Eine neue Dimension der Hetze und Repression durch den deutschen Staat

Reflexion zur gewaltvollen Auflösung des Palästina-Kongresses in Berlin

Stellungnahme der Zentralen Leitung der Kommunistischen Organisation vom 9. Mai 2024

Wir verurteilen aufs Schärfste die Angriffe des Staates auf den Palästina-Kongress und seine Teilnehmer. Die gewaltvolle Auflösung des Kongresses, der eigentlich vom 12. bis zum 14. April in Berlin hätte stattfinden sollen, ist Ausdruck des neuen Ausmaßes staatlicher Repression gegen palästinasolidarische Gruppen und Strukturen.

Was sollte stattfinden?

Am Wochenende des 12. bis 14. April sollte in Berlin eigentlich der Palästina-Kongress stattfinden. Unter dem Motto Wir klagen an! verfolgte der Kongress das Ziel,einerseits die deutsche Beteiligung am Völkermord Israels an den Palästinensern aufzudecken und anzuklagen, andererseits die Vernetzung der verschiedenen Gruppen und Organisationen, die in den letzten Monaten Palästina-Solidaritätsarbeit geleistet haben, voranzutreiben. Organisiert wurde der Kongress von der Revolutionären Linken, Gruppe Arbeiter*innenmacht, von der Jüdischen Stimme für gerechten Frieden in Nahost, Diem25, BDS Berlin, Palestinians and Allies und dem Vereinigten Palästinensischen Nationalkomitee. Der Kongress wurde von zahlreichen weiteren Gruppen und Organisationen beworben und unterstützt. Auf dem Kongress selbst sollten unter anderem Yanis Varoufakis (Diem25/Mera25), Ghassan Abu Sitta (Universität Glasgow) und Wieland Hoban (Jüdische Stimme) sprechen. Im Vorfeld wurden circa 1200 Karten ausgegeben und der Kongress war ausverkauft.

Was ist passiert?

Trotz der absoluten Transparenz des Programms, der renommierten Rednerliste und des teilweise explizit legalistischen Mottos und Ziel des Kongresses, wurde bereits Wochen im Voraus seitens Politik, Medien und sonstigen Zionisten kräftig gehetzt: sei es durch den Zentralrat der Juden, der eine ,,weitere Radikalisierung des Antisemitismus” befürchtete, durch den Berliner Tagesspiegel, der behauptete, “die Antisemiten der Welt” würden sich in Berlin versammeln, durch die bürgerlichen Parteien oder die linksliberale Süddeutsche Zeitung; das mediale und politische Echo des Palästina-Kongresses war und ist gewaltig. Besonders der inflationäre und falsche Antisemitismus-Begriff bürgerlicher Parteien, der schon die Kritik an Israel mit Antisemtismus gleichsetzt, ist ein beliebtes Mittel zur Diffamierung palästinasolidarischer und israelkritischer Stimmen. Der Staat und seine Handlanger bedienten sich sämtlicher Mittel, jeder Strohhalm wurde ergriffen, um den Kongress zu verbieten oder seine Durchführung zu sabotieren. Die Repression nahm sogar solche absurden Ausmaße an, dass das Konto der Jüdischen Stimme, dem rechtlichen Anmelder des Kongresses, bei der Berliner Sparkasse gesperrt und rechtswidrig eine volle Mitgliederliste des Vereins eingefordert wurde, wie wir bereits berichteten. Die Aussicht auf eine mögliche bundesweite Zusammenkunft verschiedener palästinasolidarischer Gruppen, das Vernetzungspotenzial und der symbolische Wert, die aus einem solchen Treffen hervorgehen könnten, waren anscheinend Grund genug sogar seitens der Politik auf städtischer Ebene ein vom Berliner Senat betragenes Verbot zu versuchen.

Ein derart offenes und dreistes, von der Politik im Vorhinein auf Basis eine Pauschalverdachts durchgesetztes Verbot scheint zwar selbst in Deutschland momentan noch nicht erfolgreich zu sein. Der Kongress konnte nicht im Vorhinein abgesagt werden, was sicherlich ein Erfolg und ein Zeichen der Standhaftigkeit der palästinasolidarischen Bewegung ist. Doch zeigte sich am Kongresswochenende einmal mehr, wie weit es mit der Gewaltenteilung im Kapitalismus hergeholt ist: was die Legislative nicht kann, das übernimmt die Exekutive doch gern. Schließlich ziehen alle im Namen von Väterchen Staat für das Kapital am gleichen Strang. Die Teilnehmer des Kongresses wurden von Ort von einem massiven Polizeiaufgebot aus der ganzen Bundesrepublik empfangen und unter Vorschub scheinheiliger Schwachsinnigkeiten (unterschiedlichste technische Prüfungen des privaten Tagungsgebäudes) zunächst durch große Verzögerungen und Schikanen am normalen Programmablauf gehindert. Kurz darauf teilte die Polizei kurzerhand eine Reduzierung der zugelassenen Teilnehmer um 80% mit. Die Warteschlange, die dadurch resultierte, wurde als anzumeldende Kundgebung gewertet, die dann einige Stunden früher als vereinbart einfach aufgelöst wurde. Die Teilnehmer wurden eingekreist und tröpfchenweise vom Kongressort verwiesen. Die Polizei ging so weit, kleineren Gruppen von Teilnehmern den gesamten Weg bis zum Protestcamp vor dem Bundestag zu folgen und die Straßenroute vorzugeben. Dies stellten sie mit einem über hunderte von Metern bestehenden, wandelnden Kessel und massiven Einschüchterungsversuchen sicher.

Sobald durch diese Drangsalierungen vor dem Kongressgebäude freie Bahn war, stürmte die Polizei circa eine Stunde nach Beginn den Konferenzsaal, brach die Veranstaltung gewaltvoll ab und verhängte ein Verbot für das gesamte Kongresswochenende, inklusive aller Ersatzveranstaltungen. Der Vorwand, der dafür willkürlich auserkoren wurde, war die Übertragung einer Videobotschaft aus London von Salman Abu Sitta, dem Vorsitzenden der Palestine Land Society. Obwohl das Programm und die vollständige Rednerliste noch am Morgen des ersten Kongresstages selbst mit der Polizei durchgegangen und bestätigt wurde und Abu Sittas Beteiligung bekannt war, besetzte die Polizei wenige Minuten nach Beginn seines Beitrags schlagartig den Raum, stoppte die Live-Übertragung, brach die Tür zum Stomversorgungsraum auf und kappte kurzerhand die gesamte Stromversorgung.

Die Begründung für diese krasse Eskalation war ein politisches Betätigungsverbot Abu Sittas, von dem die Veranstalter des Kongresses zu keinem Zeitpunkt während der Vorbereitung und den langwierigen Kooperationsgespräche in Kenntnis gesetzt wurden, wie die zuständige Anwältin Nadija Samour erklärt. Es war der anwesenden Staatsanwaltschaft, sowie der polizeilichen Einsatzleitung des Weiteren nicht möglich, irgendeine strafrechtliche Aussage in diesem oder anderen Vorträgen vorzuweisen, was sie jedoch nicht davon abhielt, die sofortige Auflösung des Kongresses und ein Verbot desselben zu verordnen. Die Begründung? Es sei zwar bisher nicht ein einziges strafrechtlich relevantes Wort gefallen, aber es bestehe ja potenziell die Möglichkeit zukünftiger Äußerungsdelikte.

Rainer Wendt, Vorsitzender der deutschen Polizeigewerkschaft, äußerte sich im Fernsehinterview bei Welt äußerst zufrieden über die getane Arbeit. Auf die Enttäuschung des Moderators über das fehlende Verbot im Vorhinein des Kongresses, obwohl es doch wohl Möglichkeiten dazu gäbe, räumte Herr Wendt zwar ein, dass es sehr schade sei, dass die Entscheidungen der Polizei immer wieder von den Verwaltungsgerichten über den Haufen geworfen würden, beruhigte aber: “so wie es gelaufen ist, ist das schon mustergültig gewesen. Gestern war ein guter Tag für die Hauptstadt”. Worin sich beide einig sind ist, wie freiheitlich Berlin sei und dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit in Deutschland sowieso eines der höchsten Güter sei. Aber auch zum Punkt Gewaltenteilung hatte Herr Wendt selbst etwas zu sagen und erklärte, dass die polizeiliche Versammlungsbehörde natürlich auch die politische Unterstützung brauche, “aber auch die hatte die Polizei Berlin – deshalb nochmal: gestern war ein richtig guter Tag für die Hauptstadt”. Bezüglich der Einreiseverbote gebot Wendt Ehre, wem Ehre gebührt “gut, dass wir Grenzkontrollen haben”. Wer jetzt noch Zweifel am Vorgehen hat, sei versichert, die Polizei habe “ganz rechtssicher, in aller Gelassenheit und ganz konsequent diese Versammlung abgebrochen und beendet. Genauso muss man das auch machen. Ein richtig mustergültiger Einsatz”.

Mit politischen Betätigungsverboten und daraus abgeleiteten Einreiseverboten wurde an diesem Wochenende nicht gespart. Auch der renommierte Chirurg und Rektor der Universität Glasgow Ghassan Abu Sittah, der zu Beginn des Krieges gegen Gaza vor Ort war und dort zusammen mit Ärzte ohne Grenzen operierte, war davon betroffen. Ihm wurde für die gesamte Dauer des Kongresses die Einreise nach Deutschland verwehrt. Er wurde am Flughafen Berlin festgehalten und gezwungen, unverrichteter Dinge wieder zurück nach Großbritannien zu fliegen. Die Verbote treffen jedoch nicht ausschließlich palästinensische Aktivisten und Redner, sondern auch einstmalig hochrangige europäische Politiker: Yanis Varoufakis, ehemaliger Finanzminister Griechenlands und Referent auf dem Kongress, wurde ebenfalls durch ein Einreise- und politisches Betätigungsverbot von der Beteiligung am Kongress ausgeschlossen.

Die offizielle Begründung der Betätigungsverbote für Salman Abu Sittah, Ghassan Abu Sitta und Yanis Varoufakis stellen eine krasse Verschärfung gegenüber der Meinungsfreiheit im Allgemeinen und der Palästina-Solidarität im Speziellen dar. Aufgrund der Unterstellung, dass möglicherweise antisemitische oder strafrechtlich relevante Aussagen durch die Referenten getätigt werden könnten, wurde einem international anerkanntem Chirurgen und Rektor, einem bekannten palästinensischen Forscher und dem ehemaligen griechischen Finanzminister die Einreise in die BRD für den exakten Zeitraum, in dem der Kongress stattfinden sollte, verweigert.

Wie konnte es dazu kommen und was müssen wir dem entgegnen?

Zwar gilt hierzulande seit jeher die Meinungsfreiheit bevorzugt für systemkonforme Aussagen, eine derartige Verschärfung der Repression und direkte Kontinuität zwischen politischem und medialem Druck und rechtlich haltlosen Polizeiübergriffen darf jedoch nicht unkommentiert bleiben.

Wir haben als Marxisten keinerlei Illusionen über den Charakter bürgerlichen Rechts und sehen es nicht als positiven, statischen Bezugspunkt an. Es ist vielmehr ein direktes Ergebnis der Kräfteverhältnisse im andauernden Kampf zwischen sich feindlich gegenüberstehenden Klasseninteressen. Solange die herrschende Klasse die Kapitalistenklasse bleibt, wird das Recht ihr Recht sein. Die Verengung demokratischer Spielräume innerhalb des bürgerlichen Staates ist bezeichnend für eine Phase der Zuspitzung imperialistischer Widersprüche und ihrer Auswirkungen auf die Innenpolitik. Die Repression gegen den Palästina-Kongress, seine Organisatoren und seine Teilnehmer überrascht in ihrer Härte, nicht jedoch in ihrer inneren Logik und grundsätzlichen politischen Ausrichtung.

Palästina ist seit jeher ein Thema, bei dem besonders repressive Maßstäbe angesetzt werden, da es direkt imperialistische Interessen der BRD auf der Weltbühne betrifft. Unsere Herrschenden sagen uns das sogar offen selbst, indem sie diese grundsätzliche Ausrichtung in ihrer Staatsräson festgeschrieben haben. Seit Oktober und der unerträglichen weiteren Zuspitzung der Nakba, haben sich auch in Deutschland mehr und mehr Personen gegen diese genozidale Politik gewehrt und organisiert, worauf der Staat mit massiven Angriffen auf unterschiedlichen Ebenen reagiert hat. Palästinasolidarische Gruppen und Personen befinden sich seit Monaten im Kreuzfeuer von Repressionsorganen und Zionisten: Es wird verleumdet, denunziert, beleidigt, gestalkt, gespuckt, angegriffen, gehetzt und angezeigt – alles im Sinne und im Dienste der Staatsräson. Sowohl die Kommunistische Organisation als auch andere Organisationen, wie die Students for Palestine in Berlin oder die Duisburger Palästina-Solidarität, sehen sich heftigen Angriffen, politischen Verboten bis hin zu Gerichtsverfahren ausgesetzt. Was auf der Straße durch Verbote, Festnahmen und Anzeigen durchgesetzt wird, geschieht am Arbeitsplatz durch Kündigungen oder sogar Schließungen der gesamten Institution und an Unis durch die (Wieder-)Einführung politischer Zwangsexmatrikulationen.

Doch genauso wie der Staat erkennt, dass es hier um seine Klasseninteressen geht, die es zu verteidigen gilt, tun wir das auch. Wir wissen, dass das Morden in Palästina nicht loszulösen ist von der Mitschuld, der Kriegstreiberei und der Profitgier unserer eigenen Ausbeuter. Wir wissen, dass der ungebrochene Widerstand in Palästina Ausdruck der Stärke und der Würde unserer Klasse ist. Wir wissen, dass wir unseren Kampf über alle Landesgrenzen hinweg kämpfen müssen, um uns als weltweite Arbeiterklasse von Krieg und Besatzung befreien zu können und wirklichen Frieden zu erreichen. Wir wissen, dass es genau diese Erkenntnis, diese Einheit ist, die unsere Herrschenden mit aller Macht zu unterdrücken versuchen, weil sie sich ihrer Gefahr bewusst sind. Wir wissen deswegen umso mehr, dass wir uns davon nicht aufhalten lassen.

Solange der Genozid anhält, müssen wir dagegen auf die Straße gehen und unsere Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand ausdrücken.

Solange hierzulande Waffen produziert und nach Israel geschifft werden, ist es unsere Aufgabe, uns an den Produktionsorten dagegen einzusetzen.

Solange die Repression und die rassistische Hetze gegen palästinasolidarische Personen anhält, stehen wir an der Seite aller betroffenen Personen und führen mit ihnen den gemeinsamen Kampf.

Wir stehen als Kommunistische Organisation an der Seite unserer Klassengeschwister, die in Berlin und bundesweit Opfer der Klassenjustiz des deutschen Imperialismus geworden sind. Wir solidarisieren uns mit allen, die für die Freiheit Palästinas kämpfen. Getroffen hat es auf dem Palästina-Kongress einige, gemeint sind wir alle!

Freiheit für Palästina!

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