Kapitel 9: Sozialistische Gesellschaft

Kapitel 9.1: Sozialistische Gesellschaft: Diktatur des Proletariats

Kapitel 9.2 Politische Ökonomie des Sozialismus und Kommunismus

9.1 Diktatur des Proletariats

9.2 Politische Ökonomie des Sozialismus und Kommunismus

Es wurde nun ausführlich dargestellt, dass der Kapitalismus ein breites Spektrum an gesellschaftlichen Problemen hervorbringt und Elend, Tod und menschenunwürdige Zustände produziert. Ebenso wurde dargestellt, warum die Lösung dieser Probleme nur durch den revolutionären Sturz der Herrschaft der Bourgeoisie und den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft möglich ist. Der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft ist jedoch eine schwierige und komplexe Aufgabe, die selbst zum Gegenstand der wissenschaftlichen Beschäftigung gemacht werden muss und die positiven wie negativen Erfahrungen vergangener sozialistischer Versuche auswerten muss, wenn sie Erfolg haben soll.

Grundsätzlich unterscheidet der Marxismus zwei Phasen der sozialistischen bzw. kommunistischen Gesellschaft: Die erste, unreife Phase der neuen Gesellschaft bezeichnet man auch als Sozialismus. Den entwickelten Sozialismus, die klassenlose Gesellschaft bezeichnet man als Kommunismus.

9.1 Diktatur des Proletariats

Bevor wir uns der Frage zuwenden, welche ökonomischen Grundsätze und Gesetzmäßigkeiten im Sozialismus wirken, werden wir uns mit den politischen Formen beschäftigen, durch die die Arbeiterklasse die Macht ausübt. Denn der Aufbau der sozialistischen Produktionsweise ist überhaupt nur unter der Bedingung der politischen Herrschaft der Arbeiterklasse möglich. Das bedeutet, dass der Sozialismus nicht nur eine bestimmte Art und Weise ist, die Produktion zu organisieren, sondern auch eine bestimmte Form des Staates darstellt.

9.1.1 Diktatur und Demokratie

Der Übergang vom Kapitalismus zur entwickelten kommunistischen Gesellschaft kann natürlich nicht von einem Tag auf den nächsten bewerkstelligt werden. Es handelt sich um einen relativ langwierigen und komplizierten Aufbauprozess, in dem es auch Rückschläge und Umwege geben kann und der während seiner ganzen Dauer verteidigt werden muss – gegen Angriffe derjenigen Kräfte, die ihre Macht und ihre Privilegien durch die Revolution verloren und alles dafür tun würden, sie wiederzuerlangen. Die politische Herrschaft der Arbeiterklasse muss also in dieser Entwicklungsphase in der Lage sein, nicht nur den Aufbauprozess zu organisieren und anzuleiten, sondern auch alle Versuche der Unterminierung und Schädigung des Sozialismus abzuwehren. Marx schreibt: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen in die andre. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts andres sein kann als die revolutionäre Diktatur des Proletariats“ (Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 28).

Jeder Staat ist in seinem Wesen dadurch bestimmt, welche Klasse in ihm die Macht innehat. Der Klassencharakter des Staates geht auch einher mit einer politisch-programmatischen Ausrichtung, die der Staat verfolgt. Während der bürgerliche Staat die Herrschaft der Bourgeoisie absichert, sowie die erfolgreiche Kapitalakkumulation und die Stärkung der Position seines jeweiligen nationalen Kapitals anstrebt, verfolgt der sozialistische Staat den Aufbau und die immer vollständigere Durchsetzung der sozialistischen Produktionsweise. Die Revolution ist also nicht mit der Machtübernahme der Arbeiterklasse beendet, sondern damit fängt die Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse überhaupt erst an: „Dieser Sozialismus ist die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung sämtlicher gesellschaftlicher Beziehungen, die diesen Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.“ (Marx: Klassenkämpfe in Frankreich, MEW 7, S. 90).

Bei den Klassikern des Marxismus wird der Staat in der Übergangsphase des Sozialismus also als „Diktatur des Proletariats“ bezeichnet. Aber warum Diktatur? Dieser Begriff wird in bürgerlichen Diskussionen normalerweise nicht positiv verwendet, sondern gleichgesetzt mit Willkürherrschaft, Menschenrechtsverletzungen und übertriebener Machtkonzentration in einer Person. Viele Menschen sehen im Begriff der Diktatur das Gegenteil zur Demokratie.

Natürlich steht die Diktatur des Proletariats aber nicht im Widerspruch zur Demokratie. Wie wir sehen werden, ist sie im Gegenteil das demokratischste System, das es je gegeben hat. Der Begriff „Diktatur“ wird im Marxismus für politische Herrschaft im Allgemeinen verwendet. Wie gezeigt wurde, ist jeder bürgerliche Staat, auch die bürgerlich-demokratische Republik, dem Inhalt nach eine Diktatur der Kapitalistenklasse. Denn das Wesentliche am bürgerlichen Staat ist, dass er der Herrschaft des Kapitals dient, diese gewaltsam verteidigt und dabei weder die Arbeiterklasse noch das Kleinbürgertum an der Herrschaft beteiligt. Der sozialistische Staat ist dagegen eine Diktatur der Arbeiterklasse in dem Sinne, dass die Arbeiterklasse die herrschende Klasse ist und dass er die alte, gestürzte herrschende Klasse daran hindert, sich die Macht zurückzuerobern und den Kapitalismus wieder herzustellen.

Gegenüber der ehemaligen Ausbeuterklasse und ihre Anhänger, die durch die Revolution nun nicht mehr an der Macht ist und niemanden mehr ausbeuten kann, ist der sozialistische Staat also tatsächlich eine Diktatur. Er verteidigt die Herrschaft der Arbeiterklasse, indem er die alte Kapitalistenklasse darin einschränkt, ihre Propaganda zu verbreiten, sich politisch zu organisieren und gegen die Macht der Arbeiterklasse vorzugehen. Dasselbe gilt für Personen, die zwar nicht der Bourgeoisie angehören, aber politisch für die Rückkehr zum Kapitalismus eintreten, also für die Interessen der Bourgeoisie. Wenn die Angehörigen oder Vertreter der ehemaligen Bourgeoisie sich organisieren, um den Sozialismus zu stürzen, verstoßen sie damit gegen die Gesetze und der Staat wird zu Unterdrückungsmaßnahmen übergehen. Das kann bedeuten, dass die Polizei und Gerichte sich mit dem Problem befassen. Im Russischen Bürgerkrieg, den die alte herrschende Klasse nach der Oktoberrevolution begann, bedeutete es hingegen eine militärische Auseinandersetzung, in der der neu gegründete Arbeiterstaat die revolutionäre Armee gegen den konterrevolutionären Aufstand einsetzte. Die genauen Formen, in denen diese Unterdrückung sich abspielt, hängen dabei von den Umständen ab und vor allem auch davon, welche Mittel des Kampfes der Klassengegner gegen den sozialistischen Staat anwendet.

9.1.2 Freiheit und Unterdrückung

Ist die Diktatur des Proletariats damit nicht der Freiheit entgegengesetzt? Ja und nein. Ja, denn der Freiheit der Bourgeoisie, den Sozialismus zu bekämpfen, wird tatsächlich ein Riegel vorgeschoben. Nein, denn für die große Mehrheit des Volkes entsteht gerade dadurch erst eine ganz neue Art der Freiheit: Die zahlreichen Repressionen des bürgerlichen Staates, die sich gegen die Arbeiterklasse und das Volk richteten, gehören der Vergangenheit an. Die Volksmassen können sich erstmals wirklich frei über alle Fragen des politischen und gesellschaftlichen Lebens austauschen und gemeinsam und demokratisch darüber entscheiden. Vor allem aber sind sie nicht mehr den blinden Gesetzen der Kapitalakkumulation unterworfen und ausgeliefert, sondern sie bestimmen selbst über den Aufbau der neuen Gesellschaft.

Es ist also ganz und gar nicht richtig, wenn behauptet wird, die Diktatur des Proletariats wäre ein System der Unterdrückung, Bespitzelung und Bevormundung über das Volk. Vielmehr ist der Kern der Diktatur des Proletariats eine enorme Ausweitung der Demokratie für die Volksmassen. Marx schreibt über einen solchen Staat: „Statt einmal in drei oder sechs Jahren zu entscheiden, welches Mitglied der herrschenden Klasse das Volk im Parlament ver- und zertreten soll, sollte das allgemeine Stimmrecht dem (…) Volk dienen, wie das individuelle Stimmrecht jedem andern Arbeitgeber dazu dient, Arbeiter, Aufseher und Buchhalter in seinem Geschäft auszusuchen.“ (Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich, MEW 17, S. 340). Und Lenin: „Die Diktatur des Proletariats, die Periode des Übergangs zum Kommunismus, wird zum erstenmal Demokratie für das Volk, für die Mehrheit bringen, aber zugleich wird sie notwendigerweise eine Minderheit, die Ausbeuter, niederhalten. Einzig und allein der Kommunismus ist imstande, eine wahrhaft vollständige Demokratie zu bieten, und je vollständiger diese sein wird, um so schneller wird sie entbehrlich werden, wird sie von selbst absterben.“ (Lenin: Staat und Revolution, LW 25, S. 476f).

9.1.3 Die Organe der Arbeitermacht

Um eine solche sozialistische Demokratie zu verwirklichen, müssen jedoch viele Voraussetzungen erfüllt sein, die zum Teil erst nach und nach geschaffen werden können. Weil wirkliche Demokratie eben nicht einfach nur bedeutet, alle paar Jahre einen Stimmzettel abzugeben, sondern die gesamte Organisation der Gesellschaft betrifft, ist die Schaffung der Arbeiterdemokratie also kein einmaliger Akt, sondern ein langwieriger Aufbauprozess. Für die Entwicklung der proletarischen Demokratie sind eine zunehmende Initiative der Arbeiter und ein wachsendes Bewusstsein darüber, dass der sozialistische Staat ihr Staat ist, erforderlich. Die proletarische Demokratie setzt außerdem voraus, dass die Arbeiter die technischen Fähigkeiten entwickeln, die erforderlich sind, um die Staatsgeschäfte zu verwalten, von der niedrigsten bis zur höchsten Ebene des Staates – und dass umgekehrt die Tätigkeiten der Staatsverwaltung nach Möglichkeit so vereinfacht werden, dass gewöhnliche Arbeiter sie schnell erlernen und ausführen können. Die proletarische Demokratie setzt voraus, dass der Arbeiterklasse und den breiten Massen des Volkes umfassende Möglichkeiten zur Verfügung stehen, ihre Meinung kundzutun, Kritik an Missständen und Fehlentwicklungen zu äußern und öffentliche Diskussionen zu organisieren. Und schließlich setzt sie auch den Aufbau von Organen der Arbeiter- und Volksmacht auf allen Ebenen voraus, in denen die Massen wichtige Entscheidungen diskutieren und treffen und ihre Vertreter wählen.

Solche Organe entscheiden in der Diktatur des Proletariats nicht nur über die Staatsgeschäfte im engsten Sinne, also die Erarbeitung von Gesetzen, die Verwaltung der staatlichen Institutionen usw. Solche Organe können auch im Wohnblock oder Wohnviertel, an den Schulen und Universitäten und im Betrieb gebildet werden. Die Bildung von Räten in den Betrieben hat dabei eine zentrale Bedeutung. Denn am Arbeitsplatz werden weitreichende Entscheidungen getroffen, die die Organisation der Produktion, die Arbeitsbedingungen und Lebensbedingungen im weiteren Sinne angehen. In der Vergangenheit wurde in sozialistischen Ländern über die Betriebe ein Großteil des gesellschaftlichen Lebens organisiert, von der sozialen Absicherung über kulturelle Ereignisse bis hin zu Urlaubsmöglichkeiten. Die Betriebe sind aber auch an sich bereits Orte des engen Austausches unter den Arbeitern, wo man sich untereinander kennt, aufeinander angewiesen ist und Vertrauen aufbauen kann. Daher sind sie der „natürliche“ Ort, an dem die proletarische Demokratie beginnen muss. Im Betrieb wählen die Arbeiter daher die Vertreter in die nächsthöheren Organe, denen sie am meisten vertrauen, ihre Interessen zu vertreten.

9.1.4 Prinzipien der sozialistischen Demokratie

Auf diesen Grundprinzipien der proletarischen Demokratie wird der sozialistische Staat von unten nach oben aufgebaut, ebenso wie potenziell alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens dadurch demokratisch organisiert werden können. Das Wesen der proletarischen Demokratie liegt nicht in formellen Verfahren, sondern in der aktiven Teilnahme der breitesten Massen am politischen Leben, in der umfassendsten Selbstorganisation der Gesellschaft, die möglich wird durch das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln. Das Organisationsprinzip des Arbeiterstaates ist wie in der Kommunistischen Partei der Demokratische Zentralismus: Auch im Staat werden die wichtigsten Beschlüsse zentral getroffen, weil nur das die Beteiligung aller Bürger ermöglicht. Das heißt nicht, dass nicht auch in einzelnen Regionen, Städten oder Betrieben Entscheidungen getroffen werden, die jeweils diese Einheiten betreffen, z.B. Fragen der Arbeitsbedingungen in einem bestimmten Betrieb oder die Förderung der Sprache einer nationalen Minderheit, die in einem bestimmten Gebiet lebt. Aber Entscheidungen, die alle betreffen, müssen zentral getroffen werden, weil nur dann auch alle die Möglichkeit haben, direkt oder indirekt Einfluss darauf zu nehmen. Entscheidungen werden also umfassend diskutiert und demokratisch gefällt. Einmal getroffene Entscheidungen sind dann aber auch verbindlich.

Wichtiger als die Wahl selbst ist jedoch die umfassende Diskussion über die anstehenden Probleme und über die Eignung der verschiedenen Kandidaten für den zu besetzenden Posten. Wenn diese Diskussion richtig geführt wird, kann man sich in vielen Fällen auch ohne Abstimmung auf ein Ergebnis einigen und auch ohne Wahl den besten Kandidaten bestimmen. Die Arbeiter haben natürlich trotzdem jederzeit das Recht, ihren gewählten Vertretern für ihr Handeln Rechenschaft abzuverlangen und sie gegebenenfalls abzuwählen und den Posten neu zu besetzen. Besondere Aufgaben und Funktionen im sozialistischen Staat sollten von den geeignetsten und selbstlosesten Individuen aus dem Volk besetzt werden und nicht von Karrieristen und Opportunisten. Um das zu verhindern, sollten diese Aufgaben in der Regel nur mit einem gewöhnlichen Gehalt entlohnt werden und keine materiellen Vorteile bringen. Durch die Prinzipien der jederzeitigen Wählbarkeit und Abwählbarkeit sowie der offenen Kritik und Selbstkritik ist zudem die ständige Kontrolle der Funktionsträger von unten gewährleistet. Dies ist auch der einzige Weg, um zu verhindern, dass sich bürokratische Verhaltensweisen einschleichen, indem politische Probleme nur noch durch autoritäre Akte von oben gelöst werden statt durch gemeinsame Diskussionen und Einbeziehung der Massen.

Im Kapitel 5 zum bürgerlichen Staat wurde dargelegt, dass die bürgerliche Demokratie vorgibt, sich auf das Prinzip der „Gewaltenteilung“ zu stützen. Im Sozialismus kann es natürlich auch jeweils besondere Institutionen geben, die sich um die verschiedenen Aufgaben kümmern, z.B. Polizeibehörden, Gerichte usw. Es gibt auch Regeln und Normen, die als Gesetze festgehalten werden und an die sich die Staatsorgane zu halten haben. Grundsätzlich aber werden alle diese Institutionen von den Volksmachtorganen überwacht und sind ihnen rechenschaftspflichtig. Das bedeutet, dass die Volksmachtorgane sowohl Gesetze erlassen als auch Entscheidungen treffen und ausführen. Eine Gewaltenteilung wie in der bürgerlich-liberalen Verfassungslehre gibt es demnach nicht. Darin spiegelt sich wider, dass die grundlegenden Interessen der Arbeiterklasse und der breitesten Volksmassen einen einheitlichen Charakter haben und von den gewählten Vertretern des Volkes durchzusetzen sind. Machtmissbrauch und eine Verselbstständigung von Funktionsträgern werden im Sozialismus nicht dadurch bekämpft, dass die Funktionsträger sich gegenseitig kontrollieren, sondern dass sie ständig von unten, also durch die gesamte Gesellschaft kontrolliert werden.

9.1.5 Verbündete der Arbeitermacht

Die kapitalistische Gesellschaft besteht nicht nur aus Arbeitern und Kapitalisten, sondern in ihr gibt es auch verschiedene Schichten des Kleinbürgertums, größere und kleinere Bauern usw. Auch diese Schichten können und müssen zu großen Teilen für den Sozialismus gewonnen werden. Warum sprechen wir also von der Diktatur des Proletariats? Bedeutet das, dass diese Schichten von den Organen der proletarischen Demokratie ausgenommen sind, dass sie nicht mitdiskutieren und mitentscheiden dürfen? Natürlich nicht. Allerdings ist die Existenz dieser Schichten, die auf Privateigentum an Produktionsmitteln im kleineren Maßstab beruhen, im Sozialismus auf Dauer nicht vorgesehen. Und die weltanschaulichen Einflüsse, die sich aus dem Privateigentum ergeben, z.B. Bestrebungen zur Verteidigung des Kleineigentums, zur Ausweitung von Warenbeziehungen usw., dürfen nicht die Oberhand behalten. Der proletarische Charakter des Arbeiterstaates zeigt sich darin, dass er zwar nicht-proletarische Schichten und Klassen als Verbündete behandelt und auch in die demokratischen Prozesse miteinbezieht, aber gleichzeitig die Interessen der Arbeiterklasse und ihren Kampf für die Vertiefung der kommunistischen Produktionsverhältnisse in den Vordergrund stellt.

9.1.6 Die Kommunistische Partei in der Diktatur des Proletariats

Diese führende Rolle der Arbeiterklasse wird auch im Sozialismus durch die führende Rolle der Kommunistischen Partei realisiert. Worin besteht die führende Rolle der Partei im Sozialismus? Aus dem, was bereits über die sozialistische Demokratie gesagt wurde, ergibt sich, dass der Sozialismus nicht einfach eine Diktatur der Partei sein kann. Die Kommunistische Partei kann also nicht anstelle der Arbeiterklasse die Macht ausüben, sondern die Arbeiterklasse muss selbst diese Macht ausüben. Auch Stalin, dem von der antikommunistischen Propaganda nachgesagt wird, er habe die Herrschaft der Arbeiterklasse durch die der Partei ersetzt, warnte vor einem solchen Verständnis: „Spricht man daher von der Diktatur der Partei gegenüber der Klasse der Proletarier und stellt diese Diktatur der Diktatur des Proletariats gleich, so wird damit gesagt, daß die Partei gegenüber ihrer Klasse nicht bloß Leiter, nicht bloß Führer und Lehrer sein muß, sondern auch eine Art Staatsmacht, die ihr gegenüber Gewalt anwendet“. Zu glauben, „daß man die Autorität der Partei auf Gewalt aufbauen kann“, sei jedoch „absurd und mit dem Leninismus völlig unvereinbar“ (Stalin: Zu den Fragen des Leninismus, SW 8, S. 37f).

Marx, Engels und Lenin beschäftigten sich intensiv mit den Erfahrungen der Pariser Kommune von 1871, in der sie das erste historische Beispiel für eine, wenn auch nur kurzlebige, Diktatur des Proletariats sahen. Die Revolution brach aus durch eine Meuterei der Truppen der Nationalgarde in Paris, die nach wochenlangen Auseinandersetzungen die Macht übernahmen, sie aber schnell dem vom Volk neu gewählten Rat der Kommune übergaben. In den 72 Tagen, die die Pariser Kommune existierte, beschloss der Rat eine Reihe von Sofortmaßnahmen wie der Begrenzung der Gehälter von Beamten, Obergrenzen für den Brotpreis, den Erlass ausstehender Mieten usw. Die Kommune scheiterte unter anderem daran, dass den bewusstesten revolutionären Teilen der französischen Arbeiterklasse die geeignete Organisation fehlte. Sie verfügten, anders als die russischen Bolschewiki 1917, nicht über eine disziplinierte, kampferfahrene, im ganzen Land verwurzelte Kaderpartei. Der Aufstand blieb somit auf Paris beschränkt, war in seiner Ausrichtung teilweise unklar und ging nicht entschlossen genug gegen seine Feinde vor. Das Ergebnis war ein furchtbares Blutbad, das die siegreiche Konterrevolution an Zehntausenden Pariser Arbeitern anrichtete. Wir sehen also, dass auch die programmatische Ausrichtung der Arbeiterbewegung auf die Erkämpfung der Diktatur des Proletariats nicht von vornherein so gegeben war, sondern sich in dieser Klarheit erst im Verlauf des Klassenkampfes, durch die Auswertung von gemachten Erfahrungen entwickelte. Die zweite zentrale Erfahrung, die zur Schärfung des Verständnisses der Diktatur des Proletariats beitrug, war die sozialistische Oktoberrevolution von 1917. Hier machte die Arbeiterklasse zum ersten Mal in der Geschichte die Erfahrung, über einen längeren Zeitraum an der Macht zu sein, die Macht in einem revolutionären Bürgerkrieg verteidigen zu müssen und den Aufbau der neuen klassenlosen Gesellschaft in Angriff zu nehmen. Die Bolschewiki und in den folgenden Jahren auch die kommunistische Weltbewegung konnten jetzt aus den Problemen und Herausforderungen, die sich aus dem sozialistischen Aufbau stellen, ihre Schlussfolgerungen ziehen.

Vor allem bestätigte sich durch die geschichtliche Erfahrung, dass die Diktatur des Proletariats ohne die führende Rolle der Kommunistischen Partei auf Dauer nicht möglich ist. Auch die Massenorganisationen und Organe der sozialistischen Demokratie, durch die die Massen den Sozialismus aufbauen, entstehen in der Regel nicht von selbst und erhalten nicht von selbst eine revolutionäre Ausrichtung, sondern ihre Schaffung muss maßgeblich durch die Kommunistische Partei vorangetrieben werden.

Natürlich beteiligt sich die KP in der Diktatur des Proletariats auch an der Machtausübung. Das tut sie, indem ihre Mitglieder und Kader sich in die Organe der Arbeiter- und Volksmacht einbringen und für Funktionen kandidieren. Erst dadurch, wenn die Kommunisten sich nach ausgiebiger Diskussion durchsetzen, zeigt sich, ob sie gute Arbeit geleistet haben und die Politik der Partei wirklich von den Massen unterstützt wird. Auch im Sozialismus gilt also, dass die Führung durch die Partei den Massen nicht aufgezwungen werden kann, sondern von ihr akzeptiert werden muss.

Die Kommunistische Partei hat auch in der Diktatur des Proletariats die Aufgabe, den bewusstesten, fortgeschrittensten Teil der Arbeiterklasse (und auch anderer Schichten, sofern diese die Weltanschauung der Arbeiterklasse übernehmen) zu organisieren. Sie verankert sich in den Volksmassen, in den Betrieben und Wohnvierteln und verbreitet den Marxismus-Leninismus so weit wie möglich in der Gesellschaft. Dazu bestehen im Sozialismus natürlich sehr viel günstigere Bedingungen als im Kapitalismus, wo die Kommunisten mit ständiger Verfolgung und Gegenmaßnahmen der Bourgeoisie rechnen müssen. Die KP kämpft im Sozialismus dafür, dass die Arbeiterklasse sich selbst und ihre Herrschaft immer besser organisiert; sie kämpft für die Vertiefung der sozialistischen Beziehungen in Wirtschaft und Gesellschaft, für die Zurückdrängung der Überreste des Kapitalismus und den Fortschritt hin zur kommunistischen Gesellschaft. Sie ist der Ort, an dem weiterhin die kollektive Erfahrung der Partei und der Klasse gesammelt und ausgewertet und dadurch der Wissenschaftliche Sozialismus ständig weiterentwickelt wird. Sie ist damit auch das Zentrum des ideologischen Kampfes gegen den Opportunismus und den Revisionismus, deren Einfluss den sozialistischen Aufbau behindert und die darum durch geduldige und wissenschaftliche Überzeugungs- und Erziehungsarbeit zurückgedrängt werden müssen. In der Diktatur des Proletariats hat die Arbeiterklasse zwar vorerst gesiegt, aber ihre Gegner sind noch nicht verschwunden. „Ihnen ist die internationale Basis geblieben, das internationale Kapital, dessen Filiale sie sind. Ihnen sind zum Teil gewisse Produktionsmittel geblieben, ist Geld geblieben, sind weitverzweigte gesellschaftliche Verbindungen geblieben. Ihr Widerstand ist gerade infolge ihrer Niederlage hundertmal, tausendmal stärker geworden. (…) Der Klassenkampf der gestürzten Ausbeuter gegen die siegreiche Avantgarde der Ausgebeuteten, d. h. gegen das Proletariat, ist ungleich erbitterter geworden.“ (Lenin: Ökonomik und Politik in der Epoche der Diktatur des Proletariats, LW 30, S. 99f). Der Klassenkampf ist also mit dem vorläufigen Sieg der Revolution nicht beendet, sondern verschärft sich sogar noch, auch wenn es für die Masse des Volkes jetzt schon viele Errungenschaften gibt, die ihr das Leben erleichtern.

Das bedeutet aber auch: Wenn die Kommunistische Partei sich vom Wissenschaftlichen Sozialismus entfernt, wenn sie selbst revisionistische Positionen übernimmt, dann wird sie ihre führende Rolle im sozialistischen Aufbau immer schlechter erfüllen können und kann schließlich sogar zum Werkzeug der Konterrevolution, der Zerstörung des Sozialismus werden. Nach dem 20. Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion 1956 wurden opportunistische Positionen zunehmend in die Programmatik und praktische Politik der Partei übernommen. Die These, die z.B. Maoisten vertreten, dass ab diesem Zeitpunkt in der Sowjetunion der Sozialismus abgeschafft wurde und die Gesellschaft einen kapitalistischen Charakter angenommen hätte, ist falsch. Richtig ist jedoch, dass hier ein Prozess begonnen wurde, an dessen Ende Mitte der 1980er eine Gruppe die Parteiführung übernahm, die den Sozialismus nicht mehr weiterentwickeln, sondern restlos zerstören wollte, was ihr innerhalb weniger Jahre auch gelang. Daraus ergibt sich für uns heute die wichtige Frage, wie der Kampf gegen den Revisionismus und Opportunismus auch im Sozialismus innerhalb der Kommunistischen Partei erfolgreich geführt werden kann. Diese Herausforderung gilt es in der Zukunft zu bewältigen. Sicher ist jedoch, dass dabei eine enge Verbindung zu den Massen und ein lebendiger, funktionierender Demokratischer Zentralismus entscheidend sein werden.

Die Geschichte hat auch gezeigt, dass die Diktatur des Proletariats in verschiedenen Ländern im einzelnen unterschiedliche Formen annehmen kann, also dass es beispielsweise Unterschiede darin gab, über welche Institutionen und Mechanismen die Mitwirkung, Organisierung und Mobilisierung der Massen ermöglicht wurde, oder wie schnell die Vergesellschaftung der Produktionsmittel voranschreiten konnte. Das bedeutet aber nicht, dass es mehrere grundlegend verschiedene „Modelle“ des Sozialismus geben kann, denn auch wenn es natürlich immer je nach Land nationale Besonderheiten gibt, hat auch die sozialistische Produktionsweise ihre allgemeinen Gesetzmäßigkeiten, an denen sich der Aufbau der neuen Gesellschaft überall orientieren muss. Zu den im engeren Sinne ökonomischen Gesetzmäßigkeiten kommen wir im nächsten Unterkapitel (9.2). Doch zu den Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus gehört auch, dass der sozialistische Aufbau auf die massenhafte Aktivität, Kreativität und Initiative der Arbeiterklasse und Volksmassen angewiesen ist; dass die führende Rolle der Kommunistischen Partei eine zwingende Voraussetzung ist; und dass sowohl die Partei als auch die Gesellschaft insgesamt nach den Prinzipien des Demokratischen Zentralismus organisiert sind, weil nur so einerseits die freie Diskussion und Kritik möglich sind, andrerseits aber auch die Umwälzung aller gesellschaftlichen Strukturen zentral umgesetzt werden kann.

Im Kapitel zum bürgerlichen Staat wurde auch dargelegt, dass die bürgerliche Demokratie auf dem Prinzip des Parteienpluralismus beruht. Im Sozialismus gibt es dagegen keine unversöhnlichen Interessensgegensätze zwischen den verschiedenen Teilen der Arbeiterklasse und des Volkes. Natürlich kann es voneinander abweichende Sonderinteressen oder Ansichten in verschiedenen Fragen geben, z.B. zwischen Arbeitern und Bauern. Diese Differenzen können aber viel besser durch die offene Diskussion oder auch Kompromisse gelöst werden und benötigen nicht zwingend unterschiedliche Parteien. Die einzige Kraft, die ein gegensätzliches Interesse hat, das mit den Interessen der Arbeiterklasse grundsätzlich nicht vereinbar ist, ist die Kapitalistenklasse. Eine antisozialistische Partei der Bourgeoisie wäre aber zwangsläufig ein Zentrum der Konterrevolution. Sie würde alles dafür tun, um den sozialistischen Staat zu stürzen und auch mit dem kapitalistischen Ausland zusammenarbeiten, um die Diktatur des Kapitals zurückzuholen und den Arbeitern alle erkämpften Errungenschaften wieder wegzunehmen. Eine solche Partei hat daher keinen Platz in der Diktatur des Proletariats. In der Geschichte gab es in der DDR und auch in anderen sozialistischen Ländern teilweise trotzdem ein Bündnis aus mehreren Parteien, die den Aufbau des Sozialismus unterstützten und daher mit der Kommunistischen Partei zusammenarbeiteten. Dies hatte jedoch mit der Entstehungsgeschichte dieser sozialistischen Staaten zu tun, also mit bestimmten historischen Bedingungen. An sich ist ein solches Mehrparteiensystem für die proletarische Demokratie aber nicht zwingend notwendig und ist auch nicht unbedingt demokratischer, da die Mechanismen der Demokratie sich nicht über die Wahl zwischen Parteien, sondern über die direkte Mobilisierung, Aktivität und Entscheidungsbefugnisse der Massen realisieren.

9.1.7 Der Aufbau des Sozialismus in einem Land

Ist der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft in einem Land möglich, oder erst nach dem Sieg der Revolution auf der ganzen Welt? Lenin gab darauf eine eindeutige Antwort: „Die Ungleichmäßigkeit der ökonomischen und politischen Entwicklung ist ein unbedingtes Gesetz des Kapitalismus. Hieraus folgt, daß der Sieg des Sozialismus zunächst in wenigen kapitalistischen Ländern oder sogar in einem einzeln genommenen Lande möglich ist.“ (Lenin: Über die Losung der Vereinigten Staaten von Europa, LW 21, S. 345).

Die sozialistische Revolution ist immer das Ergebnis eines Zusammenkommens von verschiedenen ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen, die sich in jedem Land unterschiedlich entwickeln. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Sozialismus überall gleichzeitig siegen wird. Es wird daher notwendig sein, den Sozialismus zunächst in einem oder wenigen Ländern aufzubauen. Das heißt natürlich nicht, dass die Aufgabe der weltweiten Überwindung des Kapitalismus deshalb vernachlässigt werden darf. Die Länder, in denen der Sozialismus gesiegt hat, müssen zu den wichtigsten Stützpunkten der internationalen kommunistischen Bewegung werden, um in den verbleibenden kapitalistischen Ländern und auf internationaler Ebene den Kampf gegen das Ausbeutersystem zu verstärken. Die Verteidigung der sozialistischen Länder gegen den internationalen Klassenfeind, also den Imperialismus, und der erfolgreiche Wettbewerb mit den kapitalistischen Ländern auf ökonomischem, aber auch kulturellem, politischem und militärischem Gebiet haben dann oberste Priorität. Insbesondere solange die sozialistischen Länder noch von feindlichen kapitalistischen Staaten umringt sind, müssen sie der Produktion von Produktionsmitteln zur Beschleunigung des technischen Fortschritts Vorrang einräumen und auch Ressourcen in die Rüstungsproduktion stecken. Dafür müssen die sozialistischen Länder aber auch mit den kapitalistischen und imperialistischen Staaten handeln und verhandeln und werden es in der Regel auch versuchen zu vermeiden, in offene kriegerische Auseinandersetzungen mit ihnen zu treten. Hier werden also auch Kompromisse und Zugeständnisse an den kapitalistischen Gegner notwendig sein, um den sozialistischen Aufbau insgesamt sicherzustellen. Insbesondere ist es richtig und notwendig, die Widersprüche zwischen den kapitalistischen Staaten auszunutzen, sie gegeneinander auszuspielen und so den sozialistischen Staaten so viele und lange Atempausen wie möglich zu verschaffen.

Wie die Intervention der imperialistischen Länder in den Russischen Bürgerkrieg 1918-1922 und der faschistische Überfall auf die Sowjetunion 1941 zeigen, ist es nicht immer möglich, den Krieg gegen die imperialistischen Staaten zu vermeiden. In Großbritannien und den USA gab es nach dem Zweiten Weltkrieg auch Planungen für einen erneuten militärischen Überfall auf die Sowjetunion, der aber aufgrund der Stärke der Roten Armee nicht zustande kam. Die Erfahrung zeigt also auch, dass es für einen sozialistischen Staat grundsätzlich möglich ist, in einer feindlichen kapitalistischen Umwelt über einen langen Zeitraum zu überleben, sich zu entwickeln und alle Feinde erfolgreich abzuwehren.

9.1.8 Drei grundlegende Aufgaben der Diktatur des Proletariats

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Diktatur des Proletariats drei grundlegende Aufgaben erfüllen muss.

Sie muss erstens die Revolution gegen ihre Feinde verteidigen und die revolutionären Bewegungen in anderen Ländern unterstützen.

Zweitens muss sie möglichst die gesamte Arbeiterklasse und die werktätigen Volksmassen für den Sozialismus gewinnen und die Massen in den sozialistischen Aufbau einbeziehen.

Drittens geht es um die Organisierung des sozialistischen Aufbaus und darum, dass der Kurs auf die Abschaffung der Klassen und die Einführung der kommunistischen Gesellschaft gehalten wird.

Welche dieser drei Aufgaben das stärkste Gewicht hat, ist von der jeweiligen Situation abhängig, in der sich das Land befindet. In Russland tobte in den Jahren nach 1918 zunächst der Bürgerkrieg, der den Arbeitern und Bauern von den Anhängern des alten Zarenregimes aufgezwungen wurde. In dieser Phase war die Aufgabe der militärischen Verteidigung der Revolution vorrangig, obwohl es natürlich auch gleichzeitig schon um die Verwirklichung bestimmter revolutionärer Umgestaltungen und um die Gewinnung möglichst breiter Teile der Arbeiter und Bauern für die Revolution ging. Nach dem Sieg der revolutionären Kräfte im Bürgerkrieg verschob sich hingegen das Gewicht weg von der Gewaltanwendung hin zur Schaffung sozialistischer gesellschaftlicher Verhältnisse, zur Hebung des Bildungsniveaus der Massen, zur Befriedigung der Grundbedürfnisse usw. Aber auch in dieser Phase entfiel natürlich nicht die Notwendigkeit, die Revolution gegen äußere und innere Feinde zu schützen.

Wann genau die Arbeiterbewegung wieder vor der Aufgabe stehen wird, einen sozialistischen Staat aufzubauen, wissen wir nicht. Doch wir wissen, dass der sozialistische Aufbau nur erfolgreich gelingen kann, wenn die positiven wie negativen Erfahrungen der Geschichte angeeignet, studiert und ausgewertet werden. Es gehört dabei zu den Aufgaben der Kommunisten, die bisherigen Versuche, eine sozialistische Gesellschaft zu schaffen, gegen die feindlichen Angriffe der bürgerlichen antikommunistischen Propaganda zu verteidigen. Diese Aufgabe steht in keinem Widerspruch dazu, dass es gleichzeitig notwendig ist, die dabei gemachten Fehler schonungslos aufzudecken und auszusprechen.

Mit der erfolgreichen Schaffung der kommunistischen Gesellschaft in ihren Grundstrukturen verliert der sozialistische Staat schrittweise an Bedeutung und Funktionen. Natürlich wird es immer noch Institutionen zur Verwaltung von Staat und Wirtschaft geben müssen und die Aufgaben auf diesem Gebiet werden auch eher zunehmen. Es geht also keineswegs um einen abnehmenden Organisierungsgrad der Gesellschaft, sondern ganz im Gegenteil darum, dass die Gesellschaft sich immer besser selbst organisiert und immer mehr Funktionen des Staates von der Gesellschaft selbst, also der selbstorganisierten Arbeiterklasse übernommen werden. Die letzten Überreste der Spaltung in Klassen sowie Unterschiede zwischen den Geschlechtern und zwischen verschiedenen Nationen werden verschwinden und damit eine immer größere Einheitlichkeit und Einmütigkeit des Volkes in den grundlegenden Entwicklungsfragen der Gesellschaft entstehen. Dadurch wird die unterdrückende Funktion des Staates immer seltener zur Anwendung kommen und schließlich nicht mehr notwendig sein. Engels schreibt dazu: „Das Eingreifen einer Staatsgewalt in gesellschaftliche Verhältnisse wird auf einem Gebiete nach dem andern überflüssig und schläft dann von selbst ein. An die Stelle der Regierung über Personen tritt die Verwaltung von Sachen und die Leitung von Produktionsprozessen. Der Staat wird nicht ‚abgeschafft‘, er stirbt ab.“ (Engels: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW 19, S. 225). Im Gegensatz zur anarchistischen Auffassung gingen Marx, Engels und Lenin also davon aus, dass der Staat nicht sofort als Ergebnis der gesellschaftlichen Umwälzung abgeschafft werden kann, sondern dass er mit dem Fortschritt zum Kommunismus in dem Maße, wie seine Funktionen und Aufgaben in die Gesellschaft zurückgenommen werden, schrittweise verblassen und schließlich verschwinden wird.

Arbeitsfragen:

  • Wie verwendet der Marxismus den Begriff „Diktatur“? Wo liegt dabei der Unterschied zum bürgerlichen Sprachgebrauch?
  • Welche drei grundlegenden Aufgaben muss die Diktatur des Proletariats erfüllen?

Diskussionsfragen:

  • Welche Aufgaben sollte die Kommunistische Partei in der Diktatur des Proletariats erfüllen? Welche nicht?
  • Sind Parteienpluralismus und Gewaltenteilung wirklich bürgerliche Institutionen oder sollten sie auch im Sozialismus weiterhin Anwendung finden?
  • Wie können die Prinzipien der proletarischen Demokratie entwickelt und zu alltäglichen Lebensformen werden?

9.2 Politische Ökonomie des Sozialismus und Kommunismus

Der Sozialismus ist die neue Gesellschaftsform, die aus dem revolutionären Sturz des Kapitalismus entsteht. Wie die kapitalistische Gesellschaft in ihrem Wesen durch die kapitalistische Produktionsweise bestimmt ist und ihr politischer, juristischer, kultureller, ideologischer und sonstiger Überbau sich auf der Grundlage dieser Produktionsweise erhebt, ist auch der Sozialismus durch die sozialistische Produktionsweise bestimmt. Die sozialistische Produktionsweise hat ihre eigenen Gesetzmäßigkeiten, die sich von denen der kapitalistischen Produktionsweise sehr grundlegend unterscheiden. Die grundlegenden Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise, wie das Wertgesetz, das Mehrwertgesetz, die Konzentration und Zentralisation des Kapitals, die notwendige Entstehung von Krisen und der tendenzielle Fall der Profitrate haben unter der sozialistischen Produktionsweise grundsätzlich keine Gültigkeit mehr. Was heißt hier „grundsätzlich“? Es heißt, dass diese Gesetze sich nicht aus der sozialistischen Produktionsweise ergeben und im Widerspruch zu ihr stehen. Das schließt nicht aus, dass zu einem konkreten Zeitpunkt des sozialistischen Aufbaus das Wertgesetz noch eine gewisse, wenn auch eingeschränkte Wirksamkeit besitzen kann. Wenn dies der Fall ist, ist das aber ein Überbleibsel der kapitalistischen Gesellschaft, das noch nicht überwunden wurde. Auf die Frage des Wertgesetzes im Sozialismus werden wir an späterer Stelle zurückkommen.

Die Gesetzmäßigkeiten der sozialistischen Produktionsweise ergeben sich historisch und logisch aus dem Kapitalismus. Die Entwicklung des Kapitalismus zum Monopolkapitalismus, zum Imperialismus schließt ein, dass bereits unter kapitalistischen Bedingungen ein enormes Maß an Konzentration, Zentralisation und Vergesellschaftung der Produktion stattfindet. Indem die Bauernschaft und das städtische Kleinbürgertum durch die kapitalistische Entwicklung zahlenmäßig stark zurückgedrängt werden, teilt sich die Gesellschaft immer mehr in ihre zwei Hauptklassen auf, die Arbeiterklasse und die Bourgeoisie. Das Programm der sozialistischen Revolution besteht nun darin, dass die bereits in enormem Maße vergesellschaftete und konzentrierte Produktion von der Arbeiterklasse übernommen wird. Damit wird der Grundwiderspruch des Kapitalismus zwischen gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung aufgehoben, sodass nun auch die Aneignung, also das Eigentum an den Produktionsmitteln und den Produkten, gesellschaftlichen Charakter erhält. Die gesellschaftlichen Produktionsmittel werden nun im Interesse der ganzen Gesellschaft angewendet anstatt für den Profit einer kleinen Minderheit von Kapitalisten.

Die Produktionsmittel werden durch die revolutionäre Macht der Arbeiterklasse den Händen der Privateigentümer, der Kapitalisten entrissen und unter die Kontrolle des Arbeiterstaates gestellt. Von bürgerlichen Ideologen werden deshalb Verstaatlichungen von Unternehmen unter kapitalistischen Bedingungen oder sogar staatliche Aktivitäten überhaupt (Subventionen, Steuern, Regulierungen usw.) oft als „Sozialismus“ bezeichnet. Das hat natürlich nicht das Geringste mit der Realität zu tun. Denn der Staat ist im Kapitalismus „ideeller Gesamtkapitalist“. Durch den bürgerlichen Staat übt die Bourgeoisie ihre politische Herrschaft aus. Der bürgerliche Staat muss, eben weil er die Interessen des Kapitals vertritt, die Abläufe der Kapitalakkumulation sichern und dafür auch selbst ökonomisch aktiv werden. Unter bestimmten Bedingungen kann das Verstaatlichungen einschließen. Diese dienen aber nicht dem Aufbau des Sozialismus und der Abschaffung der Ausbeutung, sondern ganz im Gegenteil der Stabilisierung des Kapitalismus und damit der Aufrechterhaltung der Unterdrückung und Ausbeutung der Arbeiterklasse. Einzelne Verstaatlichungen heben eben die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus nicht auf, solange das System des Privateigentums an Produktionsmitteln, der Konkurrenz und der Mehrwertproduktion nicht angetastet wird.

Es gibt also zwei grundlegend verschiedene Arten der Verstaatlichung: Die Verstaatlichung im Kapitalismus und die Verstaatlichung als revolutionären sozialistischen Akt. Der entscheidende Unterschied ist ein politischer Unterschied. Im ersten Fall ist der Staat in den Händen der Kapitalistenklasse und kann daher nicht der Entmachtung des Kapitals dienen. Im zweiten Fall ist die Staatsmacht bereits eine grundlegend andere, denn sie ist aus dem revolutionären Sturz des Kapitalismus hervorgegangen. Der bürgerliche Staat wurde zerschlagen und ein neuer Staat der Arbeiterklasse errichtet. Die Verstaatlichung von Betrieben, aber auch der Infrastruktur, des Bodens, der Wälder usw. dient nicht mehr dem reibungslosen Ablaufen der kapitalistischen Produktion, sondern dem Übergang zu einer neuen Gesellschaftsordnung, in der es schließlich kein privates Kapital, keinen Profit, keine Ausbeutung mehr geben wird.

9.2.1 Zentrale Planwirtschaft

Dass die Produktionsmittel nun vergesellschaftet sind, bedeutet notwendigerweise, dass auch die Produktion und Verteilung der Güter zentral geplant werden. Es gibt dann ja nur noch einen Eigentümer der Produktionsmittel, nämlich die Gesellschaft, der sozialistische Staat. Unter diesen Bedingungen kann die Produktion nur auf Grundlage eines Plans organisiert werden, der die Erfüllung der Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft zum Ziel hat. Diese Bedürfnisse der Gesellschaft, ihr Bedarf an Konsumgütern und den Produktionsmitteln, die notwendig sind, um diese zu produzieren, müssen also ermittelt werden, bevor ihre Produktion beginnt. Die Planwirtschaft setzt dabei ein komplexes System der Berechnungen voraus, indem nicht nur der Bedarf vorher festgestellt werden muss, sondern auch, welche Güter in welcher Menge von jedem einzelnen Produktionszweig, ja sogar jedem einzelnen Betrieb benötigt werden, um alle geforderten Dinge zu produzieren. Dabei werden jedem Betrieb im Rahmen des Gesamtplans für die sozialistische Volkswirtschaft verpflichtende Aufgaben zugewiesen. Die Entwicklung der Informations-, Kommunikations- und Transporttechnologien erleichtert die Erstellung und Durchführung eines solchen gesamtwirtschaftlichen Plans natürlich erheblich. Die Geschichte der Sowjetunion zeigt, dass es bereits Ende der 1920er Jahre möglich war, die Produktion einer ganzen Gesellschaft in einem riesigen Land zu planen und innerhalb kürzester Zeit die Grundlagen einer modernen Industrie zu schaffen. Heute stehen natürlich ganz andere Möglichkeiten der effizienten Wirtschaftsplanung zur Verfügung und es ist zu erwarten, dass auch in Zukunft mit der Weiterentwicklung der Informationstechnologie ständig weitere Möglichkeiten entstehen werden, um zentral geplante Wirtschaftsabläufe zu verbessern.

Die zentrale Feststellung der Bedürfnisse im Voraus ist ein Unterschied zum Kapitalismus, wo eine solche Feststellung der Bedürfnisse nicht stattfindet und lediglich im Nachhinein über den Markt zu ermitteln ist, für welche Güter eine zahlungsfähige Nachfrage bestand und für welche nicht. Ein gesamtwirtschaftliches Chaos und notwendig auftretende Ungleichgewichte wie im Kapitalismus gibt es daher in einer Planwirtschaft nicht. Zu Krisen kommt es schon alleine deshalb nicht, weil die Produktion sich an den Bedürfnissen orientiert und nicht an der zahlungsfähigen Nachfrage auf dem Markt. Berge unverkäuflicher Waren, wie es sie im Kapitalismus gibt, kommen dadurch erst gar nicht zustande. Natürlich sind auch im Sozialismus wirtschaftliche Probleme möglich. Diese liegen dann aber an Fehlplanungen, Inkompetenz usw., sie treten also anders als im Kapitalismus nicht gesetzmäßig auf und können durch eine umsichtige Politik vermieden werden.

Warenproduktion gibt es in Wirtschaftsformen, in denen Produktion und Konsumtion getrennt sind, in denen also die Produzenten der Güter und die Konsumenten dieser Güter getrennt voneinander agieren. Das ist im Kapitalismus der Fall, da die Produktionsmittel Privateigentum sind und die Waren für den Verkauf, nicht für den Eigenkonsum produziert werden. Im Sozialismus sind dagegen alle Betriebe Teil desselben wirtschaftlichen Organismus. Alle Betriebe gehören dem Staat, der ganzen Gesellschaft, und sind einem gesamtgesellschaftlichen Plan unterworfen. Es gibt daher keine Grundlage dafür, dass die Betriebe untereinander ihre Produkte austauschen. Denn auch die Produkte sind nicht das Eigentum der einzelnen Betriebe, sondern gehören der ganzen Gesellschaft. Und natürlich kann die Gesellschaft keinen Handel mit sich selbst treiben. Die Betriebe liefern also ihre Produkte ab und diese werden direkt entweder an andere Betriebe weitergeliefert (wenn es sich um Produktionsmittel handelt) oder, wenn es sich um Konsumgüter handelt, an die Konsumenten verteilt.

9.2.2 Lohn und Leistungsprinzip im Sozialismus

Solange die Gesellschaft keinen Überfluss an Konsumgütern produzieren kann, muss die Verteilung der Güter weiterhin durch eine Art „Geld“ geregelt sein. Man bekommt für seine Arbeit, die zur Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums beiträgt, entsprechend der geleisteten Arbeitszeit ein Einkommen zugewiesen, mit dem man Zugriff auf einen Anteil am gesellschaftlichen Reichtum bekommt. Marx schreibt dazu: „Er erhält von der Gesellschaft einen Schein, daß er soundso viel Arbeit geliefert (nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds), und zieht mit diesem Schein aus dem gesellschaftlichen Vorrat von Konsumtionsmitteln soviel heraus, als gleich viel Arbeit kostet.“ (Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 20). Diese Scheine, mit denen die Menschen im Sozialismus sich die Güter ihres täglichen Bedarfs besorgen können, haben oberflächlich betrachtet Ähnlichkeit mit dem Geld, mit dem wir im Kapitalismus einkaufen gehen. Sie sind aber kein Geld im kapitalistischen Sinne, wie Marx betont: „Die Produzenten mögen meinetwegen papierne Anweisungen erhalten, wofür sie den gesellschaftlichen Konsumtionsvorräten ein ihrer Arbeitszeit entsprechendes Quantum entziehn. Diese Anweisungen sind kein Geld. Sie zirkulieren nicht.“ (Das Kapital, Band II, MEW 24, S. 358). Unter kapitalistischen Bedingungen zirkuliert das Geld frei: Es wird verwendet, um eine Ware zu kaufen. Der Verkäufer dieser Ware benutzt es dann wiederum, um weitere Waren zu kaufen usw. Ganz anders im Sozialismus: Das „Geld“ wird hier für geleistete Arbeit vom Staat an die Arbeiter ausgezahlt und diese geben es dem Staat zurück, um dafür Bedarfsgüter zu erhalten. Die Arbeiter kaufen mit dem „Geld“ also nicht bei anderen Privatpersonen ein. Und es ist schon gar nicht möglich, das „Geld“ als Kapital anzuhäufen, indem man Produktionsmittel davon kauft und ein eigenes Unternehmen betreibt. Es dient lediglich dazu, die Verteilung der gesellschaftlichen Güter auf die Individuen zu regeln.

Der „Lohn“, den die Arbeiter im Sozialismus erhalten, ist damit etwas völlig anderes als der kapitalistische Lohn. Im Kapitalismus sind die Arbeiter „doppelt frei“, da sie sowohl frei vom Eigentum an Produktionsmitteln sind als auch frei, ihre Arbeitskraft auf dem Markt zu verkaufen. Beides gilt im Sozialismus nicht mehr. Die Arbeiter sind nun Eigentümer der Produktionsmittel, wenn auch gemeinschaftlich und nicht individuell. Und sie verkaufen ihre Arbeitskraft auch nicht an jemand anderen. Der „Lohn“ im Sozialismus wird ihnen nicht von einem Kapitalisten ausgezahlt, sondern er ist wiederum nur die Form, in der der proletarische Staat die Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums auf die Individuen organisiert. Dies ist notwendig, so lange es noch Mangel gibt und daher der Anteil, den das Individuum vom Reichtum der Gesellschaft erhält, auch noch nach seiner individuellen Leistung bemessen werden muss. So war in der Verfassung der Sowjetunion von 1936 festgeschrieben: „In der UdSSR wird der Grundsatz des Sozialismus verwirklicht: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung‘“. In einem späteren Entwicklungsstadium des Sozialismus wird sich das schrittweise ändern. Marx schreibt: „In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft“, wo „alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann (…) die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ (Marx: Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 21).

Im Sozialismus wird natürlich auch kein Mehrwert produziert. Es werden Investitionen getätigt und dabei ein Überschuss produziert. Der gesellschaftliche Reichtum wächst mit der Zeit. Das ist aber kein Mehrwert. Denn der Überschuss gehört keiner Privatperson, sondern der gesamten Gesellschaft. Er wird auch nicht verkauft, nimmt also keine Wertform an. Deshalb ist es falsch zu behaupten, dass im Sozialismus der Staat einfach die Rolle des Kapitalisten übernehmen würde, oder dass dies in der Vergangenheit in der Sowjetunion oder anderen sozialistischen Ländern der Fall gewesen sei. Denn Kapitalismus gibt es nur durch die Konkurrenz verschiedener Kapitalisten, die miteinander im ständigen Wettstreit um die höchsten Profite liegen. Der sozialistische Staat plant hingegen die Produktion mit dem Ziel der bestmöglichen Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse, er orientiert sich nicht am Profit.

9.2.3 Wirkt im Sozialismus das Wertgesetz?

Wenn der Lohn im Sozialismus einen anderen Charakter annimmt und es keinen Mehrwert gibt, wirkt unter den Bedingungen der sozialistischen Produktion denn zumindest das Wertgesetz, das ja nicht nur im Kapitalismus, sondern auch in früheren Produktionsweisen eine Rolle spielte? Über diese Frage war in den sozialistischen Ländern heiß gestritten worden. Die Positionen reichten von der Auffassung, dass die Wirkung des Wertgesetzes im Sozialismus grundsätzlich „unzulässig“ sei bis hin zu der Ansicht, dass auch im Sozialismus das Wertgesetz die Produktion regulieren muss und somit auch im entwickelten Stadium der kommunistischen Gesellschaft noch seine Gültigkeit hat. Erinnern wir uns jedoch daran, was das Wertgesetz ist: Das Wertgesetz regelt in einer Gesellschaft, in der die Produzenten voneinander getrennt für den Markt produzieren und miteinander konkurrieren, die Austauschbeziehungen und die Verteilung der Arbeit auf die verschiedenen Produktionszweige.

Stalin vertrat daher in dieser Diskussion eine differenziertere Position: Weil die Produktion in der Sowjetunion noch nicht vollständig vergesellschaftet war, also noch nicht alle Produktionsmittel Volkseigentum waren und daher direkt dem zentralen Plan unterstellt waren, gab es noch Warenproduktion. Das betraf vor allem die kollektivwirtschaftlichen Landwirtschaftsbetriebe (Kolchosen), deren Boden und wichtigste Produktionsmittel zwar Staatseigentum waren, die aber weiterhin einen Teil ihrer Erzeugnisse selbst verkaufen durften, statt sie einfach nur an den Staat abzuliefern. Bei der Bildung der Preise dieser landwirtschaftlichen Konsumgüter spiele das Wertgesetz weiterhin eine gewisse Rolle. Auch im Außenhandel nahmen die Produkte der sozialistischen Produktion natürlich weiterhin die Form von Waren an, da sie ja für einen kapitalistischen Markt produziert wurden. Allerdings komme dem Wertgesetz in der Sowjetunion selbst nicht die Rolle zu, die Produktion insgesamt zu regulieren, denn die Verteilung von Arbeitskräften und Ressourcen auf die verschiedenen Produktionszweige und die Festlegung der Preise geschah durch den zentralen Plan. Stalin verwarf auch richtigerweise die Ansicht einiger sowjetischer Ökonomen, wonach das Wertgesetz ein ewig gültiges Gesetz sei, das auch im Kommunismus noch wirke (Stalin: Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR, S. 20ff).

Grundsätzlich kann man sagen, dass das Wertgesetz unter bestimmten Bedingungen in einer früheren Phase des sozialistischen Aufbaus noch eine begrenzte Wirkung haben kann, solange es nicht möglich ist, alle Produktionsmittel zu vergesellschaften und in den zentralen Plan einzubeziehen. Trotzdem ist es ein Gesetz, das der sozialistisch-kommunistischen Produktionsweise fremd ist und im Widerspruch zu ihr steht. Je mehr die sozialistischen Produktionsverhältnisse gefestigt und vertieft werden, desto weniger Raum kann es für das Wertgesetz geben.

Im Sozialismus erfolgt also die Steuerung der Produktion und die Verteilung der Arbeit und Ressourcen auf die verschiedenen Wirtschaftszweige nicht durch das Wertgesetz, sondern durch einen zentralen Plan. Das bedeutet aber nicht, dass die gesellschaftlich durchschnittlich notwendige Arbeitszeit als Maßstab keine Rolle mehr spielt. Denn wie auch schon Marx bemerkte, gilt auch im Sozialismus das Gesetz der Zeitbestimmung der Arbeit. Im Kapitalismus spielt die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit über das Wertgesetz eine entscheidende Rolle als Regulator der Produktion. Im Sozialismus ist es nicht das Wertgesetz, das diese Rolle erfüllt. Aber auch hier wird durch den Fortschritt der Produktivkräfte die Zeit, die gebraucht wird, um ein bestimmtes Produkt herzustellen, ständig verringert. „Gemeinschaftliche Produktion vorausgesetzt, bleibt die Zeitbestimmung natürlich wesentlich. Je weniger Zeit die Gesellschaft bedarf, um Weizen, Vieh etc. zu produzieren, desto mehr Zeit gewinnt sie zu andrer Produktion, materieller oder geistiger. Wie bei einem einzelnen Individuum hängt die Allseitigkeit ihrer Entwicklung, ihres Genusses und ihrer Tätigkeit von Zeitersparung ab.“ (Marx: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, MEW 42, S. 105).

9.2.4 Ökonomische Gesetzmäßigkeiten des Sozialismus

Bedeutet das, dass keines der ökonomischen Gesetze, die im Kapitalismus gelten, für den Sozialismus Gültigkeit hat? Natürlich nicht. Auch in der sozialistischen Planwirtschaft lässt sich die Produktion in Produktion von Produktionsmitteln (Abteilung I) und Konsumgütern (Abteilung II) unterteilen. Marx weist darauf hin, dass auch im Sozialismus die Abteilungen der Produktion in einem passenden Verhältnis zueinander entwickelt werden müssen, sodass die Produktion beider Abteilungen genau den Erfordernissen der jeweils anderen Abteilung und der Gesellschaft insgesamt entspricht (Marx: Das Kapital, Band II, MEW 24, S. 423). Auch im Sozialismus bedeutet eine Ausweitung der Produktion und ein Wachstum des gesellschaftlichen Wohlstands zunächst eine Ausweitung der Produktion von Produktionsmitteln, um die Produktionskapazität zu erhöhen. Der entscheidende Unterschied zum Kapitalismus besteht darin, dass die Entwicklung der Abteilungen im Sozialismus durch den zentralen Plan gleichmäßig und im richtigen Verhältnis von statten gehen kann, während es im Kapitalismus ständig zu Ungleichgewichten und damit zu Krisen kommen muss.

Eine wichtige Erkenntnis, die wir also hier festhalten können, ist, dass auch im Sozialismus ökonomische Gesetzmäßigkeiten wirken. Auch diese Gesetze sind objektiv vorhanden, das heißt, sie existieren unabhängig vom Willen der Menschen. Wie ist das zu verstehen? Ist es im Sozialismus nicht der Mensch, der über sein eigenes Schicksal und die gesellschaftliche Entwicklung bestimmt? Ja, das ist korrekt. Aber es bedeutet nicht, dass deshalb die Menschen den sozialistischen Aufbau beliebig gestalten könnten, oder dass es eine Vielzahl möglicher Formen des Sozialismus geben könnte. Ohne Gesetzmäßigkeiten wäre die gesellschaftliche Entwicklung im Sozialismus zufällig und chaotisch. Es gäbe keine Möglichkeit mehr, sie wissenschaftlich zu analysieren und steuernd in sie einzugreifen. Die Politische Ökonomie als Wissenschaft hätte also keine Funktion mehr. Auch für die sozialistische Planwirtschaft gelten aber bestimmte ökonomische Gesetze, die von den sozialistischen Planern zu beachten sind, wenn der sozialistische Aufbau nicht ins Stocken geraten soll.

Ein solches Gesetz ist die oben erwähnte verhältnismäßige Entwicklung der Abteilungen der Produktion und der Vorrang der Produktion von Produktionsmitteln, solange die Gesellschaft noch unter wirtschaftlichem Mangel leidet und daher auf stetiges Wachstum angewiesen ist.

Welches ist nun das grundlegendste ökonomische Gesetz des Sozialismus, das die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung vorgibt und von dem auch die anderen gesellschaftlichen Gesetze abhängig sind?

Laut Stalin ist dieses Gesetz die „Sicherung der maximalen Befriedigung der ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft durch ununterbrochenes Wachstum und stetige Vervollkommnung der sozialistischen Produktion auf der Basis der höchstentwickelten Technik.“ (Stalin: Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR, S. 41). Er argumentiert, dass die zentrale Wirtschaftsplanung zwar wichtig, aber nicht das Grundgesetz des Sozialismus sein kann, weil sie an sich noch nicht aussagt, welche Aufgabe diese Planung hat. Die Ausrichtung der Planung auf die Befriedigung der wachsenden Bedürfnisse der Menschen sei dagegen das grundlegende richtunggebende Prinzip der sozialistischen Produktion. Auch bei Marx gibt es eine ähnliche Formulierung: „Ökonomie der Zeit sowohl wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiednen Zweige der Produktion bleibt also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage der gemeinschaftlichen Produktion.“ (Marx: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, MEW 42, S. 105). Auch Marx sieht also im ständigen Fortschritt der Produktivkräfte zur besseren Befriedigung der Bedürfnisse das grundlegende Gesetz des Sozialismus.

9.2.5 Die zwei Phasen des sozialistischen Aufbaus

Der Marxismus unterscheidet im sozialistischen Aufbau zwei Entwicklungsphasen. In der ersten Phase ist die neue Produktionsweise noch unvollständig verwirklicht und die Gesellschaft ist noch von Überbleibseln des Kapitalismus gezeichnet. Marx schreibt über diese Phase: „Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt“ (Marx: Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 20). In dieser Phase ist die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen bereits abgeschafft und die Mehrwertproduktion und Kapitalakkumulation bilden nicht mehr die Triebkraft der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Entlohnung der Arbeiter findet trotzdem noch nach ihrer geleisteten Arbeit statt, wie oben dargestellt wurde. Es gibt in dieser Phase noch Überbleibsel der Warenproduktion, wie z.B. der Warentausch zwischen kollektivierten Landwirtschaftsbetrieben und dem Staat. Zu Beginn kann es sogar noch kleine private Betriebe geben, da es möglicherweise nicht angemessen ist, diese sofort zu vergesellschaften. Die Entwicklungsrichtung der Gesellschaft geht aber dahin, den Umfang der Warenproduktion und des Warenaustauschs immer weiter zurückzudrängen. Auch die Bedeutung des Geldlohns sinkt immer weiter, da immer mehr Dienste (wie Bildung, Gesundheitsversorgung, öffentlicher Verkehr, Sport, Kultur, soziales Beisammensein usw.) von der gesamten Gesellschaft kostenlos allen Bürgern zur Verfügung gestellt wurden. In der Sowjetunion und anderen sozialistischen Ländern war dieses Prinzip schon zu einem hohen Maß verwirklicht und betraf z.B. auch andere Bedürfnisse wie Grundnahrungsmittel, Wohnung und Urlaub, die zwar nicht kostenlos, aber stark verbilligt zugänglich gemacht wurden. Dadurch werden gesellschaftliche Unterschiede, die es zu Beginn natürlich noch in bedeutendem Maße geben kann (z.B. zwischen leitenden Angestellten und einfachen Arbeitern), immer geringer und verschwinden schließlich ganz. Bildung wird nicht mehr das Vorrecht der herrschenden Klasse und der Mittelschichten sein, sondern alle Menschen werden zunehmend gleichen Zugang zu ihr bekommen. Dadurch werden die Unterschiede zwischen einfachen, komplizierten und leitenden Tätigkeiten, zwischen Hand- und Kopfarbeit an Bedeutung verlieren. Lenin wird die Aussage zugeschrieben, dass im Sozialismus letzten Endes jede Köchin in der Lage sein muss, den Staat zu regieren. Das heißt nicht, dass es keine Spezialisierung mehr geben wird, denn natürlich ist es schwierig vorstellbar, gleichzeitig Experte in der Quantenphysik, der Politischen Ökonomie und der Herzchirurgie zu sein. Aber die ausschließliche Beschränkung des Menschen auf eine Tätigkeit durch die vom System weitgehend vorbestimmte Berufswahl wird der Vergangenheit angehören. Stattdessen wird es um die allseitige Entwicklung des Individuums und seiner Fähigkeiten und Potenziale gehen.

Je weiter dieser Prozess fortgeschritten ist, je mehr die Überbleibsel der überholten kapitalistischen Gesellschaft an Gewicht verlieren werden, je weiter also die vollen Potenziale des Menschen entwickelt werden und die Unterschiede zwischen Armen und Reichen verschwinden, desto mehr nähert sich die Gesellschaft dem Punkt, wo sie tatsächlich im vollen Maße als klassenlose Gesellschaft, als eine Gesellschaft der Freien und Gleichen bezeichnet werden kann.

Oft wird die erste Phase der neuen Gesellschaft als die Phase des Sozialismus oder der Diktatur des Proletariats bezeichnet und die zweite Phase als Kommunismus oder klassenlose Gesellschaft. Die Unterscheidung zwischen den beiden Phasen kann aber nicht sehr scharf gezogen werden. Denn der Sozialismus stellt keine andere Produktionsweise und keine qualitativ andere Gesellschaftsform dar als der Kommunismus, sondern nur ein frühes, unvollständiges Entwicklungsstadium der kommunistischen Gesellschaft. Der Übergang zur kommunistischen Gesellschaft verläuft auch nicht abrupt, wie der revolutionäre Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, sondern als allmähliches Hinüberwachsen. Eine Revolution ist im Übergang zur kommunistischen Gesellschaft weder notwendig, noch möglich. Denn die herrschende Klasse in der frühen Phase des sozialistisch-kommunistischen Aufbaus ist ja die Arbeiterklasse, die im Verlauf des Aufbauprozesses alle anderen Klassen auflöst. Die Arbeiterklasse ist zwar herrschende Klasse, aber zum ersten Mal in der Geschichte ist die herrschende Klasse keine Ausbeuterklasse, sondern eine Klasse, die sich die Abschaffung jeder Ausbeutung zum Ziel gesetzt hat. Es gibt also keine ausgebeutete Klasse mehr, die die herrschende Arbeiterklasse stürzen könnte.

9.2.6 Kann Sozialismus funktionieren? Oder ist er nur eine unrealistische Utopie?

Schließlich noch ein paar Worte zu der Frage, ob der Sozialismus „funktionieren“ kann. Die antikommunistische Propaganda behauptet immer wieder, der Sozialismus sei vielleicht eine „schöne Idee“, aber letztendlich könne er doch nicht funktionieren. Auch viele Menschen, die sich ehrlich eine andere Gesellschaft wünschen, stellen sich oft die Frage, ob der Sozialismus/Kommunismus nicht letztlich doch eine unrealistische Utopie sei. Diese Frage ist jedoch bereits als Frage in gewisser Weise fehlgeleitet. Denn der Kapitalismus hat längst Produktivkräfte geschaffen, die nur noch im Sozialismus ihr volles Entwicklungspotenzial weiter entfalten können. Er zwingt bereits die Arbeiter in einem Maße zur Kooperation, dass die Organisierung des Arbeitsprozesses unter dem vereinten Kommando der Gesellschaft offensichtlich möglich und effizienter wäre. Mit anderen Worten: Die Planwirtschaft, die laut den antikommunistischen Ideologen nicht funktionieren kann, findet in jedem kapitalistischen Monopolkonzern bereits statt – nur eben nicht gesamtgesellschaftlich und nicht an den Bedürfnissen der Menschen, sondern am Profit ausgerichtet.

Auch die angebliche „Natur des Menschen“, die so oft als Argument gegen den Sozialismus angeführt wird, wurde bereits widerlegt: Denn der Mensch ist immer das Produkt der gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen er lebt, sodass es eine allgemeine, für alle Epochen gültige Menschennatur gar nicht gibt. Der Kapitalismus lässt in den Menschen ihre wahren Potenziale verkümmern und fördert vor allem die niedersten und verabscheuungswürdigsten Charakterzüge. Es ist natürlich wahr, dass Menschen zu unvorstellbaren Grausamkeiten und den größten Verbrechen gegen ihre eigene Art imstande sind, wenn die Gesellschaft diese Fähigkeiten in ihnen entwickelt, wie es imperialistische Staaten und Armeen und besonders der Faschismus immer getan haben. Die kapitalistischen Ideologen wollen uns weismachen, dass der Mensch von Natur aus ein Einzelgänger ist, der nur nach dem eigenen Vorteil strebt und grausam gegen seine Mitmenschen ist. Doch dieses Menschenbild entspricht nicht der Realität. Denn sogar im Kapitalismus strebt der Mensch auch nach der Befriedigung seiner materiellen, aber auch sozialen, kulturellen und intellektuellen Bedürfnisse, wie dem Bedürfnis nach Solidarität, Freundschaft, Gemeinschaft usw., die allesamt gerade unter kapitalistischen Bedingungen nur unzureichend erfüllt werden können und nach dem Sozialismus verlangen. Die Arbeiterbewegung fördert und kultiviert auch schon im Kapitalismus die Solidarität unter den Arbeitern, den selbstlosen Einsatz füreinander und für eine bessere Gesellschaft. In einer sozialistischen Gesellschaft, wo die Arbeiter nicht mehr die Erfahrung der ständigen Konkurrenz gegeneinander machen, wo der gemeinsame Aufbau und die gegenseitige Hilfe und Unterstützung im Vordergrund stehen, entwickelt sich das Bewusstsein der Menschen ganz anders. Die Geschichte zeigt anhand von Millionen Beispielen, dass die Volksmassen im Sozialismus zu enormen Leistungen imstande sind: Von den freiwilligen Arbeitsbrigaden (z.B. die Subbotnik- und Stachanow-Bewegung in der Sowjetunion), bei denen Arbeiter freiwillig mehr arbeiteten, um den sozialistischen Aufbau zu beschleunigen bis hin zum Massenheroismus, mit dem Millionen Arbeiter und Bauern unter gewaltigen Opfern die Sowjetunion gegen den deutschen Faschismus verteidigten oder das vietnamesische Volk die USA als größte Militärmacht der Welt abwehrten.

Der Sozialismus ist gerade deshalb eine sinnvolle Gesellschaftsform, weil er an den menschlichen Bedürfnissen und Neigungen, also an der menschlichen Natur orientiert ist. Der Kapitalismus hingegen zeigt seinen irrationalen Charakter nicht nur durch seine regelmäßigen Krisen. Im Kapitalismus hängen auch Erfindungen und technische Neuerungen davon ab, ob das private Kapital sich einen Profit davon verspricht. Großinvestitionen, die sich erst langfristig lohnen, werden von den Kapitalisten erst gar nicht getätigt, weil es ihnen um den kurzfristigen Profit geht, daher muss hier bereits der Staat einschreiten. Und viele Neuerungen werden sogar verhindert, weil sie die Profite beschneiden. Es ist allgemein bekannt, dass technische Geräte bewusst mit eingebauten Fehlern konstruiert werden, damit sie nach ein paar Jahren kaputt gehen und neu gekauft werden müssen. In der DDR wurde hingegen beispielsweise ein fast unzerbrechliches Glas entwickelt, weil es im Sozialismus eben darum geht, die Wissenschaft in den Dienst des Menschen anstatt des Profits zu stellen – in diesem Falle hieß das, sinnvolle Gebrauchsgegenstände zu produzieren und dabei Ressourcen einzusparen. Nach der Zerschlagung des Sozialismus konnte sich diese Erfindung jedoch nicht durchsetzen, weil die kapitalistischen Glasproduzenten ein Interesse daran haben, dass Gläser beim Fallen zerspringen und somit der Markt für ihre Waren nie versiegt.

Während also die antikommunistische Propaganda behauptet, dass eine sozialistische Planwirtschaft wirtschaftlich ineffizient sei, ist das genaue Gegenteil der Fall. In der Planwirtschaft werden immer die neuesten und besten wissenschaftlichen Entwicklungen und Erfindungen umgesetzt werden, um die Arbeitsproduktivität zu erhöhen und den Ressourcenverbrauch zu senken. Weil die Forschung und Entwicklung nicht in jeder Firma einzeln stattfindet und durch das Betriebsgeheimnis behindert wird, sondern von allen Wissenschaftlern der Gesellschaft mit vereinten Kräften angegangen wird, beschleunigt sich im Sozialismus der wissenschaftliche Fortschritt enorm. Weil nicht mehr nur ein kleiner Teil der Menschheit die Möglichkeit hat, sich zum Ingenieur oder Wissenschaftler zu entwickeln, sondern letztlich die Potenziale aller Menschen so weit wie möglich ausgeschöpft werden, wird auch die Anzahl großer und genialer Künstler und Wissenschaftler sich stark erhöhen.

Die kapitalistische Produktionsweise hat in ihrer Anfangsphase im Vergleich zum Feudalismus und anderen vorkapitalistischen Produktionsweisen die Entwicklung der Produktivkräfte massiv beschleunigt. In vergleichbarer Weise wird auch der Sozialismus die Produktivkraftentwicklung, die von den kapitalistischen Eigentumsverhältnissen eingeengt, gehemmt und in eine destruktive Richtung gelenkt wird, zum Nutzen der Menschheit entfesseln. Die kapitalistische Ressourcenverschwendung durch ständige Krisen, die Zerstörung von Mensch und Natur, durch Kriege, zurückgehaltene technische Neuerungen sowie unproduktive und schädliche Tätigkeiten (z.B. die Tätigkeiten von Finanzspekulanten und Finanzberatungsfirmen, Repressionsapparaten, Werbe- und Marktforschungsfirmen, aber auch Bereiche wie Prostitution, Drogen- und Waffenhandel usw.) wird der planmäßigen, an gesellschaftlich sinnvollen Zielen orientierten Arbeit Platz machen.

Arbeitsfragen:

  • Was ist der Unterschied zwischen dem Lohn im Kapitalismus und im Sozialismus
  • Was unterscheidet das Geld im Kapitalismus von dem im Sozialismus?
  • Wieso sprechen wir von zwei Phasen des Sozialismus und worin unterscheiden diese sich?

Diskussionsfrage:

  • Welche ökonomischen Gesetzmäßigkeiten gibt es im Sozialismus? Welche Folgen kann es haben, wenn diese Gesetze verletzt werden? Ist es richtig, dass das Wertgesetz im Widerspruch zum sozialistischen Aufbau steht?

Die Kontroverse um das Wertgesetz im Sozialismus

In der UdSSR und auch in den anderen sozialistischen Ländern setzte sich nach dem XX. Parteitag der KPdSU 1956 zunehmend die Auffassung durch, wonach das Wertgesetz auch ein Gesetz des Sozialismus sei. Demnach gingen Ökonomen und Politiker in den sozialistischen Ländern davon aus, dass Ware-Geld-Beziehungen und Gewinnstreben ebenfalls nicht im Widerspruch zum Sozialismus stehen würden, sondern für den Sozialismus nutzbar gemacht werden könnten. Begründet wurde dies oftmals durch ein falsches Verständnis des Wertgesetzes: Es wurde behauptet, dass das Wertgesetz und der Warentausch gegen Geld eine Folge der Arbeitsteilung in einer entwickelten Gesellschaft seien. In Wirklichkeit entsteht das Wertgesetz aber nur auf der Grundlage des Privateigentums an Produktionsmitteln. Wie Marx gezeigt hat, tendiert der Warentausch aus sich heraus immer dazu, sich hin zum Kapitalismus zu entwickeln. Auch in den sozialistischen Ländern zeigte sich, dass das Vorhandensein kleiner privater Betriebe auch im Rahmen einer sozialistischen Wirtschaft dazu führt, dass die Eigentümer dieser Betriebe ein bürgerliches, gegen den Sozialismus gerichtetes Klassenbewusstsein behalten oder ausbilden.

Stalin hatte bis zu seinem Tod (1953) gegen solche Auffassungen gekämpft. Seiner Meinung nach war das Wirken des Wertgesetzes mit dem Sozialismus auf Dauer unvereinbar und musste im Verlauf des sozialistischen Aufbaus immer mehr zugunsten der umfassenden Planung zurückgedrängt werden. Nach seinem Tod begann unter Führung Nikita Chruschtschows jedoch eine umfassende Kampagne gegen Stalin, die auch damit einherging, seine wirtschaftspolitischen Positionen zu verwerfen.