Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Italien teilnehmen. Explizit unerwünscht, war die Tschechoslowakei, über deren Schicksal entschieden werden sollte, und die UdSSR, obwohl diese Bündnisverträge mit Frankreich abgeschlossen hatte.

Am 29. und 30. September tagte diese Konferenz in München. Auf dieser wurde die Abtretung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich beschlossen – berühmt ist diese Entscheidung als Münchner Abkommen geworden. So gingen Frankreich und Großbritannien ein Komplott mit den Aggressoren ein, verrieten die Tschechoslowakei und halfen bei ihrer Zerstückelung. Mit der kampflosen Übergabe der Sudetengebiete erreichte der deutsche Faschismus innenpolitisch seine höchste Zustimmung und Stabilität. Die Behauptung der deutschen Führung, das Sudentenland sei ihre letzte territoriale Forderung gewesen, war eine Lüge. Bereits am 21. Oktober 1938 hatte Hitler die Wehrmacht angewiesen, sich auf die „Erledigung der Rest-Tschechei“ vorzubereiten. Im Laufe des nächsten Jahres wurde der übrige Teil der Tschechoslowakei zerschlagen und das restliche Tschechien vom Deutschen Reich annektiert, über Prag wehte nun die Hakenkreuzfahne. Ohne einen Schuss und mit westlicher Billigung, ja sogar Hilfe, hatte Hitler wichtige Gebiete erobern und die Voraussetzung für einen größer angelegten Krieg schaffen können.

Die Ereignisse zusammenfassend resümierte der britische Historiker J. Wheeler-Bennet: „Sie [die UdSSR] nutzte jede Gelegenheit, um die Bereitschaft zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber Frankreich und der Tschechoslowakei zu beweisen; […] Allen vorhandenen Angaben zufolge bewies Russland eine beispielhafte Haltung. Es ging sogar über den Buchstaben seiner Verpflichtungen hinaus“30 Der sowjetische Regierungschef und spätere Außenminister, W. Molotow, hatte also völlig recht, als er erklärte, dass „[n]ur die Sowjetunion, das Land des Sozialismus, […] nach wie vor unerschütterlich auf der Position des Kampfes gegen die faschistische Aggression [steht], auf der Position des Schutzes des Friedens, der Freiheit und der Unabhängigkeit der Völker vor einem faschistischen Überfall.“31

Die Analyse der Zerschlagung der Tschechoslowakei und ihrer Vorgeschichte lässt keinen Zweifel daran, dass die Sowjetunion in den späten 30er Jahren alles unternommen hatte, um die Tschechoslowakei vor Nazideutschland zu schützen, während die westlichen „Demokratien“ diese gegen den Willen der UdSSR Hitler ausgeliefert haben.

3.4 Das Jahr 1939; Die Verhandlungen zwischen der UdSSR, Großbritannien und Frankreich und ihre Vereitelung

Nach der Annexion der Tschechoslowakei begann das faschistische Deutschland sich ganz offen, vor den Augen der ganzen Welt, zum Kriege vorzubereiten. Es hörte auf, sich als Anhänger einer friedlichen Regelung der europäischen Probleme zu inszenieren und zeigte unverhüllt seinen aggressiven Charakter. In Angesicht dieser Situation unterbreitete die Sowjetunion im April 1939 der britischen und französischen Regierung konkrete, weitreichende Vorschläge, in denen der Abschluss eines Abkommens über gegenseitige Hilfe auf politischer sowie militärischer Ebene und Hilfeleistungen der drei Mächte für die osteuropäischen Nachbarländer der UdSSR im Falle einer Aggression vorgesehen waren. Diese Vorschläge „boten ein exaktes Programm für die Bildung einer zuverlässigen Front für den Schutz des Friedens in Europa“ und die Verwirklichung dieses „hätte allen Aggressionshandlungen einen festen Riegel vorgeschoben.“32

Die sowjetischen Vorschläge fanden jedoch bei der britischen und der französischen Regierung keine Unterstützung. Es mag heute noch so paradox erscheinen, aber diese Vorschläge fanden sie aufgrund ihrer Orientierung auf einen sowjetisch-deutschen Konflikt inakzeptabel. Hätte Großbritannien ein Abkommen mit der UdSSR geschlossen, wäre dies ein enormes Hindernis bei der Verwirklichung der deutschen Aggressionspläne gegen den Sowjetstaat gewesen. Solch ein Abkommen stand jedoch im Widerspruch zum gesamten politischen Kurs der britischen Regierung. Der Leiter des Norddepartments im britischen Außenministerium, L. Collier, stellte zur Haltung der britischen Regierung fest, dass sie sich nicht an die UdSSR binden, wohl aber „Deutschland die Möglichkeit geben will, seine Aggression ostwärts auf Kosten Russlands zu entfalten“33.

Währenddessen verschlechterte sich die internationale Lage stets weiter. Am 28. April gab Hitler die Kündigung der deutsch-polnischen Nichtangriffsverklärung von 1934 sowie des deutsch-britischen Flottenabkommens von 1935 bekannt. Dadurch wurde die Idee eines Bündnisses mit der Sowjetunion in der britischen Bevölkerung populärer, die Regierung hielt jedoch an ihrem Kurs fest. Es herrschte eine klare antisowjetische Stimmung, so heißt es in dem Tagebucheintrag A. Cadogans, dem ständigen Vertreter der britischen Regierung bei den Vereinten Nationen: „Der Premierminister erklärte, er werde eher zurücktreten als ein Bündnis mit den Sowjets signieren.“34 Der britische Politiker H. Channon schreibt in Bezug auf die britisch-sowjetischen Verhandlungen, man hätte keineswegs den Wunsch, den russischen Bären in die Arme zu schließen, also ein Bündnis mit ihm einzugehen; man wolle ihm nur die „Hand reichen und vorsichtig seine Tatze drücken. Nicht mehr. Das ist schon das Schlimmste, was es auf der Welt geben kann.“35

Die Regierung N. Chamberlains wollte trotz ihrer klaren Zielsetzung, den Vertrag nicht zustande kommen zu lassen, die Verhandlungen nicht einfach beenden. Ihr war bewusst, dass dies notwendig zur Normalisierung der deutsch-sowjetischen Beziehungen geführt hätte und somit den Plan eines deutschen Krieges gegen die Sowjetunion, von dem das Vereinigte Königreich profitieren würde, vereitelt hätte. „Unser Hauptziel bei den Verhandlungen mit der UdSSR“, erläuterte Halifax den Standpunkt der britischen Regierung, „besteht darin, die Herstellung irgendwelcher Kontakte zwischen Russland und Deutschland zu verhindern.“36 Sie war vielmehr darauf aus, die Verhandlungen zu entschärfen und in diesen einem möglichen Abkommen dem Inhalt zu entleeren. So machte die britische Regierung der sowjetischen einen Gegenvorschlag, zu welchem H. Channon kommentiert, dieser sei derart „lose, so unrealistisch und so unpraktisch, dass es die Nazis nur zum Lachen über uns bringen kann“37. Auf weitere sowjetische Entwürfe, die das Abkommen konkretisiert hätten, waren die Verhandlungspartner erst einmal nicht gewillt einzugehen und man zog die Verhandlungen gezielt in die Länge.

Als die britische Regierung am 25. Juli 1939 das sowjetische Angebot zur Aufnahme von Verhandlungen der Militärvertreter der UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs annahm, hieß dies keineswegs, dass Chamberlain tatsächlich auf eine Vereinbarung der Zusammenarbeit mit der UdSSR aus war. Die Zusammensetzung ihrer Delegationen beweist, dass Großbritannien und Frankreich bei diesen Verhandlungen keine wirklich ernsthaften und ehrlichen Intentionen an den Tag legten. Anders als versprochen, trafen in Moskau nicht die stellvertretenden Stabschefs ein, sondern Militärvertreter von weitaus niedrigerem Rang. Der britische Diplomat und Regierungsberater, William Strang, gab in seinen Memoiren zu, dass die britische Regierung gar kein Abkommen mit der Sowjetunion wünschte und deswegen eine Militärdelegation von einem „nicht adäquatem Rang“, die dazu noch nur mit Vollmachten von „begrenztem Charakter“38 ausgestattet war, nach Moskau entsandt hatte.39

Die sowjetische Militärdelegation hingegen war von dem Volkskommissar für Verteidigung, K. Woroschilow, übernommen und besaß erschöpfende Vollmachten. Der Generalstab der sowjetischen Streitkräfte hatte für die Verhandlungen einen ausführlichen Plan der militärischen Zusammenarbeit der drei Mächte ausgearbeitet, damit diese so effektiv wie möglich sein könnten. Die britische und französische Delegation war ohne konkret ausgearbeitete Pläne nach Moskau gekommen. Im Zusammenhang mit den sowjetischen Vorschlägen stellte das Mitglied der französischen Delegation, A. Beaufre fest: „Es ist schwer, konkreter und klarer zu sein […] Der Kontrast zwischen diesem Programm […] und den vagen Abstraktionen der französisch-britischen Plattform ist frappierend und zeigt die Kluft, die zwischen den beiden Konzeptionen lag […] Die sowjetischen Argumente wogen schwer […] Unsere Haltung blieb falsch.“40

Die Sowjetunion strebte ernsthaft und mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln eine Zusammenarbeit mit Frankreich und Großbritannien gegen das Deutsche Reich an, die absichtlich torpediert wurde. Die Teilnahme von Frankreich und Großbritannien an den Verhandlungen hatte allein das Ziel, die Sowjetunion hinzuhalten.

4 Der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag

Die Situation, in der sich die Sowjetunion befand, war folgende: Das Abkommen der drei Mächte, gegen die Aggressoren, auf das sie aus war, war nicht zu realisieren, da die britische und französische Regierung auf ihrem Kurs des Übereinkommens mit Deutschland festhielten. Die Regierung der Sowjetunion befürchtete in einem Krieg mit Deutschland, bei dem Japan mit Sicherheit auch die Sowjetunion angreifen würde, ohne Verbündete dazustehen. Deutschland hingegen wollte seine Kriegsanstrengungen zu Beginn gar nicht hauptsächlich in Richtung Osten richten. Stattdessen sollte Polen besetzt und der Krieg gegen die Sowjetunion erst nach einem Feldzug gegen Frankreich geführt werden. Daher waren die deutschen Faschisten darauf aus, die Beziehungen zur Sowjetunion vorübergehend zu normalisieren und einen Nichtangriffsvertrag abzuschließen, den sie erst im Laufe des Krieges zu brechen gedachten. Bis Mitte August 1939, solange noch eine Hoffnung auf den Abschluss eines britisch-französisch-sowjetischen Abkommens bestand, ließ die Sowjetregierung alle Angebote der Deutschen unbeantwortet. Angesichts der Ergebnislosigkeit dieser Verhandlungen sah sich, so V.J. Sipols, die UdSSR folgender Alternative gegenüber:

„entweder passiv zuschauen, wie Deutschland alle an die UdSSR angrenzenden Länder Osteuropas besetzt bzw. sie auf anderem Wege seiner Herrschaft unterordnet und dadurch günstige strategische Positionen für einen späteren Überfall auf die UdSSR einnimmt, wobei jeder Konflikt, zu dem es in der Nähe der sowjetischen Grenzen kommt, in offene Kampfhandlungen hinüberwachsen konnte;

oder aber den Umstand nutzen, dass Deutschland zu jener Zeit noch nicht die Absicht hatte, einen Krieg gegen die UdSSR zu entfesseln, und unter den damaligen Verhältnissen alles daransetzen, um den Ausdehnungsbereich der deutschen Aggression einzuschränken, dadurch die Interessen der UdSSR sowie anderer Länder und Völker Osteuropas maximal zu schützen, sowie die Möglichkeit einer spontanen, nichtsanktionierten Entstehung von Kampfhandlungen zwischen Deutschland und der UdSSR zu verhindern.“41

Am 20. August 1939 richtete Hitler an Stalin ein Telegramm. Darin hieß es, dass jeden Tag eine „Krise ausbrechen kann“, in die auch die Sowjetunion verwickelt werden könne, wenn sie die Unterzeichnung eines Nichtangriffspaktes mit Deutschland ablehne. „Ich schlage Ihnen daher noch einmal vor“, hießt es im Telegramm Hitlers, „meinen Außenminister am Dienstag, den 22. August, spätestens am Mittwoch, den 23. August zu empfangen. Der Reichsaußenminister hat umfassendste Generalvollmacht zur Abfassung und Unterzeichnung des Nichtangriffspakts.“42 Nach weiteren ergebnislosen Verhandlungen der drei Mächte am 21. August, konnte die Sowjetregierung die deutschen Angebote unmöglich weiter ablehnen und erklärte sich bereit, den deutschen Außenminister am 23. August in Moskau zu empfangen. Auf diesem Treffen wurde klar der Wunsch geäußert, ein Nichtangriffspakt mit der Sowjetunion abzuschließen. Während die Sowjetregierung über Monate und ohne handfeste Ergebnisse mit Großbritannien und Frankreich verhandelte, wurde der Wortlaut des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts im Laufe eines einzigen Tages abgefasst. Der Vertrag beinhaltete die Verpflichtung für den Verzicht auf einen Angriff (Artikel. 1) und den Verzicht auf Hilfeleistungen für den Staat, der eine der vertragsschließenden Seiten überfällt (Artikel. 2), darüber hinaus verpflichteten sich die Vertragsabschließenden, einander über Fragen, die ihre gemeinsamen Interessen betrafen, zu informieren (Artikel. 3) und an keiner Gruppierung von Mächten teilzunehmen, die direkt oder indirekt gegen die andere Seite ausgerichtet ist. Abgeschlossen wurde der Vertrag auf die Dauer von zehn Jahren.

4.1 Das Geheimabkommen und die Frage der Demarkationslinie

Viel kontroverser und relevanter als dieser offizielle Teil des Vertrages, der den deutsch-polnischen und britisch-deutschen Übereinkommen der Vorjahre ähnelt, ist das „Geheime Zusatzprotokoll“ des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts. Die Existenz dieses Zusatzprotokoll wurde in den darauffolgenden Jahrzenten konsequent von der UdSSR geleugnet, was ein enormer Fehler war, und somit verschiedensten Spekulationen und Legenden freien Lauf ließ. Daher soll im Folgenden das geheime Zusatzprotokoll in seiner Gesamtheit angeführt werden und auf seine Relevanz eingegangen werden.

„Geheimes Zusatzprotokoll

Aus Anlass der Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken haben die unterzeichneten Bevollmächtigten der beiden Teile in streng vertraulicher Aussprache die Frage der Abgrenzung der beiderseitigen Interessensphären in Osteuropa erörtert. Diese Aussprache hat zu folgendem Ergebnis geführt:

  1. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung in den zu den baltischen Staaten (Finnland, Estland, Lettland, Litauen) gehörenden Gebieten bildet die nördliche Grenze Litauens zugleich die Grenze der Interessenssphären Deutschlands und der UdSSR. Hierbei wird das Interesse Litauens am Wilnaer Gebiet beiderseits anerkannt.
  2. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung der zum polnischen Staate gehörenden Gebiete werden die Interessensphären Deutschlands und der UdSSR ungefähr durch die Linie der Flüsse Narew, Weichsel und San abgegrenzt. Die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und wie dieser Staat abzugrenzen wäre, kann endgültig erst im Laufe der weiteren polnischen Entwicklung geklärt werden. In jedem Falle werden beide Regierungen diese Frage im Wege einer freundschaftlichen Verständigung lösen.
  3. Hinsichtlich des Südostens Europas wird von sowjetischer Seite das Interesse an Bessarabien betont. Von deutscher Seite wird das völlige politische Desinteressement an diesen Gebieten erklärt.
  4. Dieses Protokoll wird von beiden Seiten streng geheim behandelt werden.

Moskau, den 23. August 1939

Für die In Vollmacht

Deutsche Reichsregierung: der Regierung der UdSSR:

v.Ribbentrop W.Molotow“43

Am Tag nach der Unterzeichnung des deutsch-italienischen Freundschafts- und Bündnispakts („Stahlpakt“), am 23. Mai 1939, berief Hitler eine Besprechung der ranghöchsten Wehrmachtsoffiziere ein, auf der er die Aufgabe formulierte, sich intensiv auf den Krieg vorzubereiten. „Weitere Erfolge können ohne Blutvergießen nicht mehr errungen werden“, meinte er. Aus Hitlers Ausführungen ging hervor, dass er sich auf den Krieg gegen Großbritannien und Frankreich vorbereitete, es jedoch für notwendig hielt, erst das Hinterland zu sichern und zu diesem Zweck „bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen“44. Im Morgengrauen des 1. September überfielen dann die deutschen Faschisten Polen von drei Seiten. Am 3. September folgte die Kriegserklärung Frankreichs und Großbritanniens gegenüber Deutschland. Doch an der sowjetisch-polnischen Grenze blieb es erstmal ruhig. Die deutsche Seite richtete mehrere Anfragen nach Moskau, wann es wohl gedenke, in Polen einzumarschieren und was die Gründe für die Verzögerung seien. Eine aussagekräftige Antwort erhielten sie nicht, klar wurde nur, dass sich die sowjetische Seite hierfür noch Zeit lassen wollte und auf etwas wartete.

Die gängige Interpretation der Geschehnisse im September 1939, welche der Sowjetunion ein bösartiges Kalkül unterstellt, geht davon aus, dass entweder die sowjetischen Streitkräfte direkt eingreifen wollten, jedoch lediglich nicht gefechtsbereit waren – eine Analyse der Handlungsfähigkeit der Truppen der Grenzmilitärbezirke widerspricht dieser These; oder die UdSSR aus Furcht vor einer westlichen Kriegserklärung sich erst viel später die Gebiete Ostpolens sich eingliederte – eine Kriegserklärung hätte genauso gut an einem späteren Zeitpunkt verkündet werden können, daher ist dieses Argument untauglich.

Plausibler erscheint es, dass die UdSSR sich bis zum 14.-16. September noch eine andere strategische Option offenhielt. Moskau wartete gemäß der französisch-polnischen Militärkonvention vom Mai 1939 auf die französische Offensive, die 15 Tage nach Beginn eines deutschen Angriffs auf Polen gegen Deutschland erfolgen sollte. Das wäre der 15. September gewesen. Dafür spricht der Fakt, dass die militärischen Vorbereitungen der UdSSR weit über das Maß gehen, das für einen Truppeneinmarsch in Polen benötigt wäre. Zu dieser Vorbereitung gehört die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, die Versetzung der Militärbezirke von Leningrad, Kalinin, Moskau, Charkow, Minsk und Kiew in Gefechtsbereitschaft, dies bedeutete die Einberufung von Reservisten bis zum 45. Lebensjahr, Urlaubssperre für Kommandeure, keine Entlassung von Rotarmisten. Diese Maßnahmen deuten eindeutig darauf hin, dass die UdSSR sich auf einen Krieg zwischen Großmächten und nicht auf einen begrenzten Feldzug vorbereitete.

Für den Krieg gegen Polen ordnete Hitler vor der Wehrmachtsspitze eine bisher ungekannte Rücksichtslosigkeit der Kriegsführung an: „Vernichtung Polens im Vordergrund. Ziel ist das Vernichten der lebendigen Kräfte, nicht das Erreichen einer bestimmten Linie“. Ein Teilnehmer notierte die Stichworte: „Herz verschließen gegen Mitleid. Brutales Vorgehen. Der Stärkere hat das Recht. Größte Härte.“45 Betrachtet in diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass das Verhindern des Vordringens der deutschen Armee bereits weit vor der Staatsgrenze der Sowjetunion, ermöglicht durch die Absprache im Zusatzprotokoll, Millionen von Menschen, die ohne diese Abgrenzung schon 1939 den faschistischen Okkupanten ausgeliefert worden wären, für einen im Voraus nicht absehbaren Zeitraum vor diesem Schicksal bewahrte.

Wichtig zu erwähnen ist, dass es sich bei den Gebieten, die durch das Zusatzprotokoll des Nichtangriffsvertrags der Sowjetunion zugeschrieben wurden, um ethnisch hochdiverse Gebiete handelte. Vor allem die östlichen Gebiete waren ethnisch eindeutig belorussisch und ukrainisch und ursprünglich sowjetisch. Die Sowjetregierung war lediglich durch eine polnische Offensive im Krieg mit der UdSSR in den Jahren 1919 und 1920 in eine Lage versetzt worden, in der sie das Abtreten dieser Gebiete akzeptieren musste. Die ostslawische sowie die jüdische Bevölkerung dieser östlichen Gebiete, welche zusammengezählt 70% der Bevölkerung ausmachten, erlitten unter dem polnischen Zentralstaat nationale Unterdrückung, diese war eng verwoben mit der sozialen Frage.

Diesem Fakt Rechnung tragend wurde am 28. September 1939 ein Folgeabkommen mit zugehörigem geheimem Zusatzprotokoll, der sogenannte „Grenz- und Freundschaftsvertrag“, abgeschlossen und die Interessensphären der Staaten auf dem ehemaligen polnischen Staatsgebiet nachjustiert. Während die im Zusatzprotokoll des Nichtangriffsvertrags festgelegte Demarkationslinie der Sowjetunion noch eindeutig ethnisch polnische Gebiete zuschrieb, sollte sich nun an der von den Alliierten im polnisch-sowjetischen Krieg 1919 vorgeschlagene Curzon-Linie orientiert werden.

Durch die Eingliederung der Gebiete bis zur Curzon-Linie in die Sowjetunion konnte die nationale Integrität der belorussischen und ukrainischen Sowjetrepubliken hergestellt werden, so auch die Wahrnehmung eines großen Teils der Ostslawen die im Kampf gegen die polnische Fremdherrschaft den Sowjetstaat oft als Verbündeten sahen.

4.2 Der Winterkrieg 1939/40 und die Sicherung Leningrads

In der Erkenntnis, dass der deutsch-sowjetische Vertrag keineswegs ein langfristiger Garant für den Frieden sein würde, machte sich die sowjetische Führung ernsthafte Sorgen über die Sicherheit ihrer nordwestlichen Grenze sowie insbesondere ihrer zweiten Hauptstadt, Leningrad. Diese lag lediglich 35 Kilometer von der finnischen Grenze entfernt und wäre praktisch nicht zu verteidigen gegen einen Angriff von finnischen Stellungen aus. Dazu kam, dass die ernsthafte Gefahr existierte, dass Finnland im Falle eines deutschen Angriffs als Sprungbrett für militärische Aktion gegen die Sowjetunion dienen würde.

Dieses Bedrohungsgefühl wurde bestärkt durch die Erinnerung an die Rolle, die Finnland in dem russischen Bürgerkrieg gespielt hatte. Denn nachdem die finnische Revolution von 1918 durch die “weiße” Armee unter Baron Carl Mannerheim niedergeschlagen worden war, unterstützte die neue finnische Regierung während des russischen Bürgerkriegs “aktiv, die westlichen Nationen bei ihrem Versuch, das bolschewistische Regime zu zerstören. Gelegentlich ließ sie sogar zu, dass von ihrem Territorium aus antibolschewistische Militäroperationen durchgeführt wurden.“46

Die Führung der UdSSR war dementsprechend bestrebt, ihre Sicherheitsinteressen auf friedlichem Wege zum Ausdruck zu bringen sowie durchzusetzen und eine Lösung mit ihrem Nachbarn Finnland zu finden. In Moskau starteten am 12. Oktober 1939 die diesbezüglichen Verhandlungen. Der Fakt, dass Stalin persönlich an allen Verhandlungssitzungen teilnahm, verdeutlichte die Wichtigkeit, welche die sowjetischen Vertreter diesen Verhandlungen zuschrieben und die Ernsthaftigkeit, mit der sie an diese herangingen.

Die grundlegenden sowjetischen Ziele in den Verhandlungen fanden ihren Ausdruck in einem Memorandum, das Stalin und Molotow am 14. Oktober an den Repräsentanten Finnlands, Juho Paasikivi übergaben:

“In den Verhandlungen mit Finnland geht es der Sowjetunion hauptsächlich um die Regelung zweier Fragen: a) die Sicherheit Leningrads zu gewährleisten; b) sich zu vergewissern, dass Finnland feste und freundschaftliche Beziehungen zur Sowjetunion unterhält. Um diese Aufgabe zu erfüllen, ist es notwendig:

(1) Es zu ermöglichen, den Meerbusen von Finnland durch Artilleriebeschuss von beiden Küsten zu blockieren, um zu verhindern, dass Kriegs- und Transportschiffe des Feindes in die Gewässer des Finnischen Meerbusens eindringen.

(2) Ermöglichung der Verhinderung des Zugangs des Feindes zu den Inseln im Finnischen Meerbusen, die westlich und nordwestlich der Einfahrt nach Leningrad liegen.

(3) Verlegung der finnischen Grenze in der Karelischen Landenge, die jetzt 32 km von Leningrad entfernt ist, d.h. in Reichweite der Fernartillerie liegt, etwas weiter nach Norden und Nordwesten.“47

Die sowjetische Delegation bekundete ihr Interesse daran, dass Finnland den Hafen von Hanko zur Pacht abtritt und der Sowjetunion mehrere kleine Inseln überlasst. Um die Verteidigung von Leningrad zu ermöglichen, forderte sie noch einen Teil der Karelischen Landenge, die zu Finnland gehörte. Im Austausch bot die UdSSR Finnland einen Teil von Sowjetkarelien an, der zweimal größer war, als die geforderten Gebiete. Als

Juho Paasikivi sich am 9. Oktober auf den Weg zu den Verhandlungen machte, gab Präsident Kyosti Kallio ihm Anweisungen für das Durchführen der Verhandlungen. “Sollte die Sowjetunion Vorschläge zur Errichtung von Militärstützpunkten der Sowjetunion auf dem finnischen Festland oder z.B. auf den Aaland-Inseln machen“, hieß es in den Anweisungen, „so sind diese Vorschläge abzulehnen und jede Diskussion darüber zu verweigern. Dasselbe gilt für alle Vorschläge, die sich auf Grenzanpassungen an der Karelischen Landenge beziehen […] Wenn die Sowjetunion den Abschluss eines Beistandsvertrages vorschlägt, […] ist darauf hinzuweisen, dass ein solcher Vertrag nicht mit der finnischen Neutralitätspolitik vereinbar ist”.48

Entsprechend dieser Anweisungen erklärte die finnische Delegation, sie lehne prinzipiell die sowjetischen Forderungen ab und erläuterte, „dass sie den Abschluss eines Abkommens über gegenseitige Hilfe bedingungslos ablehne.“49

Der Historiker C. L. Lundin betont in seiner Analyse der finnisch-sowjetischen Verhandlungen, dass es auf finnischer Seite wenig Elastizität in den Positionen gab. „Die nach Moskau entsandten Unterhändler“, so Lundin, „hatten so gut wie keinen Handlungsspielraum. Sie waren durch strenge Anweisungen gefesselt, worüber sie sprechen durften und worüber nicht”.50

Die sowjetische Delegation kennzeichnete sich hingegen durch „eine erhebliche Flexibilität“ in den Verhandlungen aus.51 Stalin „versuchte, Wege zu finden, wie der Vorschlag für das finnische Parlament akzeptabler gemacht werden könnte“52. Selbst als Molotow die Gespräche am 3. November mit der Erklärung beendet zu haben schien, dass man sich nicht einigen könne und „die Angelegenheit den Militärs überlassen“ müsse, zeigte sich Stalin weiterhin kompromissbereit. Am 4. November nahm er die Gespräche wieder auf, und als sich die Finnen entschieden gegen eine Vereinbarung über Hanko wehrten, ließ er die Idee fallen und schlug eine Vereinbarung über einen Stützpunkt auf einer der Inseln vor der Halbinsel Hanko vor. Selbst als dies von den Finnen in der Schlusssitzung am 9. November abgelehnt wurde, versuchte Stalin noch, eine andere Insel in der Nähe zu finden, die die Finnen durch Verpachtung oder Verkauf zugestehen würden, jedoch ohne Erfolg.53

So resümiert Lundin: „Am Ende war es Helsinki, dem die Verantwortung für den Abbruch der Verhandlungen zukommt.“54

Der Krieg war, erklärte J.W. Stalin retrospektiv auf einer Kommandeurstagung der Roten Armee am 17. April 1940, „[notwendig geworden,] denn die Friedensverhandlung mit Finnland hatten nichts gebracht, und die Sicherheit Leningrads musste unbedingt gewährleistet werden. Seine Sicherheit ist die Sicherheit unseres Vaterlandes. Das allein schon deshalb, weil in Leningrad 30-35 Prozent unserer Verteidigungsindustrie stehen und von Leningrads Unversehrtheit das Schicksal des ganzen Landes abhängt. Außerdem ist Leningrad unsere zweite Hauptstadt. Nach Leningrad vorzustoßen, es zu besetzen und dort z.B. eine bürgerliche oder eine weißgardistische Regierung zu etablieren hieße, eine ernstzunehmende Basis für den Bürgerkrieg gegen die Sowjetunion zu schaffen.“55 Am 30. November starteten die Truppen der Roten Armee ihre Offensive auf Finnland an 3 Fronten, der Winterkrieg hatte begonnen. Eine detaillierte Darstellung der Differenzen in der Einschätzung des Finnlandkriegs durch die Spitze der Roten Armee56, sowie der Probleme beim Durchbrechen der „Mannerheim Linie“ durch sowjetische Truppen57 und inwiefern diese zur Unterschätzung der Roten Armee durch das Oberkommando der Wehrmacht beitrug58, würde den Rahmen dieses Kapitels sprengen. Trotz aller Komplikationen lässt sich folgendes Fazit zum Winterkrieg ziehen:

„Aus rein strategischer Sicht war der Winterkrieg für Stalin ein Erfolg gewesen. Er war kurz gewesen, hatte sich nicht zu einem größeren Konflikt ausgeweitet, […] und vor allem hatte er seinen Zweck erfüllt: Die nördlichen Zufahrten nach Leningrad waren nun gesichert und die UdSSR kontrollierte den Zugang zu dem Finnischen Meerbusen.“59

Die Beharrlichkeit und Kompromissbereitschaft, mit der Stalin die Verhandlungen mit der finnischen Delegation 1939 führte, zeigt, dass er stets eine friedliche Lösung der sowjetischen Sicherheitsinteressen der militärischen bevorzugte. In Angesicht der Aussichtslosigkeit dieses Vorhabens entfachte der Winterkrieg, ein Szenario, auf das sich die UdSSR eingestellt hatte, dessen Eintreffen sie aber mit aller Kraft zu verhindern versuchte. In der Stunde der Entscheidung tat die Führung der UdSSR alles, um die Sicherheit der UdSSR im kommenden Krieg zu garantieren und die Voraussetzungen für einen Sieg gegen die deutschen Streitkräfte zu schaffen.

5 War der sowjetischen Führung die Gefahr eines deutschen Überfalls auf die Sowjetunion bewusst?

Das Hitler das deutsch-sowjetische Abkommen nur als ein kurzfristig notwendiges „taktisches Manöver“ ansah, darüber ließ er weder die Oberbefehlshaber von Heer, Marine und Luftwaffe noch die höhere Truppenführung im Unklaren. Das zentrale außenpolitische Ziel, die Gewinnung von „Lebensraum“ im Osten, wurde keineswegs fallen gelassen.

Mit diesem, so Hitler, „schließen [wir – die deutschen Faschisten] endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Russland und die ihm untertanen Randstaaten denken.“60 In seiner Ansprache an die Oberbefehlshaber der Wehrmachtteile am 23. November 1939 erklärte Hitler: „Die Sicherung des Lebensraumes kann nur durch das Schwert gelöst werden.“ Die „jüdisch-bolschewistische Intelligenz [müsse] beseitigt werden“, es handle sich um einen „Vernichtungskampf“ gegen die feindliche Weltanschauung, so Hitler im März 1941.61

Die sowjetischen Kommunisten beschäftigten sich mit der Gefahr des deutschen Faschismus und den Schriften Hitlers intensiv, so erklärte beispielsweise Nikolai Bucharin am 31. Januar 1934 auf dem XVII. Parteitag der KPdSU (B):

„Gegenwärtig kann ein konterrevolutionärer Überfall auf unser Land von zwei Seiten ausgehen – vom faschistischen Deutschland und vom japanischen Kaiserreich. Genossen, ich erlaube mir, hier einige Stellen aus sehr seriösen Quellen zu zitieren, damit die Orientierung unserer Gegner ganz klar wird. [Daraufhin zitiert er ausführlich die berühmten Passagen aus Hitlers Buch „Mein Kampf“ in denen er ganz offen die Feindschaft und die Notwendigkeit eines Krieges gegen die Sowjetunion ausspricht] […]

Hitler ruft also ganz unverhüllt dazu auf, unseren Staat zu zerschlagen. Er spricht offen aus, dass das deutsche Volk zum Schwert greifen muss, um sich Gebiete der heutigen Sowjetunion anzueignen, die es angeblich braucht. So sieht die tierische Fratze des Klassenfeindes aus! Das ist der Gegner, Genossen, mit dem wir es zu tun haben! Er wird uns in all den gewaltigen Schlachten entgegentreten, die die Geschichte uns auferlegt“62

In Hitlers Reden und Artikeln der zwanziger und frühen dreißiger Jahre lassen sich zahlreiche antisowjetische Äußerungen finden. Er erläuterte sie bereitwillig den deutschen Politikern, die damals Verantwortung trugen.

Hier Hitlers klare Worte:

„Wir dürfen […] nicht gleichgültig dem gegenüberstehen, was sich in Russland abspielt, denn das geschieht auf unserem Kontinent. […] Wir müssen […] klarmachen, dass wir früher oder später gezwungen sein werden, einen Kreuzzug gegen den Bolschewismus zu führen.“63

Die sowjetische Führung war sich dem vollkommen bewusst, und so brachte Hitlers Machtantritt eine rapide Verschlechterung der sowjetisch-deutschen Beziehungen mit sich.

Dass die Frage des Kriegs gegen das faschistische Deutschland in der sowjetischen Gesellschaft diskutiert wurde, zeigt beispielsweise Karl Radeks Artikel „Wohin geht Deutschland?“ vom 22. März 1933, in dem er den aggressiven Kurs der Nazipartei hervorhob und kommentierte: „Die Nationalsozialisten haben ein außenpolitisches Programm gegen die Existenz der UdSSR entwickelt“ und dies besagte auch der mit Stalin abgestimmte Artikel des Marshall der Sowjetunion Michail Tuchatschewski „Deutschlands aktuelle Kriegspläne“ in welchem der Verfasser die deutsche Kriegsvorbereitung gegen die UdSSR entlarvt.64 Aussagekräftig ist auch Stalins Bericht an den XVIII. Parteitag der KPDSU(B) in welchem er deutlich von den „drei aggressiven Staaten“ Japan, Deutschland und Italien spricht und klarmacht, dass die Sowjetunion „für die Unterstützung der Völker, die Opfer der Aggression geworden sind und für die Unabhängigkeit ihrer Heimat kämpfen“ einsteht. Der Bericht endet mit einer klaren Warnung an die Aggressoren: „Wir fürchten keine Drohungen der Aggressoren und sind bereit, auf einen Schlag der Kriegsbrandstifter, die versuchen sollten, die Unfassbarkeit der Sowjetgrenzen zu verletzen, mit einem doppelt so heftigen Schlag zu antworten.“65

Die zentrale Lehre aus dem Bericht zieht der russische Historiker mit Schwerpunkt auf dem deutsch-sowjetischen Verhältnis, L. Besymenski, wie folgt: „Eines ist indessen gewiss: Stalin war klar, dass der UdSSR ein Krieg unmittelbar bevorstand.“

Ebenso interessant ist es, die Rede von Lew Mechlin, Chef der politischen Hausverwaltung der Roten Armee, zu betrachten, in der es heißt:

„Die Zeit ist nicht mehr fern, Genossen, da unsere Armee […] als Antwort auf die frechen Anschläge des Feindes den Arbeitern der Aggressorenstaaten helfen wird, sich vom Joch des Faschismus, der kapitalistischen Sklaverei zu befreien.“66

In einem Bericht des Volkskommissars für Auswärtige Angelegenheiten vom 27. Juni 1933 anlässlich eines deutschen Memorandums, welches die Forderung auf „Lebensraum“ für Deutschland im Osten enthielte, teilt er bereits mit, dass „die deutsche Regierung […] bereit [ist], an einer militärischen Koalition gegen uns teilzunehmen“. Er resümiert, dass Deutschlands Pläne „den Krieg gegen uns beinhalten und dass die gegenwärtige Lage nur eine kurze Atempause darstellt.“67

Dass dies Stalin auch noch im Jahre 1939 bewusst war und er sich keine Illusionen bezüglich der Interessen Hitlers machte, lässt sich durch die Aufzeichnungen des sowjetischen Botschafters in Berlin, Alexej Merekalow, zu seinem Gespräch mit Stalin am 23. April 1939 über dieses Thema belegen. Dieser wurde nach Moskau beordert, um Stalin über die außenpolitischen Pläne des Deutschen Reichs zu informieren. Hier Ausschnitte aus der Niederschrift A. Merekalows:

„Weshalb man mich in den Kreml rief, wusste ich nicht, bis ich in die bereits laufende Sitzung des Politbüros geführt wurde. Sie fand spät abends in Stalins Arbeitszimmer statt. […]

Nach der Begrüßung fragte Stalin ganz unvermittelt: Sag uns, Genosse Merekalow, schlagen die Deutschen gegen uns los, oder nicht?

Ich antwortete mit einem ausführlichen Vortrag.“68

Der Hauptaussage dieses Vortrags war, dass Deutschland ohne jeden Zweifel den Feldzug gegen die UdSSR führen wird, sobald es die nötigen politischen, ökonomischen sowie militärischen Vorbereitungen getroffen hat. Wenn es seine Ziele im Westen und in Polen erreicht habe, werde es, „gestützt auf das Wirtschaftspotential dieser Länder, ohne jeden Zweifel den Feldzug gegen die UdSSR beginnen“69, so Merekalow.

Aus dem Dargelegten wird also klar ersichtlich, dass einerseits innerhalb der KPdSU (B) schon früh über die Pläne Hitlers diskutiert und sich mit seinem Werk „Mein Kampf“ auseinandergesetzt wurde, dass diese Kriegsgefahr ebenso in der sowjetischen Gesellschaft diskutiert und die Parteizeitung Beiträge veröffentlichte, in denen diese deutlich angesprochen wurde, und dass diese Klarheit über das notwendige Aufeinanderprallen von Sowjetstaat und dem faschistischen deutschen Reich noch 1939, also während des Abschließens des Nichtangriffsvertrags, bestand und somit alle diplomatischen Anstrengungen „nur eine kurze Atempause darstell[en]“ könnten.

6 Die Kriegsvorbereitungen der UdSSR in den Jahren 1939-41

„Die russische Kriegsvorbereitung muss als phantastisch bezeichnet werden“70 – Adolf Hitler

Wenn die Führung der Sowjetunion tatsächlich den Pakt mit dem faschistischen Deutschland in dem klaren Bewusstsein abschloss, dass der Krieg mit diesem früher oder später unausweichlich wird, dann müsse sich dies in den Vorbereitungen des Landes auf einen Krieg widerspiegeln. Die Frage, ob und inwiefern die UdSSR Kriegsvorbereitungen in den Jahren 1939-1941 traf, kann als Prüfstein dafür gelten, ob der Pakt ein taktisches Manöver war, um die eigenen Kräfte zu sammeln oder Ausdruck von Illusionen in die Friedensfähigkeit des Faschismus. In seiner „Geheimrede“, auf dem XX. Parteitag der KPdSU, erhob Nikita Chruschtschow unter anderem eben den Vorwurf, Stalin hätte in den Jahren vor dem deutsch-sowjetischem Krieg die UdSSR schlecht auf den Krieg vorbereitet, sich von Hitler täuschen lassen und sei somit für eine unermessliche Zahl von Opfern verantwortlich. Entgegen dieser Verleumdungen sollen im Folgenden die tatsächlichen Verdienste der von Stalin geführten UdSSR bei der Vorbereitung des antifaschistischen Kriegs skizziert werden.

Die durch den deutsch-sowjetischen Pakt erlangte Atempause nutzte Stalin, um die Militärproduktion auf ein Maximum zu steigern. Beispielhaft dafür ist der Fakt, dass im Verlauf des 3. Fünfjahresplans, welcher für die Jahre 1938 bis 1942 konzipiert war, die Industrieproduktion in den ersten zwei Jahren 13% pro Jahr stieg, die Produktion der Verteidigungsindustrie jedoch um ganze 39%. Die zwischen Januar 1939 und dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 geleistete Produktion für die Rote Armee war von enormem Ausmaß. Die Artillerie erhielt 92578 Geschütze, die Luftstreitkräfte erhielten 17745 Kampfflugzeuge, die Rote Armee erhielt über 7000 Panzer, davon 1851 Versionen des schweren Panzers KW-1, welcher den deutschen Streitkräften ein besonderer Dorn im Auge war.71

Der Generalstabschef der Roten Armee während des Zweiten Weltkrieges, Georgi Shukow, bezeugt diese Leistungen Stalins in seinen 1970, also lange nach dem Tode Stalins, veröffentlichten Memoiren. In diesen heißt es: „Ich bin der Ansicht, dass die Verteidigung des Landes in ihren Grundzügen und -linien richtig organisiert war. Im Verlauf vieler Jahre geschah in ökonomischer und sozialer Hinsicht alles oder fast alles nur Mögliche. Von 1939 bis 1941 unternahmen Volk und Partei besondere Anstrengungen, um die Verteidigung zu stärken, Anstrengungen, die den höchsten Einsatz verlangten.“72

Und an anderer Stelle zur Rolle Stalins und der Staatsführung im Allgemeinen: „Damit die Betriebe der Verteidigungsindustrie von bestimmter Bedeutung alles Notwendige erhalten konnten, wurden von den Delegierten des Zentralkomitees erfahrene Organisatoren und bekannte Spezialisten an die Spitze ihrer Parteiorganisation berufen. Ich muss sagen, dass Josef W. Stalin eine beträchtliche Arbeit leistete, indem er sich selbst mit den Betrieben befasste, die für die Landesverteidigung arbeiteten. Er kannte von viele von den Betriebsdirektoren, Parteiorganisatoren, Chefingenieuren, sah sie oft und setzte mit der für ihn charakteristischen Beharrlichkeit die Durchführung der aufgestellten Pläne durch.“73

Shukow resümiert, dass die von „1939 bis 1941 ergriffenen Maßnahmen […] die erforderlichen Bedingungen geschaffen [haben], um im Verlauf des Krieges schnell die quantitative und qualitative Überlegenheit zu erlangen.“74

Die faschistische Führung des Deutschen Reichs musste diese Entwicklungen im Verlauf des Krieges mit bitterster Überraschung registrieren. So kommentierte Hitler am 29. November 1941 entsetzt: „Wie ist es möglich, dass dieses primitive Volk in so kurzer Zeit solche technischen Leistungen vollbringen kann!“75, ein Jahr später fasst er die sowjetischen Ambitionen wie folgt zusammen: „Allen in allem gesehen, muss man sagen: Die haben Fabriken hier gebaut, wo vor zwei Jahren noch unbekannte Bauerndörfer waren, Fabriken, die die Größe der Hermann-Göring-Werke haben.“76

Ein Ereignis der Kriegsvorbereitungszeit, welches besonders bezeichnend dafür ist, dass es ein klares Bewusstsein dafür gab, dass der Krieg mit Deutschland bevorstand, ist die zwischen den Jahren 1940-41 organisierte Konferenz, zu welcher alle höheren Offiziere der UdSSR zusammengerufen wurden. Im Zentrum dieser Konferenz standen Diskussionen über Ereignisse, „wie sie sich bei einem Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion an der Westgrenze abspielen könnten.“77

6.1 Warum war die Führung der UdSSR unter Stalin von dem deutschen Angriff überrascht?

Es ist bekannt, dass Stalin aus einer Vielzahl von Quellen, wie dem NKWD, ausländischen Geheimdiensten, diplomatischen und vielen anderen scheinbar glaubwürdigen Quellen, vor einem bevorstehenden deutschen Angriff gewarnt wurde. Auch trafen die Deutschen keine besonderen Vorkehrungen, um ihre massive Truppenaufstockung in Ostpolen zu verbergen. Tatsächlich überflogen die deutschen Höhenaufklärungsflugzeuge das sowjetische Territorium bei mehr als 300 Gelegenheiten, was zu wiederholten diplomatischen Protesten der Sowjetunion führte. Bis zum 16. Juni 1941 hatte die deutsche Botschaft in Moskau alles nicht lebensnotwendige Personal evakuiert, die Zeichen für einen Angriff scheinen retrospektiv betrachtet eindeutig gewesen zu sein.

So scheint der unvorbereitete und überraschte Zustand der sowjetischen Führung durch den deutschen Überfall klar die These zu widerlegen, dass Stalin den Pakt mit Hitler aus taktischem Kalkül und im Wissen eines unvermeidlichen Angriffs der Deutschen abschloss.

Das Verhalten Stalins im Juni 1941 wird meist so ausgelegt, dass er die grundsätzliche Angriffsabsicht Hitlers bezweifelte und an die Haltbarkeit des Nichtangriffsvertrags glaubte, sich also Illusionen in die Friedfertigkeit des Faschismus machte.

Der US-amerikanische Militärhistoriker und Herausgeber des „Journal of Slavic Military Studies“, David M. Glantz, welcher thematisch einen Fokus auf die Ostfront im Zweiten Weltkrieg legt, analysiert diverse Faktoren, die Stalins Zögern, an eine sofortige deutsche Offensive zu glauben, bestimmten.

Die Führung der Sowjetunion fürchtete durch Fehlmeldungen vorzeitig in einen Krieg mit Hitler gezogen zu werden, in dem sie ohne Verbündete stehen würde. Dies war im Einklang mit ihrer generellen Linie zum bevorstehenden Krieg. Es ging für sie darum, die eigenen militärischen Kompetenzen als letzter zu präsentieren und zu aktivieren, um dann den entscheidenden Faktor darzustellen, bis dahin jedoch mit allerhöchster Priorität den Zeitpunkt des Krieges herauszuzögern, um den Stand der Armee sowie der Wirtschaft des Landes zu verbessern.78 „Diese sowjetische Furcht, zu provozieren oder provoziert zu werden“, so M. Glantz „erklärt die wiederholten Befehle, die es den sowjetischen Truppen untersagten, selbst auf offensichtliche Grenzverletzer und Aufklärungsflugzeuge zu schießen. Sie hilft auch, die gewissenhafte sowjetische Einhaltung der bestehenden Wirtschaftsabkommen mit Deutschland zu erklären.”79

Gleichzeitig spielten deutsche Täuschungsoperationen eine zentrale Rolle dafür, dass nicht adäquat auf deutsche Truppenkonzentrierung reagiert wurde. So erklärte das Oberkommando der Wehrmacht ihrem sowjetischen Pendant, dass die Truppenkonzentration im Osten das Ziel verfolgte, für die geplante Invasion Großbritanniens, dem „Unternehmen Seelöwe“, in einer Region zu üben, die außerhalb der Reichweite englischer Bomber und Aufklärungsflugzeugen liegt. Dazu kam noch die deutsche Invasion Jugoslawiens und Griechenlands im April und Mai 1941. Einerseits boten diese Invasionen eine plausible Erklärung für einen großen Teil des deutschen Ostaufmarschs, andererseits verzögerten sie auch den Angriff auf die Sowjetunion. So schienen verschiedenste Quellen als diskreditiert, da sie Daten für den Angriff vorhersagten, die dann jedoch immer wieder ohne deutschen Angriff vergingen. Grund dafür war nicht einfach immer schlechte Arbeit von Seiten der Geheimdienste oder gezielte Täuschungsversuche, diese Berichte gaben den geplanten Zeitpunkt des deutschen Angriffs vor dem Krieg gegen Jugoslawien und Griechenland akkurat wieder, waren aber nicht imstande, die durch diesen verursachte Verspätung des deutschen Krieges gegen die Sowjetunion mit einzuberechnen. Dazu kamen noch etliche Fehlberichte, die auf unsorgfältige Arbeit zurückzuführen sind sowie gezielte Täuschungsversuche, mit dem Ziel, die Sowjetunion vorzeitig in einen Krieg mit Deutschland zu verwickeln.

Bis zum späten Juni 1941 hatten sich so viele Vorhersagungen als falsch erwiesen, dass diese nicht mehr einen großen Einfluss auf Stalin und seine Berater hatten. Vor diesem Hintergrund sei „die sowjetische strategische Überraschung viel verständlicher. Unter einer Unzahl widersprüchlicher Signale war es bestenfalls schwierig, eine unmittelbare Bedrohung zu erkennen.“80

7 Fazit

„Stellen sie sich vor, dass Banditen Ihr Auto umzingeln und Ihnen den Revolver an die Schläfe setzen. Stellen Sie sich vor, dass sie danach den Banditen Ihr Geld und Ihre Waffen geben und sie in diesem Automobil davonfahren lassen. Was ist los? Sie haben den Banditen Waffen und Geld gegeben. Das ist eine Tatsache. Stellen sie sich nun vor, ein anderer Bürger habe den Banditen Waffen und Geld gegeben, um an den Überfall dieser Banditen auf friedliche Bürger teilzuhaben.

In beiden Fällen ist das ein Abkommen. […]

Ich frage Sie, ob sich ein denkender Mensch finden wird, der beide Abkommen nicht zu unterscheiden vermöchte.“81 – W.I. Lenin

Der UdSSR war zweifelslos in den späten 30er Jahren der Revolver an die Schläfe gesetzt (durch die japanischen und deutschen Aggressoren) und die „Mitbürger“ (d.h. Frankreich und England), die hätten einschreiten und dem Gräuel ein Ende setzen können, wurden zu Schaulustigen, die stattdessen den Überfall befeuerten und herbeisehnten. In dieser Situation „war der Abschluss des Nichtangriffsvertrages und des Grenz- und Freundschaftsvertrages einschließlich aller dazu gehörenden Zusatzprotokolle nicht nur die einzig real mögliche und notwendige Entscheidung, sondern auch eine richtige.“82

Das Zustandekommen dieser Abkommen und Verträge war Produkt der Isolation der Sowjetunion, dem Desinteresse der westlichen Mächte an einem kollektiven Sicherheitssystem in Europa sowie der Gefahr einer einheitlichen Front der Imperialisten gegen die Sowjetunion. “Entgegen der Orthodoxie der meisten westlichen Historiker“, so der Historiker Geoffrey Roberts, „kann heute zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass die sowjetische Entscheidung für einen Pakt mit Nazideutschland […] eine Folge, nicht eine Ursache des Scheiterns der anglo-sowjetisch-französischen Dreierbündnisverhandlungen im August 1939 war.”83

Der deutsch-sowjetische Nichtangriffsvertrag und die auf diesen folgenden Abkommen schufen die Bedingungen des Sieges der Roten Armee gegen die faschistischen Invasoren. Er vereitelte das Herausbilden eines Bündnisses aller imperialistischen Mächte gegen die Sowjetunion. Ein deutscher Überfall hätte 1939 mit Sicherheit eine japanische Intervention an der Ostgrenze der Sowjetunion nach sich gezogen. Frankreich und Großbritannien wären vermutlich neutral geblieben oder hätten sogar dem Aggressor in die Hände gespielt. Im Gegenteil war es nun der Sowjetunion gelungen, mit Japan einen Nichtangriffsvertrag abzuschließen84, der bis zur deutschen Niederlage hielt und eine Situation zu schaffen, in der Frankreich und Großbritannien gezwungen waren, in ein effektives Militärbündnis mit der Sowjetunion im Augenblick des deutschen Überfalls einzutreten. „An die Stelle der bisher vorherrschenden traumatischen Vorstellung von einer allseitigen Bedrohung durch kapitalistisch- ‚imperialistische‘ Mächte“, konstantiert Andres Hillgruber, „konnte nun das Bewusstsein treten, sich in einer Position der ‚Hinterhand‘ zu befinden und von allen Kriegsführenden respektiert, ja, umworben zu werden“85 Die deutsch-sowjetischen Verträge versetzten die Sowjetunion in der Tat „in eine so vorteilhafte politische und strategische Position, wie sie sie bisher in ihrer ganzen Geschichte seit 1917 nicht eingenommen hatte.“86 Die Sowjetunion konnte ihre Verteidigung um 150-300 Kilometer vorverlegen und gewann somit beträchtlich an strategischer Tiefe, ein Faktor der von großer Relevanz für die Verteidigung von Leningrad und Moskau Ende 1941 war. Vor allem gewann sie aber 21 Monate Frieden, die es ihr ermöglichten, ihre Verteidigungsindustrie und ihre Streitkräfte in Kriegsbereitschaft zu bringen.

8 Literaturverzeichnis

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1Internationales Willi Münzenberg Forum. „Der russische Dolchstoss – Internationales Willi Münzenberg Forum“, 11. Juni 2015. https://www.muenzenbergforum.de/exponat/der-russische-dolchstoss/.

2 Sipols, Vilnis Ja. Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, 1981. S.9f

3 Bergamini, David. Japan’s Imperial Conspiracy. London, England: William Heinemann, 1971. S.553

4 „Iswestija“, 30. Dezember 1933; Zitiert nach: Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.11

5 Rauschning, H. Gespräche mit Hitler. Zürich, Switzerland: Europa Verlag AG Zürich, 1940. S.123-129

6 Hofer, Walther, Hrsg. Der Nationalsozialismus: Dokumente 1933-1945. 50. Aufl. Frankfurt am Main, Germany: FISCHER Taschenbuch, 1977. S.181

7 Weizsäcker, E. Errinerungen. Munchen, Germany: Paul List Verlag, 1950. S.154

8 Zitiert nach: Nolte, Ernst. Der europäische Bürgerkrieg 1917-1945: Nationalsozialismus und Bolschewismus. Frankfurt a.M./Berlin: Ullstein, 1987. S.313f

9 Das zentrale Ziel war die Zerschlagung des Sozialismus in der Sowjetunion, die Restaurierung des Kapitalismus in diesen Gebieten und somit das Schaffen eines von den Alliierten abhängigen kapitalistischen Russlands sowie seiner Randstaaten.

10 Dulles, Foster Rhea. The Road to Teheran: The Story of Russia and America, 1781-1943. Princeton New Jersey: Princeton University Press, 1944. S.212

11 Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.19

12 Michael, Holger. Der „Hitler-Stalin-Pakt“: Historische Wirklichkeit gegen propagandistische Täuschung, 2021. S.72

13 Jacobsen, Hans-Adolf. 1393-1945. Der Zweite Weltkrieg in Chronik Und Dokumenten. Darmstadt: Wehr und Wissen Verlagsgesellschaft, 1961. S. 96.

14 Zitiert nach: Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.21

15 Jacobsen, Hans Adolf, La Seconde Guerre mondiale (Der 2. Weltkrieg), Bd. I, Ed. Casterman, Paris 1968, S. 118.

16 Zentrales Staatliches Geschichtsarchiv der Lettischen SSR, Fonds 1313b, Liste 22, Akte 67, Bl. 149, lett.; Zitiert nach: Ebenda, S.23

17 Ebenda, S.25

18 „Für die Einheit aller revolutionären und demokratischen Kräfte“ russ.; Zitiert nach: Ebenda, S.28

19 „Iswestija“, 26. Juli 1930; Zitiert nach: Ebenda, S.26

20 Документы Внешней Политики СССР. Т. XVII. 1 Января-31 Декабря 1934 г. Moskau: Политиздат, 1971. S.164

21 Zitiert nach: V.J. Sipols, Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.47

22 Ebenda., S.45

23 Ebenda., S. 58

24 Die Sowjetregierung blieb nicht nur der Tschechoslowakei gegenüber ihrer Politik der Unterstützung der Opfer einer imperialistischen Aggression treu. Sie unterstütze alle Opfer der Aggressoren mit denen ihr gegeben Mitteln, auch solche, denen gegenüber sie keine vertragsmäßigen Verpflichtungen besaß.

So stand sie an der Seite des chinesischen Volkes im Kampf gegen die japanische Invasion und lieferte China bis Mitte 1938 insgesamt 297 Flugzeuge, 82 Panzer, 425 Kanonen und Haubitzen, 1825 Maschinengewehre, 400 Kraftwagen, 360 000 Granaten, 10 Millionen Patronen und weiteres Kriegsmaterial. (Sipols, V.J., Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.147) Es war diese Hilfe, die beträchtlich dazu beitrug, eine chinesische Niederlage zu vermeiden und es stattdessen ermöglichte, den japanischen Aggressoren weiterhin Widerstand zu leisten. So musste Sun Fo, der Vorsitzende des Legislativ-Yuans, feststellen: „Das einzige Land, das China reale Hilfe erweist, bleibt die UdSSR“. (Ebenda, S.158) Genauso prinzipienfest war die sowjetische Haltung zur Mongolischen Volksrepublik, welche auch durch Japan bedroht wurde. Am 31. Mai 1939 erklärte W. Molotow auf der Tagung des Obersten Sowjets der UdSSR, dass „wir die Grenze der Mongolischen Volksrepublik angesichts des zwischen uns geschlossenen Vertrages über gegenseitige Hilfe ebenso entschieden verteidigen werden wie unsere eigene Grenze“. (Ebenda, S.290)

Als die zweite spanische Republik von faschistischen Putschisten bedroht wurde und in einen Bürgerkrieg verfiel, stand die Sowjetunion an der Seite der progressiven Kräfte des Landes. Die grundsätzliche Haltung der UdSSR gegenüber der spanischen Republik erläuterten am 21. Dezember 1936 J. Stalin, W. Molotow und K. Woroschilow in einem Brief an den spanischen Regierungschef, L. Caballero. „Wir hielten und halten es für unsere Pflicht“, hieß es in dem Brief, „im Bereich der uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der spanischen Regierung zu Hilfe zu kommen, die an der Spitze des Kampfes aller Werktätigen und der gesamten spanischen Demokratie gegen die faschistische Militärclique, diese Agentur der internationalen faschistischen Kräfte, steht.“ (Ebenda, S.132)

25 Ebenda., S.88f

26 Michael, H.: Der „Hitler-Stalin-Pakt“, S.57

27 W.F. Klotschko, N.I. Kostjunin, J. Křížek, F. Píšek, V. Sojak, I.N. Semskow. Neue Dokumente Zur Geschichte des Münchener Abkommens. Prag: Orbis, 1959. S.29

28 Adamthwaite, A. France and the Coming of the Second World War 1936-1939. London: Routledge, 1977. S.179

29 Akten zur Deutschen Auswärtigen Politik 1918-1945, Serie D 1937-1945 Bd. I. Baden-Baden: Imprimerie Nationale, 1950. S.209

30 Wheeler-Bennett, John W. „Twenty Years of Russo-German Relations: 1919-1939“. Foreign Affairs (Council on Foreign Relations) 25, Nr. 1 (1946).

31 „Iswestija“, 10. November 1938; Zitiert nach: Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.219

32 Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.252

33 Niedhardt, Gottfried. Großbritannien und die Sowjetunion 1934-1939, Studien zur britischen Politik der Friedenssicherung zwischen den beiden Weltkriegen. München: Fink, 1972. S.411

34 Dilks, D. The diaries of Sir Alexander Cadogan, 1938-1945. London: Cassell, 1971. S.182

35 Channon, Henry. Chips: The diaries of sir Henry Channon. Worthing, England: Littlehampton Book Services, 1967. S.199

36 Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.258

37 Channon, H.: Chips: The Diaries of Sir Henry Channon, S.201

38 “Der Leiter der französischen Delegation, J. Doumenc, hatte nur die Vollmacht, Verhandlungen zu führen, nicht aber ein Abkommen zu unterzeichnen. R. Drax traf sogar ohne jegliche Vollmachten in Moskau ein und musste erklären, er werde sie erst anfordern und später vorlegen.“ – Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.278

39 Strang, Lord. Home and Abroad. London: André Deutsch, 1956. S.193f

40 Beaufre, Général. Le drame 1940. Paris: Plon, 1956. S.149-156

41 Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.301

42 Ebenda, S.303

43 Hass, Gerhart. 23. August 1939 – Der Hitler-Stalin-Pakt: Dokumentation. Berlin: Dietz Verlag Berlin, 1990. S.199-204

44 Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.258

45 „Deutscher Überfall auf Polen“, Gedenkorte Europa 1939-1945, https://www.gedenkorte-europa.eu/de_de/article-deutscher-uberfall-auf-polen.html

46 Anthony Read, David Fisher. The Deadly Embrace: Hitler, Stalin and the Nazi-Soviet Pact 1939-1941. New York, NY, USA: WW Norton, 1988. S. 372-74

47 Ministry of Foreign Affairs of Finland. Documents concerning Finnish-Soviet Relations. Helsinki: F. Tilgmann, 1940. S. 49-50

48 Ebenda, S.47-49

49 Tanner, V. The Winter War: Finland against Russia: 1939-1940. Palo Alto, CA, USA: Stanford University Press, 1957. S.25

50 Lundin, Charles Leonard. Finland in the Second World War. Bloomington, MN, USA: Indiana University Press, 1957. P.55

51 Spring, D. W. „The Soviet Decision for War against Finland, 30 November 1939“. Soviet Studies 38, Nr. 2 (1986). S.208

52 Ebenda.

53 Ebenda, S.209

54 Lundin, C.L. Finland in the Second World War, S.55

55 Besymenski, L.: Stalin und Hitler, S.262

56 Während Marshall B. Shaposhnikov, unterstützt durch K. Merezkow, den Krieg mit Finnland als eine keineswegs simple Operation betrachtete, die sich über mehrere Monate erstrecken würde, waren K. Voroshilov und L. Mekhlis der Meinung, dass die Streitkräfte der UdSSR die Finnen in wenigen Wochen schlagen würden. Ein verheerenderIrrtum.

57 Anstatt nur wenige Tage zu dauern, ging der Winterkrieg mehrere Monate und die Rote Armee wies ein Vielfaches an Verlusten auf, als die finnischen Streitkräfte es taten und sie kam nur mühsam voran. Aus dieser bitteren Erfahrung zogen die Sowjets wichtige Lehren. Der amerikanische Historiker Richard W. Condon zieht folgende Bilanz: Die Sowjets hätten damals zwar »enttäuschende militärische Leistungen« geboten, doch »gerade aufgrund der in Finnland erworbenen Erfahrungen« habe man sich »in der Sowjet-Union an die beschleunigte Um- und Aufrüstung der Streitkräfte« gemacht.

(Zitiert nah: Spiegel, DER „»Tönerner Koloß ohne Kopf«“. DER SPIEGEL, 28. Juni 1981. https://www.spiegel.de/politik/toenerner-koloss-ohne-kopf-a-62f867ab-0002-0001-0000-000014343503.)

58 Die Rote Armee galt fortan für die imperialistischen Mächte als ein Popanz. „Die russische Wehrmacht“, höhnte Adolf Hitler, „ist ein tönerner Koloss ohne Kopf.“ Insbesondere die deutschen Militärs waren auf die vermeintliche Unfähigkeit der Roten Armee so fixiert, dass vielen von ihnen später der von Hitler befohlene Überfall auf die Sowjetunion nahezu risikolos erschien. Sie nahmen die gewonnene Erkenntnis und die darauf basierende Anpassung der Roten Armee nicht zur Kenntnis.

59 Read, A. Fisher, D. The Deadly Embrace, S.416

60 Hitler, Mein Kampf, Zitiert nach: Jürgen Förster, Hitlers Entscheidung für den Krieg gegen die Sowjetunion, in: Boog, Horst, Jürgen Förster, Joachim Hoffmann, Ernst Klink, Rolf D. Müller, und Gerd R. Überschär. Der Angriff auf die Sowjetunion. Frankfurt am Main, Germany: FISCHER Taschenbuch, 1991. S.43

61 Ebenda, S.47

62 Besymenski, Lew. Stalin und Hitler: Das Pokerspiel der Diktatoren. Übersetzt von Hilde Ettinger. 2. Aufl. Berlin: Aufbau TB, 2006. S.20

63 Zitiert nach: Calic, Edouard. Ohne Maske. Hitler – Breiting Geheimgespräche 1931. Frankfurt: Societäts-Verlag, 1968. S.90

64 Besymenski, L.: Stalin und Hitler, S. 67, S.75

65 Stalin, Josef Wissarionowowitsch. Fragen des Leninismus. Moskau: Verlag für fremdsprachige Literatur, 1947. S.684-692

66 Besymenski, L.: Stalin und Hitler, S. 150

67 Archiv der Außenpolitik der UdSSR, Fonds 010, Liste 8, Akte 23, Bl. 155-156, russ.; Zitiert nach:Sipols, V.J.: Die Vorgeschichte des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrags, S.17

68 Besymenski, L.: Stalin und Hitler, S. 152

69 Ebenda, S.153

70 Picker, Henry. Hitlers Tischgespräche. Berlin: Ullstein Buchverlage, 1989. S.70

71 Daten wiedergegeben nach: Martens, Ludo. Stalin anders betrachtet. EPO-Verlag, 1998. S.184-189

72 Shukow. Erinnerungen und Gedanken Bd.1. Berlin (Ost): Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, 1976. S.267

73 Ebenda, S.279

74 Ebenda, S.239

75 Aus einem Gespräch mit Fritz Todt, zitiert nach: Irving, David. Hitler’s War: 1942-45 v.2. London, England: Macmillan, 1983. S.341

76 Hitler, Adolf. Monologe im Führerhauptquartier 1941-1944. Hamburg: Albrecht Knaus, 1980. S.366

77 Shukow. Errinerungen und Gedanken Bd.1, S.220

78 So erklärte Stalin auf dem Plenum des ZK der RKP(B) vom 19. Januar 1925: „Wenn ein Krieg beginnt, werden wir natürlich als letzte, als allerletzte aktiv werden, um das entscheidende Gewicht in die Waagschale zu werfen, ein Gewicht, das ausschlaggebend sein dürfte.

Aber wir müssen vorbereitet sein, wir müssen unsere Armee vorbereiten, sie mit Kleidung und Schuhwerk versehen, sie ausbilden, die technische Aufrüstung verbessern, die Chemie, das Flugwesen verbessern.“; In: Stalin, Josef Wissarionowitsch. Werke Band 7. Berlin (Ost): Dietz Verlag, 1952. S.9-12

79 Glantz, David M. Operation Barbarossa: Hitler’s Invasion of Russia 1941. London, England: History Press, 2011. S.25 (eigene Übersetzung)

80 Ebenda., S.27 (eigene Übersetzung)

81 Lenin, Wladimir Iljitsch. Werke Band 29. Berlin (Ost): Dietz Verlag, 1961. S.335f

82 Michael, H.: Der „Hitler-Stalin-Pakt“, S.221

83 Roberts, Geoffrey. „The soviet decision for a pact with Nazi Germany“. Soviet studies 44, Nr. 1 (1992): 57–78. S.57f

84 Der Abschluss des Nichtangriffsvertrags mit Japan ist nicht ausschließlich auf die deutsch-sowjetischen Beziehungen zurückzuführen, entscheidend war ebenso die Zerschlagung japanischer Truppen am Chassan-See im August 1938 sowie im Raum des Flusses Chlachyn-gul während der Mitte des Jahres 1939 durch die Rote Armee.

85 Hillgruber, Andreas, und Klaus Hildebrand. Kalkül zwischen Macht und Ideologie: Der Hitler-Stalin-Pakt: Parallelen bis heute? Zürich: Edition Interfrom, 1980. S.21

86 Ebenda.

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