Verwaltungsapparat des gesamten Systems

Die US-amerikanische Partei PSL über die Rolle der USA im Imperialismus unserer Tage

Von Paul Oswald
Die Party of Socialism and Liberation (PSL) legte im Jahr 2015 mit ihrem Buch „Imperialism in the 21st Century: Updating Lenin’s Theory a Century Later“ (Liberation Media Verlag) – anlässlich des 100. Jahrestages – Lenins Imperialismusschrift auf 216 Seiten neu auf. Lenins Schrift wird mit vier Artikeln eingeleitet, welche die Aktualität seines Imperialismusverständnisses darlegen. Die US-amerikanische PSL ist eine Partei, die sich 2004 von der Workers World Party abspaltete. Beide Parteien berufen sich auf die Tradition von Sam Marcy, welcher Trotzkist war.

Die PSL führt an, dass Lenins fünf Kriterien zur Bestimmung des Imperialismus (Entstehung von Monopolen; Aufkommen einer Finanzoligarchie auf dem Boden des Finanzkapitals; Bedeutung des Kapitalexports; internationale Monopolverbände; Beendigung der Aufteilung der Welt) als die allgemeinen Merkmale des globalen Kapitalismus in seiner monopolistischen Phase zu verstehen seien, in welcher die Expansion – welche die PSL mit dem Kolonialismus in Verbindung bringt – der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder zur absoluten Notwendigkeit geworden sei. Lenins Kriterien sind nach der PSL nicht als eine Art Checkliste verfasst worden, um den Charakter eines Landes zu bestimmen. Es wird hervorgehoben, dass sich der moderne Imperialismus nicht verstehen ließe, wenn wirtschaftliche Merkmale einzelner Länder isoliert voneinander betrachtet werden würden.

Die PSL argumentiert, dass die Position eines Landes im globalen Wirtschaftssystem sowie ihre Beziehungen zu dem Club an Ländern, welche die Weltordnung dominieren, betrachtet werden muss (S. 65 f.). Daher ergäbe es für die PSL keinen Sinn, jedes Land, welches Kapital exportiert oder versucht, einen Zugang zu Ressourcen zu erlangen, als imperialistisch zu charakterisieren. Der Zugang zu Ressourcen ist nach der PSL ein unvermeidliches Merkmal in einer Gesellschaft, die auf der Entwicklung der Produktivkräfte, dem damit im Kapitalismus notwendigerweise einhergehenden Profitstreben und einem Bevölkerungswachstum basiere. Die Grenzen zwischen ihrer relevanten Macht würden verschwimmen, würden all diese Länder als imperialistisch bezeichnet werden. Nach der PSL sind imperialistische Länder jene, die das globale System beherrschen oder es versuchen und nicht jene, die um einen Aufstieg kämpfen (S. 68).

Die PSL führt an, dass Lenin die Neuaufteilung der Welt als eine Neuaufteilung der Kolonien unter den Imperialisten verstand. Dieser Kampf um die Neuaufteilung wird nach der PSL auch heute noch geführt, allerdings nicht durch die territoriale Aufteilung eines Kolonialreichs (S. 8). Dies wird daraus abgeleitet, dass die USA das alte Kolonialsystem mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch ein neues ersetzt hätten, welches Kwame Nkrumah, der Ghana als eines der ersten afrikanischen Länder in die Unabhängigkeit führte und später der wichtigste Sprecher der panafrikanischen Bewegung wurde, als ‚Neokolonialismus‘ bezeichnete. Die Annahme ist, dass dieses neue Kolonialsystem den Ländern eine nominelle Unabhängigkeit gewähre, um die Märkte dieser Länder für verschiedene Imperialisten zu öffnen. Gleichzeitig würden aber die politischen und wirtschaftlichen Kernangelegenheiten unter imperialistischer Kontrolle bleiben.

Die PSL vertritt die Annahme, dass die Imperialisten bis zur Konterrevolution ein gemeinsames Ziel verfolgten: die Unterdrückung von sozialistischen und fortschrittlich nationalistischen Tendenzen (S. 13f.). Nach der PSL vollzog sich eine Teilung der Kapitalistenklasse in den Kolonien und Neokolonien. Diejenigen, die dem neuen Kolonialsystem dienten, bezeichnen sie als „Kompradoren“. Die Kapitalisten, welche eine unabhängige nationale Entwicklung der Wirtschaft anstreben, stellen nach der PSL die „nationale Bourgeoisie“ dar. Die PSL führt aus, dass diese „nationale Bourgeoisie“ während des Kalten Kriegs durch die Unterstützung der sozialistischen Länder mehr Handlungsspielraum als heute besaß (S. 69 f.).

Die Partei argumentiert zudem, dass die Haupttriebkraft, die zu Lenins Zeiten zum Krieg führte (die Neuaufteilung der Kolonien), weggefallen sei. Nach dem Zweiten Weltkrieg bildeten die sozialistischen Länder gemeinsam einen Block mit jenen Ländern, die für die nationale Befreiung kämpften (S. 33 ff.). Die USA strebten danach, in einem gemeinsamen Bündnis aller Imperialisten diesen Block „einzudämmen“. Dies bedeutete – so die PSL – einen ununterbrochenen Krieg. An fast jedem Ort in der Welt brachen Kämpfe zwischen dem Imperialismus und dem sozialistischen Block aus. Für die PSL bedeutet dies, dass es keine politische Bewegung außerhalb dieses Kampfes geben konnte (S. 41 f.). Mit der Konterrevolution brach das politische und wirtschaftliche Gegengewicht zum Imperialismus weg, welches vielen Staaten der ehemals kolonialisierten Welt ermöglichte, eine nationale Entwicklungspolitik zu betreiben (unabhängige Außenpolitik, Verstaatlichung der Schlüsselindustrie, Sozialleistung usw.). Die USA griffen unmittelbar nach der Konterrevolution den Irak an. In der Clinton-Zeit folgten dann Somalia, Sudan, Haiti und Jugoslawien. Diese Reihe setzt sich unter Bush jr. und Obama fort. Nach der PSL würde das Schicksal Iraks zeigen, wie die aufeinanderfolgenden Stadien des Imperialismus ineinander übergehen und sich der Kalte Krieg in einen Krieg gegen unabhängige Staaten wandelte. Nach der Konterrevolution richtete sich die oberste Priorität der USA auf die Vorherrschaft über den Nahen Osten und seine Energiequellen (S. 56 f.).

In Bezug auf den US-Imperialismus hebt die PSL hervor, dass dieser nicht nur als Ausdruck der US-Konzerne und seiner Finanzoligarchie verstanden werden dürfe. Er sei der Verwaltungsapparat des globalen kapitalistischen Systems insgesamt. Daraus ergebe sich ein übergeordnetes politisches Ziel für die USA: die Erhaltung dieser Weltordnung. Hieraus zieht die PSL den Schluss, dass die USA durch die jüngsten Kriege gegenüber den Entwicklungsländern und ihren eigenen imperialistischen Partnern demonstrieren würden, dass ihre Hegemonie nicht in Frage gestellt werden dürfe (ebd., S. 54 f.). Die größte Herausforderung des Imperialismus heute sieht die PSL darin, dass die USA versuchen, den Aufstieg neuer Mächte (Russland, China usw.) anzupassen und zu steuern. Sie wollen dadurch die Bedingungen bestimmen, unter denen Unabhängigkeit definiert wird, indem die US-Hegemonie aufrechterhalten wird. Gleichzeitig werde gegen jeden Krieg geführt, der diesen Konsens hinterfrage (S. 71).
Hervorzuheben ist in diesem Buch das Verständnis der PSL der fünf Merkmale Lenins. Anhand dieser Ausführung wird eine klare Unterscheidung zwischen dem Imperialismus als Epoche und einzelnen imperialistischen Ländern möglich.

■ Party of Socialism and Liberation / Ben Becker: Imperialism in the 21st century, San Francisco: Liberation Media 2015. 216 Seiten. Kindle Version

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