Der VII. Weltkongress der Komintern und seine Folgen

Für eine kritische Neubewertung der antifaschistischen Politik der Komintern

Von Thanasis Spanidis

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Vorbemerkung: Wir stellen hiermit einen Artikel des Genossen Thanasis Spanidis zur Verfügung, dessen Veröffentlichung auf der Homepage der DKP von der Redaktion verhindert wurde.

Einleitung

„Die Strategie der deutschen Kommunisten ist ganz unbestritten bis zum heutigen Tag sehr stark vom VII. Weltkongress geprägt.“, schreibt der Bildungsverantwortliche der DKP, Hans-Peter Brenner, in einem Diskussionsbeitrag (Brenner 2017). Mit dem VII. Weltkongress der Komintern (ab hier: 7. WK), der 1935 in Moskau tagte, ist in der langen Entwicklung der kommunistischen Weltbewegung ein historischer Punkt ausgemacht, der aus heutiger Sicht als Einschnitt gesehen werden kann. Von diesem Zeitpunkt an entwickelten sich die Strategiekonzepte der kommunistischen Parteien in eine bestimmte Richtung weiter. Nicht nur für die KPD und DKP, sondern auch für KPen in anderen Ländern hatte in der Tat der genannte Kongress eine außerordentliche Bedeutung in ihrer Entwicklung. Im deutschsprachigen Raum mündete diese Entwicklung schließlich in das Konzept der „antimonopolistischen Demokratie“ (AMD) und eine nach „Übergängen“ suchende „antimonopolistische Strategie“ (AMS). In anderen Ländern haben KPen ähnliche Vorstellungen einer Übergangsetappe übernommen.

Die Verteidiger solcher Strategievorstellungen berufen sich immer wieder auf den 7. WK und das berühmte lange Referat Georgi Dimitroffs. Wer die strategischen Konzepte der AMS und AMD kritisiert, hat daher im Grunde nur zwei Möglichkeiten: Er kann entweder versuchen zu begründen, warum diese Konzepte sich zu Unrecht auf Dimitroff beziehen – in diese Richtung scheint die Ausarbeitung von Hans-Christoph Stoodt zu zielen (Stoodt 2016); oder aber er muss sich mit der Frage beschäftigen, was an den politischen Grundlinien, die 1935 von der KI festgelegt wurden, möglicherweise auch problematisch war.

In jedem Fall ist eine solche Fragestellung legitim. Die Geschichte der kommunistischen Bewegung ist immer auch eine Geschichte ihrer Fehler gewesen. Es gibt keinen Grund, warum gerade der 7. WK den Anspruch erheben können sollte, für alle Zeiten richtige und gültige Orientierungen erarbeitet zu haben.

Und dennoch hat es bisher kaum jemals innerkommunistische Kritik an diesen Orientierungen gegeben. Bisher beschränkt sich die Kontroverse weitgehend auf die Auslegung des Kongresses, der beispielsweise in Gestalt des VVN-Vorsitzenden Ulrich Sander von rechtsopportunistischer Seite in Anspruch genommen wird, um eine beliebige und prinzipienlose Bündnispolitik zu begründen (Sander 2016). Stoodt zeigt hingegen auf, warum eine solche Auffassung sich nur bei größter Ignoranz gegenüber der tatsächlichen Komintern-Politik aufrechterhalten lässt.

Im deutschsprachigen Raum steht eine kritische Befassung mit dem 7. WK noch weitgehend aus. Dieser Artikel soll einen Anlauf dazu darstellen. Dabei geht es mir erklärtermaßen nicht darum, den Kongress und die Einheits- und Volksfrontpolitik der 30er in irgendeiner Weise aus der kommunistischen Geschichte zu verbannen oder sie unter dem Gesichtspunkt eines „Verrats an der Weltrevolution“ zu diskutieren, wie es in trotzkistischen Kreisen üblich ist. Vielmehr soll sowohl danach gefragt werden, welche Elemente der dort beschlossenen Politik später opportunistisch uminterpretiert wurden, welche ihrer Aspekte in späteren Betrachtungen möglicherweise komplett unter den Tisch fielen und auch, ob bereits 1935 an den neuen Orientierungen einiges problematisch und fehlerhaft gewesen ist.

Die Untersuchung unterstützt sich auf Dokumente und Analysen der Komintern, insbesondere die Referate von Dimitroff und Wilhelm Pieck, aber auch auf spätere Dokumente aus der Geschichte der kommunistischen Weltbewegung.

Volksfront und Einheitsfront: Nur eine neue Taktik oder eine neue Strategie? 

Als ein Beispiel für nach wie vor vorherrschendes „Sektierertum“ in der kommunistischen Bewegung nach dem 7. WK führt Reiner Zilkenat an: „Auch die Anschauung, bei der beschlossenen Einheits- und Volksfrontpolitik handle es sich um eine neue Taktik auf der Basis der auf dem VI. KI-Kongress gefassten Beschlüsse, nicht aber um eine strategische Konzeption, war durchaus noch verbreitet“ (Zilkenat 2015).

Hans-Christoph Stoodt hält einer solchen Auffassung entgegen: „Konsequenterweise wurde auch das 1928 beschlossene Programm der KI nicht etwa zurückgezogen, widerrufen oder neu formuliert. Es galt, durch die Diskussionen seither weiterentwickelt, in seiner strategischen Ausrichtung weiter – etwas anderes wurde nirgendwo beschlossen.“. Die strategisch weiterreichende Grundlage sei die auch schon im KI-Programm geltende Orientierung der Aktionseinheit der Arbeiterklasse gewesen, erst auf dieser Grundlage sei der Aufbau von Volksfronten angestrebt worden. 1939, kurz nach Kriegsausbruch, habe die KI-Führung dann auch beschlossen, die Taktik der Volksfront zu widerrufen und zur direkten Offensive gegen jedes bürgerliche Regime zurückzukehren (Stoodt 2016). Man mag gegen Stoodts letztes Argument einwenden, dass dies wenig mit konzeptionellen Überlegungen der KI zu tun hatte und dafür viel mehr mit außenpolitischen Erwägungen der Sowjetunion, die sich seit einigen Wochen in einem Nichtangriffsvertrag mit Deutschland befand. Das mag stimmen, entscheidender ist jedoch, dass Stoodts Einschätzung im Wesentlichen, wenn auch mit einigen Einschränkungen (dazu weiter unten), mit der Logik der Volksfrontpolitik, wie sie aus früheren Quellen deutlich wird, übereinstimmt.

Gegen die Auffassung, Dimitroff habe mit seinem Referat eine neue Strategie begründen wollen, spricht schon folgende einfache Beobachtung: In seinem Referat ist dreimal die Rede von der „Einheitsfronttaktik“. Der Begriff „Taktik“ kommt insgesamt 13mal in Dimitroffs Rede vor, oft in Formen wie „Taktik gegenüber dem Faschismus“. Der Begriff „Strategie“ (oder „strategisch“ usw.) findet sich dagegen im gesamten Text nicht ein einziges Mal. Es ist doch davon auszugehen, dass die KI-Führung, wenn es ihr tatsächlich um eine neue strategische Orientierung gegangen wäre, die unabhängig von den konkret vorherrschenden politischen Konjunkturen ihre Richtigkeit behält, dies auch so benannt hätte. Eine neue Strategie hätte zudem ein neues Komintern-Programm erforderlich gemacht. Es wäre in der kommunistischen Bewegung ein unüblicher und fragwürdiger Vorgang gewesen, strategische Orientierungen lediglich in Kongressreden oder Resolutionen festzuhalten.

Doch auch die Argumentation der Protagonisten der Diskussion spricht dafür, dass mit der Volks- und Einheitsfrontpolitik im Wesentlichen eine neue Taktik, nicht aber eine Revision der geltenden Strategie eingeführt werden sollte.

So fordert Dimitroff die „Schaffung einer breiten antifaschistischen Volksfront auf der Grundlage (!) der proletarischen Einheitsfront“. Aus seinen Ausführungen wird klar, warum das logisch auch nur so sein kann, denn die Volksfront ist nach dem damaligen Verständnis der KI im Wesentlichen das Bündnis der in der Aktionseinheit zusammenstehenden Arbeiterklasse mit den anderen werktätigen Schichten (genannt werden die Bauernschaft und das städtische Kleinbürgertum) und ihren Parteien.

Auch Pieck spricht in seinem Referat auf der Brüsseler Konferenz der KPD 1935 (Pieck 1935) davon, der 7. WK sei „ein Kongress der Revidierung der taktischen (!) Grundsätze der Kommunistischen Internationale entsprechend der veränderten Weltlage“, die zu einer „Wendung in der Arbeit der gesamten kommunistischen Weltbewegung“ führen werde. Weit davon entfernt, die gesamte Politik der KPD in der Weimarer Republik zu verwerfen, betont er die Richtigkeit des Kampfes gegen die Sozialdemokratie:

„So notwendig es war, dass wir den schärfsten Kampf führten gegen die Politik der Klassenzusammenarbeit der Sozialdemokratie mit der Bourgeoisie, gegen die Preisgabe der Interessen der Arbeiterklasse zugunsten der Aufrechterhaltung der kapitalistischen Herrschaft, gegen den Terror, den die Sozialdemokratie als Regierungsmacht gegen die revolutionären Arbeiter zur Unterdrückung ihrer Bewegung anwandte, also den Hauptstoß gegen diese Politik richteten (!), so hätten wir doch bei einer richtigen marxistischen Analyse der Lage und der Klassenkräfte die Veränderungen bemerken müssen, die in dieser Zeit vor sich gingen, in der die faschistische Gefahr immer stärker in den Vordergrund trat. Wir hätten also unseren Kampf gegen die Sozialdemokratie in ein richtiges Verhältnis zu dem Kampf gegen den angreifenden Faschismus bringen müssen. Das ist nicht geschehen, und darin liegt unser schwerster Fehler bei der Ausarbeitung unserer politischen Linie“

Piecks Referat lässt hier wenig Interpretationsspielraum: Nicht nur der Kampf gegen die Sozialdemokratie war richtig. Es war sogar lange Zeit richtig, den „Hauptstoß“ gegen sie zu richten. Erst als die faschistische Gefahr dominant wurde, hätte man den Hauptstoß auf den Faschismus umorientieren müssen, während man jedoch den Kampf gegen die Sozialdemokratie an zweiter Stelle weitergeführt hätte. Von einem grundsätzlichen, gar strategisch bedeutsamen Bündnis mit der Sozialdemokratie war nirgendwo die Rede. Der Fehler habe „nur“ in Folgendem bestanden: „Eine Taktik, die zu einer bestimmten Zeit richtig war, wurde auch dann fortgesetzt, als die Bedingungen des Kampfes andere wurden.“. Aber: „Auch unser Kampf gegen die Weimarer Republik, gegen die bürgerliche Demokratie, war absolut notwendig und richtig, weil sie nicht nur die „ganze deutsche Konterrevolution“ um sich scharte, sondern weil von ihr aus die schwersten Angriffe gegen die Arbeiterklasse gerichtet wurden.“

Der Zeitpunkt, zu dem die KPD den genannten Fehler machte, wird von Pieck sogar datiert, nämlich auf den Wahlerfolg der NSDAP 1930. Erst ab diesem Zeitpunkt sei die Taktik der KPD falsch gewesen. Wer sich heutzutage auf die Wende von 1935 berufen will, um kommunistische Politik zu begründen, sollte das bedenken: Nach Pieck ist es nur im Angesicht einer drohenden faschistischen Machtübernahme richtig, den Kampf gegen die Sozialdemokratie abzuschwächen (!) und sich auf den Faschismus als momentanen taktischen Hauptgegner zu konzentrieren.

Damit sollte eigentlich hinreichend belegt sein, dass es zumindest in den Augen der führenden Köpfe der Komintern um eine neue Taktik, jedoch auf dem Boden der bisherigen Strategie ging. Eigentlich, denn auch bei Pieck selbst gibt es diesbezüglich eine Verwirrung: Plötzlich ist doch die Rede davon, dass der faschistische Vormarsch es notwendig gemacht habe, „in unserer strategischen Orientierung eine Wendung in der Richtung des Hauptstoßes gegen die Faschisten“ vorzunehmen. Dass dies nicht geschehen sei, sei „der strategische Fehler“ eben dieser Zeit gewesen.

Diese zwei Textstellen stehen im direkten Widerspruch zu allem bisher Angeführten. Möglicherweise handelt es sich um Formulierungen, die entstanden sind, ohne dass der Redner sich ihrer Tragweite bewusst war. In jedem Fall waren es derartige Unklarheiten, die es später erleichterten, die Volksfrontpolitik nicht mehr nur als begrenzte taktische Antwort auf die akute faschistische Gefahr, sondern als generelles Konzept kommunistischer Politik zu verstehen.

Auch ein zweiter Einwand gegen meine und Stoodts These liegt nahe: Dimitroff sprach in seinem Referat nicht nur über Bündnisse gegen den Faschismus, sondern er fordert mit Bezug auf Lenin dazu auf, „Formen des Übergangs oder des Herankommens an die proletarische Revolution ausfindig zu machen“. Ist das denn keine strategische Frage? Nun, zweifellos betreffen diese Übergangsformen das strategische Ziel der proletarischen Revolution. Man sollte hier aber nicht mehr in Dimitroff hineinlesen, als er tatsächlich sagt. Vor allem fordert er dazu auf, in dieser Frage flexibel zu bleiben und die Augen offen zu behalten nach Möglichkeiten, jenseits der üblichen Methoden der Agitation und Propaganda revolutionäres Bewusstsein bei den Massen zu schaffen und in der entscheidenden Situation die richtigen Losungen aufstellen zu können, die das Massenbewusstsein auf die Revolution vorbereiten sollen. Dazu seien auch sogenannte „Übergangslosungen“ notwendig. Nichts davon wird jedoch näher erläutert. Aus den weiteren Ausführungen wird klar, dass es vor allem darum geht, Regierungen der antifaschistischen Einheitsfront auch unter diesem Gesichtspunkt anzustreben – also nicht nur als Abwehrmaßnahme gegen den Faschismus, sondern auch, um dem Sozialismus den Weg zu ebnen. Mit der Frage der Regierungsbeteiligung wird sich später noch zu befassen sein. Hier ist jedoch wichtig, dass auch die Einheitsfrontregierungen nur „möglicherweise“ als eine Form bezeichnet wird, die sich „in einer Reihe von Ländern sich als eine der wichtigsten Übergangsformen erweisen“ könnte – also keineswegs als eine allgemeine strategische Orientierung und auch nicht als die Übergangsform schlechthin. Letztlich wird die Frage, was mit „Übergangsformen“ gemeint ist, dem konkreten Fall überlassen und fällt damit wieder in das Feld der Taktik.

Wenn also in der KI die Vorstellung dominant war, auf dem 7. WK lediglich eine Neuausrichtung der Taktik beschlossen zu haben, bedeutet das nichts Geringeres, als dass die übliche Interpretation des 7. WK in ernsthafter Weise infrage zu stellen ist. Eine Orientierung, die für eine ganz bestimmte historische Situation erarbeitet wurde, kann nicht ohne eine sehr tiefschürfende Begründung zur Grundlage einer allgemeinen Strategie zum Sozialismus erhoben werden. Wenn H.-P. Brenner zu Recht davon spricht, der 7. WK habe die Strategie der deutschen Kommunisten maßgeblich geprägt, dann spricht er damit im Grunde nur aus, dass diese DKP-Strategie zumindest teilweise im Widerspruch zum Geist der damaligen Komintern-Politik entwickelt wurde. Pieck hielt 1935 den Kampf gegen die Sozialdemokratie für eine zentrale Aufgabe der Kommunisten und für den Großteil der Lebenszeit der Weimarer Republik sogar für die zentrale Ausrichtung. Trotzdem hat sich diese Interpretation in den folgenden Jahrzehnten nicht gehalten. So schrieb die DKP in ihrem Programm von 1978 „Die DKP erstrebt ein vertrauensvolles, kameradschaftliches Verhältnis zu den Mitgliedern, Anhängern und Organisationen (!) der Sozialdemokratie. Sie tritt, geleitet von den Interessen der Arbeiterklasse, für die Zusammenarbeit mit der SPD ein.“ (DKP 1978, S. 259).

Doch auch in anderer Hinsicht scheint die Wahrnehmung des 7. WK sehr selektiv vonstatten zu gehen. Hierzu noch zwei weitere Beispiele:

Erstens ist von Bündnissen mit Teilen der Bourgeoisie wie etwa der nichtmonopolistischen Bourgeoisie bei Dimitroff nirgendwo die Rede. Es gibt allgemeine Überlegungen zur Bündnispolitik mit Verbündeten über das Proletariat hinaus. Dies war keine Erfindung von 1935, sondern bereits im Kommunistischen Manifest enthalten. Dass dies unter monopolkapitalistischen Bedingungen auch Teile der Bourgeoisie enthalten könne, ist eine (problematische) These, die sich weder auf Marx und Engels, noch auf Lenin, noch auf den 7. WK stützen kann, sondern erst später Eingang in die kommunistische Bewegung gefunden hat. Dennoch ist diese Vorstellung fester Bestandteil der Konzeption der AMD, die sich selbst ja in der Tradition des 7. WK verortet.

Der zweite Punkt ist noch bedeutsamer: Zumeist ist in Bezug auf die Selbstkritik der KI und der KPD 1935 immer nur die Rede von der Abrechnung mit „sektiererischen“ Fehlern in der Bündnispolitik. Das wird als der entscheidende Teil der selbstkritischen Niederlagenanalyse gesehen, als Kern der Erklärung, warum der Faschismus in Deutschland nicht verhindert und die Arbeiterbewegung zerschlagen werden konnte. Piecks Referat räumt jedoch einem ganz anderen Aspekt der Niederlagenanalyse viel Platz ein. Er sagt:

„Wir müssen hier ernste Kritik an uns selbst üben, besonders auch an der Führung der Partei, dass wir nicht genügend Sicherungen für den Schutz der Kader getroffen haben, dass wir die Partei nicht rechtzeitig und ausreichend für die Umstellung auf die Illegalität erzogen haben und dass wir selbst das Opfer einer gewissen Legalitätsillusion nach Aufrichtung der Hitlerdiktatur geworden sind.“. Und: „Es wurden aber auch sonst sehr schwere Verstöße gegen die Regeln der Konspiration begangen, die uns in der ganzen Zeit seit der Aufrichtung der Hitlerdiktatur sehr ernste Verluste unserer Kader gebracht haben.“

Offensichtlich kam die KPD zu dem Schluss, dass ihre Organisationen bei weitem zu offen, zu angreifbar, zu wenig konspirativ arbeiteten und damit die elementare Verantwortung einer bolschewistischen Partei, für den Fall der Illegalität jederzeit gewappnet zu sein, sträflich vernachlässigt hatten. Der hohe Blutzoll, den sie dafür entrichtete, ist bekannt. Es scheint aber, dass dieser wichtige Teil der Selbstkritik der KPD in der historischen Erinnerung weitgehend verlorengegangen ist, sich zumindest weitaus weniger in das kollektive Gedächtnis eingeprägt hat. In Westeuropa bestand jedenfalls nach 1945 in den meisten KPen die umgekehrte Tendenz zu immer offeneren und breiteren Organisationsstrukturen der Kommunistischen Parteien – und das, entgegen den Tatsachen, oftmals gerade unter Berufung auf die „Lehren aus dem Faschismus“ aus den 30er Jahren.

Der VII. WK als schwieriges Erbe für die kommunistische Weltbewegung (1)

Wer die Orientierung auf Bündnisse mit der Sozialdemokratie und anderen bürgerlichen Kräften zum allgemeinen Prinzip kommunistischer Strategie erklären will und auch noch glaubt, sich damit auf den 7. WK berufen zu können, betreibt also in Wirklichkeit eine Verzerrung der Geschichte. Es handelt sich nicht nur um eine selektive Interpretation von Dimitroffs Referat, die willkürlich bestimmte Aspekte hervorhebt und andere abwertet, sondern es werden bestimmte Textstellen vollkommen ausgeblendet, die ansonsten geeignet wären, diese Interpretation als falsch auszuweisen.

Auf der anderen Seite stimmt es aber auch nicht, dass rechtsopportunistische und andere problematische Entwicklungen in der kommunistischen Weltbewegung nichts mit dem 7. WK und der dort beschlossenen Bündnispolitik zu tun hätten. Auch wenn Stoodt zuzustimmen ist, dass Ulrich Sander und Konsorten eine rechtsopportunistische Verfälschung der Ergebnisse des 7. WK betreiben, bedeutet das nicht, dass sie sich völlig zu Unrecht auf diese beziehen. Der Versuch, die Kominternpolitik jener Zeit von jeder Verantwortung freizusprechen, muss daher scheitern. Im Folgenden soll anhand einer Reihe von Aspekten dargestellt werden, dass diese Politik durchaus insofern problematisch war, als Dimitroffs Referat durchaus bereits die Saat späterer opportunistischer Abweichungen enthielt.

Die „Dimitroffsche Faschismusdefinition“

Wohlbekannt ist Dimitroffs Definition des Faschismus an der Macht als „offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. In gewissen Teilen der kommunistischen Bewegung ist diese Formulierung in den folgenden Jahrzehnten zu der Faschismusdefinition schlechthin erhoben worden, die gleich einem Glaubenssatz Dokumenten, Reden, Diskussionen und theoretischen Texten immer wieder zitiert wurde. Ihre Verdienste liegen dabei auf der Hand: Im Gegensatz zu den diversen bürgerlichen Faschismustheorien, die von einer Revolte des Kleinbürgertums oder gar „der Massen“ ausgehen, wird hier richtigerweise der Charakter des Faschismus als kapitalistischer Herrschaftsform benannt. Zudem wird der Unterschied zu anderen bürgerlichen Herrschaftsvarianten anhand bestimmter Merkmale (offene Diktatur, Staatsterror, Reaktion und Chauvinismus, expansive Orientierung) markiert.

Die Art und Weise, wie dieser Satz zum Dogma erhoben worden ist, hat der kommunistischen Bewegung dennoch geschadet.

Bekanntlich fungiert der bürgerliche Staat in der marxistischen Staatstheorie als „ideeller Gesamtkapitalist“ – das heißt, er vertritt nicht die Interessen einzelner Kapitalisten oder Kapitalfraktionen, sondern strebt immer danach, aus diesen Einzelinteressen das Gesamtinteresse der herrschenden Klasse zu aggregieren und durchzusetzen, im Zweifelsfall auch gegen die Partikularinteressen einzelner Teile der Klasse. In späteren staatstheoretischen Ausarbeitungen wurde dann präzisiert, dass sich im bürgerlichen Staat immer auch konkrete Kräfteverhältnisse ausdrücken, sodass bestimmte Fraktionen der Bourgeoisie die Hegemonie über andere erringen können. Am grundlegenden Charakter des Staates als ideellem Gesamtkapitalisten ändert das jedoch nichts.

Für den Faschismus an der Macht, der schließlich auch nichts anderes ist als eine besonders brutale Variante des bürgerlichen Staates, gilt nichts anderes. Auch der faschistische Staat muss die Kapitalakkumulation organisieren und geeignete Rahmenbedingungen schaffen. Eine erfolgreiche Akkumulation des Kapitals ist Existenzbedingung jedes kapitalistischen Staates. Das schließt allerdings aus, dass der Staat ausschließlich die Interessen einer Fraktion der Bourgeoisie im Blick haben kann. Wäre dem so, würde die kapitalistische ökonomische Basis des Faschismus schnell schwinden.

Wenn Dimitroff den Faschismus an der Macht als Herrschaft nur der reaktionärsten Fraktion des Finanzkapitals charakterisiert, weicht er von dieser Grunderkenntnis marxistischer Staatstheorie ab. Dass er an anderer Stelle des Referats schreibt „Der Faschismus ist die Macht des Finanzkapitals selbst“ und „die Diktatur der Großbourgeoisie“, zeigt allenfalls die Widersprüchlichkeit und Unausgegorenheit der Faschismusanalyse der Komintern, löst aber das Problem keineswegs. Denn nicht nur stehen die beiden Formulierungen im Widerspruch zueinander; auch die Beschränkung des faschistischen Staates auf die Macht des Finanzkapitals, also die miteinander verschmolzenen Monopole aus Industrie und Banken, ist fehlerhaft. Der Staat ist auch im Monopolkapitalismus niemals die ausschließliche Vertretung der Monopole, sondern beruht immer auf dem Gesamtprozess der Akkumulation des Kapitals.

Dass der Faschismus, wie beispielsweise die Analysen des deutschen Faschismus von Kuczynski, Gossweiler und anderen gezeigt haben, in besonderem Maße von bestimmten Kapitalfraktionen getragen war (vor allem der Schwerindustrie) und dies besonders für die Phase vor 1933 gilt, soll damit nicht geleugnet werden. Am Faschismus an der Macht waren jedoch dann alle Teile des Kapitals beteiligt und sie alle profitierten, wenn auch in unterschiedlichem Maße, von der Zerschlagung der Arbeiterbewegung, dem Drücken der Reallöhne, dem faschistischen Raubkrieg usw.

Tatsächlich ist gerade in Bezug auf den deutschen Faschismus fragwürdig, dass es sich dabei um eine bürgerliche Herrschaftsform mit besonders „schmaler Klassenbasis“ (Zilkenat 2015) gehandelt haben soll. Im Gegenteil könnte man sogar argumentieren, dass der Nazifaschismus gewissermaßen die Bourgeoisie politisch unter einem gemeinsamen Banner einte und ihre inneren Widersprüche vorübergehend in den Hintergrund treten ließ. Die große Instabilität der Weimarer Republik, die sich in diversen Staatsstreichen und bürgerkriegsähnlichen Zuständen ausdrückte, fand mit dem Faschismus jedenfalls ihr Ende.

Angesichts der Tatsache, dass Dimitroffs Referat heutzutage oft als der Klassiker schlechthin gehandelt wird, was kommunistische Faschismusanalyse angeht, sollte auch darauf verwiesen werden, dass es in der Komintern durchaus auch andere Untersuchungen des Faschismus gab, die ihre Akzente anders setzen. Clara Zetkin analysierte schon auf dem Erweiterten Plenum des EKKI im Juni 1923 den Charakter der faschistischen Bewegung und des Faschismus an der Macht anhand des italienischen Beispiels. Sie fasste den Faschismus allgemein als Bewegung und Herrschaftsform im Interesse der Bourgeoisie, die dieser eine Massenbasis gegen die organisierte Arbeiterbewegung verschafften (Zetkin 1923). Des Weiteren ist vor allem Rajani Palme Dutt zu nennen, der mit „Faschismus und soziale Revolution“ eine ausführliche Analyse des Faschismus erarbeitete. Für ihn war ähnlich wie für Zetkin der Faschismus ein Instrument und Repräsentant der Interessen der Großindustrie, Banken und Grundbesitzer insgesamt (also nicht nur einer kleinen Fraktion des Finanzkapitals), das sich eine überwiegend kleinbürgerliche, teils aber auch lumpenproletarische Massenbasis zunutze macht (Palme Dutt 1934, S. 102). Palme Dutts Arbeit stellt nebenbei bemerkt wahrscheinlich die tiefgreifendste kommunistische Faschismusanalyse der damaligen Zeit dar und kann nur als hervorragend bezeichnet werden. Dass sie heute unter Kommunisten nahezu unbekannt ist, hängt mit den politischen Verschiebungen nach dem 7. WK zusammen.

Dass dies mehr ist als eine bloß akademische Diskussion, zeigen die politischen Konsequenzen von Dimitroffs staatstheoretischen Fehlern. Beispielhaft sei dafür aus einem Artikel von Reiner Zilkenat zitiert: Dimitroff habe „die objektiv ungewöhnlich schmale Klassenbasis des Faschismus an der Macht umrissen. Nicht einmal für das Finanzkapital in seiner Gesamtheit, sondern für seine besonders chauvinistischen und imperialistischen Teile erledigten die Faschisten ihre politischen Geschäfte. Konnten sich daraus nicht Bündniskonstellationen ergeben, die bis in bestimmte Teile der Bourgeoisie hineinreichten?“ (Zilkenat 2015). Aus der falschen Theorie folgt somit eine entsprechende Praxis. Dass Antifaschismus in erster Linie ein Aspekt des Klassenkampfes entlang des Grundwiderspruchs Arbeit-Kapital ist, gerät in Vergessenheit. Besonders drastisch zeigen sich die opportunistischen Konsequenzen dieser Interpretation in einem Beitrag des VVN-Vorsitzenden Ulrich Sander: „Alles gegen die AfD! (…) das muss die Losung sein“ (Sander 2016). Nicht der Kampf gegen das System, das den Faschismus gebiert, soll Aufgabe der Kommunisten sein, sondern die gemeinsame Front mit „allen Demokraten“, inklusive Unternehmerverbänden und Regierungsparteien. Der Kampf um den Sozialismus wird in eine unbestimmte Zukunft verschoben, wenn die faschistische Gefahr überwunden ist. Eine Zukunft, die in Wirklichkeit nie eintreten wird, weil es der Kapitalismus selbst ist, der aus sich heraus zur Reaktion und zum Faschismus tendiert.

Doch nicht nur der Kampf für den Sozialismus verschwindet mit dieser Orientierung – auch der Kampf gegen den Faschismus kann nicht effektiv geführt werden, weil der Verzicht auf den Klassenkampf es unmöglich macht, die Massen gegen den Faschismus in Stellung zu bringen. Solcher „Antifaschismus“ orientiert nicht mehr auf die Klasseninteressen des Proletariats, die dem faschistischen Programm diametral entgegenstehen, sondern auf rein moralische Zurückweisung des Faschismus.

Die Orientierung der Komintern in den 1930ern war von solch rechter Degeneration der kommunistischen Programmatik selbstredend weit entfernt. Sie trug aber dazu bei, dass sich bestimmte falsche Vorstellungen im kollektiven Bewusstsein der Bewegung festsetzen und weiterentwickeln konnten.

Einheitsfront und Volksfront als Massenbewegungen

Die Einheitsfrontpolitik war keine Erfindung des 7. WK, sondern schon seit Jahren eine der zentralen Orientierungen der Komintern. Die Interpretation und Schwerpunktsetzung der Einheitsfront veränderte sich mit dem 7. WK jedoch bedeutend. Noch 1931 schrieb die KPD in dem Aufruf „Schmiedet die rote Einheitsfront!“: „Wir sagen den Arbeitern, gegen eine zukünftige, noch offenere und skrupellosere Form der kapitalistischen Diktatur kann man nicht kämpfen, indem man heute den Kapitalismus schont, toleriert, unterstützt, sondern indem man in jeder Stunde den Hauptstoß gegen die tatsächliche Diktatur der Bourgeoisie und ihre entscheidenden Stützen richtet!“. Und „Den Faschismus schlagen, das heißt die Arbeiterklasse aus den Banden der Sozialdemokratie und des Reformismus erlösen!“ (KPD 1931). Der Kampf gegen den Faschismus wurde also unmittelbar mit dem Kampf gegen die Sozialdemokratie verbunden.

Dimitroff benennt dagegen zwar weiterhin die schwere Verantwortung der sozialdemokratischen Führung für das Scheitern der antifaschistischen Einheitsfront und den Machtantritt des Faschismus. Er betont aber stärker die Notwendigkeit, zur Herstellung dieser Einheitsfront auf die sozialdemokratischen Organisationen zuzugehen und ihnen gemeinsame Aktionen vorzuschlagen. Ohne dass der Begriff in dem Referat auftauchen würde, geht es hier um die Vorstellung einer Einheitsfront „von oben“, die die „von unten“ ergänzen und erleichtern sollte.

Während die Einheitsfrontpolitik sich auf die Herstellung einer Aktionseinheit der Arbeiterklasse unabhängig von Parteizugehörigkeiten und –sympathien bezog, sollte die Volksfront auf der Grundlage der Einheitsfront entstehen und die nichtproletarischen Schichten des Volkes miteinbeziehen, insbesondere die werktätige Bauernschaft und das städtische Kleinbürgertum. Aufbauend auf der gesellschaftlichen Dimension der Volksfront als Klassenbündnis beinhaltete die Konzeption aber auch eine Zusammenarbeit mit den Organisationen und Parteien, in denen diese gesellschaftlichen Kräfte vertreten sind.

Im Widerspruch zu den an anderer Stelle abgegebenen Erklärungen, dass auch im antifaschistischen Abwehrkampf weiterhin der Kampf gegen den Reformismus entscheidende Bedeutung habe, sagt Dimitroff nun: „wir werden niemanden angreifen, weder Personen noch Organisationen, noch Parteien, die für die Einheitsfront der Arbeiterklasse gegen den Klassenfeind sind. Gleichzeitig aber haben wir im Interesse des Proletariats und seiner Sache die Pflicht, die Personen, Organisationen und Parteien zu kritisieren, die die Aktionseinheit der Arbeiter stören“. Damit wurde die Haltung einer Partei zur Einheitsfront (und nicht mehr die zur Klassenherrschaft der Bourgeoisie) zum entscheidenden Kriterium gemacht, anhand dem diese Partei von den Kommunisten zu beurteilen sei. Die grundsätzliche Distanz zur Sozialdemokratie wurde damit deutlich verringert. Es liegt die Interpretation nahe, dass man demnach eine sozialdemokratische Partei, die zur Zusammenarbeit mit den Kommunisten bereit war, nicht mehr hätte kritisieren müssen.

Es wird dann eine Reihe von Beispielen aus verschiedenen Ländern angeführt, deren Tenor jeweils ist: Die Sozialdemokratie macht eine reaktionäre Politik, aber trotzdem muss man die Einheitsfront mit ihr suchen und den progressiven Teil ihrer Forderungen unterstützen, um die Arbeiter aus der sozialdemokratischen Umklammerung zu lösen.

Eine abschließende Einschätzung dieser Politik vorzunehmen, fällt schwierig. Im Kontext der faschistischen Offensive war sie verständlich und nachvollziehbar. Wahrscheinlich war es auch richtig, einen Vorstoß in diese Richtung zu wagen. Auf der anderen Seite stellt sich aber auch die Frage, wie die Erfolgsbedingungen einer solchen Politik aussahen. In Deutschland hatte die SPD-Führung Anfang der 30er nacheinander vier (!) Angebote der KPD zum gemeinsamen Widerstand gegen den Faschismus ausgeschlagen oder ignoriert, zwei vor und zwei während der Errichtung der faschistischen Diktatur. Schuld daran war keineswegs nur die vielgeschmähte „Sozialfaschismusthese“, sondern in allererster Linie die Haltung der sozialdemokratischen Führung, die Respekt vor der legalen Regierungsübernahme Hitlers forderte und den „Nationalsozialismus“ teilweise sogar zu einer Variante des Sozialismus erklärte, die man unterstützen müsse. So schrieb die sozialdemokratische „Gewerkschaftszeitung“ am 29.4.1933 „Wir brauchen wahrhaftig nicht ,umzufallen’, um zu bekennen, dass der Sieg des Nationalsozialismus, obwohl er gegen eine Partei errungen wurde, die uns als Träger der sozialistischen Idee galt, auch unser Sieg ist, insofern die sozialistische Aufgabe heute der ganzen Nation gestellt ist“. Der sozialdemokratische Vorstand des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) erklärte nach der faschistischen Machtübergabe die Bereitschaft, im faschistischen Staat mitzuarbeiten und begrüßte am 19.4.1933 die Umbenennung des 1. Mai zum „Tag der nationalen Arbeit“ durch die Nazis (zitiert nach: Schleifstein 1980, 116f).

Nun konnte man möglicherweise davon ausgehen, dass auch bei diesen Kräften angesichts der Repressionen gegen sie seitdem ein Lernprozess stattgefunden hatte (gegen den in der SPD allerdings große Teile der Führung bis zum Ende völlig immun blieben). Von ihnen zu erwarten, dass sie ihren grundsätzlichen konterrevolutionären und reaktionären Charakter aufgaben, wäre jedenfalls trotzdem illusorisch gewesen. Beispiele für eine erfolgreich zustande gekommene Einheitsfront „von oben“ gab es in den nächsten Jahren überwiegend außerhalb Deutschlands. Hier wäre allerdings genau zu prüfen, ob die Komintern dabei wirklich ihre Ankündigung einhielt, den Charakter der Sozialdemokratie weiterhin zu entlarven, oder ob sie sich einer solchen Kritik nicht aus bündnistaktischen Erwägungen in Wirklichkeit weitgehend enthielt.

Zudem lässt sich auch rückblickend festhalten, dass das Abgehen von einer Grundsatzkritik an der Sozialdemokratie und die Hinwendung zu einer Praxis, die diese mehr wegen ihrer konkreten Politik angreift als wegen ihres prinzipiell konterrevolutionären und bürgerlichen Charakters, die Entwicklung problematischer bündnispolitischer Orientierungen begünstigt hat. Die folgen Unterpunkte verdeutlichen das noch weiter.

Die Einschätzung der Sozialdemokratie

Wie gezeigt, hielten die Führer der KI auch weiterhin an der grundsätzlichen Einschätzung fest, dass die Sozialdemokratie eine der Revolution entgegenstehende und den Faschismus begünstigende politische Kraft sei. Dies verdient es, betont zu werden, weil in den diversen opportunistischen Fehlinterpretationen des 7. WK oftmals so getan wird, als habe dieser eine irgendwie positive Bewertung der Sozialdemokratie als antifaschistisch-demokratischer Kraft vorgenommen.

Darüber hinaus wurde die Einschätzung der Sozialdemokratie aber stärker ausdifferenziert: Diese spalte sich nun überall in zwei Hauptlager: „neben dem bestehenden Lager der reaktionären Elemente, die mit allen Mitteln versuchen, den Block der Sozialdemokratie mit der Bourgeoisie zu erhalten, und wütend die Einheitsfront mit den Kommunisten ablehnen, beginnt sich das Lager der revolutionären Elemente herauszubilden, die Zweifel an der Richtigkeit der Politik der Arbeitsgemeinschaft mit der Bourgeoisie hegen, die für die Schaffung einer Einheitsfront mit den Kommunisten sind und in immer stärkerem Maße auf den Standpunkt des revolutionären Klassenkampfes überzugehen anfangen“.

Dies war zunächst nur eine Bestandsaufnahme, eine Einschätzung zur inneren Entwicklung einer konkurrierenden politischen Kraft. Eine solche Einschätzung vorzunehmen, hat an sich nichts Problematisches. Dass daraus jedoch später eine Theorie gemacht wurde und man anfing, überall die Sozialdemokratie in eine „linke“ und eine „rechte“ zu unterteilen, um mit der angeblichen „Linken“ dann zusammenarbeiten zu können (so beispielsweise die KP Frankreichs in den Nachkriegsjahrzehnten) war durchaus sehr problematisch. Dimitroffs Referat dürfte dem ungewollt Vorschub geleistet haben, zumal es fragwürdig ist, ob es überhaupt möglich ist, innerhalb der Sozialdemokratie jemals wirklich von einem revolutionären Lager zu sprechen – schließlich besteht das Wesen der Sozialdemokratie genau in der Feindschaft gegen jede ernsthafte revolutionäre Bestrebung. Dies schließt nicht aus, dass es unter den sozialdemokratischen Arbeitern ehrliche Sympathien für die revolutionäre Bewegung und ihre Aktionen gab. Diese wurden aber wohl überbetont, da ihre Widersprüchlichkeit und der ungebrochen reaktionäre Einfluss der sozialdemokratischen Organisationszusammenhänge an sich unterschätzt wurden.

Die Zielstellung einer geeinten Arbeiterpartei

Die bisher angeführten Punkte erscheinen noch verhältnismäßig wenig gravierend. Extrem problematisch wird Dimitroffs Rede aber spätestens mit dem Vorschlag einer geeinten Arbeiterpartei.

Die Einheitsfront, so Dimitroff, werfe „auch die Frage der politischen Einheit, der einheitlichen politischen Massenpartei der Arbeiterklasse auf“. Bei der bloßen „Frage“ belässt er es aber nicht: „Die Interessen des Klassenkampfes des Proletariats und der Erfolg der proletarischen Revolution machen es gebieterisch notwendig (!), daß in jedem Lande eine einheitliche Partei des Proletariats bestehe“. Es sei darum die Aufgabe der Komintern, „Die Sache der Vereinigung der Kräfte der Arbeiterklasse zu einer einheitlichen revolutionären proletarischen Partei im Moment, da die internationale Arbeiterbewegung in die Periode der Überwindung der Spaltung tritt“ zu ihrer Sache zu machen. 

Man bemerke, dass das Resultat der Vereinigung nicht irgendeine „linke“, pluralistische Partei sein soll, sondern eine revolutionäre proletarische. Für die organisatorisch-politische Vereinigung mit der Sozialdemokratie nennt Dimitroff darum auch Bedingungen, die hier kurz genannt seien:

  1. Die „vollständige Unabhängigkeit von der Bourgeoisie“ und das Aufgeben des Blocks der Sozialdemokratie mit der Bourgeoisie
  2. Die vorherige Herstellung der Aktionseinheit
  3. Die Zielstellung des revolutionären Sturzes der Bourgeoisie und der Diktatur des Proletariats
  4. Keine Unterstützung der Bourgeoisie im imperialistischen Krieg
  5. Der Aufbau der gemeinsamen Partei auf der Grundlage des demokratischen Zentralismus

Es ergibt sich hier ein merkwürdig gemischtes Bild: Die Komintern forderte einerseits als Bedingung für die Bildung einer geeinten proletarischen Partei de facto die weitgehende Unterwerfung der sozialdemokratischen Parteien unter die Ideologie, Politik und Organisationsprinzipien der kommunistischen Parteien. Das ist andrerseits aber auch einzuschränken, als Dimitroff nichts Genaueres über die weltanschauliche Grundlage einer solchen geeinten Partei sagt und auch nichts darüber, ob es sich dabei um eine Kaderorganisation nach dem bolschewistischen bzw. leninistischen Modell handeln soll oder nicht. Damit ist letztlich nicht völlig geklärt, ob der Vorschlag nun darauf hinauslaufen sollte, die sozialdemokratischen Organisationen in die kommunistischen zu integrieren, oder die kommunistischen Parteien in einer sozialdemokratisch-kommunistischen Hybridpartei ohne klare marxistisch-leninistische Grundlage aufzulösen, was letztlich einer Entwaffnung der Arbeiterklasse gleichgekommen wäre. Dass letzteres, also eine offen opportunistische, liquidatorische Zielstellung, von Dimitroff nicht kategorisch und explizit ausgeschlossen wird, ist ein großes Problem.

Dimitroff führt zudem ein Beispiel an, bei dem alle Alarmglocken schrillen sollten: In den USA sei die Schaffung „einer Massenpartei der Werktätigen, einer ‚Arbeiter- und Farmerpartei‘“ als Bollwerk gegen den Faschismus eine mögliche nächste Aufgabe. Diese Partei sei weder kommunistisch noch sozialistisch, aber antifaschistisch, gegen die Monopole gerichtet und nicht antikommunistisch. Damit wurden bereits gewonnene richtige Erkenntnisse der Kommunisten wieder über Bord geworfen. Thälmann hatte 1932 geschrieben: „Der Charakter einer Arbeiterpartei resultiert nicht allein aus ihrer sozialen Zusammensetzung, aus der Zahl der in ihr erfaßten Arbeiter (…) Der Charakter einer Arbeiterpartei wird bestimmt durch ihr Programm, ihre Politik, durch ihr klassenmäßiges Denken und konsequent-revolutionäres Handeln. (…) Folgernd aus allen diesen Tatsachen erklären wir eindeutig, daß es nur eine Arbeiterpartei gibt, nämlich die Kommunistische Partei.“ (Thälmann 1932).

Auf einmal kehrte man nun wieder zu einer Vorstellung zurück, wonach auch nichtsozialistische Parteien, sofern sie die Arbeiter organisierten und eine breite fortschrittliche Programmatik verfolgten, Arbeiterparteien sein konnten. Eine solche Partei wird von Dimitroff allein unter dem Aspekt des antifaschistischen Abwehrkampfes betrachtet. Dass sie darüber hinaus, durch das Fehlen einer kommunistischen Programmatik und Organisationspraxis, mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Integrationsmechanismus des kapitalistisch-imperialistischen politischen Systems der USA geworden wäre, wird nicht problematisiert und offenbar nicht einmal vorausgesehen.

Dimitroff fordert auch eine „Vereinigung“ aller „nichtfaschistischen“ (!) Jugendverbände bis hin zum Aufbau gemeinsamer antifaschistischer Organisationen. Ob diese „Vereinigung“ auch einen organisatorischen Zusammenschluss der Jugendverbände, also eine Auflösung der kommunistischen Verbände bedeuten kann, sagt er nicht bzw. lässt es damit offen. Die Praxis der nächsten Jahre zeigte jedoch, dass dies damit durchaus gemeint sein konnte: Die Gründung der FDJ durch deutsche Exilanten in Paris und Prag (1936-38), die als breit aufgestellter „antifaschistisch-demokratischer“ Jugendverband den KJVD ablöste, war das Ergebnis dieser Überlegungen. Probleme in der Entwicklung der kommunistischen Jugend (besonders ihre zu enge Orientierung an der Praxis der Partei) wurden damit also zum Anlass genommen, die leninistische Konzeption eines kommunistischen Jugendverbands grundsätzlich infrage zu stellen. Das Hauptproblem dabei ist nicht, dass es unmöglich wäre, kommunistische Kader ohne einen kommunistischen Jugendverband heranzuziehen. Denn zu diesem Zweck ist ein kommunistischer Jugendverband zwar sinnvoll und in der Regel anzustreben, aber nicht unbedingt unerlässlich. Das Hauptproblem ist dabei vielmehr, dass die Vorstellung eines „antifaschistisch-demokratischen“ Verbandes auf einer völlig unklaren ideologischen Grundlage basiert. Was bedeutet z.B. „demokratisch“? Ist damit die bürgerliche oder die proletarische Demokratie gemeint? Kann ein bürgerlicher „Demokrat“ nicht gleichzeitig auch glühender Antikommunist sein, kann er nicht sogar objektiv dem Faschismus zuarbeiten? Aus der Notwendigkeit der taktischen Zusammenarbeit mit bürgerlichen nichtfaschistischen Kräften wurde somit die Vorstellung einer breiten inhaltlichen Gemeinsamkeit zwischen Kommunisten und anderen „Nichtfaschisten“.

Doch zurück zur Frage der vereinten Arbeiterpartei: Nehmen wir nun einmal an, die KI hätte mit dieser Ausrichtung doch etwas anderes gemeint als das hier vermutete. Es habe sich dabei also lediglich um einen Versuch gehandelt, die Sozialdemokratie in die kommunistischen Parteien einzugliedern. Auch das wäre problematisch genug.

Dimitroff sieht die gestellten Bedingungen als prinzipielle Voraussetzungen – das kann man als Versicherung verstehen, dass eine Vereinigung auf sozialdemokratischer Grundlage abgelehnt wurde. Möglicherweise ging es der KI dabei auch eher um ein agitatorisches Mittel, mit dem man hoffte, die sozialdemokratischen Arbeiter für die kommunistische Politik gewinnen zu können. Dennoch bleibt der Gedanke problematisch. Es wird die illusorische Vorstellung erweckt, es gäbe keinen diametralen Gegensatz zwischen sozialdemokratischer und kommunistischer Politik. Indem nicht die Gewinnung der sozialdemokratischen Massen für kommunistische Positionen durch ihre Ablösung von der sozialdemokratischen Führung gefordert wird (die bisherige Praxis), sondern nun auf einmal die Vereinigung mit den sozialdemokratischen Organisationen, hätte klar sein müssen, dass auch diese ihren Teil, d.h. ihre Sichtweisen, Praktiken und Erfahrungen einbringen wollen werden. Die an sich richtige Unterscheidung zwischen den sozialdemokratischen Massen einerseits und ihrer Führung andrerseits wird dabei verabsolutiert – so, als würden die Massen ihrer Führung nicht auch deshalb folgen, weil sie den Revisionismus und Opportunismus wenigstens teilweise auch akzeptiert haben, ihn möglicherweise sogar offensiv vertreten.

Die Forderung, dass die Sozialdemokratie den Block mit der Bourgeoisie aufgeben soll, ist zudem letztlich identisch mit der Forderung, sich selbst als Sozialdemokratie aufzugeben, schließlich gehört der „Block mit der Bourgeoisie“ untrennbar zum Wesen des Sozialdemokratismus. Diese unmögliche Forderung trotzdem aufzustellen, vorzugeben, dass so etwas nun auf einmal doch möglich sei, musste Illusionen über den Charakter der Sozialdemokratie nähren.

Das nächste Problem: Einerseits fordert man eine „einheitliche politische Massenpartei der Arbeiterklasse“, andrerseits aber die Notwendigkeit einer „Kampfpartei, einer revolutionären Partei“. Das steht in direktem Widerspruch zueinander, weil die Existenz des Opportunismus in der Arbeiterbewegung eine notwendige Erscheinung im imperialistischen Kapitalismus und im Kapitalismus überhaupt ist, solange eine Arbeiterbewegung überhaupt existiert. Eine einheitliche Partei der ganzen Arbeiterklasse, die gleichzeitig eine revolutionäre Kampfpartei ist, kann offenbar nur bedeuten, dass es keine reformistische Partei neben der kommunistischen mehr geben kann. Damit wird ignoriert, dass der Reformismus mit objektiver Notwendigkeit auftritt, weil revolutionäres Bewusstsein nicht spontan entsteht und weil die herrschende Klasse ein Interesse an seiner Existenz hat. Die Geschichte hat schließlich sogar gezeigt, dass selbst in den historischen Ausnahmesituationen, wo es neben der Kommunistischen Partei vorübergehend keine starke sozialdemokratische Partei gab (z.B. Frankreich und vor allem Italien nach dem 2. Weltkrieg), diese Situation in der Regel damit einherging, dass der Sozialdemokratismus seinen Weg in die KP selbst fand und in dieser schließlich die Kontrolle gewann. Dies wäre sicherlich auch durch eine konsequente kommunistische Politik zu verhindern gewesen, nur hätte sich damit vermutlich wiederum der politische Raum für die Entstehung einer sozialdemokratischen Partei geöffnet.

Und schließlich: Die Rede ist eindeutig von einer Massenpartei. Eine marxistisch-leninistische Partei ist aber per se keine Massenpartei, sie ist eine Kaderorganisation. Sie akzeptiert neue Mitglieder nur nach sorgfältiger Überprüfung und nach einem längeren Prozess der Heranführung. Sie basiert auf einem hohen Maß an Ernsthaftigkeit und Hingabe all ihrer Mitglieder für die gemeinsame Sache. Im besten Fall ist sie eine große Partei mit vielen Mitgliedern. Niemals ist sie jedoch von ihrem Organisationscharakter her eine Massenpartei. Möglicherweise handelt es sich nur um eine begriffliche Unklarheit, aber die Tatsache, dass Dimitroff fordert, die Partei für die sozialdemokratischen Arbeitermassen zu öffnen, legt nahe, dass hier eben durchaus eine Relativierung des Konzepts der Kaderpartei gemeint war. 1937 erklärt auch Pieck dazu: „Die KPD verfolgt nicht etwa das Ziel einer weiteren Spaltung der Sozialdemokratie, sondern erstrebt die Schaffung einer einheitlichen mächtigen revolutionären Massenpartei des Proletariats“ (Pieck 1937).

Im besten Fall könnte man einwenden, Dimitroff habe den Begriff „Massenpartei“ gedankenlos verwendet und nur auf die Verbreiterung der Basis der Partei durch die Vereinigung mit der Sozialdemokratie bezogen, aber nicht auf eine Veränderung ihres Charakters. Aber wie argumentiert wurde, löst auch dies das Problem nicht wirklich. So oder so bedeuten seine Ausführungen eine Aufweichung des leninistischen Charakters der revolutionären Organisation des Proletariats.

Fassen wir also zusammen: In der einen oder anderen Form strebte die KI nach der Vereinigung der kommunistischen Parteien mit den sozialdemokratischen. In diesem Kontext ist sogar davon die Rede, dass nun die „internationale Arbeiterbewegung in die Periode der Überwindung der Spaltung“ trete. Die wesentliche Errungenschaft der Arbeiterbewegung nach dem Ersten Weltkrieg, die Emanzipation der kommunistischen Parteien von den opportunistischen sozialdemokratischen Parteien, wird hier auf einmal zum Problem erklärt, das es zu „überwinden“ gelte. Im Denken der KI-Führung richtete sich nun alles auf die Notwendigkeit einer möglichst breiten Organisation auf, was die vorherige leninistische Vorstellung einer disziplinierten revolutionären Kaderpartei mindestens teilweise aufweichte und ersetzte. Dies mag auch eine erste Antwort auf die Frage geben, warum die Selbstkritik der KPD zur Organisations- und Konspirationsfrage in Vergessenheit geraten ist oder zumindest keine entscheidenden Auswirkungen für die Praxis hatte. Eine breite Massenpartei der Arbeiterklasse steht im direkten Widerspruch zur Notwendigkeit revolutionärer Konspiration, weil die Konspiration hohe Anforderungen an jedes Mitglied der Partei stellt und eine vorsichtige und in jedem Einzelfall wohlüberlegte Politik der Mitgliederaufnahme voraussetzt.

Dieser Widerspruch wurde jedoch nicht ausreichend reflektiert, zumindest nicht in den zentralen Dokumenten der KI. Unter dem Druck der Ereignisse – dem weiteren Vormarsch des Faschismus und der zunehmenden Bedrohung der Sowjetunion – entschied man sich wohl gewissermaßen unausgesprochen für ein Ziel auf Kosten des anderen.

Die Losung der geeinten Arbeiterpartei steht letztlich im direkten Widerspruch zu Dimitroffs Aufforderungen, den Kampf gegen den Sozialdemokratismus auch unter den Bedingungen des antifaschistischen Kampfes fortzusetzen. Zuende gedacht, bedeutete diese Losung nichts anderes als die Proklamation, dass die politische und organisatorische Einheit mit dem Opportunismus möglich sei. Es handelt sich daher bei dieser Losung um einen wesentlichen Grund, weshalb der 7. WK in der Tat als Rechtsruck in der kommunistischen Weltbewegung bewertet werden muss.

Kommunistische Regierungsbeteiligungen

Rosa Luxemburg hatte festgehalten: „In der bürgerlichen Gesellschaft ist der Sozialdemokratie dem Wesen nach die Rolle einer oppositionellen Partei vorgezeichnet, als regierende darf sie nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates auftreten“. Gleichzeitig hatte sie jedoch bestimmte Ausnahmen angeführt, „namentlich wo es sich um die Freiheit des Landes oder um die demokratischen Errungenschaften, wie die Republik, handelt“ (Luxemburg 1899).

So gesehen war die Orientierung des 7. WK zu dieser Frage keine neue. Dimitroff spricht zwar über den Fall, „wo die Bildung einer Regierung der proletarischen Einheitsfront oder der antifaschistischen Volksfront nicht nur möglich, sondern auch im Interesse des Proletariats notwendig sein wird“, die dann „vor allem eine Regierung des Kampfes gegen Faschismus und Reaktion“ sein werde. Er nennt aber auch hier bestimmte Voraussetzungen, die zur Bildung einer solchen Regierung erfüllt sein sollten:

  1. Eine weitgehende Desorganisierung und Lähmung des bürgerlichen Staatsapparates, sodass eine Regierung gegen Reaktion und Faschismus nicht mehr von der Bourgeoisie verhindert werden kann
  2. Massenkämpfe der Werktätigen gegen Faschismus und Reaktion
  3. Eine Differenzierung der Sozialdemokratie und anderen Parteien, sodass bestimmte Teile konsequente Maßnahmen gegen die Faschisten fordern und die Einheitsfront mit den Kommunisten wollen.

Er gibt auch konkrete Beispiele, bei denen eine bürgerliche Regierung unterstützt werden könnte oder bei denen kommunistische Kräfte in eine solche Regierung eintreten sollten. Im Fall der Labour-Regierung in England hält er eine solche Unterstützung für möglich, „obwohl beide frühere Labour-Regierungen die von der Labour Party der Arbeiterschaft gegebenen Versprechen nicht erfüllt haben“. In Bezug auf Frankreich kündigt er an, dass dort eine künftige Volksfrontregierung zu unterstützen sei. Auch die deutschen Erfahrungen der „Arbeiterregierungen“ von 1923 in Thüringen und Sachsen werden (kritisch) ausgewertet, da die damaligen rechtsabweichlerischen KPD-Minister ihre ihnen zugedachte Aufgabe, die Bewaffnung des revolutionären Proletariats, nicht erfüllt hatten.

Die Frage der Regierungsbeteiligungen ist wiederum einer Punkte von Dimitroffs Rede, die schwierig zu bewerten sind. Einerseits muss betont werden, dass Dimitroff klar gegen prinzipienlose Regierungseintritte von Kommunisten auftrat, dass er im Gegenteil für einen solchen Schritt wichtige Voraussetzungen benannte. Es ist auch schwierig, prinzipiell zu verneinen, dass in bestimmten (sehr seltenen) Ausnahmesituationen eine kommunistische Regierungsbeteiligung tatsächlich richtig war oder es zumindest sein könnte.

Andrerseits wäre aber genauer zu untersuchen, ob diese Bedingungen wirklich konsequent eingehalten wurden. Wurde beispielsweise die Regierung des „Front Populaire“ in Frankreich 1936/37 auf der Grundlage eines „desorganisierten“ und „gelähmten“ Staatsapparates gebildet und waren die anderen genannten Bedingungen erfüllt? Wie verhielt es sich mit der wenig bekannten Volksfrontregierung in Chile 1938-41? Wie ist es zu rechtfertigen, dass Massenaktionen der Arbeiterklasse gestoppt oder eingedämmt wurden, um die Perspektive der Volksfrontregierungen nicht zu gefährden?

Tatsache ist jedenfalls auch, dass alle kommunistischen Parteien, die sich an Volksfrontregierungen beteiligten, sich in den späteren Jahrzehnten massiv nach rechts entwickelten: Die französische und spanische KP waren (neben der italienischen) die Hauptvertreter des „Eurokommunismus“, also der offenen Sozialdemokratisierung der kommunistischen Parteien. Die chilenische KP verfolgte ebenfalls ein revisionistisches Programm des friedlichen parlamentarischen Übergangs zum Sozialismus, womit sie 1973 bekanntlich blutig scheiterte.

Die Vermutung liegt also nahe, dass die Ausrichtung auf die Volksfrontpolitik nachhaltig legalistische und parlamentarische Illusionen in diesen kommunistischen Parteien hinterlassen hat. Für die Entstehung dieser Illusionen dürfte von Bedeutung gewesen sein, dass die Losung der Volksfrontregierung bereits bei Dimitroff auf unklare Weise und mit viel Interpretationsspielraum mit dem Streben nach „Übergangsformen zum Sozialismus“ verbunden wurde.

Übergangsformen und –losungen 

Dimitroff beruft sich auf Lenin, der zur Suche nach „Formen des Übergangs oder des Herankommens an die proletarische Revolution“ aufgefordert habe. Diese Forderung ist natürlich so richtig wie interpretationsoffen. Wer Revolution machen will, sollte sich Gedanken darüber machen, wie man am besten dahin kommt. Damit ist über etwaige Formen eines solchen „Herankommens“ oder darüber, was mit „Übergangsformen“ gemeint sein könnte, noch nichts gesagt.

Dimitroff konkretisiert das nun: „Möglicherweise wird die Einheitsfrontregierung in einer Reihe von Ländern sich als eine der wichtigsten Übergangsformen erweisen“. Hier findet eine Erweiterung der Zielstellung der Einheitsfrontregierungen statt. Ging es zunächst im Referat nur um eine Regierung gegen Faschismus und Reaktion, wird hier explizit die Möglichkeit eröffnet, dass sich diese in Richtung der proletarischen Revolution weiterentwickeln könnte.

Dimitroff weist dabei deutlich jede Vorstellung eines „demokratischen Zwischenstadiums“ zwischen der Diktatur der Bourgeoisie und der Diktatur des Proletariats zurück; eine Vorstellung, die „die Illusion eines friedlichen parlamentarischen Spazierganges“ impliziere. Daran glaubte Dimitroff selbstverständlich nicht: „Die endgültige Rettung kann diese Regierung nicht bringen. Sie ist nicht imstande, die Klassenherrschaft der Ausbeuter zu stürzen und kann daher auch die Gefahr der faschistischen Konterrevolution nicht endgültig beseitigen. Folglich muß man sich zur sozialistischen Revolution vorbereiten. Die Rettung wird einzig und allein die Sowjetmacht bringen!“.

Die Einheitsfrontregierung, so Dimitroff, sollte sich gänzlich anders verhalten als die gescheiterten „Arbeiter- und Bauernregierungen“ in Deutschland, indem sie nämlich „bestimmte, der Situation entsprechende revolutionäre Grundforderungen verwirklicht, so z.B. Produktionskontrolle, Kontrolle über die Banken, Auflösung der Polizei, ihre Ersetzung durch eine bewaffnete Arbeitermiliz usw.“.

Dies wirft schon die Frage auf, wie sich die Führung der KI eine solche Regierungspraxis in der Realität vorgestellt hat. Ging sie davon aus, dass es realistisch sei, dass eine sozialdemokratisch-kommunistische Koalitionsregierung derartige Maßnahmen verwirklichen würde? Auf welchen Erfahrungen basierte diese Vorstellung? Nirgendwo hatte sich die Sozialdemokratie in den vergangenen Jahren in entsprechender Weise verhalten, sodass eine solche Zukunftsvision hätte realistisch erscheinen können. Ganz im Gegenteil hatte sie jeden Schritt des revolutionären Proletariats mit äußerster Feindschaft und Repression beantwortet. Die SPD-Führung hatte darüber hinaus unmissverständlich unter Beweis gestellt, dass sie die Diktatur der Nazis einem Erstarken der Kommunisten vorzog. Auf der Grundlage dieser Erfahrungen wäre es eher verständlich gewesen, die Möglichkeit einer Einheitsregierung überhaupt in Zweifel zu ziehen, als sich Illusionen über die Möglichkeit eines „Herankommens an die Revolution“ durch die Bewaffnung von Arbeitermilizen und Verstaatlichungen zu machen.

Entsprechende Vorstellungen wurden am ehesten in Spanien verwirklicht, dort jedoch im Kontext des Bürgerkrieges, der eine zentralisierte Kriegswirtschaft und bewaffnete Volksmilizen zur Lebensnotwendigkeit für die bürgerliche Republik machte. Überhaupt scheint eine Übergangsvorstellung, die mit der Regierungsübernahme einer Einheitsfront verbunden ist, am ehesten unter Bedingungen des Bürgerkriegs, also eines kollabierenden bürgerlichen Staates vorstellbar. Leider wissen wir nicht, wie die spanische Erfahrung ausgegangen wäre, wenn nicht die faschistischen Interventen die Putschisten an die Macht gebombt hätten.

Bedauerlicherweise sind Dimitroffs Überlegungen zur Frage der „Übergangslosungen“, „Übergangsformen“ oder des „Herankommens an die proletarische Revolution“ ansonsten relativ oberflächlich, gehen wenig in die Tiefe und werfen nicht die damit verbundenen Probleme auf. Die Frage, die sich automatisch stellt, ist: Was sind „Formen des Übergangs“? Es ist unklar, ob damit eine revolutionäre Situation gemeint ist (Zerfall und Delegitimierung der Herrschaft bei Offenheit der Massen für revolutionäre Alternativen) oder etwas, das eine solche Situation herbeiführen könnte. Es ist unklar, ob die Einheitsfrontregierung nur eins von vielen Beispielen sein sollte, oder ob man bei „Übergangsformen“ generell an Regierungsbeteiligungen auf dem Boden der bürgerlichen Gesellschaft dachte. Es ist unklar, was mit „Übergangslosungen“ gemeint sein kann. Handelt es sich lediglich um Parolen, die in der revolutionären Situation besonders geeignet sind, die Massen zu sammeln und zum Aufstand zu bewegen? Oder geht es beispielsweise um Forderungen, die im Kapitalismus nicht umsetzbar sind, aber dennoch als Forderungen an den bürgerlichen Staat gestellt werden? Letztere sind offensichtlich problematisch, da sie die Entstehung von Illusionen begünstigen (zur Kritik an solchen „Übergangslosungen“ vgl. Spanidis/Textor 2016).

An diese offenen Fragen schließt sich eine Reihe von Problemen an. Beispielsweise die wichtige Frage, ob man vor dem Hintergrund unserer historischen Erfahrungen überhaupt davon ausgehen kann, dass revolutionäre Situationen sich durch eine bestimmte Politik der kommunistischen Partei herbeiführen lassen oder ob sie nicht vielmehr wesentlich durch objektive Entwicklungen bestimmt werden (z.B. imperialistische Kriege, tiefe Wirtschaftskrisen, politische Krisen des bürgerlichen Regimes usw.). Oder die Frage, ob bzw. unter welchen Bedingungen ein Regierungseintritt von Kommunisten eine revolutionäre Entwicklung nicht sogar eher verhindert als befördert.

All das ist nicht das Hauptthema von Dimitroffs Rede. Er wirft diese Fragen aber auf, ohne sie dann wirklich angemessen zu behandeln. Das hat in der kommunistischen Weltbewegung allen möglichen Interpretationen Tür und Tor geöffnet – nicht zuletzt auch den illusorischen Vorstellungen über die Möglichkeit einer „Antimonopolistischen Demokratie“, wie sie sich im deutschen Sprachraum herausgebildet haben und die das heute geltende DKP-Parteiprogramm stark prägen (Spanidis 2016).

Eng verbunden mit der Vorstellung der „Übergangsformen“ war auch die Losung der „demokratischen Republik“, die in Deutschland wenig später von der KPD erhoben wurde (Pieck 1937). Der verständliche Gedanke dahinter: Die Volksmassen waren für den Sozialismus noch nicht zu gewinnen, wohl aber unter Umständen für den Sturz des Faschismus. Dieser würde dann die Kampfbedingungen für die Kommunisten entscheidend verbessern. So gesehen war es sicherlich richtig, die Rückgewinnung bürgerlich-demokratischer Freiheiten zu einem zentralen Kampfziel zu erheben.

Allerdings ging die Vorstellung der „demokratischen Republik“ noch weiter: Diese Republik dürfe „unter keinen Umständen etwa eine Wiederholung der Weimarer Republik sein“ und werde „eine gründliche Ausrottung des Faschismus vornehmen“. Unter der Voraussetzung von „stärksten Massenkämpfen“ könnte eine Volksfrontregierung in dieser Republik auch einschneidende Maßnahmen wie Enteignung von Großgrundbesitz und Nationalisierung von Schlüsselindustrien und Banken durchführen.

Die Parole wurde im Gründungsaufruf der KPD vom 11. Juni 1945 erneut aufgenommen. Darin heißt es: „Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“ (KPD 1945).

Nun ist natürlich richtig, dass 1945 in Deutschland nicht unmittelbar die subjektiven Voraussetzungen für eine sozialistische Revolution bestanden und es daher falsch gewesen wäre, den Deutschen das „Sowjetsystem“, also die Diktatur des Proletariats, „aufzuzwingen“. Hier vermischt die KPD aber zwei sehr verschiedene Punkte:  Dem Volk gegen seinen Willen den Sozialismus aufzwingen ist eine Sache und in der Tat falsch. Den Sozialismus im Programm einer KP als unmittelbar nächstes Ziel einzufordern, ist etwas ganz anderes und die einzig richtige strategische Orientierung für eine kommunistische Partei unter entwickelten kapitalistischen Bedingungen.

Der Aufruf fährt fort mit einer kurzen Charakterisierung der angestrebten Republik, die auf der „Liquidierung der Überreste des Hitlerregimes“, der Enteignung des Großgrundbesitzes, sozialen Errungenschaften der Arbeiter, ansonsten aber auf kapitalistischen Eigentumsverhältnissen beruhen sollte: „Völlig ungehinderte Entfaltung des freien Handels und der privaten Unternehmerinitiative auf der Grundlage des Privateigentums“ werden gefordert. Dieses Aktionsprogramm solle dann als „Grundlage zur Schaffung eines Blocks der antifaschistischen, demokratischen Parteien (der Kommunistischen Partei, der Sozialdemokratischen Partei, der Zentrumspartei und anderer)“ dienen. Die Bündnispolitik des 7. WK wird hier in die Zeit nach der Befreiung vom Faschismus verlängert: Auch unter bürgerlich-demokratischen Bedingungen wird ein stabiles Bündnis (nichts anderes bedeutet das Wort „Block“) mit den bürgerlichen Parteien für möglich gehalten (alle Zitate aus: KPD 1945).

Es ist wichtig, zwischen zweierlei zu unterscheiden: Es ist eine Sache, ein weniger repressives und reaktionäres bürgerliches Regime wie z.B. einer bürgerlichen Demokratie dem Faschismus vorzuziehen. Es ist eine andere Sache, die Vorstellung einer solchen bürgerlichen Demokratie zu einer (womöglich gar notwendigen) Zwischenetappe auf dem Weg zum Sozialismus zu erklären. Bei Piecks Ausführungen geht die Tendenz hin zu Letzterem: Die Idee einer Demokratie, in der der Faschismus „gründlich“ ausgerottet sein wird, in der auch tiefe Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse möglich sind, legt nahe, dass hier bereits vorbereitende Schritte zum Sozialismus gemeint sein sollen. Spätere Vorstellungen wie die der AMD (in der DKP und KP Österreichs sowie der Partei der Arbeit Österreichs) oder „fortgeschrittenen Demokratie“ (in der Portugiesischen KP) sind diesen Denkansätzen sehr ähnlich.

Auch hier muss die Frage aufgeworfen werden, wie realistisch solche Vorstellungen sind. Wie weit ist eine „gründliche Ausrottung des Faschismus“ unter kapitalistischen Bedingungen möglich? Sicherlich, es wäre denkbar gewesen, in der BRD Nazifunktionäre auszutauschen, statt sie wieder in Amt und Würden zu lassen. Aber das Entscheidendere, die Unterstützung des Faschismus durch die Bourgeoisie, die tiefe Verwurzelung der faschistischen Ideologie und Politik in den verschiedenen Varianten bürgerlichen Denkens und den Praktiken kapitalistischer Herrschaft, das wäre bestehen geblieben. Auch wenn Differenzierungen notwendig sind, so lässt sich doch im Allgemeinen festhalten, dass der Kapitalismus, vor allem in seinem imperialistischen Stadium, seine reaktionären und parasitären Merkmale nicht verlieren kann, sondern im Gegenteil eher verschärft.

Es muss also infrage gestellt werden, ob solche Übergangsvorstellungen jemals überhaupt realistisch gewesen sind. Im Grunde betrifft sie dieselbe Kritik, die gegen die „Antimonopolistische Demokratie“ oder die ihr eng verwandte Vorstellung einer „Wende zu sozialem und demokratischem Fortschritt“ erhoben werden muss (Spanidis 2016).

Die Polemik gegen „ultralinke Doktrinäre“

Ein weiterer Aspekt von Dimitroffs Rede, den es festzuhalten lohnt, ist seine Rhetorik und die Schwerpunktverschiebung der „Feindbilder“ in der KI. Die Rede ist durchzogen von harter Polemik gegen „Ultralinke“, „Doktrinäre“ gegen ein „selbstgefälliges Sektierertum“ und ähnliche Formulierungen. Auch wenn es ebenfalls an einigen Stellen Abgrenzungen gegen rechte Abweichungen gibt, zeigt doch der Gesamtkontext der Rede, dass hier der Hauptschlag gegen „links“ geführt werden soll. „In der heutigen Lage hemmt vor allem das Sektierertum, das selbstgefällige Sektierertum, wie wir es im Resolutionsentwurf qualifizieren, unseren Kampf für die Verwirklichung der Einheitsfront. Das Sektierertum, das sich in seiner doktrinären Beschränktheit, in seiner Losgelöstheit vom wirklichen Leben der Massen gefällt“, sagt Dimitroff.

Problematisch ist daran natürlich nicht, sich gegen „ultralinke“, d.h. linksopportunistische Verzerrungen kommunistischer Politik auszusprechen, die sich beispielsweise darauf beschränken, taktische Erwägungen im Namen abstrakter Fernziele zu verwerfen. Zurecht hatte ja bereits Lenin solchen Dogmatismus kritisiert.

Man muss sich aber im Lichte des Gesamtbildes die Frage stellen, auf wen Dimitroffs Polemik hier wirklich abzielt. Als „‘linke‘ Doktrinäre“ bezeichnet er beispielsweise diejenigen Genossen, die sich zu wenig mit den „Übergangsformen“ beschäftigten. Nun haben wir aber festgestellt, dass Dimitroffs Rede selbst weit davon entfernt ist, ein überzeugendes Konzept solcher „Übergangsformen“ zu präsentieren.

Dimitroff weiter: „Gibt es denn jetzt, Genossen, noch wenig solche Doktrinäre in unseren Reihen, die in der Einheitsfrontpolitik immer und überall nur Gefahren wittern? Für solche Genossen bildet die ganze Einheitsfront eine einzige Gefahr. Aber diese sektiererische ‚Prinzipienfestigkeit‘ ist nichts anderes als politische Hilflosigkeit vor den Schwierigkeiten der unmittelbaren Leitung des Kampfes der Massen.“

Wie gezeigt wurde, ist große Skepsis gegenüber vielen der Überlegungen, die unter dem Titel „Einheitsfront“ liefen, angebracht und notwendig. Dimitroff hält es aber offenbar nicht für nötig, sich mit den Argumenten dieser Kritiker (über die wir daher leider auch nichts erfahren), auseinanderzusetzen. Wir hören auch wenig darüber, ob er selbst überhaupt der Meinung war, die neue Orientierung sei mit Risiken verbunden oder ob er sie für gänzlich unproblematisch hielt. Stattdessen beschränkt er sich auf flache Polemik (Unterstellung „politischer Hilflosigkeit“ usw.) und Verdammungsurteile. Dazu trägt auch die martialische Sprache bei: man müsse „das selbstzufriedene Sektierertum ausmerzen“.

Leider benennt Dimitroff auch wenig konkret, worin dieses „Sektierertum“ bestanden haben soll – und das, obwohl sein ganzes langes Referat den Charakter einer Polemik gegen die „Ultralinken“ hat. Er nennt lediglich die zwei Beispiele, dass diese 1923 nicht ernsthaft die Bildung einer Arbeiterregierung angestrebt hätten und dann später „im Grunde alle Sozialdemokraten als Konterrevolutionäre“ betrachtet hätten. Letzteres wäre zweifellos eine linksradikale Überspitzung, bei ersterem liegt die Charakterisierung als „ultralinks“ jedoch keineswegs auf der Hand. Ansonsten erfahren wir jedoch nichts darüber, was denn nun als „ultralinks“ zu verstehen sei.

Dadurch musste ein Klima entstehen, in dem alles Mögliche, was den 7. WK von „links“ kritisierte und darunter auch viele berechtigte Kritikpunkte, als ketzerisch gebrandmarkt werden konnte. Berechtigte und möglicherweise auch unberechtigte Zweifel werden durch diesen Diskussionsstil für illegitim erklärt. Stalin hatte einst gefordert,  „dass man auch eine Kritik, die nur 5-10 Prozent Wahrheit enthält, begrüßen, sie aufmerksam anhören und ihren gesunden Kern berücksichtigen muss“, statt sie zu unterdrücken (Stalin 1928, S. 24). Mit dieser begrüßenswerten marxistischen Haltung hat Dimitroffs Polemik nicht mehr viel zu tun.

Natürlich ist dabei zu bedenken, dass die Komintern in der damaligen Situation unter enormem Druck stand, ihre antifaschistische Politik auf eine effektivere Grundlage zu stellen. Es ging ja buchstäblich um Leben und Tod.

Das ändert jedoch nichts an der Analyse, dass eine derartige Diskussionsweise bzw. konkret die undifferenzierte Polemik gegen „links“ der kommunistischen Bewegung auf lange Sicht sehr geschadet hat. Eine Infragestellung der Beschlüsse des 7. WK gilt heute in weiten Teilen der kommunistischen Weltbewegung als „sektiererisches“ Sakrileg. Ähnliche Tendenzen finden sich auch in heutigen Diskussionen in der DKP und SDAJ, wenn beispielsweise ohne weiteres Argument die Standpunkte der Gegenseite zu Fragen der Strategie oder Organisationsform als „unwissenschaftlich“, „undialektisch“, „linksradikal“ und Ähnliches denunziert werden.

Es versteht sich von selbst, dass solcher Dogmatismus objektiv immer als Wegbereiter des rechten Opportunismus fungiert.

Die Auflösung der Kommunistischen Internationale 1943

Offensichtlich handelt es sich dabei um ein Ereignis, das in keinem direkten Zusammenhang mit dem 7. WK steht, jedenfalls nicht aus seinen Beschlüssen hervorgeht. Trotzdem macht es Sinn, in diesem Kontext kurz darüber zu sprechen – auch deshalb, weil das Exekutivkomitee der Komintern (EKKI) sich in seiner Entscheidung explizit auf den 7. WK beruft.

Der Argumentationsgang verläuft folgendermaßen: Der 7. WK habe bereits Beweglichkeit und Selbstständigkeit von den Sektionen der KI gefordert und die Notwendigkeit festgestellt, in der Beschlussfassung „von den konkreten Verhältnissen und Besonderheiten jedes einzelnen Landes auszugehen und, in der Regel, ein unmittelbares Eingreifen in interne organisatorische Angelegenheiten der kommunistischen Parteien zu vermeiden“ (Komintern 1943). In diesem Sinne habe man bereits im November 1940 den Beschluss der KP der USA zum Austritt aus der KI gebilligt.

Aus diesem Grunde werde nun die KI aufgelöst, ihre Sektionen von allen Verpflichtungen ihr gegenüber entbunden und stattdessen alle Kräfte auf die Unterstützung des Krieges gegen den Faschismus konzentriert.

Die problematische Tendenz des 7. WK, den Kampf gegen den Faschismus zu verabsolutieren, ihm alles andere, ja selbst die Existenz kommunistischer Organisationen überhaupt unterzuordnen, setzt sich mit dieser verheerenden Entscheidung fort. Die Entscheidung selbst beraubte die kommunistischen Parteien ihres wichtigsten Instrumentes, um zu einer gemeinsamen Strategieentwicklung zu finden. Sie findet ihren Ausdruck darin, dass nicht nur vor und während des Krieges, sondern auch danach kommunistische Parteien es versäumten, die revolutionäre Situation zur Machteroberung auszunutzen.

Die Begründung, nationale Besonderheiten der verschiedenen Länder zum Hindernis für eine gemeinsame Strategie der kommunistischen Parteien zu erklären, war dieselbe, die später vom Eurokommunismus und anderen opportunistischen Tendenzen (beispielsweise dem Maoismus) verwendet wurde, um ihre Entsolidarisierung mit den sozialistischen Staaten und ihre Abwendung von revolutionären marxistisch-leninistischen Standpunkten zu legitimieren. Bis heute wiegt dieses Erbe schwer. Viele kommunistische Parteien verbitten sich bis heute eine kritische Diskussion über ihre Politik und Programmatik mit dem Hinweis auf die „Nichteinmischung“ in die Angelegenheiten jeder KP und auf „nationale Besonderheiten“. Dies erweist sich als gewaltiges Hindernis für die notwendige revolutionäre Neuausrichtung und Stärkung der kommunistischen Weltbewegung.

Die Spätfolgen des VII. Weltkongresses der Komintern

Anhand verschiedener Beispiele wurde bereits im vorherigen Kapitel darauf hingewiesen, wie sich die Orientierungen des 7. WK nach dem Krieg in immer problematischerer Weise fortsetzten.

Bereits zur Sprache gekommen ist der Gründungsaufruf der KPD von 1945 für ein antifaschistisch-demokratisches Deutschland und einen Block aller „demokratischen Parteien“. Indem dabei großzügig mit dem Begriff „Demokratie“ umgegangen wurde, indem sogar die KPD gemeinsam mit den bürgerlichen Parteien, die den Faschismus immerhin mitverschuldet hatten, unter den Oberbegriff der „demokratischen Parteien“ gefasst wird, ging der Wesensunterschied und Gegensatz zwischen sozialistischer Demokratie und bürgerlicher „Demokratie“ verloren. Dies fügte sich ein in eine Interpretation des Zweiten Weltkriegs, wonach die Kräfte der „Demokratie“ gemeinsam die der Reaktion besiegt hätten: „mit der Sowjetunion, England und den Vereinigten Staaten an der Spitze, stand die Sache der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Fortschritts“ (KPD 1945). Dass der Krieg zwischen den USA und England auf der einen Seite, Japan und Deutschland auf der anderen ein zwischenimperialistischer Krieg zwischen Mächten war, deren Gemeinsamkeiten grundlegender waren als ihre Unterschiede, wurde nicht benannt. Stattdessen erscheinen die imperialistischen Siegermächte als selbstlose Heilsbringer. Dabei hatte Großbritannien schon 1944 begonnen, mithilfe faschistischer Kräfte in Griechenland die Befreiungsbewegung zu bekriegen. Wenige Jahre später folgte der Griechische Bürgerkrieg, die verbrecherischen Kolonialkriege Englands und Frankreichs sowie mit dem Koreakrieg ein neuer Unterwerfungs- und Vernichtungskrieg des US-Imperialismus, der Millionen Leben kostete.

Trotzdem wurde die bürgerliche Demokratie nun nicht mehr primär als eine besser verschleierte Form kapitalistischer Herrschaft gesehen, sondern als ein fortschrittlicher Rahmen, in dem der Kampf um den Sozialismus besser geführt werden konnte. Der Gegensatz zu den systemstützenden Parteien trat in den Hintergrund und sollte jedenfalls ein strategisches Bündnis mit diesen nicht behindern.

Auch die Orientierung des 7. WK auf eine geeinte „Arbeiterpartei“ kam in problematischer Weise zu ihrer Verwirklichung. Es kann gewissermaßen als historischer Glücksfall gelten, dass die Vereinigung zur SED nur in der SBZ unter sowjetischer Aufsicht zustande kam und daher die reaktionären, proimperialistischen Tendenzen der Sozialdemokratie unter Kontrolle blieben. Im Westen wäre eine solche Vereinigung vermutlich der Liquidation der kommunistischen Partei gleichgekommen. Eine nach dem Faschismus stark geschwächte und inhaltlich keineswegs völlig konsequente KPD hätte sich mit vielen Tausenden Sozialdemokraten vereint, die zwar durch die Erfahrungen der vorangegangenen Jahre offener für antikapitalistische Positionen geworden waren, aber auch in ihrer großen Mehrheit sicherlich nicht einmal ansatzweise ein marxistisches Verständnis entwickelt hatten, wie es für Mitglieder einer revolutionären Partei erforderlich ist.

Aber auch in Ostdeutschland gab es bedeutenden Widerspruch gegen die Vereinigung: Überall weigerten sich Genossen, der Einheitspartei beizutreten, weil diese als opportunistisch beurteilt wurde. Nur für Berlin kennen wir den Umfang dieser Verweigerung und dort umfasste sie 10% der Mitglieder. Georg Fülberth vermutete 1990, dass die KPD 1946 „weit gründlicher untergegangen“ sei als die SPD, denn in der SED seien „im Laufe der Jahrzehnte sozialdemokratische Verhaltensweisen mehr eingeübt worden als kommunistische“. Doch obwohl die Bedenken der „Einheitsskeptiker“ in der KPD vermutlich berechtigt, oder in jedem Fall zumindest bedenkenswert waren, fiel Walter Ulbricht dazu nichts Besseres ein, als in schlechtester Tradition an Pieck zu berichten, die Mehrheit der Berliner Genossen sei „sektiererisch“ eingestellt (alles zitiert nach: Schwarz 2016).

Die KPD in Westdeutschland entwickelte sich auch nach ihrem Verbot 1956 weiterhin sehr problematisch. 1968 legte sie einen Programmentwurf vor, den der KPD-Vorsitzende Max Reimann in einem Interview erläuterte. Reimann: „Wir treten für einen friedlichen und demokratischen Weg der sozialistischen Umwälzung in der Bundesrepublik ein. (…) Wir sind uns klar darüber, daß ein friedlicher Entwicklungsweg der sozialistischen Umwälzung die Erringung eines solchen Übergewichts der Kräfte auf seiten des arbeitenden Volkes verlangt, das es der Reaktion unmöglich macht, Gewalt gegen das Volk anzuwenden.(…)  Wir wollen einen friedlichen und demokratischen Weg der sozialistischen Umgestaltung gerade dadurch ermöglichen, daß wir schon im Kampfe um demokratische und antimonopolistische Veränderungen das Zusammengehen von Kommunisten und Sozialisten in und außerhalb der SPD ein breites Bündnis der demokratischen Kräfte aus allen werktätigen Volksschichten anstreben.“. Generell wurde nur noch die CDU/CSU als Partei des Kapitals und damit als Gegner ausgemacht, während man die SPD ambivalent und als potenziellen Bündnispartner beurteilte. Reimann beteuerte „Unsere Partei entwickelt ihre Politik und kämpft auf dem Boden des Grundgesetzes“, da man der Meinung sei „daß das Grundgesetz von den verfassungsrechtlichen Grundlagen her dem arbeitenden Volk und allen Demokraten durchaus Raum bietet für die Realisierung sowohl ihrer demokratischen Vorstellungen wie ihrer gesellschaftspolitischen Ziele“. Es zeigte sich ein bürgerliches Staatsverständnis, wonach der Staat und seine Institutionen wie Parlament und Verfassung lediglich von den Machenschaften privater Interessengruppen gekapert, aber eigentlich auch im Sinne der Arbeiterklasse und der Transformation zum Sozialismus nutzbar seien. Der Buchstabe des Gesetzes wurde ganz im Sinne der bürgerlichen Rechtsillusionen unabhängig von den realen Machtverhältnissen für bare Münze genommen. Dementsprechend stellte man sich auch den Sozialismus als eine reformierte Variante der bürgerlichen Demokratie vor: „Wir erklären ausdrücklich, daß wir eine sozialistische und fortschrittliche Parlamentsmehrheit erstreben, eine sozialistische Ordnung, die sich auf ein Mehrparteiensystem gründet und in der eine parlamentarische Minderheit die verfassungsmäßigen Rechte wahrnehmen kann“ (zitiert nach Steigerwald 1968). Der qualitativ neue Charakter der proletarischen Demokratie, die sich gerade nicht durch das Geschacher zwischen den Klassenparteien, sondern durch die Machtausübung ausgehend von den Produktionseinheiten und Lebensmittelpunkten der Arbeiterklasse auszeichnet, wurde negiert.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die programmatische Rechtsentwicklung der KPD einfach ein taktisches Manöver war, um das KPD-Verbot aufzuheben, obwohl auch das fragwürdig wäre. In Wirklichkeit war diese Entwicklung lediglich ein Teilaspekt der Ausbreitung des Opportunismus in der gesamten kommunistischen Weltbewegung. Die kommunistischen Parteien Westeuropas, von denen die meisten während des Krieges enorm erstarkt waren, rückten in ihrer Programmatik und Praxis kontinuierlich nach rechts, hin zur praktischen, dann auch theoretischen Versöhnung mit dem Kapitalismus. Die Entstehung des „Eurokommunismus“ als einer offen opportunistischen bzw. sozialdemokratischen, antikommunistischen und proimperialistischen Strömung unter dem Deckmantel des Kommunismus, war trauriger Höhe- und Endpunkt dieser Entwicklung. Der „Eurokommunismus“ ist freilich nicht das zentrale Thema des Artikels, dennoch muss hier einiges dazu gesagt werden. Es herrscht oftmals der Mythos vor, die „eurokommunistische“ Sozialdemokratisierung der großen KPen Europas (vor allem der französischen, spanischen und italienischen KP) habe sich als plötzlicher Bruch und Verrat vollzogen. Das Jahr 1968, wo die genannten Parteien sich offen von der Sowjetunion distanzierte, als diese gemeinsam mit den Staaten des Warschauer Paktes die Konterrevolution in der Tschechoslowakei niederschlug, gilt oft als der Zeitpunkt dieses Bruches. Doch wer wirklich nach einem punktuellen Ereignis sucht, an dem aus „orthodoxen“ kommunistischen Parteien reformistische Gebilde geworden seien, muss zwangsläufig scheitern.

Die Wahrheit ist, dass es sich um eine graduelle Entwicklung handelt, die keineswegs erst 1968 beginnt, sondern eine Jahrzehntelange Vorgeschichte hat. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs waren 1945 die französische und italienische KP (PCF bzw. PCI) den Regierungen der nationalen Einheit beigetreten, so wie andere KPen in West- und Osteuropa. In beiden Ländern waren die Ergebnisse sehr negativ.

Das Generalkommando der italienischen Partisanen hatte sich bereits im Dezember 1944 im „Römischen Protokoll“ dem Oberkommandierenden der alliierten Streitkräfte in Italien unterworfen. Als Teil der Regierung machte die PCI dann ein Zugeständnis nach dem anderen, und das ohne wesentliche Gegenleistungen der bürgerlichen Parteien. Im Juni 1945 gab Togliatti als Justizminister der Forderung nach, eine Amnestie für Verbrechen der Faschisten zu erlassen. 20-30.000 Verfahren gegen Faschisten wurden eingestellt, über 11.000 bereits erlassene Urteile, teils gegen schwerste Kriegsverbrecher, wurden aufgehoben oder durch Begnadigungen annulliert. Währenddessen saßen zahlreiche Antifaschisten weiterhin im Gefängnis. Die Lateranverträge mit dem Vatikan, die unter Mussolini geschlossen worden waren und das enge Bündnis zwischen Staat und katholischer Kirche, die Anerkennung des Vatikans als eigenen Staat und hohe Entschädigungszahlungen an die Kirche beinhalteten, wurden mit den Stimmen der PCI in der Verfassungsgebenden Versammlung bestätigt.

Am schwerwiegendsten aber war die Entscheidung der PCI, die Entwaffnung und Auflösung der mehrere Hunderttausend Kämpfer starken Partisanenverbände sowie der Liquidierung der lokalen Befreiungskomitees zuzustimmen. Damit entmachtete die PCI die revolutionäre, zum Sozialismus drängende Volksbewegung. Die Partisanen lehnten diesen Schritt zu großen Teilen ab und verweigerten in zahlreichen Fällen die Übergabe der Waffen, sodass nach einer Schätzung nur etwa 60% der Waffen und meist die minderwertigen Bestände abgegeben wurden. Im Juli 1948 kam es zu einem faschistischen Mordanschlag auf Togliatti, den dieser schwerverletzt überlebte. Daraufhin brach ein spontaner bewaffneter Volksaufstand los, bei dem Zehntausende Partisanen ihre Waffen aus den Verstecken holten. Die PCI-Führung schaffte es gerade noch, den Aufstand und damit den Übergang zum revolutionären Bürgerkrieg zu verhindern.

Die Zugeständnisse an die Bourgeoisie auf taktischem Gebiet wurden begleitet durch einen auch zunehmenden theoretischen Opportunismus der PCI. Anfang 1945 erklärte sie, man würde „heute nicht für eine Diktatur des Proletariats kämpfen, sondern für eine progressive Demokratie, die sich von jener nicht so sehr in ihrer demokratischen Substanz unterscheidet als vielmehr in ihrem sozialen Gehalt“. Gemeint war also eine bürgerliche Republik, die politisch ebenso demokratisch wäre wie die Diktatur des Proletariats, aber nicht „radikal das Prinzip der kapitalistischen Ausbeutung“ beseitige, sondern im Gegenteil das Privateigentum garantiere. Hier wurde die Macht- und Demokratiefrage von der Frage der Eigentumsverhältnisse abgelöst und ein marxistisches Staatsverständnis somit aufgegeben. Auch im Verhältnis zur Sozialdemokratie machte sich der zunehmende Opportunismus bemerkbar: Togliatti schlug im April 1945 der sozialdemokratischen PSI eine Fusion mit der PCI zu einer gemeinsamen Arbeiterpartei vor, die die Sozialdemokraten jedoch ablehnten (Feldbauer 2012). Auch ökonomisch entwickelte sich die Lage der Arbeiterklasse geradezu katastrophal, da in der Zeit der Einheitsregierung die Lebenshaltungskosten um den Faktor 23 stiegen, die Löhne jedoch nur um das 1,5fache. (Skolarikos 2015, 45).

Die PCI entschloss sich gegen Kriegsende nicht dazu, nicht zur revolutionären Offensive, obwohl die USA sich in einer militärischen Schwächephase befanden und generell die Bedingungen für einen Erfolg so günstig waren wie nie zuvor und nie wieder danach. Grund war, dass man im Gefolge der Beschlüsse des 7. WK (und in deren rechtsopportunistischer Verfälschung) das Bündnis mit den bürgerlichen Parteien, insbesondere mit Sozial- und Christdemokraten, als strategisch zentral einstufte und bereit war, für die Fortsetzung dieser Zusammenarbeit extrem weitreichende Zugeständnisse zu machen (Feldbauer 2012).

Generalsekretär Palmiro Togliatti begründete schließlich und konsequenterweise auf dem 8. Parteitag der PCI die Möglichkeit eines friedlichen Wegs zum Sozialismus. Es gebe nun „wichtige Schlussfolgerungen für die Strategie und Taktik der kommunistischen Bewegung: Die Bejahung der Möglichkeit der Vermeidung des Krieges wegen der veränderten Konstellation der Welt, die Anerkennung der Möglichkeit eines Übergangs zum Sozialismus, der den bewaffneten Aufstand ausschließt und innerhalb des Rahmens der demokratischen Gesetzlichkeit abläuft und dabei auch die demokratischen Institutionen nutzt.“ (zit. nach Skolarikos 2015, 75). Auf der Grundlage ihrer immer offener reformistischen Strategie entwickelte sich die PCI bis in die 80er zu einer klassisch sozialdemokratischen Partei. In den 70ern arbeitete man bereits eng mit der christdemokratischen Regierung zusammen und trug deren Politik der Haushaltskonsolidierung und Lohnsenkungen mit. Der PCI kam dabei eine wichtige Rolle zu, da sie immer noch hohes Ansehen in der Arbeiterklasse genoss. Ihr Vorsitzender Napolitano konnte 1976 den Arbeitern erklären, warum ihre unmäßigen Lohnforderungen in der Vergangenheit nun eine Wende zur Austeritätspolitik notwendig machten (Skolarikos 2015, 90). Auf dem Parteitag 1989 war die Mitgliederbasis dann bereits weitestgehend sozialdemokratisiert: Laut einer Umfrage unter den Delegierten glaubten nur noch ein Viertel an die Möglichkeit einer klassenlosen Gesellschaft, nur noch 10% hielten die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln für notwendig, nur noch 3% das Absterben des Staates (Skolarikos 2015, 94).

Nicht weniger tragisch ist die Geschichte der französischen KP. Wie die italienische war sie im Krieg massiv erstarkt, vereinte nach dem Krieg ein Viertel der Wählerstimmen auf sich und war im Industrieproletariat sehr stark verankert. Auch sie beteiligte sich an einer Regierung der nationalen Einheit mit bürgerlichen Parteien. Auch hier waren die Folgen für die Arbeiterklasse negativ, da die PCF höchste Priorität auf den ökonomischen Wiederaufbau legte und die Gewerkschaften zur Mäßigung ihrer Forderungen bewegte (Skolarikos 2015, 106). Auch die PCF verfolgte schon ab 1945 keine klare revolutionäre Linie mehr. Ihr Generalsekretär Maurice Thorez, in der kommunistischen Weltbewegung eine fast ebenso wichtige Figur wie Palmiro Togliatti, erklärte 1946 in einem Interview: „Der Fortschritt der Demokratie auf der ganzen Welt, mit den seltenen Ausnahmen die es gibt und die die Regel bestätigen, lassen die Hoffnung, dass es auch andere Wege zum Sozialismus gibt als den, den die russischen Kommunisten wählten. (…) Die französische Partei der Arbeiter, die wir durch die Vereinigung der Kommunisten und Sozialisten zu schaffen wünschen, wird den Weg zu dieser neuen Demokratie des Volkes anleiten“ (Skolarikos 2015, 107). Auf dem 14. Parteitag der PCF 1956 führte er diese Idee weiter aus. Die Lage in Frankreich eröffne dem Proletariat neue Möglichkeiten: „Sie birgt die Möglichkeit der Vereinigung (…) der Mehrheit des französischen Volkes, und dank dieses Bündnisses wird das Parlament selbst von einem Organ der Diktatur der Bourgeoisie zu einem echten Organ des Volkswillens. Sogar jetzt schon sind die Kommunisten und Sozialisten nicht mehr weit davon entfernt, die Mehrheit in der Nationalversammlung zu erreichen.“ (ebd, 115). Hier findet sich also, lange vor dem angeblichen „Bruch“ von 1968, in der PCF bereits die Vorstellung einer Transformation des bürgerlichen Staatsapparates auf „demokratischem“, d.h. legalem, institutionellem Weg. Um diesen evolutionären Weg zum Sozialismus zu ermöglichen, wird das feste Bündnis mit der Sozialdemokratie für entscheidend erklärt.

Auch bei Thorez taucht die Idee eines breiten Blocks politischer und gesellschaftlicher Kräfte auf, der selbst Teile der Bourgeoisie miteinschließt. So forderte er auf dem ZK-Plenum der PCF vom 14.10.1960: „Das Bündnis das wir wollen geht viel weiter als das, was man normalerweise die Linke nennt. Es muss alle gesellschaftlichen Schichten umfassen, die von den Trusts unterdrückt werden: Die Arbeiterklasse, die werktätige Bauernschaft, die Intellektuellen, die kleinen Händler und Handwerker und auch die kleinen Kapitalisten, die von der Konkurrenz der Großunternehmen zerdrückt werden“ (Skolarikos 2015, 110).

Dahinter steht die illusionäre Vorstellung, dass die monopolkapitalistische Herrschaft in Wirklichkeit sehr schwach sei, da sie keine reale Klassenbasis hat und bis auf eine winzige Minderheit (die Monopole, der äußere Einfluss des US-Imperialismus, die Faschisten) eigentlich alle ein Interesse am Sozialismus haben. Das Kapital wurde nicht mehr im marxistischen Sinne als übergreifende gesellschaftliche Beziehung verstanden, der Imperialismus wurde als ein dem italienischen bzw. sogar dem französischen Kapitalismus äußerliches Phänomen verstanden. Ergebnis war eine idealistische Vorstellung von der Machtübernahme der fortschrittlichen Kräfte auf der Grundlage einer Bewusstwerdung breitester Schichten in antifaschistisch-demokratischer Richtung.

Auch die PCF führte sich selbst durch ihre Politik in den Abgrund der Sozialdemokratie. Schon 1965 stützte sie ohne Vorbedingungen die Präsidentschaftskandidatur Mitterands. Georges Marchais, Generalsekretär der PCF 1972-1994, erläuterte das Programm „Sozialismus in Frankreichs Farben“ von 1976 folgendermaßen: „Es sei mir erlaubt festzuhalten, dass vor allem die Einheitspolitik eine prinzipielle Politik für unsere Partei ist, weil die Einheit der Werktätigen, die Einheit des französischen Volkes eine Erfolgsbedingung im Kampf für die demokratische und sozialistische Transformation der französischen Gesellschaft ist. Die Übereinkunft zwischen Kommunisten und Sozialisten muss das Fundament, der Pol dafür sein. Genau dafür, wollen wir eine stabile und dauerhafte Zusammenarbeit zwischen der sozialistischen und unserer Partei erreichen, nicht nur in der heutigen Kampfesphase, sondern auch in der Zukunft, wenn es um den Aufbau des Sozialismus gehen wird.“ (ebd. 152). Man glaubte also nun, den Sozialismus gemeinsam mit dem Klassenfeind erreichen und aufbauen zu können.

Diese kurzen Ausführungen zum „Eurokommunismus“ waren notwendig, weil sie zeigen, dass dieser nicht das Ergebnis eines heimtückischen Verrats an kommunistischen Ideen durch eine kleine Clique war, sondern sich als schleichende Entfernung von marxistischen Analysen und kommunistischen Politikgrundsätzen vollzog.

Die opportunistische Politik der KPen der Nachkriegszeit verstand sich selbst als konsequente Fortsetzung der antifaschistischen Einheits- und Volksfront, also letztlich als Weiterentwicklung der Thesen des 7. WK. Dies konnte sie zwar nur, indem bestimmte Elemente der Komintern-Politik der 30er selektiv ausgeblendet wurde, etwa die Kritik an der mangelnden Konspiration und das Festhalten an der negativen Einschätzung der Sozialdemokratie. Gleichzeitig beriefen sich die Kommunisten nach 1945 aber in Teilen durchaus zu Recht auf den 7. WK – was aber natürlich ihre Politik kein bisschen richtiger macht. Die vielen richtigen Ansätze der Aktionseinheitspolitik der Komintern von vor 1935, die danach strebte, die Arbeitermassen dem Einfluss aller bürgerlichen Kräfte und dabei insbesondere auch der Sozialdemokratie zu entziehen und auf der Grundlage des Klassenkampfes gegen den Faschismus zu organisieren, wurden aufgegeben. Ebenso viele der reichhaltigen Erfahrungen, die bei der Organisierung der Arbeiterklasse für ihre Interessen gemacht wurden, nicht zuletzt von der KPD.

All das fand im Kontext einer problematischen Entwicklung auch der KPdSU statt und diese Prozesse vollzogen sich in enger Wechselwirkung miteinander.

Maoistische und hoxhaistische (an Enver Hoxha, dem Führer der Partei der Arbeit Albaniens 1944-1985 orientierte) Lesarten haben die opportunistische Wende in der KPdSU auf den 20. Parteitag 1956 datiert. Diese Sichtweise hat auch unter Marxisten-Leninisten große Verbreitung gefunden. Sie ist aber problematisch, da sie dem Prozesscharakter der Entwicklung des Opportunismus nicht gerecht wird und alles vor diesem Datum willkürlich ausblendet (abgesehen von den falschen maoistischen Analysen, die in der Folgezeit die opportunistischen Tendenzen verabsolutierten und den sozialistischen Charakter der sowjetischen Gesellschaft infragestellten). Ernsthafte theoretische Probleme wies die Linie der KPdSU bereits auf ihrem 19. Parteitag (1952) auf, an dem Stalin noch mitwirkte. Die Dominanz des US-Imperialismus wurde verabsolutiert und dementsprechend die Politik aller anderen kapitalistischen Länder, selbst führender imperialistischer Staaten wie England, Frankreich und der Niederlande, als „von den amerikanischen Imperialisten diktiert“ (KPdSU(B) 1952, S. 2687) interpretiert. Damit einher ging eine Analyse, die Kriege nicht mehr konsequent als Phänomen des Imperialismus als System interpretierte, sondern als Folge der aggressiven US-Außenpolitik. Die logische Folge war die Politik der friedlichen Koexistenz mit dem Imperialismus, die entgegen eines weitverbreiteten Irrtums nicht erst auf dem 20., sondern schon auf dem 19. Parteitag beschlossen wurde (ebd., S. 2693). Insgesamt ist der 19. Parteitag aber immerhin noch ambivalent zu beurteilen, da er auf der anderen Seite auch die Notwendigkeit einer starken sozialistischen Staatsmacht und des fortgesetzten ideologischen Klassenkampfes gegen die bürgerliche Ideologie betonte.

Der 20. Parteitag im Jahr 1956 kam dann jedoch nicht aus heiterem Himmel, sondern konnte auf den fehlerhaften Einschätzungen des vorherigen Parteitags aufbauen. Er war trotzdem in vieler Hinsicht eine Wende zu einer äußerst problematischen, opportunistischen Politik. Das beginnt mit Chruschtschows berühmter Geheimrede „Über den Personenkult und seine Folgen“, in der er einen negativen Personenkult gegen Stalin konstruierte, der zudem auf einer Vielzahl von Lügen und Verzerrungen aufbaute, wie mittlerweile nachgewiesen wurde (Furr 2014). Chruschtschows Abrechnung mit Stalin hatte aber nicht nur den Zweck, seine eigene Verantwortung für begangene Verbrechen unter den Teppich zu kehren, sondern bildete auch den Auftakt für eine Wende in der Politik. Mit dem 20. Parteitag wurden die friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus und die Nichteinmischung in andere Länder zum „leninistischen“ Prinzip erhoben und die „Etablierung fester freundschaftlicher Beziehungen zwischen (…) der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten von Amerika“ zum Ziel der Außenpolitik erklärt (Khrushchov 1956, S. 34) – es ist offensichtlich, dass die „Freundschaft“ mit einem Staat, der wenige Jahre zuvor Griechenland bombardiert und einen genozidalen Vernichtungskrieg in Korea geführt hatte, etwas anderes ist als das Streben nach Verhinderung eines Atomkriegs.

Doch der 20. Parteitag ging noch weiter: Aus der gestärkten Position des Sozialismus leitete man ab, dass es möglich sei, auf parlamentarischem und friedlichem Weg den Sozialismus einzuführen und das bürgerliche Parlament „zu einem Organ der echten Demokratie, der Demokratie der Werktätigen“ zu machen (ebd, S. 45f).

Zu den beiden genannten Parteitagen der KPdSU wäre noch einiges mehr zu schreiben, was aber eine Aufgabe für einen anderen Text ist. Hier soll nur festgehalten werden, dass sich die aufgezeigte Kontinuität problematischer Einschätzungen und opportunistischer Schlussfolgerungen auch in der sowjetischen KP findet.

Es ist daher historisch nicht sauber, wie Stoodt einfach darauf zu verweisen, dass die Volksfrontpolitik 1939 zurückgenommen worden sei. Damit wird ignoriert, dass in Wirklichkeit diese Politik in abgewandelter und noch problematischerer Form ab 1941 wieder aufgenommen wurde – ob dieser Vorgang offiziell von der KI so gekennzeichnet wurde, ist dabei nicht das Entscheidende. Für die Zeit des Krieges mag diese Politik noch relativ leicht zu rechtfertigen sein, weil die kommunistische Weltbewegung damals richtigerweise all ihre Energien auf den militärischen und politischen Abwehrkampf gegen die faschistischen Invasoren konzentrierte. Allerspätestens für die Zeit ab 1945 – eher schon davor – stellt dieses Erbe jedoch ein echtes Problem für die kommunistische Weltbewegung dar.

Dabei steht außer Frage, dass auch in der Nachkriegszeit die Sowjetunion objektiv in eine defensive Position gedrängt war, trotz (und teilweise gerade wegen) der erheblichen Geländegewinne im Kriegsverlauf. Aus dieser Situation heraus orientierte die Moskauer Führung die europäischen Schwesterparteien darauf, nicht die instabile Verfassung des Nachkriegskapitalismus zur revolutionären Machteroberung auszunutzen, sondern stattdessen zur Stabilisierung der neu entstandenen Ordnung in Europa beizutragen. Dies war kein Resultat irgendeiner Einschätzung, dass die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Revolution nirgendwo bestanden. Zumindest in Griechenland bestanden sie 1944 zweifellos, wahrscheinlich auch in Italien im Frühjahr 1945 und möglicherweise auch in Frankreich, wurden aber nicht im Sinne der sozialistischen Umwälzung genutzt, weil die kommunistische Weltbewegung zu diesem Zeitpunkt kein Konzept dafür hatte, wie der antifaschistische Kampf als ein Aspekt des Kampfes um die Macht geführt werden konnte.

Der 7. WK der KI war für alle diese negativen Entwicklungen ein Schlüsselereignis. Nicht nur die Zeitgenossen beanspruchten, auf dem Boden seiner Beschlüsse zu stehen. In vieler Hinsicht taten sie es auch.

Fazit

Der 7. WK benannte einiges richtig und kritisierte manches an der Praxis der Kommunisten in den vorigen Jahren zu Recht. Wo genau sich tatsächlich auch problematische Aspekte der Politik der KPD vor 1935 finden, müsste an anderer Stelle genauer untersucht werden. Trotzdem stellt er, wie hier dargelegt wurde, im Großen und Ganzen eine politische Wende nach rechts dar. Seine Beschlüsse stellen zwar überwiegend noch keine Hinwendung zum offenen Opportunismus oder Revisionismus dar, wobei beispielsweise die Überlegungen zur „geeinten Arbeiterpartei“ bereits in diese Richtung tendieren. Es wurden aber, verständlicherweise vor dem damaligen historischen Hintergrund, eine Reihe problematischer Einschätzungen getroffen, die sich im kommunistischen Strategiebestand verfestigt haben, zur Theorie geworden sind und damit bis heute ein bleibendes Einfallstor des Opportunismus darstellen.

Diese Punkte sind: Eine teilweise falsche Klassenanalyse des Faschismus; die Neubestimmung des Verhältnisses zur Sozialdemokratie als einer verbündeten Kraft, in der es auch „revolutionäre“ Tendenzen gibt; die Zielstellung einer vereinten Arbeiterpartei, d.h. die Aufgabe der Eigenständigkeit der kommunistischen Parteien; die Befürwortung kommunistischer Regierungsbeteiligungen im Kontext eines allgemeinen und unkonkreten Theoretisierens über „Übergangsformen“, die schließlich so weit gingen, die bürgerliche Demokratie selbst unter bestimmten Kräfteverhältnissen bereits als mögliche Übergangsform zum Sozialismus zu begreifen; schließlich auch die unsachliche, destruktive und dogmatische Polemik gegen „ultralinke Sektierer“ und „Doktrinäre“.

Daraus entwickelte sich eine politische Linie, in der Regierungsbeteiligungen von Kommunisten nicht mehr als seltener und gut zu begründender Ausnahmefall, sondern zunehmend als legitime und übliche Taktik im Klassenkampf gesehen wurden; wonach die Sozialdemokratie und andere vermeintlich „fortschrittliche“ bürgerliche Kräfte als strategischer Bündnispartner gesehen wurde, teilweise selbst noch im sozialistischen Aufbau; wonach der Fokus auf „breiteste Bündnisse“ des ganzen Volkes gelegt wurde, was die Zentralität der Arbeiterklasse herunterspielte und selbst Teile der Bourgeoisie einbeziehen sollte; wonach der Sozialismus nicht mehr als unmittelbares Kampfziel gesehen wurde, sondern erst nach tiefgreifenden Reformen im Rahmen einer Übergangsetappe für möglich gehalten wurde; wonach dementsprechend die KPen sich nicht mehr auf die direkte Konfrontation mit den Staatsapparaten vorbereiteten und sich entsprechend organisierten, sondern vielmehr selbst als Sammelbecken für alle möglichen progressiven Menschen fungierten. Diese kontinuierliche Entwicklung hin zum rechten Opportunismus war selbstverständlich keine Zwangsläufigkeit. Sie hätte natürlich auch korrigiert werden können. Da aber auch in der KPdSU der rechte Opportunismus kontinuierlich erstarkte und auch die chinesische KP einen Schlingerkurs zwischen „ultralinkem“ und rechtem Opportunismus verfolgte (mit ihrer falschen „Sozialimperialismus“-These, der Annäherung an den US-Imperialismus, dem nationalistischen Geschichtsbild, dem Bündnis mit der „nationalen Bourgeoisie“, den ultralinken Tendenzen der Kulturrevolution) und ab 1978 dann auf eine offen rechtsopportunistische und prokapitalistische Linie einschwenkte, waren die Kräfteverhältnisse für eine solche Korrektur aber denkbar ungünstig.

In Diskussionen unter Kommunisten wird oft davor gewarnt, dass nicht hinter die Erkenntnisse des 7. WK „zurückzufallen“ sei. Von einem Rückfall kann aber selbstverständlich nur die Rede sein, wenn die Voraussetzung stimmt, dass der 7. WK der Maßstab für die Richtigkeit kommunistischer Strategie und Taktik überhaupt ist. Eine solche Haltung ist allerdings schlicht dogmatisch und dem Wesen des Marxismus-Leninismus, der von der Notwendigkeit ständiger Weiterentwicklung und Überprüfung ausgeht, entgegengesetzt.

Am Ende bleibt nur, die von Stoodt aufgeworfene Frage zu wiederholen: Wo hatte die Volksfront je Erfolg? Dabei geht es nicht darum, zu verneinen, dass sie jemals richtig gewesen sein mag. Vermutlich hätte es z.B. spätestens nach dem Putsch der Generäle in Spanien 1936 ohnehin keine ernsthafte Alternative zu irgendeiner Form der Kooperation mit der Republik gegeben. So konnte der militärische Widerstand gegen den Faschismus immerhin für gut zwei Jahre aufrechterhalten werden, seinen Sieg verhindern konnte er jedoch bekanntlich nicht. Die im besten Fall mageren, im schlechteren (und häufigeren) Fall verheerenden Ergebnisse der Volksfrontpolitik sollten ausreichenden Anlass bieten, die Gültigkeit dieser Orientierung auf ganz bestimmte Fälle einzuschränken. Und auch dann eine solche Politik an größte weltanschauliche und politische Klarheit der Kommunistischen Partei zu knüpfen – eine Voraussetzung, die historisch in der KI nicht einschränkungsfrei gegeben war, wie hier gezeigt wurde.

Auf gar keinen Fall kann es überzeugen, wenn für die heutige Situation, die sich von der der Weimarer Republik ab 1930 doch beträchtlich unterscheidet, dieselben taktischen Orientierungen gefordert werden. Eine Orientierung auf sogenannte „breite Bündnisse“ mit allen möglichen bürgerlichen Kräften kann eben nicht dem Aufbau einer wahrhaft breiten Widerstandsfront gegen Faschismus, Krieg und Kapitalismus, sondern leistet objektiv einen Beitrag zur Trübung des Bewusstseins, zur Dämpfung spontaner radikaler Impulse in den Massen, zur Verwischung der Trennlinie zwischen revolutionären und systemerhaltenden Kräften, zur Unglaubwürdigkeit der Kommunisten, letztlich zu ihrer Integration in den bürgerlichen Staat und seine Herrschaftsinstrumente, zu denen auch die Gewerkschaftsapparate gehören. Zu den entscheidenden Unterschieden der heutigen Situation im Vergleich zu der von 1930ff gehört einerseits, dass die Reaktion heute nicht als offen faschistische Massenbewegung vormarschiert, sondern als Zusammenspiel von reaktionär-autoritärem Staatsumbau und rassistisch-nationalistischem Populismus. Andrerseits ist die objektive Funktion der Sozialdemokratie eine andere, weil diese nicht mehr in der Lage ist, den Großteil der Arbeiterklasse organisatorisch direkt an sich zu binden. Das Argument, nur durch die Kooperation mit der Sozialdemokratie die proletarische Einheitsfront aufbauen zu können, verliert damit (noch weiter) erheblich an Überzeugungskraft.

Dass in vielen kommunistischen Parteien, auch in der DKP, in den letzten Jahren Schritte stattgefunden haben, eine historisch-materialistische Haltung zur Person Stalins zu entwickeln, dass die Bedeutung des positiven Beitrags, der unter der Führung Stalins zum sozialistischen Aufbau und zur Stärkung der kommunistischen Bewegung geleistet wurde inzwischen richtiger eingeschätzt wird, ist zu begrüßen. Der antikommunistische Dogmatismus des „Antistalinismus“ hängt der Bewegung schon zu lange als Klotz am Bein. Dies darf aber nicht in einen umgekehrten Dogmatismus umschlagen, der blind dafür wird, welche problematischen Entwicklungen es in jener Zeit, auch unter Mitverantwortung Stalins, gegeben hat. Besonders die Auflösung der Kommunistischen Internationale 1943 wirft bis heute ihren Schatten und hat der Bewegung nachhaltigen Schaden zugefügt. Doch auch die Wende von 1935 auf dem 7. WK gehört zu großen Teilen zum problematischen Erbe dieser Zeit. Das Ergebnis dieser Gesamtentwicklung ist die heutige ideologische und politische Krise der kommunistischen Weltbewegung. Daher ist eine kritische historische Auseinandersetzung damit eine unbedingte Voraussetzung dafür, diese Krise zu überwinden.

Fußnote:

  1. Alle Zitate, sofern nicht anders gekennzeichnet, stammen aus Dimitroffs Rede.

Literatur:

  • Brenner, Hans-Peter 2017: Beschränkte Sichtweise, jW vom 20.2.2017
  • Dimitroff, Georgi 1935: Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale. im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, online: http://www.mlwerke.de/gd/gd_001.htm
  • DKP 1978: Protokoll des Mannheimer Parteitags der Deutschen Kommunistischen Partei, Mannheim.
  • Feldbauer, Gerhard 2012: 1945 fiel in Italien die Revolution aus, offen-siv 6/2012.
  • Furr, Grover 2014: Chruschtschows Lügen, Das Neue Berlin.
  • Khrushchov, Nikita 1956: Report of the Central Committee of the Communist Party of the Soviet Union to the 20th Party Congress, Foreign Languages Publishing House, Moscow.
  • KPD 1931: Schmiedet die rote Einheitsfront!, Aufruf des ZK der KPD, online: http://www.mlwerke.de/th/1931/th311121.htm .
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  • Präsidium des EKKI 1943: Beschluss über die Auflösung der Komintern.
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  • Schleifstein, Josef 1980: Die „Sozialfaschismus“-These: Zu ihrem geschichtlichen Hintergrund, Verlag Marxistische Blätter.
  • Schwarz, Leo 2016: Die Einheitspartei, junge Welt vom 21.4.2016.
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  • Spanidis, Thanasis 2016: Klassenkampf und „antimonopolistische Übergänge“. Ein kritischer Beitrag zur Diskussion um das Programm der DKP, http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2016/05/klassenkampf-und-antimonopolistische-uebergaenge/ .
  • Stalin, Josef 1928: Über die Arbeiten des Vereinigten Aprilplenums des ZK und der ZKK, Referat in der Versammlung des Aktivs der Moskauer Organisation der KPdSU(b), Stalin Werke 11, S. 24.
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  • Thälmann, Ernst 1932: Wie schaffen wir die rote Einheitsfront?, online: http://web.archive.org/web/20070715202206/www.marxistische-bibliothek.de/fragenvonspd.html .
  • Zetkin, Clara 1923: Der Kampf gegen den Faschismus, online: https://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1923/06/faschism.htm .
  • Zilkenat, Reiner 2015: „Die Wende von Moskau“, junge Welt, 20.8.2015

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