Fall “Nancy Fraser”: Universitäten im Dienst der Außenpolitik

Beitrag von August Nikitin

Mit der Albertus-Magnus-Professur (AMP) zeichnet die Universität zu Köln jedes Jahr eine Professorin oder einen Professor mit internationaler Bedeutung aus, der durch die Professur befähigt wird, Vorlesungen zu ihrem jeweiligen Fachgebiet an der Universität anzubieten. Prominente Professoren, meist aus dem philosophischen und soziologischen Bereich, wie Judith Butler, Achille Mbembe und Noam Chomsky, wurden in den vergangenen Jahren ausgezeichnet. Doch dieses Jahr steht die AMP erstmals aus. Grund dafür ist die Auseinandersetzung der Universitätsleitung mit einem von Fraser unterzeichneten offenen Brief der Gruppe “Philosophy for Palestine”, welcher die Zusammenarbeit mit israelischen Bildungseinrichtungen vor dem Hintergrund des Genozids im Gaza-Streifen verurteilt.

Zensur im Namen Israels

Am 5. April 2024 veröffentlichte der Rektor der Universität zu Köln, Joybrato Mukherjee, die Aberkennung der Professur für Nancy Fraser als Reaktion auf den am 1. November 2023 erschienenen offenen Brief. Fraser sei bereits vor dem 7. Oktober eingeladen und mit der Professur ausgezeichnet worden und man sei erst jetzt durch Hinweise auf ihre Haltung zum Krieg in Palästina aufmerksam geworden. In diesem ersten Statement sprach die Universität noch davon, dass in dem Brief “das Existenzrecht Israels als “ethno-suprematistischer Staat” seit seiner Gründung 1948 faktisch in Frage gestellt würde und dies unvereinbar mit der vergangenen Haltung der Universität zum israelischen Staat und dem Krieg sei.

In einer Stellungnahme vom 9. Oktober sprach Mukherjee von der Zerstörung Gazas als auf den Angriff am 7.Oktober ausgelöste Entwicklung und von einer besonderen Verbindung zum Staat Israel. Beispielsweise hatte das Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre am 15. Januar während der Bombardierung des Gaza-Streifens den Botschafter Israels in Deutschland zu einem Vortrag eingeladen, in dem dieser die Aktionen der israelischen Armee (IDF) legitimierte. Im Vorfeld dazu hatten mehrere Studierende Hausverbote an der Universität für diese Tage bekommen und das nur aufgrund ihrer vermeintlichen Likes und Beiträge auf ihren Instagram-Seiten. Zwar konnte erfolgreich gegen diese Hausverbote geklagt werden, der Eindruck und die Intention der Uni bleiben jedoch klar: Sie steht bedingungslos hinter dem anhaltenden Massaker der IDF.

Nach starker Kritik aus der palästinensischen Bewegung sowie aus dem deutschen und internationalen Feuilleton ruderte der Rektor in einem Interview mit dem Deutschlandfunk zurück und bezeichnete den im Brief geforderten Boykott von israelischen Bildungsinstitutionen als einzigen Grund für die Absage. Das sei bei den israelischen Partnerinstitutionen nicht zu rechtfertigen. In einer Senatssitzung vom 17. April nahm er zwar die Verantwortung für die Aberkennung auf sich, machte jedoch den protestierenden Studierenden klar, es handele sich hier nicht um eine geopolitische Positionierung, deshalb sei ein Diskurs über diese hinfällig. Was er dabei auslässt: Die Zusammenarbeit mit israelischen Universitäten und eben nicht mit jenen in Gaza ist selbst bereits ein Ergebnis der deutschen Staatsräson.

Aufrüstung an deutschen Unis

Die Aberkennung der Professur für Nancy Fraser ist selbstverständlich kein Einzelfall, sondern reiht sich ein in die lange Liste an Repressionen gegen die palästinasolidarische Bewegung, nicht zuletzt auch an deutschen Universitäten. Doch insbesondere zeigt die Ausladung auch, wie sich die deutsche Bildungslandschaft mehr und mehr der außenpolitischen Linie der Bundesregierung und der Aufrüstung Deutschlands unterwirft. Die Bayrische Landesregierung hatte im Januar einen Gesetzesvorschlag eingebracht, der Universitäten die sogenannte “Zivilklausel” verbieten soll, also das selbstauferlegte Gebot, sich lediglich auf zivile und nicht auf militärische Forschung zu konzentrieren. In Nordrhein-Westfalen wurde eine Pflicht zur Zivilklausel schon 2019 abgeschafft.

Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine forderte auch die CDU auf Bundesebene ein komplettes Verbot der Zivilklausel und uneingeschränkten Zugang der Bundeswehr zu Universitäten und Schulen. “Gute Verteidigung braucht auch gute Innovation”, hieß es von Jan Wörner, dem Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften. Es besteht also kein Zweifel daran, dass Bildung und Forschung in Deutschland mehr und mehr darauf getrimmt werden, Aufrüstungsprojekte voranzutreiben und an Universitäten verstärkt Soldatinnen und Soldaten zu rekrutieren.

Und nicht nur in der militärisch relevanten Forschung, sondern in allen Bereichen des Bildungswesen wird die Staatsräson diktiert. Beispiele dafür sind die Forderung nach Zwangsexmatrikulationen von propalästinensischen Studierenden, die auf den Angriff auf den zionistischen Provokateur Lahav Shapira in Berlin folgten, oder auch die hochgradig geschichtsrevisionistische und von der zionistischen Lobby-Organisation “Masiyot” finanzierte Broschüre “Mythos#Israel1948”, die schon an Neuköllner Schulen im Unterricht eingesetzt wird.

Die Zensur ist auf allen Ebenen des akademischen Diskurs angekommen. Der hessische Antisemitismus-Beauftragte Uwe Becker und der Verband Jüdischer Studierender forderten Anfang April die US-amerikanische Philosophin Judith Butler auf, den an sie verliehenen Adorno-Preis der Stadt Frankfurt zurückzugeben, nachdem diese sich positiv über den palästinensischen Widerstand geäußert hatte. Der slowenische Philosoph Slavoj Žižek plädierte schon im Oktober in seiner Eröffnungsrede auf der Frankfurter Buchmesse dafür, auch palästinensischen Stimmen eine Plattform zu geben, was dazu führte, dass die Rede unterbrochen wurde und einige Gäste den Saal verließen. Auf derselben Messe wurde kurz zuvor die eigentlich nominierte palästinensische Autorin Adania Shibli aufgrund des 7. Oktobers nicht ausgezeichnet, die Preisverleihung wurde verschoben.

Diese Entwicklungen sind beunruhigend, aber nicht überraschend. Die Bildungseinrichtungen sind Institutionen des bürgerlichen Staates und erfüllen die Funktion, das Bewusstsein im Interesse der herrschenden Klasse zu beeinflussen. Auch bei vergangenen Konflikten und Kriegen wird alles getan, um die Geschichte falsch darzustellen. Sei es die Rolle der Kommunisten im Widerstand gegen den Faschismus zu verschweigen oder die Bombardierung Jugoslawiens zu legitimieren. So ist auch die deutsche Bildungspolitik eng an der Staatsräson ausgerichtet. Die jüngsten Ereignisse zeigen jedoch eine neue Qualität der Ausrichtung des Bildungswesens an den Interessen des deutschen Staates. Es gilt, sich diesen Eingriffen zu widersetzen und selbstständig Bildung über das Weltgeschehen zu organisieren.

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