Die Kommunistische Internationale, ihre Auflösung und der internationale Kampf der Kommunisten heute

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Internationale Kommission der KO

Vor 80 Jahren, am 15. Mai 1943, inmitten des Zweiten Weltkrieges und kurz nach dem kriegsentscheidenden Sieg der Roten Armee in Stalingrad wurde – für die Öffentlichkeit überraschend – die Auflösung der Kommunistischen Internationale (kurz: Komintern) verkündet und wenig später umgesetzt. Die gemeinsame internationale Organisation der Kommunisten, die noch unter Führung Lenins gegründet worden war und 24 Jahre lang den Kampf der kommunistischen Weltbewegung organisiert, unterstützt und koordiniert hatte, existierte nicht mehr. Ein gleichwertiger Ersatz für sie wurde nie wieder geschaffen.

Was war die Komintern? Weshalb wurde sie gegründet? Wie kam es zu ihrer Auflösung und wie bewerten wir diese Erfahrung heute?

Um diese Fragen und was sie mit unserem Kampf als Kommunisten in der heutigen Zeit zu tun haben wird es im Folgenden gehen.

Die Anfänge der Internationalen

Die Frage der internationalen Organisierung der revolutionären Arbeiterbewegung stellte sich schon von Anfang an, da die Arbeiterbewegung bereits in ihren Anfängen eine internationale Bewegung war. Bereits der Bund der Kommunisten, in dieser Form 1847 von Marx und Engels gegründet, verstand sich als internationale Vereinigung. Ihm gehörten Revolutionäre aus vielen europäischen Ländern und den USA an. Das Kommunistische Manifest, das 1848 als Programmschrift des Bundes veröffentlicht wurde, schloss mit dem berühmten Aufruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“.

1864 wurde in London die Internationale Arbeiterassoziation gegründet, die man später die Erste Internationale nennen würde. Im Statut dieser ersten Weltorganisation der sozialistischen Arbeiterbewegung hieß es: „In Erwägung, […] daß die Emanzipation der Arbeiterklasse weder eine lokale, noch eine nationale, sondern eine soziale Aufgabe ist, welche alle Länder umfaßt, in denen die moderne Gesellschaft besteht, und deren Lösung vom praktischen und theoretischen Zusammenwirken der fortgeschrittensten Länder abhängt; daß die gegenwärtig sich erneuernde Bewegung der Arbeiterklasse in den industriellsten Ländern Europas, während sie neue Hoffnungen wachruft, zugleich feierliche Warnung erteilt gegen einen Rückfall in die alten Irrtümer und zur sofortigen Zusammenfassung der noch zusammenhangslosen Bewegungen drängt; aus diesen Gründen ist die Internationale Arbeiter-Assoziation gestiftet worden1.

Marx selbst erklärte dazu kurze Zeit später: „Die vergangene Erfahrung hat gezeigt, wie Mißachtung des Bandes der Brüderlichkeit, welches die Arbeiter der verschiedenen Länder verbinden und sie anfeuern sollte, in allen ihren Kämpfen für Emanzipation fest beieinanderzustehen, stets gezüchtigt wird durch die gemeinschaftliche Vereitlung ihrer zusammenhangslosen Versuche. Es war dies Bewußtsein, das die Arbeiter verschiedener Länder (…) anspornte zur Stiftung der Internationalen Assoziation.“2

Auch an der Pariser Kommune, der ersten proletarischen Revolution der Geschichte, beteiligten sich 1871, teilweise an führender Stelle, Ausländer wie der Ungar Léo Frankel, die polnisch-russische Revolutionärin Anna Jaclard und die polnischen Sozialisten Walery Wroblewski und Jaroslaw Dabrowski.

Die Erste Internationale hatte von Beginn an mit dem Einfluss des Anarchismus zu kämpfen. Der anarchistische Theoretiker Michail Bakunin wandte sich gegen eine zentrale Organisierung der Arbeiterklasse und gegen das Ziel einer Machtübernahme des Proletariats, wie es Karl Marx und Friedrich Engels propagierten. Damit konnte der Anarchismus der Arbeiterbewegung keinerlei reale Perspektive bieten, seine einzige Wirkung in der Internationale war, diese durch Grabenkämpfe zu lähmen und letztlich zu spalten. Der Anarchismus konnte in dieser frühen Phase der Arbeiterbewegung eine zentrale Rolle spielen, weil die internationale Arbeiterklasse abgesehen von den wenigen Wochen der Pariser Kommune noch keine Erfahrungen mit ihrer eigenen Staatsmacht gemacht hatte. Die Notwendigkeit der Schaffung eines sozialistischen Staates und einer zentralisierten und disziplinierten revolutionären Partei war großen Teilen der Bewegung noch nicht ins Bewusstsein gedrungen. Zudem war der von Marx und Engels entwickelte wissenschaftliche Sozialismus eine relativ junge Bewegung und die Einflüsse der verschiedenen Strömungen des utopischen, frühbürgerlichen und vorkapitalistischen Sozialismus waren in Teilen der Arbeiterklasse noch stark. Die Kämpfe zwischen den kommunistischen und anarchistischen Teilen der Bewegung ließen die Erste Internationale schließlich scheitern.

1889 ging aus der Ersten Internationalen in Paris die Zweite Internationale hervor, um das Werk ihrer Vorgängerorganisation fortzusetzen. Auch in der II. Internationalen koexistierte über lange Zeit die revolutionäre marxistische Linie mit verschiedenen opportunistischen Positionen, die objektiv darauf hinarbeiteten, die Arbeiterbewegung in Abhängigkeit von der bürgerlichen Politik zu bringen. Opportunistische, reformistische Tendenzen gab es in der II. Internationale seit langem, doch 1914, beim Ausbruch des imperialistischen Ersten Weltkriegs, brachen sie offen aus. Die gegenseitigen Beteuerungen der Arbeiterparteien, dass man im Fall eines Krieges zwischen den kapitalistischen Mächten nicht zulassen würde, dass die Arbeiter gegeneinander auf die Schlachtbank geführt würden, waren nun nichts mehr wert. Fast alle Parteien der Zweiten, angeblich „Sozialistischen“ Internationalen stellten sich auf die Seite ihrer eigenen herrschenden Klasse, rechtfertigten den Krieg und sahen nun nicht mehr die Kapitalisten ihrer eigenen Länder als Todfeind, sondern die Arbeiter, Bauern und einfachen Leute auf der anderen Seite der Front. So auch die SPD, die ehemalige sozialistische Partei in Deutschland, die nun zur Stütze von Kaiser Wilhelm und seinen Reichskanzler von Bethmann Hollweg degenerierte. Gerechtfertigt wurde der Verrat der Sozialdemokratie an ihren früheren Prinzipien und an den Millionen Arbeiterinnen und Arbeitern in ihrer Gefolgschaft vor allem, indem das Schreckensszenario eines aggressiven russischen Despotismus konstruiert wurde, vor dem die deutsche Bevölkerung beschützt werden müsse. Umgekehrt war das Feindbild der Opportunisten in den Ländern der Entente der preußische Militarismus, gegen den man seine Freiheit verteidigen müsse. So fand die bürgerliche Strömung in der Sozialdemokratie in jedem Land die passende Propaganda, um ihre Unterordnung unter die „eigene“ herrschende Klasse zu legitimieren.

Die revolutionäre Strömung innerhalb der II. Internationalen, die international vor allem von den russischen Bolschewiki und in Deutschland von Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Franz Mehring und anderen repräsentiert wurde, hatte sich dagegen in der Auseinandersetzung nicht durchsetzen können. Damit wurde die Arbeiterklasse ohne eine Organisation, die ihre Interessen vertreten konnte, in den Weltkrieg geschickt.

Ganz Europa wurde zum Schlachtfeld und Millionen Leichen türmten sich auf, bevor 1917 das Volk in Russland als erstes gegen das Morden aufstand und zuerst, im Februar, die Zarenregierung stürzte, dann aber, da die neue bürgerlich-demokratische Regierung den Krieg ebenfalls fortsetzte, die kapitalistische Klassenherrschaft überhaupt hinwegfegte und unter der Führung der Partei der Bolschewiki die erste sozialistische Staatsmacht errichtete. Die sozialistische Oktoberrevolution und die Erfahrungen mit dem Verrat der sozialdemokratischen Arbeiterparteien, die inzwischen längst zu Parteien des kapitalistischen Systems geworden waren, machten einen radikalen Schritt erforderlich: Überall spalteten sich die alten Arbeiterparteien in einen systemstützenden Flügel, den man nun als Sozialdemokratie bezeichnete, und einen revolutionären Flügel, der sich meistens unter dem Namen Kommunistische Partei neu formierte. In einigen Ländern, in denen die Arbeiterbewegung noch nicht so weit entwickelt war, entstanden die kommunistischen Parteien unter dem Einfluss der Oktoberrevolution auch direkt, ohne vorherige gemeinsame Organisierung mit der Sozialdemokratie. Die Entstehung der kommunistischen Bewegung und ihr Bruch mit dem Reformismus der Sozialdemokratie war eine entscheidende Zäsur in der Geschichte der Arbeiterbewegung. Die schon bei Marx und Engels vorhandene Erkenntnis, dass der Opportunismus als Form der bürgerlichen Politik innerhalb der Arbeiterbewegung bekämpft werden müsse, fand nun seinen Ausdruck in der eigenständigen Organisierung der revolutionären Arbeiterklasse. Die entstehende kommunistische Weltbewegung verlangte nun aber auch nach einer neuen organisatorischen Form auf internationaler Ebene.

Die Gründung und ersten Kongresse der Kommunistischen Internationale

Und diese Form war die III. Internationale, die Kommunistische Internationale, die im März 1919 in Moskau auf Lenins Initiative gegründet wurde. Am Gründungskongress der Komintern nahmen noch überwiegend kleine revolutionäre Gruppen teil, neben den Bolschewiki aus Russland war vor allem die Kommunistische Partei Deutschlands noch relevant. Die Komintern verkündete in ihren neu beschlossenen Richtlinien:

Die neue Epoche ist geboren! Die Epoche der Auflösung des Kapitalismus, seiner inneren Zersetzung. Die Epoche der kommunistischen Revolution des Proletariats.

Sie stellte sich das Ziel der Machteroberung durch die Arbeiterklasse, die Errichtung und Verteidigung der Räteherrschaft als politischer Form der Macht der Arbeiterklasse, die Enteignung des Kapitals und Vergesellschaftung und Zentralisierung der Produktion und die Unterstützung der Völker der Kolonien in ihrem Kampf gegen die imperialistischen Kolonialmächte3.

Die Kommunistische Internationale war, anders als die I. und II. Internationale, eine zentralistische Organisation mit einem einheitlichen leitenden Zentrum, dem Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationalen (EKKI). Das EKKI war zwischen den Weltkongressen der Komintern beschlussfähig. Die einzelnen Parteien verstanden sich nun nicht mehr als eigenständig agierende Organisationen, sondern als Sektionen der Komintern, wodurch die Beschlüsse der Weltorganisation für sie verbindlich wurden. Dahinter stand die Auffassung, dass der internationale Kampf gegen den Kapitalismus und seine Vertreter auch eine internationale Strategie und ein gemeinsames Vorgehen aller Kommunisten erforderlich machen würde. Diese Organisationsstruktur wurde 1920 auf dem II. Weltkongress mit den Statuten der Kommunistische Internationale beschlossen. Der II. Weltkongress legte zudem 21 Bedingungen für die Aufnahme in die Komintern fest: Insbesondere den Aufbau der Partei nach dem Demokratischen Zentralismus und damit verbunden die Unterstellung der gesamten Agitation und Propaganda unter die Zentrale, die Verbindlichkeit der Beschlüsse der Kommunistischen Internationalen, den Aufbau eines illegalen Parteiapparats für die Vorbereitung auf die Revolution und den vollständigen Bruch mit der, bzw. Kampf gegen die Sozialdemokratie4.

Die Gründung der Komintern ermöglichte es, in Verbindung mit dem sozialistischen Aufbau, der nun in Russland, später in der Sowjetunion begann, aus den kleinen kommunistischen Gruppen, die oft nur von wenigen Dutzend Arbeiterführern gegründet worden waren, innerhalb weniger Jahre starke Kampfparteien mit Tausenden, teils Zehn- und Hunderttausenden Mitgliedern zu schmieden. Dass dieses explosionsartige Wachstum der kommunistischen Bewegung möglich war, war einerseits der revolutionären Situation und revolutionären Massenstimmung nach dem Ersten Weltkrieg geschuldet, es wäre aber andrerseits ohne die Komintern nicht möglich gewesen, die die Parteien durch die zentralisierte Schulung ihrer Kader, die Entwicklung eines gemeinsamen strategischen Herangehens gegen die weltweite Herrschaft des Imperialismus, durch Geld und Personal tatkräftig unterstützte. Besonderes Augenmerk erhielt auch der Aufbau von kommunistischen Parteien in Asien, für die 1920 der Kongress der Völker des Ostens mit Delegierten zahlreicher osteuropäischer und asiatischer Länder und 1922 der Kongress der kommunistischen und revolutionären Organisationen des Fernen Ostens mit Kommunisten aus China, Japan, Korea, der Mongolei und Indonesien abgehalten wurde. Damit wurde der Grundstein dafür gelegt, dass nach dem 2. Weltkrieg die kommunistische Bewegung in Ostasien zu einer entscheidenden Herausforderung des Imperialismus wurde.

Die Bolschewisierung – Der Übergang von den Organisationsprinzipien der alten Sozialdemokratie zu denen der kommunistischen Partei

Auf dem V. Weltkongress 1924 wurden die „Thesen über die Bolschewisierung der Kommunistischen Parteien“ beschlossen. Unter Bolschewisierung verstand die Komintern die Durchsetzung der leninistischen Linie insbesondere bezüglich der inhaltlichen und strategischen wie auch der organisationspolitischen Fragen: „Bolschewisierung ist die Fähigkeit, die allgemeinen Grundsätze des Leninismus auf die gegebene konkrete Situation indem einen oder anderen Lande anzuwenden. Bolschewisierung ist ferner die Befähigung, jenes hauptsächliche „Kettenglied“ zu ergreifen, an dem sich die ganze „Kette“ nachziehenläßt.“5. Damit war die Fähigkeit der kommunistischen Partei gemeint, in jeder konkreten Situation die zentralen Fragen ausfindig zu machen, um die Massen der Werktätigen für den Sozialismus zu gewinnen und in der revolutionären Situation ein entscheidendes Übergewicht für den Sturz der Bourgeoisie zu erlangen.

Um diese Fähigkeiten zu entwickeln, müssten die kommunistischen Parteien vor allem die bolschewistische Organisationsform übernehmen: „Die Haupt- und Grundform der Organisation jeder bolschewistischen Partei ist die Parteizelle im Betriebe. Das alte, von der Sozialdemokratie übernommene Organisationsprinzip, nach dem die Partei auf der Grundlage der Wahlkreise in Rücksicht auf die Bedürfnisse der Parlamentswahlen aufgebaut wird, ist für die Kommunisten unannehmbar. Eine echte bolschewistische Partei ist unmöglich, wenn die Organisation in ihrer Grundlage nicht auf den Betriebszellen beruht. Neben den Betriebszellen und der Arbeit in solchen Organisationen wie Gewerkschaften, Betriebsräten, Konsumgenossenschaften usw. kann und soll zur Bildung einer ganzen Reihe parteiloser Hilfsorganisationen geschritten werden: Mieter-, Arbeitslosen-, Kriegsteilnehmerorganisationen usw. (mit kommunistischen Zellen in denselben). Die Bolschewisierung macht es erforderlich, daß unsere Parteien jede Gelegenheit ausnützen, um das organisatorische Netz möglichst dicht und vielmaschig zu gestalten. Es gilt, jede einzelne bedeutungsvolle Tagesfrage auszunutzen, um die eine oder andere Hilfsorganisation, mag sie auch eine noch so lockere oder ‚freie‘ Organisation darstellen, ins Leben zu rufen, sofern sie überhaupt nur lebensfähig ist.“6. Um wirklich zu Kampfparteien zu werden, müssten die kommunistischen Parteien zudem einen Apparat aus Kadern entwickeln: „Eine der wichtigsten Aufgaben jeder kommunistischen Partei hat darin zu bestehen, auf das sorgfältigste die führenden Kader aus der Zahl der fortgeschrittenen Arbeiter, die sich durch ihre Energie, ihr Wissen, ihre Geschicklichkeit und Ergebenheit der Partei gegenüber hervortun, auszulesen. Die kommunistischen Kaders der Arbeiterorganisatoren sind in dem Sinne zu erziehen, daß sie sich mit der Vorbereitung der Revolution nicht im „Nebenberufe“ befassen, sondern daß sie im revolutionären Kampfe restlos aufgehen und voll und ganz zur Verfügung der Partei stehen.“7.

Das Bestreben nach der Entwicklung und Stärkung der nationalen Sektionen der Komintern entsprechend diesen Kriterien prägte die Arbeit der folgenden Jahre. Trotzdem konnte die Bolschewisierung, wie später festgestellt werden musste, nur unvollständig vollendet werden und viele kommunistische Parteien behielten zahlreiche strukturelle Merkmale der alten Sozialdemokratie bei8. Allein die Existenz der Komintern machte hier jedoch einen entscheidenden Unterschied – da viele kommunistische Parteien sich aus der Sozialdemokratie heraus entwickelt hatten und daher noch nicht der Struktur und Arbeitsweise einer wirklich revolutionären Organisation entsprachen, waren die verbindlichen Beschlüsse der Internationale eine wichtige Voraussetzung dafür, dass das Vorhaben der Bolschewisierung überhaupt ernsthaft in Angriff genommen wurde.

Es ist eine der Aufgaben der internationalen Organisation der Kommunisten, jede ihrer nationalen Sektionen, also jede kommunistische Partei auf das fortgeschrittenste Niveau zu heben, das die internationale Bewegung erreicht hat, ihren theoretischen und praktischen Stand so weit wie möglich zu perfektionieren. Das ist deshalb notwendig, weil auch die kapitalistische Konterrevolution international aus ihren Erfahrungen lernt und ständig ihre Instrumente aktualisiert und verbessert.

Das revolutionäre Programm der Komintern von 1928

Auf den Beschluss zur Bolschewisierung folgte vier Jahre später ein zweiter Höhepunkt in der Entwicklung der kommunistischen Weltbewegung auf revolutionärer Grundlage: Der Beschluss des neuen Programms der Komintern. Im neuen Programm wurde die weltweite Strategie der kommunistischen Bewegung im Kampf gegen den Imperialismus konkret dargelegt und ausgearbeitet. Das Programm identifizierte zwei revolutionäre Hauptkräfte, nämlich die Arbeiterklasse der kapitalistischen Länder und die unterdrückten Völker in den Kolonien, die ihren Kampf unter der Führung der internationalen Arbeiterklasse führen. Kapitalistische Länder und kolonisierte Länder wurden dabei einander gegenübergestellt – die Komintern ging also davon aus, dass in den Kolonien der Kapitalismus noch nicht entwickelt war und deshalb von einer Arbeiterklasse nur sehr eingeschränkt die Rede sein konnte. Der geringe Entwicklungsstand des Kapitalismus in diesen Ländern war auch die Grundlage dafür, diese Länder als unterdrückte Länder einzuordnen.

Insgesamt ging das Programm davon aus, dass das kapitalistische Weltsystem als Ganzes sich seinem Zusammenbruch nähere und damit der proletarischen Weltrevolution, die den Übergang in die sozialistische Gesellschaft einleiten würde. Ausführlich befasste sich das Programm mit den Kräften der Konterrevolution, die alles tun würden, um das kapitalistische System zu erhalten – als hauptsächliche konterrevolutionäre Kräfte benannte das Programm den Faschismus einerseits und die Sozialdemokratie andrerseits als verschiedene politische Vertreter der herrschenden Kapitalisten. Es legte im Detail dar, wie die Sozialdemokratie sich im Bündnis mit dem Militär an der blutigen Niederschlagung der Revolutionen in verschiedenen Ländern beteiligt hatte und reaktionäre Diktaturen in Polen und Bulgarien gegen die Arbeiterklasse unterstützt hatte. Es unterschied dabei zwischen einem rechten und einem vermeintlich „linken“ Flügel der Sozialdemokratie, wobei der rechte Flügel offen konterrevolutionär sei und im direkten Kontakt mit der Bourgeoisie stehe, während der „linke“ sich pazifistischer und manchmal auch revolutionärer Phrasen bediene, letztlich aber ebenso gegen die Revolution gerichtet sei. Da die „linke“ Sozialdemokratie mit ihren Parolen die Massen in die Irre führe, aber besonders in kritischen Situationen gegen die Arbeiterklasse handle, sei sie letzten Endes der gefährlichste Teil der Sozialdemokratie. „Die Hauptfunktion der Sozialdemokratie zur gegenwärtigen Zeit besteht darin, die wesentliche kämpferische Einheit des Proletariats in seinem Kampf gegen den Imperialismus zu stören. Indem sie die Einheitsfront des proletarischen Kampfes gegen das Kapital spaltet und stört, dient die Sozialdemokratie als Hauptstütze des Imperialismus in der Arbeiterklasse9. Auch wenn man im Nachhinein hinterfragen kann, ob es richtig war, die Sozialdemokratie zur „Hauptstütze“ des Imperialismus zu erklären, während in vielen Ländern die herrschende Klasse zunehmend auf den Faschismus setzte, um ihre Macht abzusichern, war die Einschätzung der Sozialdemokratie im Komintern-Programm von 1928 im Wesentlichen zutreffend10. Auf Grundlage der Erfahrungen der vorangegangenen Jahre und der vielfältigen Beispiele, in denen die Sozialdemokratie sich als Stütze der Kapitalisten und Feind der Arbeiterklasse betätigt hatte, hatten die Kommunisten die richtige Analyse entwickelt, dass die sozialdemokratischen Parteien und Führungen als politische Gegner zu bekämpfen seien, dass sie keine Bündnispartner der Kommunisten sind und schon gar nicht „einen Teil des Weges gemeinsam“ mit den Kommunisten gehen könnten, wie man in späteren Jahrzehnten in vielen kommunistischen Parteien glaubte. Es muss betont werden, dass die Kommunisten deshalb zu keiner Zeit davon abgekommen waren, die sozialdemokratischen Massen der Arbeiterklasse für den Klassenkampf zu gewinnen und dass der Kampf gegen die sozialdemokratischen Führungen eben genau diesem Zweck diente, eine möglichst solide Einheit der kommunistischen Arbeiter mit den sozialdemokratischen Kolleginnen und Kollegen zu schmieden.

Die andere hauptsächliche Stütze der Konterrevolution wurde in der faschistischen Bewegung gesehen. „Das faschistische System ist ein System der direkten Diktatur, ideologisch geprägt durch die ‚nationale Idee und die Vertretung der ‚Berufe‘ (in Wirklichkeit als Vertretung der verschiedenen Gruppen der herrschenden Klasse). Er ist ein System, das sich einer besonderne Form der sozialen Demagogie (Antisemitismus, gelegentliche Ausfälle gegen das Wucherkapital, Gebärden der Ungeduld mit der parlamentarischen ‚Quasselbude‘), um die Unzufriedenheit des Kleinbürgertums, der Intellektuellen und anderen Schichten der Gesellschaft auszunutzen (…). Das Hauptziel des Faschismus ist die Vernichtung der revolutionären Arbeiter-Avantgarde, d.h. der kommunistischen Sektionen und führenden Einheiten des Proletariats. (…) In Zeiten der akuten Krise der Bourgeoisie greift der Faschismus auf antikapitalistische Phrasen zurück, aber nachdem er sich an der Spitze des Staates etabliert hat, wirft er sein antikapitalistisches Geschwätz über Bord und entlarvt sich als terroristische Diktatur des Großkapitals.“11.

Auch der Faschismus wurde von der Komintern korrekt charakterisiert als terroristische Diktatur v.a. des Großkapitals, die sich hauptsächlich gegen die Arbeiterbewegung richtet und sich dafür der sozialen Demagogie bedient. Interessant ist diese Einschätzung vor allem auch im Kontrast zur späteren berühmten Faschismus-Definition Georgi Dimitroffs von 1935 (s.u.).

Während das Komintern-Programm an einer Stelle davon spricht, dass auch die Sozialdemokratie „faschistische Tendenzen“ zeige (was zumindest missverständlich war, da in Wirklichkeit die Sozialdemokratie in den meisten Ländern eher dem Faschismus den Boden bereitete, als selbst zum Faschismus zu tendieren), findet sich in dem Programmtext nirgendwo der Begriff des „Sozialfaschismus“. Spätere Darstellungen, die die „Sozialfaschismusthese“, die angebliche Gleichsetzung von Sozialdemokratie und Faschismus, zum Hauptinhalt der Orientierung der Komintern erklären, stellen eine krasse Verfälschung der Tatsachen dar. Auch muss betont werden, dass die Begriffsneuschöpfung des „Sozialfaschismus“ und damit in manchen Fällen verbundene Attacken gegen sozialdemokratische Arbeiter zwar einen Fehler darstellten, dass dieser Fehler jedoch taktischen und nicht strategischen Charakter hatte. Denn der Theorie der Hauptstützen des Imperialismus zufolge mussten die Kommunisten ihren Hauptstoß immer gegen diejenige Kraft richten, die zu einem gegebenen Zeitpunkt die Hauptstütze der kapitalistischen Herrschaft war. Der Fehler der kommunistischen Parteien bestand nicht darin, dass sie überhaupt den Hauptstoß ihres Kampfes gegen die Sozialdemokratie gerichtet hatten, sondern dass sie das noch zu einer Zeit taten, als in Deutschland und weiteren Ländern die Mehrheit der herrschenden Klasse längst begonnen hatte, auf den Faschismus als primäre Stütze ihres Machterhalts zu setzen.

Zentral für den Charakter des Programms ist auch, dass es die wesentlichen Schritte des Übergangs zum Sozialismus festhielt: Die Enteignung aller großen Betriebe, der Eisenbahn und Infrastruktur, der Kommunikationsdienste und des Bodens, die Errichtung der Arbeiterkontrolle in der Industrie, die Planung der Produktion entsprechend den Bedürfnissen der Gesellschaft, die Bildung von Kollektivwirtschaften auf dem Land usw. Dadurch stellte die Internationale klar, dass die Gesetzmäßigkeiten des sozialistischen Aufbaus objektiv und für alle Länder die gleichen sind. Sie positionierte sich klar gegen den opportunistischen Standpunkt, wonach die Merkmale des Sozialismus von den nationalen Besonderheiten der unterschiedlichen Länder abhängig seien.

Dennoch ging man abhängig vom kapitalistischen Entwicklungsstand eines Landes von einem jeweils unterschiedlichen Verlauf und Charakter der Revolution aus: Nur in hoch entwickelten kapitalistischen Ländern wie den USA, Deutschland oder Großbritannien stehe der direkte Übergang zur Diktatur des Proletariats auf der Tagesordnung. In Ländern mit mittlerer Entwicklung (Spanien, Portugal, Polen, Ungarn, den Balkanländern) sei ein schneller Übergang der bürgerlich-demokratischen in die sozialistische Revolution möglich oder aber sofort eine sozialistische Revolution, die auch die Aufgaben der bürgerlichen Revolution erfülle. In kolonialen (z.B. Indien) und halbkolonialen Ländern (z.B. China, Persien) sowie „abhängigen“ Ländern (Argentinien und Brasilien werden als Beispiele genannt) hingegen müsse zunächst einerseits gegen die feudalen und vorkapitalistischen Formen der Ausbeutung gekämpft und systematisch die Agrarrevolution entwickelt, andrerseits aber gegen den ausländischen Imperialismus für die nationale Unabhängigkeit gekämpft werden. Der Übergang zum Sozialismus sei hier nur durch eine Reihe von Zwischenstufen mit bürgerlich-revolutionärem Charakter möglich. In noch rückständigeren Ländern schließlich, d.h. vor allem in Teilen Afrikas, wo ein Großteil der Bevölkerung als Stammesgesellschaft und ohne Lohnverhältnisse lebte, wo es kaum eine nationale Bourgeoisie gab und der Imperialismus die Länder militärisch besetzt hielt, sei der nationale Unabhängigkeitskampf die zentrale Aufgabe. Die nationalen Aufstände könnten aber auch hier den Weg für die direkte Entwicklung zum Sozialismus und das Überspringen des kapitalistischen Stadiums eröffnen12.

Während es grundsätzlich richtig ist, dass die Strategie der Kommunisten davon abhängig ist, ob sich in einem Land bereits kapitalistische Verhältnisse ausgebildet haben, weisen die Formulierungen des Programms eine problematische Unklarheit auf: Indem koloniale und halbkoloniale Länder wie China und Indien mit „abhängigen“, aber politisch eigenständigen Staaten wie Brasilien und Argentinien in einer Kategorie zusammengefasst wurden, verkannte man, dass die Überwindung der Kolonialherrschaft eine qualitativ veränderte Situation herbeigeführt hatte. Dadurch wurde die kapitalistische Entwicklung in den souveränen Staaten Lateinamerikas unterschätzt und die Tür offengelassen für eine Politik der Unterstützung der „nationalen“ Bourgeoisie gegen die ausländischen Kapitalisten. Die Komintern erkannte nicht ausreichend, dass eine Unterstützung der Bourgeoisie in den weniger entwickelten kapitalistischen Ländern lediglich deren Stärkung innerhalb des imperialistischen Weltsystems bewirken und keinesfalls zu einer Schwächung des Imperialismus selbst führen würde.

Die Frage der Strategie in den wenig entwickelten Ländern war auch damals innerhalb der Komintern umstritten und führte zu einem Jahrzehnt hitziger Diskussionen, die eine eingehende Analyse verdienen würden und auf die wir in Zukunft zurückkommen wollen. Einerseits vollzog die Kommunistische Internationale von Anfang an einen tiefen Bruch mit dem Opportunismus der Organisationen der Zweiten Internationale, die die Kolonialpolitik ihrer eigenen Staaten unterstützten, auch wenn die Führung der Komintern sich ständig bemühen musste, die chauvinistische Kultur, die in vielen kommunistischen Parteien in den Kolonialmächten immer noch vorhanden war, vollständig zu überwinden. Nationale Befreiungsbewegungen wurden als eine Säule der Weltrevolution angesehen, und das rechtfertigte das Bündnis nicht nur mit den Bauernbewegungen, sondern auch mit zumindest einem Teil der Bourgeoisie in diesen Ländern. Andererseits musste die organisatorische und ideologische Autonomie der Kommunisten geschützt werden. Zudem bestand eine Gefahr darin, die Tatsache, dass auch die kolonialen Gesellschaften in antagonistische Klassen gespalten waren sowie die kapitalistische Entwicklung und Industrialisierung in diesen Ländern nicht unterschätzt werden. Dies war das vorhersehbare Ergebnis des imperialistischen Systems selbst (z. B. durch den Kapitalexport), das nicht einseitig als Bremse für die Produktivkräfte in den schwach entwickelten Ländern angesehen werden konnte. Die Beschlüsse des Sechsten Kongresses relativierten diese Aspekte weitgehend und wurden dafür von einigen wichtigen Teilen der Komintern kritisiert. Bezeichnend war zum Beispiel die Entscheidung der Kommunistischen Partei Großbritanniens, sich ihnen nicht anzuschließen, weil “die Thesen ihre Analyse auf ein Bild der Umwandlung der Kolonien in das agrarische Hinterland oder Anhängsel der Metropole stützen. Während dies für die objektiven Bedingungen in der klassischen Periode des Kapitalismus teilweise (nur teilweise) zutraf, trifft es für die imperialistische Periode nicht zu”. In ihrer Kritik bedeutete dies, dass sie “die letztlich konterrevolutionäre Rolle der Bourgeoisie in der gegenwärtigen Epoche” unterschätzten13.

Wenig später, im Jahr 1931, kritisierte der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Ecuadors, Ricardo Paredes, in ähnlicher Weise das Programm der Kommunistischen Internationale, weil es die kapitalistische Entwicklung in diesen Ländern unterschätzt. Er machte eine Gruppe von Ländern in Lateinamerika aus, „in denen die Kraft des Imperialismus nicht überwiegt. Dies ist entweder auf die politische Stärke dieser Länder (Argentinien, Brasilien) oder auf die schwache wirtschaftliche Durchdringung des Imperialismus (Ecuador) zurückzuführen. Aufgrund dieser fehlenden Vorherrschaft des Imperialismus schreitet die Entwicklung des Kapitalismus schneller voran als in den Kolonien, was zu einem stärkeren Proletariat und einer stärkeren nationalen Bourgeoisie und damit zu einer größeren Verschärfung des Klassenkampfes zwischen Kapital und Arbeit führt“14

Trotz dieser Schwäche in der Frage der Strategie in schwach entwickelten kapitalistischen Ländern war das Programm von 1928 insgesamt ein Meilenstein in der revolutionären Strategieentwicklung der kommunistischen Weltbewegung. Wenn es heute oft als „sektiererisch“ und „linksradikal“ verteufelt wird, ist festzustellen, dass eine solche Kritik angesichts einer im Wesentlichen richtigen Strategieentwicklung, insbesondere für die entwickelten kapitalistischen Länder, keine Grundlage hat.

Die Kehrtwende auf dem VII. Weltkongress 1935

Die falsche Bewertung des VI. Weltkongresses und des Programms von 1928 als „linkssektiererisch“ ist im Wesentlichen eine Folge der Beschlüsse des letzten Weltkongresses der Komintern, der 1935 tagte und in mancher Hinsicht die Weichen für eine entgegengesetzte Ausrichtung stellte.

Auf dem VII. Weltkongress hielt der Generalsekretär der Komintern Georgi Dimitroff sein berühmtes Referat zum Kampf der Arbeiterklasse gegen den Faschismus. Inzwischen hatte sich die Weltlage merklich verändert: Der deutsche Faschismus war nicht mehr nur ein politischer Feind neben anderen, mit denen die deutschen Kommunisten sich auseinandersetzen mussten; er war seit Anfang 1933 an der Macht, hatte in kürzester Zeit die organisierte deutsche Arbeiterbewegung und besonders die kommunistische Partei zerschlagen und in die tiefste Illegalität gedrängt; der deutsche Faschismus musste nun auch von der Sowjetunion zunehmend als existenzielle Bedrohung einkalkuliert werden. Auch Japan, das sich nach Korea nun (im Jahr 1931) auch die Mandschurei einverleibt hatte, und Italien, das massiv aufrüstete und wenige Monate später seinen Kolonialkrieg in Äthiopien beginnen würde, agierten immer aggressiver. Während in früheren Jahren die militärische Bedrohung der Sowjetunion eher z.B. von Großbritannien ausgegangen war, war es nun nicht mehr möglich, in der Taktik zu ignorieren, dass die faschistischen Achsenmächte, also das Bündnis um Berlin, Rom und Tokyo, zur Hauptbedrohung der UdSSR und auch der kommunistischen Weltbewegung geworden waren.

In dieser Situation forderte Dimitroff eine Neuorientierung des Kampfes der Kommunisten gegen den aufsteigenden Faschismus und in diesem Zusammenhang eine veränderte Bündnispolitik: Auch das Bündnis mit bürgerlichen nicht-faschistischen Parteien sei nun anzustreben. Mit den sozialdemokratischen Parteien sollte im Rahmen der Einheitsfront die Zusammenarbeit gesucht werden und man werde „niemanden angreifen, weder Personen noch Organisationen, noch Parteien, die für die Einheitsfront der Arbeiterklasse gegen den Klassenfeind sind“15. Als „Klassenfeind“ war damit nur noch der Faschismus gemeint und die Haltung der Sozialdemokratie zur Einheitsfront, nicht aber zur Herrschaft des Kapitals allgemein, wurde zum entscheidenden Kriterium dafür, ob die Kommunisten sie angreifen würden oder nicht.

Dimitroff ging in seinem Referat aber noch weiter: „Die Interessen des Klassenkampfes des Proletariats und der Erfolg der proletarischen Revolution machen es gebieterisch notwendig, daß in jedem Lande eine einheitliche Partei des Proletariats bestehe“16. Zwar sei dafür die Unabhängigkeit von der Bourgeoisie und eine revolutionäre Ausrichtung dieser Partei notwendig, allerdings wurde nicht ausgeführt, ob die weltanschauliche Grundlage dieser Partei nun der Marxismus-Leninismus oder doch etwas anderes sein solle. Ebenso wenig wurde geklärt, wie es möglich sein sollte, die Sozialdemokratie, die man wenige Jahre zuvor noch – und das zurecht – als eine dezidiert konterrevolutionäre antisozialistische Kraft eingeschätzt hatte, plötzlich für die sozialistische Revolution zu gewinnen. Anstelle der kommunistischen Jugendarbeit sollte es nun breite „antifaschistische“ Jugendverbände geben und in den USA wurde sogar den Kommunisten konkret eine „antifaschistische“ und nicht-sozialistische Massenpartei nahegelegt17. Die Beschlüsse zur Bolschewisierung der kommunistischen Parteien von 1924 und das Programm von 1928, in denen die Eigenständigkeit der revolutionären Partei und ihre Frontstellung gegen den Opportunismus und die Sozialdemokratie wurden damit, ohne dies explizit zu beschließen, stark relativiert.

Auch eine Regierungsbeteiligung der Kommunisten im Rahmen der „proletarischen Einheitsfront“ (also gemeinsam mit der Sozialdemokratie) oder der „antifaschistischen Volksfront“ (d.h. mit der Sozialdemokratie und weiteren bürgerlichen Parteien) wurde nun unter bestimmten Bedingungen für notwendig erklärt. Solche Regierungen könnten sich zu einer „Übergangsform“ hin zum Sozialismus entwickeln. Dimitroff erklärte zwar, dies sei unter keinen Umständen als „demokratisches Zwischenstadium“ zwischen bürgerlicher und proletarischer Herrschaft oder als friedlicher Übergang zum Sozialismus zu verstehen. Aus der Retrospektive ist dazu zu sagen, dass sich die Hoffnung darauf, dass sich eine kommunistische Regierungsbeteiligung auf dem Boden des bürgerlichen Staates als Übergangsform zur sozialistischen Revolution erweisen könnte, nirgendwo erfüllt hat. Hinweise darauf, dass die bürgerlichen Parteien die Bereitschaft entwickeln könnten, den Weg zum Sozialismus zu akzeptieren, gab es nirgendwo. Damit war die Parole der Einheits- oder Volksfrontregierung geeignet, Illusionen in die Sozialdemokratie und den bürgerlichen Staat zu schüren.

Die neue Bündnisorientierung wurde eher als taktische Korrektur, also nicht als neue Strategie verstanden, jedenfalls war zumeist die Rede von einer Veränderung der Taktik. Das Programm und die Strategie von 1928 wurden nicht aufgehoben, galten also formal gesehen weiterhin. Trotzdem war der Fokus des politischen Kampfes der Kommunisten nun ein ganz anderer und es wurde auch nicht explizit klargestellt, dass es sich bei den neuen Beschlüssen lediglich um eine vorübergehende taktische Anpassung im Angesicht der existenzbedrohenden faschistischen Gefahr handelte. So wurde es möglich, selbst über den Zweiten Weltkrieg und die militärische Zerschlagung des Faschismus hinaus die wesentlichen Leitlinien der Volksfrontpolitik beizubehalten18 –. Dass die Ablehnung von Regierungsbeteiligungen, höchstens abgesehen von sehr seltenen Ausnahmefällen, ebenso wie die grundsätzliche Frontstellung gegen die Sozialdemokratie für die kommunistische Partei eine Prinzipienfrage sein muss, galt nicht mehr als gesetzt. Dabei ist der entscheidende Unterschied nicht, wie von Seiten der Trotzkisten oft kritisiert wurde, ob die Kommunisten auf die Volksfront (das Bündnis mit sozialdemokratischen und anderen bürgerlichen Parteien) oder lediglich die Einheitsfront, also das Bündnis mit den sozialdemokratischen Parteien setzten. Denn auch die Sozialdemokratie war und ist in ihrem Klassencharakter eine Partei der Bourgeoisie, die die kapitalistische Ausbeutung verteidigt. Der entscheidende Unterschied in der Strategie liegt darin, ob die Einheitsfront mit den Arbeitern bürgerlicher Weltanschauungen (sozialdemokratisch, religiös usw.) „von unten“, also ohne und gegen die Führungen ihrer Parteien gesucht wird, oder ob die Kommunisten sich in eine Zusammenarbeit mit der bürgerlichen Politik, also letztlich mit der Bourgeoisie begeben.

Die neue Orientierung der Komintern beruhte auch auf einem veränderten Verständnis des Faschismus selbst. Dimitroffs berühmte Definition des Faschismus an der Macht als „offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ hob sich deutlich ab von dem bisherigen Verständnis des Faschismus als einer Diktatur der Monopole insgesamt. Die Unterscheidung der Bourgeoisie in einen faschistischen und einen vermeintlich „antifaschistischen“ Teil ermöglichte nun auch eine Politik der Zusammenarbeit mit dem letzteren.

Die Komintern beging hier den Fehler, die Tatsache auszublenden, dass der Faschismus sich aus den Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise insgesamt ergab und letztlich als Herrschaftsform auch auf die gesamte Bourgeoisie stützen musste. Denn auch wenn es möglich ist, dass im bürgerlichen Staat bestimmte Teile der Kapitalistenklasse bevorzugt ihre Interessen durchsetzen können, so sichert der Staat dennoch das Eigentum und damit die Herrschaft der gesamten Klasse. Dies ist im Faschismus nicht anders, auch im faschistischen Staat ist also die Bourgeoisie als Ganze an der Macht und muss als Ganze von den Kommunisten bekämpft werden.

Der VII. Weltkongress war insgesamt ein Wendepunkt in der Entwicklung der Komintern. Die Kommunisten standen vor der enormen Herausforderung, angesichts der extrem gefährlichen faschistischen Diktaturen ein angemessenes Herangehen zu finden. Dimitroffs Referat, das den gesamten Kongress bestimmte, zeigt sehr deutlich das Bestreben, einerseits gewisse taktische Zugeständnisse zu machen, um möglichst breite Kräfte in den Kampf gegen den Faschismus hineinzuziehen, andrerseits aber grundsätzlich am Ziel der proletarischen Revolution festzuhalten. Immer wieder wird die Revolution als Notwendigkeit bekräftigt, immer wieder werden für die Kompromisse, die den bürgerlichen Kräften gemacht werden, Bedingungen gestellt – allerdings zumeist Bedingungen, deren Erfüllung unrealistisch war (wie der gemeinsame Kampf gegen die Offensive des Kapitals oder im Rahmen der proletarischen Einheitspartei sogar der gemeinsame Kampf für die Diktatur des Proletariats) und die daher zwangsläufig das Dilemma heraufbeschwören mussten, entweder der bürgerlichen Politik weitere Zugeständnisse zu machen oder das Bemühen um ein Bündnis aufzugeben.

Es muss berücksichtigt werden, in welcher Lage sich die kommunistische Bewegung 1935 befand: Mit der KPD war eine der wichtigsten Parteien der Komintern innerhalb kürzester Zeit fast vollständig von den Faschisten vernichtet worden. Ein Krieg gegen Deutschland und Japan wäre für die Sowjetunion unmittelbar existenzbedrohend gewesen. Auf diese Veränderungen nicht zu reagieren, wäre keine Option gewesen. Dennoch mussten die Beschlüsse des Weltkongresses in der Form, in der sie gefasst und begründet wurden, die Herausbildung falscher strategischer Konzeptionen fördern.

Die Jahre nach dem VII. Weltkongress

In den folgenden Jahren wuchs die faschistische Gefahr stetig weiter an. In Spanien begann ein Jahr später mit dem faschistischen Putsch der Militärs der Krieg der Republik gegen die Faschisten, den die Republik trotz der massiven Unterstützung durch die Sowjetunion und die Komintern verlor. In Ostasien brach der Zweite Weltkrieg bereits 1937 mit dem japanischen Überfall auf das noch nicht besetzte China aus und 1938/39 kam es zu wiederholten Gefechten zwischen der Roten Armee und der kaiserlichen japanischen Armee an der sowjetisch-japanischen Grenze. Nazideutschland annektierte währenddessen Österreich und die Sudetengebiete und unterwarf sich dann das restliche Tschechien.

Die Sowjetunion versuchte bis 1939 mit allen Mitteln, Großbritannien und Frankreich für ein System der kollektiven Sicherheit zu gewinnen, um die aggressive Ausbreitung Deutschlands zu stoppen. Doch die britische und französische Regierung hofften darauf, die deutschen Faschisten als Rammbock gegen die Sowjetunion einsetzen zu können, wofür sie sogar ihren Verbündeten Tschechoslowakei Hitler zum Fraß vorwarfen anstatt auf das sowjetische Angebot einzugehen, die Tschechoslowakei gemeinsam zu verteidigen. Die Sowjetunion verfolgte die Verhandlungen mit höchster Priorität und ernsthaft, während die französische und die britische Seite sie nur zum Schein und als Hinhaltetaktik betrieben, ohne die Absicht, wirklich ein Abkommen zu schließen. Sie zwangen damit die Sowjetunion, schließlich nach jahrelangen vergeblichen Bemühungen zur Aufgabe ihrer Taktik und zum Abschluss eines Nichtangriffsvertrags mit Deutschland, um den Krieg mit Deutschland zumindest um einen kurzen Zeitraum hinauszuzögern.

Der Nichtangriffsvertrag, der heute in der antikommunistischen Propaganda als „Hitler-Stalin-Pakt“ bezeichnet wird und in völliger Verfälschung der Tatsachen als „Bündnis der totalitären Diktatoren“ interpretiert wird, war eine kaum vermeidbare Notmaßnahme, die der Sowjetunion weitere wertvolle Monate zur Kriegsvorbereitung bescherte. Die kommunistischen Parteien in vielen Ländern stellte es aber vor schwierige Herausforderungen, die neue Außenpolitik der Sowjetunion zu erklären und zu rechtfertigen, nachdem man jahrelang die Notwendigkeit betont hatte, alle Kräfte gegen den Faschismus zu bündeln. Es muss jedoch betont werden, dass die Komintern auch nach dem Abkommen an ihrer antifaschistischen Politik festhielt. Beispielsweise geht aus Dimitroffs Tagebuch hervor, dass die Komintern 1940 nach dem deutschen Überfall auf Jugoslawien und Griechenland die dortigen KPen anwies, eine Propaganda gegen die deutsche Besatzung zu organisieren und den bewaffneten Widerstand zu organisieren. Auch die französische KP wurde bei der Organisierung des Widerstands gegen die deutsche Besatzung unterstützt19. Wenn manchmal behauptet wird, dass die Sowjetunion und die kommunistischen Parteien nach dem „Hitler-Stalin-Pakt“ und bis zum deutschen Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941 ihre Opposition gegen den Faschismus zwischenzeitlich aufgegeben hätten, so entspricht das nicht den Tatsachen.

Mit dem Nichtangriffsvertrag war also nicht nur eine Kehrtwende der sowjetischen Außenpolitik, sondern auch der politischen Linie der Komintern verbunden. Die Losung der Volksfront wurde nun aufgehoben. Während die Komintern zuvor die Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kräften gegen den Faschismus betrieben hatte, schätzte sie nun ein: “Der gegenwärtige Krieg ist imperialistisch und ungerecht. Die Bourgeoisie aller kriegführenden Staaten ist für ihn verantwortlich zu machen. Dieser Krieg kann nicht von der Arbeiterklasse dieser Länder unterstützt werden, ganz zu schweigen von ihren kommunistischen Parteien. (…) Dieser Krieg hat die Situation radikal verändert: Die Aufteilung der kapitalistischen Staaten in faschistische und demokratische ist nicht mehr gültig. Folglich ist es notwendig, die Taktik zu ändern. Die Taktik der kommunistischen Partei der kriegführenden Länder besteht jetzt darin, ihren imperialistischen Charakter zu entlarven, die kommunistischen Abgeordneten gegen die Kriegskredite stimmen zu lassen und den Massen zu sagen, dass der Krieg nichts als Entbehrungen und Leiden bringen wird.”20.

Die neue Orientierung beinhaltete zwar im Kern richtige Einschätzungen, nämlich dass es sich um einen Krieg zwischen imperialistischen Ländern handelte und die Bourgeoisie Frankreichs und Großbritanniens einen großen Anteil an seinem Zustandekommen hatten – vor allem durch ihre Appeasement-Politik und faktische Unterstützung des faschistischen Deutschlands im Kampf gegen die Spanische Republik und als Rammbock gegen die Sowjetunion. Auf der anderen Seite schien hier schon die Gefahr, die für den Weltkommunismus vor allem von den faschistischen Achsenmächten ausging, unterschätzt zu werden, denn die Orientierung der Komintern konnte so verstanden werden, als sei es für die kommunistische Bewegung nicht von Relevanz, welche Seite den Krieg gewinnen würde.

Am 22. Juni 1941 überschritten auf breiter Front Truppen der deutschen Wehrmacht die Grenze zur UdSSR. Der Nichtangriffsvertrag wurde durch Deutschland gebrochen und der Große Vaterländische Krieg begann, der blutigste Teil des Zweiten Weltkriegs in Europa, der schließlich mit der militärischen Vernichtung des Faschismus endete. Die Komintern stand nun vor der Aufgabe, in allen kriegführenden Ländern den Kampf der kommunistischen Parteien gegen die deutsche Aggression zu organisieren. In den besetzten Ländern bedeutete dies, den organisierten Widerstand gegen die Besatzung voranzutreiben. Fast überall waren die Kommunisten die aktivste, größte und am meisten vorantreibende Kraft des antifaschistischen Widerstands. U.a. in Italien, Jugoslawien, Frankreich, Griechenland, Albanien, Polen, in China, Korea, Indochina und den besetzten Teilen der Sowjetunion wurden Partisanenverbände unter kommunistischer Führung gebildet, denen es in den folgenden Jahren gelang, sich eine massenhafte Unterstützung im Volk aufzubauen und einen effektiven Krieg gegen die faschistischen Besatzer zu entfachen, der ihnen ständige Verluste zufügte, große Truppenkontingente band und ihre Versorgungslinien immer wieder unterbrechen konnte. Die Kommunisten verschiedener Nationalitäten und Kontinente brachten dabei gewaltige Opfer und leisteten Unvorstellbares, indem sie unter schwierigsten Bedingungen und in der tiefsten Illegalität den Kampf gegen die Faschisten führten, wozu in den meisten Fällen die Sozialdemokraten und andere bürgerliche Kräfte nicht bereit oder nicht fähig waren.

Der Beschluss zur Auflösung der Komintern

Während des Krieges hatte die Komintern in der Praxis an Bedeutung verloren, da viele kommunistische Parteien nun in der Illegalität arbeiten mussten, die Sowjetunion selbst in einen Kampf auf Leben und Tod verwickelt war und daher die regulären Strukturen der Internationalen nicht mehr wie vorher funktionierten. Doch schon auf dem VII. Weltkongress hatte es eine Verschiebung im Verhältnis zwischen der Weltorganisation und ihren nationalen Sektionen gegeben. Das EKKI schrieb schon damals in seinem Rechenschaftsbericht, es gehe darum, „den kommunistischen Parteien zu helfen, sowohl ihre eigene Erfahrung als auch die Erfahrungen der internationalen kommunistischen Bewegungen zu verwerten, dabei jedoch zu vermeiden, daß die Erfahrung des einen Landes mechanisch auf ein anderes übertragen und die konkrete marxistische Analyse durch Schablonenhaftigkeit und allgemeine Formeln ersetzt wird21. Weiterhin wurde festgehalten, dass das EKKI „von den konkreten Verhältnissen und Besonderheiten jedes einzelnen Landes auszugehen und, in der Regel, ein unmittelbares Eingreifen in interne organisatorische Angelegenheiten der kommunistischen Parteien zu vermeiden hat22. Damit hatte die Komintern sich bereits zu einem gewissen Teil die Logik zu eigen gemacht, dass der Klassenkampf vor allem von den nationalen Bedingungen bestimmt ist und die kommunistischen Parteien der verschiedenen Länder schon am besten wissen würden, was zu tun ist. Bereits der VII. Weltkongress stellte damit implizit die Notwendigkeit der Internationalen infrage. Der Beschluss zur Auflösung 1943 kam somit nicht aus heiterem Himmel.

In bürgerlichen Darstellungen ist es üblich, den Beschluss als ein Zugeständnis der sowjetischen Führung an die westlichen Alliierten darzustellen, um auf dem Höhepunkt des Großen Vaterländischen Krieges das Bündnis der Antihitlerkoalition zu festigen. Das war auch sicherlich ein Beweggrund dafür, wie Stalins Antwort an den Moskauer Berichterstatter von Reuters vom 28. Mai 1943 zeigt: „Die Auflösung der Kommunistischen Internationale ist richtig und zeitentsprechend, da sie die Organisierung des gemeinsamen Angriffs aller freiheitsliebenden Nationen gegen den gemeinsamen Feind – den Hitlerfaschismus – erleichtert. (…) sie entlarvt die Lüge der Hitlerleute, dass „Moskau“ angeblich beabsichtige, sich in das Leben anderer Staaten einzumischen und sie zu „bolschewisieren“. (…) Sie erleichtert die Arbeit der Patrioten der freiheitsliebenden Länder zur Vereinigung der progressiven Kräfte ihrer Länder – unabhängig von deren Parteizugehörigkeit und religiöser Überzeugung – zu einem einheitlichen nationalen Freiheitslager zwecks Entfaltung des Kampfes gegen den Faschismus.“23. Damit sprach Stalin offen aus, dass es für die Dauer des gemeinsamen Kampfes gegen den Faschismus nicht darum gehen könne, in den westlichen kapitalistischen Ländern die Revolution voranzutreiben.

Diese Orientierung ist zunächst verständlich in einer Situation des Kampfes auf Leben und Tod – eine Niederlage der Roten Armee gegen Nazideutschland hätte nicht nur unermessliches Leid bedeutet, sondern auch den weltrevolutionären Prozess enorm zurückgeworfen. Problematisch war aber die Schaffung einer Vorstellung, wonach es ein „freiheitsliebendes“ Lager gäbe, dem neben der Sowjetunion auch einige der mächtigsten imperialistischen Staaten angehörten, die in der Vergangenheit selbst unzählige barbarische Verbrechen und Genozide begangen hatten, die Kommunisten und die Arbeiterbewegung brutal unterdrückten usw. Dies öffnete den Weg für eine spätere opportunistische Bündnispolitik mit bürgerlichen Kräften, selbst als die Frontstellung gegen die kapitalistischen Mächte der ehemaligen „Antihitlerkoalition“ (1946/47) wieder aufgenommen wurde.

Die Darstellung, wonach die Auflösung der Komintern ein Zugeständnis an die kapitalistischen Verbündeten gewesen sein soll, ignoriert aber, dass bereits seit 1941 in den führenden Kreisen der Internationalen intern darüber diskutiert wurde, ob die Organisation nicht inzwischen überholt sei – zu einer Zeit also, als die Sowjetunion sich noch gar nicht im Krieg, geschweige denn in einem Bündnis mit den USA und Großbritannien befand. So führte Stalin bereits im April 1941 entsprechende Gespräche mit Dimitroff und den Führern der französischen und italienischen kommunistischen Parteien Thorez und Togliatti, in denen man übereinstimmend feststellte, dass die KPen unabhängig sein müssten, ihre eigenen Programme haben und nicht „über die Schulter nach Moskau schielen“ sollten24. Sogar noch früher, im November 1940, war die Kommunistische Partei der USA aus taktischen Gründen aus der Komintern ausgetreten. Bei diesen Vorgängen waren offensichtlich keine bündnistaktischen Überlegungen der sowjetischen Außenpolitik ausschlaggebend, sondern vielmehr der bereits auf dem VII. Weltkongress entwickelte Gedanke, dass aufgrund der unterschiedlichen nationalen Bedingungen eine gemeinsame Organisation der Kommunisten kontraproduktiv wäre.

Es war also ernst zu nehmen und sicherlich in keiner Weise unehrlich, wenn das Präsidium des EKKI am 15. Mai 1943 in seinem Beschluss zur Auflösung formulierte: „Noch lange vor dem Krieg wurde es immer klarer, daß mit der zunehmenden Komplizierung sowohl der inneren als auch der internationalen Situationen der einzelnen Länder die Lösung der Aufgaben der Arbeiterbewegung jedes einzelnen Landes durch die Kräfte irgendeines internationalen Zentrums auf unüberwindliche Schwierigkeiten stoßen wird. Dieser Unterschied der historischen Wege der Entwicklung der einzelnen Länder der Welt, der unterschiedliche Charakter, ja, sogar die Gegensätzlichkeit ihres gesellschaftlichen Aufbaus, der Unterschied im Niveau und im Tempo ihrer gesellschaftlichen und politischen Entwicklung, schließlich der Unterschied im Grade des Bewußtseins und der Organisiertheit der Arbeiter bedingen auch, daß vor der Arbeiterklasse der einzelnen Länder verschiedene Aufgaben stehen. Der ganze Verlauf der Ereignisse im verflossenen Vierteljahrhundert und die von der Kommunistischen Internationale gemachte Erfahrung haben überzeugend gezeigt,daß die Organisationsform, die vom Ersten Kongreß der Kommunistischen
Internationale zur Vereinigung der Arbeiter gewählt wurde und die den
Anforderungen der Anfangsperiode der Wiedergeburt der Arbeiterbewegung
entsprach, mit dem Wachstum der Arbeiterbewegung in den einzelnen Ländern und
der Komplizierung ihrer Aufgaben sich immer mehr überlebte, ja, sogar zu einem
Hindernis für die weitere Stärkung der nationalen Arbeiterparteien wurde.“
25

Der inhaltliche Anschluss an den VII. Weltkongress war offensichtlich, indem die Verschiedenheit der Aufgaben in den verschiedenen Ländern betont und die Politik der Volksfront aller antifaschistischen Kräfte in den nicht-faschistischen Ländern weiterhin propagiert wurde.

Dieses zweite Motiv des Auflösungsbeschlusses kann dabei als das ausschlaggebendere gelten, da es, anders als das Motiv, dem Westen im Krieg Zugeständnisse zu machen, bereits seit 1935 andeutete und seitdem faktisch bereits Schritte in Richtung der Auflösung der Komintern gegangen worden waren (durch die Stärkung des eigenmächtigen Handelns der KPen und den Austritt der CPUSA). Darin spiegelt sich ein grundsätzliches Umdenken der Führer der kommunistischen Weltbewegung, die zunehmend von der Notwendigkeit eines leitenden Zentrums nicht mehr ausgingen.

Die Auflösung der Internationalen wurde zwar in einem kleinen Führungskreis besprochen, was unter den Bedingungen des Weltkrieges auch kaum anders möglich war, allerdings wurde sie keineswegs den kommunistischen Parteien aufgezwungen, sondern von vielen dieser Parteien begrüßt. Offiziell stimmten sogar alle nationalen Sektionen dem Beschluss zur Auflösung zu, Widerspruch wurde dagegen von keiner einzigen eingelegt. Viele kommunistische Parteien rechtfertigten ihn auch viele Jahre später noch26.

Beispielhaft sei Palmiro Togliattis später formulierte Ansicht zitiert, es sei „absurd zu glauben, dass sie (die kommunistische Bewegung, Anm.d.A.) von einem einzigen Zentrum aus eine wirkliche Führungstätigkeit ausüben könnte. Die kommunistischen Parteien mussten aus eigener Kraft zu einem politischen Faktor in ihrem Land werden und somit in der Lage sein, sich unabhängig zu bewegen, je nach Verlauf der Ereignisse, Wendepunkten, Erfolgen und Misserfolgen. So war in den Beschlüssen des Siebten Kongresses in gewisser Weise bereits der Auflösungsbeschluss von 1943 impliziert, als offen erklärt wurde, dass die bisherige zentralisierte Organisationsform nicht mehr der Situation und dem Zustand der Bewegung entsprach.“27. Auch Mao Tse-tung begrüßte den Auflösungsbeschluss28 und Zhou Enlai als Premierminister der Volksrepublik China stellte später fest: „Es war notwendig, die Kommunistische Internationale zu etablieren und es war auch notwendig, sie aufzulösen.“29

Wie ist die Auflösung der Komintern zu bewerten?

Es steht außer Zweifel, dass die Auflösung der Komintern ein mittel- und langfristig verheerender und folgenschwerer Fehler der kommunistischen Führer der Zeit war. Der Beschluss negierte und ignorierte die Erfahrungen der revolutionären Arbeiterbewegung seit dem 19. Jahrhundert, die eine gemeinsame Organisierung der Arbeiterklassen aller Länder gegen den gemeinsamen Feind immer wieder als erforderlich erwiesen hatten. Die Existenz der III. Internationalen war eine der größten Errungenschaften der kommunistischen Weltbewegung gewesen, die von ihren Führern nun aufgegeben wurde. Durch die Internationale musste der Aufbau der kommunistischen Parteien und der klassenorientierten Gewerkschaftsbewegung nicht in jedem Land mühsam völlig aus eigener Kraft gestemmt werden, sondern den Kommunisten wurde eine enorme und vielfältige Unterstützung zuteil. Die Vorstellung, dass nun aufgrund der gewachsenen Stärke der KPen in vielen Ländern eine solche Unterstützung nicht mehr notwendig wäre, war ein fataler Fehler, denn es konnte nie eine Garantie dafür geben, dass die kommunistische Weltbewegung sich nach ihren Höhenflügen nicht auch wieder durch schwere Krisenzeiten kämpfen müssen würde, in denen eine Weltorganisation lebenswichtig wäre. Dies zeigte eigentlich auch damals schon die Geschichte der kommunistischen Parteien: Die KPD beispielsweise war bis Ende der 1920er Jahre von internen Richtungskämpfen geprägt und es dauerte lange, bis sich die von Ernst Thälmann vertretene Richtung durchsetzte, die der Linie der Komintern entsprach. Die Komintern selbst hatte auch zu Beginn der 1930er Jahre noch festgestellt, dass die Bolschewisierung nie ausreichend durchgeführt worden war, dass also selbst trotz der Existenz der Internationalen deren Vorgaben nicht umfassend in die Tat umgesetzt worden waren30. Zu glauben, dass die kommunistischen Parteien über ausreichend erfahrene und standhafte Kader verfügten, war offensichtlich eine Illusion.

In den Kolonien und Halbkolonien leistete die Komintern einen wichtigen Beitrag dazu, die nationalen Befreiungskämpfe der unterdrückten Völker für ein Bündnis mit der kommunistischen Bewegung zu gewinnen und den Kampf für den Sozialismus in ihnen zu propagieren. All das fiel nun weg oder musste auf anderem, schlechterem Wege, vor allem durch die offizielle Diplomatie der UdSSR als des stärksten sozialistischen Staates bewerkstelligt werden.

Vor allem aber: Indem die gemeinsame Programm- und Strategieentwicklung aufgekündigt wurde, wurde dem Opportunismus Tür und Tor geöffnet. Fortan wurden alle möglichen (in der Regel rechten) Abweichungen von der revolutionären Strategie unter dem Deckmantel der „Berücksichtigung nationaler Besonderheiten“ eingeführt. Ein gemeinsamer Kampf gegen diese Abweichungen auf internationaler Ebene und Versuche zur Korrektur von Fehlorientierungen fanden nur noch bedingt statt, jedenfalls nicht mehr als strukturierter, kollektiver Diskussionsprozess der kommunistischen Weltbewegung. Stattdessen wurden solche Korrekturen nun nur noch in den einzelnen kommunistischen Parteien selber (beispielsweise in der KP Griechenlands, deren Generalsekretär Zachariadis 1949 dazu überging, die bisherige Strategie der Zwischenetappen abzulehnen31) oder im bilateralen Austausch (z.B. in Stalins Kritik an der KP Chinas und ihrem Konzept eines „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“32). Das Fehlen eines leitenden Zentrums und einer systematischen kollektiven Reflexion der kommunistischen Weltbewegung wog umso schwerer, da der letzte Weltkongress der Komintern dem Rechtsopportunismus einige Türen geöffnet hatte und diese nun nie mehr durch einen erneuten Komintern-Beschluss geschlossen werden würden.

Dadurch wirkten die Beschlüsse des VII. Weltkongresses zur Volksfront, die Dimitroff eigentlich als taktische Veränderungen deklariert hatte, faktisch als strategische, als dauerhafte Entscheidungen. Da es nun keinen anerkannten, dafür vorgesehenen Ort mehr gab, um diese Entscheidungen erneut zu diskutieren, kritisch auszuwerten und gegebenenfalls zu revidieren, wurden bestenfalls noch punktuelle und taktische Korrekturen daran vorgenommen. Die Volksfrontpolitik wurde so teilweise unbewusst zu einem festen Teil der politischen Kultur der kommunistischen Weltbewegung, ihre Infragestellung wurde oft wie ein Sakrileg behandelt.

Wenn wir heute über die Entscheidung zur Auflösung der Komintern urteilen, sollte uns bewusst sein, dass ein Urteil aus der Retrospektive stets etwas anderes ist als ein Urteil aus Sicht der Zeitgenossen. Die Genossen, die damals die Entscheidungen trafen, hatten zwangsläufig einen begrenzteren Erfahrungshorizont und vor allem hatten sie nicht den Vorteil, den weiteren historischen Verlauf zu kennen. Wir dürfen nie vergessen, dass sich erstens die Sowjetunion und die kommunistische Bewegung in einem extrem grausamen Kampf ums Überleben befanden und in dieser Situation nach jedem Strohhalm greifen mussten, den sie zu packen bekamen. Zweitens können wir heute im Rückblick sehen, wie bestimmte Handlungen sich langfristig ausgewirkt haben und welche unvorhergesehenen negativen Konsequenzen sie hatten. Es kann deshalb nicht darum gehen, unsere Vergangenheit zu verdammen, uns von ihr loszusagen, oder der Komintern in ihren späteren Jahren ihren revolutionären Charakter abzusprechen – wohl aber darum, die gemachten Fehler als solche zu benennen und zu analysieren, um sie, wo möglich, zu korrigieren und in Zukunft zu vermeiden.

Ein solcher Fehler war die Auflösung der Komintern. Denn rechtfertigen lässt diese Entscheidung sich letztlich nicht. 1943 waren bereits alle westlichen Alliierten im Krieg mit Nazideutschland und die militärische Situation hatte sich nach den Schlachten um Moskau und Stalingrad zu Gunsten der Roten Armee gewendet. In den Monaten darauf konnte die Rote Armee in der Schlacht am Kursker Bogen der Wehrmacht eine weitere empfindliche Niederlage zufügen. Falls in der Führung der Komintern und der Sowjetunion die Hoffnung gehegt wurde, dass die westlichen Imperialisten im Gegenzug für die Komintern-Auflösung ihre grundsätzlich feindselige Haltung gegenüber der Sowjetunion und kommunistischen Bewegung aufgeben würden, war dies eine gefährliche Illusion. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gingen die bürgerlichen Kräfte überall wieder dazu über, die Kommunisten zu bekämpfen, in einigen Ländern auch militärisch (Griechenland, Vietnam, Korea, Malaya) und rüsteten zum Kampf gegen die Sowjetunion. Schon vor Kriegsende schmiedeten Teile des US-Staates Pläne für einen Separatfrieden mit Nazi-Deutschland, die dank der Intervention des sowjetischen Geheimdienstes vereitelt wurden (die „Operation Sunrise“). Der britische Generalstab entwickelte bereits 1945, unverzüglich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa und während der Krieg in Ostasien noch tobte, konkrete Pläne für einen Angriffskrieg gegen die Sowjetunion, die nur wegen der Stärke der Roten Armee – und nicht durch Zugeständnisse an die britischen Imperialisten – nicht in die Tat umgesetzt wurden.

Vor allem muss aber auch die Argumentation zurückgewiesen werden, dass unterschiedliche Kampfbedingungen ein gültiges Argument wären, das gegen eine gemeinsame internationale Organisierung und Strategieentwicklung spricht. Eine gemeinsame strategische Ausrichtung zu haben bedeutet, in der Bestimmung des Feindes, des Ziels und der Kräfte auf die man sich stützt, eine gleichgerichtete Herangehensweise zu haben. Es bedeutet nicht, nationale Besonderheiten zu ignorieren oder taktisch unflexibel zu werden, sodass man auf jede konkrete Situation mit demselben Schema antworten müsste – wie die Komintern in ihren Beschlüssen auch immer wieder betont hatte. Die Notwendigkeit einer gleichgerichteten strategischen Orientierung ergibt sich heute daraus, dass sich überall auf der Welt der Imperialismus, also das Monopolkapital als vorherrschendes gesellschaftliches Verhältnis durchgesetzt und sich alle gesellschaftlichen Beziehungen subsumiert hat. Dieses Entwicklungsstadium lässt keinen Raum mehr für Zwischenstadien zwischen Kapitalismus und Sozialismus oder für nationale Befreiungskämpfe, die vom Kampf um den Sozialismus losgelöst wären. Und selbst, als dies in den 1920er und 30er Jahren noch anders war, als die Welt noch vom Kolonialsystem und großen halbkolonialen Gebieten geprägt war, war die Komintern in der Lage, den stark voneinander abweichenden Voraussetzungen, Kampfbedingungen und anstehenden Aufgaben der Kommunisten in den Kolonien, Halbkolonien, den unabhängigen Ländern mit erst beginnender kapitalistischer Entwicklung und den entwickelten imperialistischen Ländern Rechnung zu tragen. Das oft als „linkssektiererisch“ verleumdete Programm der Komintern von 1928 sah nicht für alle Länder genau das gleiche Vorgehen vor, sondern ging von den unterschiedlichen Bedingungen aus, um jeweils eine der Situation angemessene Politik zu entwickeln.

Wenn die Begründung für den Auflösungsbeschluss zudem suggerierte, dass die Komintern – ähnlich wie die Internationale Arbeiterassoziation – nur für eine begrenzte Zeit eine Existenzberechtigung gehabt hätte, ist auch das problematisch. Es ist nicht ersichtlich, weshalb die Notwendigkeit der internationalen Vereinigung der Arbeiterklasse an einem gewissen Punkt erlöschen sollte, schließlich war das Ziel weiterhin die sozialistische Weltrevolution. Zudem wurde im Beschluss zur Auflösung auch keinerlei Hinweis darauf gegeben, wie die Koordination der kommunistischen Weltbewegung in Zukunft aussehen könnte und es dauerte einige Jahre, bis mit dem Kommunistischen Informationsbüro überhaupt ein neues Instrument dafür geschaffen wurde.

Ein „Verrat an der weltrevolutionären Sache“ zugunsten nationaler Interessen der Sowjetunion – wie heute oft und nicht nur von Trotzkisten argumentiert wird, war die Fehlentscheidung zur Auflösung der Komintern jedoch nicht. Besonders widersprüchlich ist, dass oft von denselben Kräften der Sowjetunion vorgeworfen wird, sie habe die Komintern zu einem willfährigen Instrument ihrer Staatsinteressen gemacht. Wenn dies so gewesen wäre, würde sich aber erst recht die Frage stellen, inwiefern es dem „nationalen Interesse“ der Sowjetunion entsprochen haben soll, dieses Instrument aufzugeben.

Tatsächlich waren die Interessen der Sowjetunion und das Ziel der Weltrevolution untrennbar miteinander verbunden, denn ein langfristiges Überleben der Sowjetunion konnte, wie auch Stalin immer wieder betont hatte, nur durch weitere sozialistische Revolutionen gesichert werden. Komplizierter wurde das Verhältnis zwischen beiden Aspekten vor allem durch den Aufstieg des Faschismus und die Notwendigkeit, ihn zu bekämpfen und den Krieg gegen die Sowjetunion hinauszuzögern. Dadurch kam es zu einigen taktischen Kompromissen und Wendungen, in denen dem Ziel, die Sowjetunion zu schützen, der Vorrang vor unmittelbaren Kampfzielen der kommunistischen Parteien in den kapitalistischen Ländern gegeben wurde. Auch das war nachvollziehbar und im Prinzip richtig, da eine Zerstörung der Sowjetunion auch für die Kommunisten der ganzen Welt eine welthistorische Niederlage bedeutet hätte – wie die Erfahrung nach 1990 gezeigt hat. Es wäre jedoch notwendig gewesen, in dem Verhältnis zwischen den Interessen der Sowjetunion und denen der kommunistischen Weltbewegung die letzteren wieder stärker in den Vordergrund zu stellen, sobald die unmittelbare Gefahr der Vernichtung des Sowjetstaates vorüber war. Mit anderen Worten: Die günstige Situation für die Verbreitung der Revolution, die 1945 und auch später an verschiedenen Punkten bestand, hätte offensiver ausgenutzt werden müssen.

Mit der Auflösung der Komintern schlug die kommunistische Weltbewegung einen polyzentrischen Weg ein und räumte dem Opportunismus in jedem Land großen Handlungsspielraum ein. Die Eigenständigkeit der kommunistischen Parteien wurde zum Werkzeug, um jede opportunistische Abweichung im Namen der Nichteinmischung gegen Kritik von außen abzuschirmen. All das ging letzten Endes auch zu Lasten der UdSSR, die dadurch bei verschiedenen Gelegenheiten gezwungen war, gewaltsam einzugreifen, weil sich in manchen kommunistischen Parteien sogar offen konterrevolutionäre Strömungen durchsetzten (wie in Ungarn 1956 und der Tschechoslowakei 1968), die, wenn man sie hätte gewähren lassen, nicht nur den Sozialismus in ihren Ländern innerhalb kurzer Zeit liquidiert hätten, sondern auch das Kräfteverhältnis zwischen dem imperialistischen und dem sozialistischen Lager drastisch zugunsten der ersteren verschoben hätten. Die Sowjetunion musste nun intervenieren, um existenzielle Interessen zu schützen und zahlte politisch einen hohen Preis dafür – die Alternative wäre gewesen, durch eine gemeinsame Strategieentwicklung der kommunistischen Weltbewegung solche Situationen erst gar nicht aufkommen zu lassen.

Mit der Machtübernahme der konterrevolutionären Kräfte in der Sowjetunion in den 1980ern endete auch das internationalistische Engagement der UdSSR. Das Ende des Internationalismus bedeutete auch das Ende der „Einmischung“ in die Angelegenheiten anderer Staaten: Die revolutionäre Regierung Afghanistan wurde fallengelassen und der aggressiven, von den USA hochgerüsteten Konterrevolution der Mudschaheddin zum Fraß vorgeworfen, während auch den anderen verbündeten Ländern die bisherige großzügige wirtschaftliche Unterstützung verwehrt wurde, was in den meisten Ländern den Sieg der Konterrevolution beschleunigte.

Das Kommunistische Informationsbüro (Kominform)

In den Jahren unmittelbar nach der Auflösung der Internationalen, also 1944 und in den Folgejahren, machte sich hingegen das Fehlen einer gemeinsamen Strategie für die sozialistische Revolution schmerzhaft bemerkbar. Eine Reihe von kommunistischen Parteien beging in dieser Phase schwere Fehler, indem sie den Kampf um den Sozialismus auf eine unbestimmte Zukunft verschob33 oder sogenannten Regierungen der „nationalen Einheit“ – einer Fortsetzung der Volksfrontregierungen – beitrat und dabei faktisch den bürgerlichen Parteien den Rücken für die Konsolidierung der kapitalistischen Herrschaft freihielt.

Das Fehlen einer Koordination zwischen den kommunistischen Parteien wurde in den folgenden Jahren zunehmend als Mangel wahrgenommen, auch wenn der Fehler, die Internationale aufzulösen, nicht als solcher erkannt wurde. Im September 1947 wurde im polnischen Szklarska Poreba das Kommunistische Informationsbüro (Kominform) gegründet, dem allerdings anders als der Komintern nur ein paar ausgewählte Parteien angehörten: Neben der KPdSU die KPen der osteuropäischen Länder (Bulgarien, DDR, Jugoslawien, Polen, Rumänien, Tschechoslowakei und Ungarn) sowie die französische und die italienische KP. In der Resolution zur Gründung des Kominform konstatierte man, „daß das Fehlen der Verbindung zwischen den an der gegenwärtigen Tagung teilnehmenden kommunistischen Parteien unter dem jetzigen Zustand einen ernsten Nachteil darstellt. Die Erfahrung hat gezeigt, daß ein derartiger Mangel an Verbindung unter den kommunistischen Parteien falsch und schädlich ist.“34

Einige Tage zuvor hatte auf der Tagung Andrej Schdanow, der führende sowjetische Politiker bei der Einrichtung des Kominform, in einer berühmten Rede bemängelt: „Einige Genossen haben die Sache so aufgefaßt, als ob die Auflösung der Komintern die Beseitigung jeder Verbindung, jedes Kontakts zwischen den kommunistischen Bruderparteien bedeute. Dabei zeigte die Erfahrung, daß eine derartige Getrenntheit der kommunistischen Parteien voneinander unrichtig, schädlich und im Grunde genommen unnatürlich ist. Die kommunistische Bewegung entwickelt sich im nationalen Rahmen, hat aber gleichzeitig für die Parteien der verschiedenen Länder gemeinsame Aufgaben und Interessen. Es entsteht ein recht sonderbares Bild: die Sozialisten, die sich förmlich überschlugen, um zu beweisen, daß die Komintern angeblich die Richtlinien Moskaus für die Kommunisten aller Länder herausgäbe, haben ihre Internationale wiederhergestellt, während die Kommunisten aus Furcht vor der Verleumdung der Feinde bezüglich der »Hand von Moskau« sogar auf Zusammenkünfte verzichten, ganz zu schweigen von Beratungen über Fragen von gemeinsamem Interesse.“35

Die Rückkehr zu einem organisierten Austausch unter den kommunistischen Parteien war zweifellos ein Fortschritt. Die Komintern konnte dadurch aber nicht ersetzt werden. Denn erstens handelte es sich beim Kominform um einen vergleichsweise willkürlichen Zusammenschluss, von dem die meisten, auch einige sehr bedeutende kommunistische Parteien ausgeschlossen waren. Und zweitens war es ausdrücklich nicht als zentralisierte Organisation mit nationalen Sektionen organisiert, sondern eher als Austauschforum zwischen voneinander unabhängigen Parteien.

Das Kominform war dennoch nützlich, um dem Opportunismus, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg in der Praxis verschiedener kommunistischer Parteien durchsetzte, etwas entgegenzuhalten. Die italienische KP (PCI) beispielsweise war bereits dabei, sich faktisch vom revolutionären Ziel und ihrer Organisationsweise als Partei neuen Typs zu lösen. Togliatti erklärte bereits im April 1944: „Genossen, ich weiß, daß sich heute den italienischen Arbeitern nicht das Problem stellt, das zu tun, was in Rußland getan wurde . . . Wir werden dem Volk vorschlagen, aus Italien eine demokratische Republik zu machen, mit einer Verfassung, die allen Italienern alle Freiheiten garantiert die Freiheit des Gedankens und des Wortes; die Presse-, Vereins- und Versammlungsfreiheit; die Religions- und Kultfreiheit; die Freiheit des kleinen und mittleren Eigentums, sich zu entfalten, ohne von gierigen und egoistischen Gruppen der Plutokratie [!], also des großen Monopolkapitals, erdrückt zu werden. (…) Unsere Partei muß sich gründlich verändern, wir können nicht mehr ein kleiner, begrenzter Verein von Propagandisten der allgemeinen Ideen des Kommunismus und Marxismus sein, sondern müssen eine große, eine Massenpartei sein … näher am Volk, an allen Volksschichten36. Und wieder taucht die Argumentation der „nationalen Besonderheiten“ auf: „Die internationale Erfahrung, die uns sagt, daß unter den gegenwärtigen Bedingungen des Klassenkampfes in der ganzen Welt die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen neue Wege zum Sozialismus finden können, verschieden von denen, die zum Beispiel von der Arbeiterklasse in der Sowjetunion begangen wurden. Ich richte eure Aufmerksamkeit auf ein großes Beispiel: Jugoslawien. (…) In jedem Lande (…) nimmt der Marsch zur Demokratie und Sozialismus besondere Formen an, die den Traditionen und der nationalen Eigenart entsprechen37.

Auf der Gründungskonferenz des Kominform kritisierte Schdanow die PCI und PCF für ihre Trägheit im revolutionären Kampf, für die Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie und ihre Kompromissbereitschaft gegenüber katholischen und sozialdemokratischen Parteien38. Danach führte die jugoslawische Delegation in Absprache mit Schdanow die Kritik an den italienischen und französischen Genossen im Detail aus. Ihnen wurde Unterwürfigkeit gegenüber dem Gaullismus und dem Vatikan vorgeworfen, Illusionen in den friedlichen parlamentarischen Kampf, die Entwaffnung der Partisanenarmeen. Die Vorstellung, eine Volksdemokratie könnte man durch die Beteiligung der Kommunisten an einer bürgerlichen Regierung erreichen wurde kritisiert, außerdem die Organisationsweise der PCF, die sich in eine breite Massenpartei verwandelt hätte, der es nur noch um quantitatives Wachstum ging. Die Rede war von einer „Tendenz zur Revision des Marxismus-Leninismus (…) einer Abweichung in Richtung Opportunismus und Parlamentarismus in der französischen Partei, der italienischen Partei, so wie in weiteren Parteien39.

Ein Jahr später, auf der zweiten Konferenz des Kominform im Juni 1948, hatten sich die Beziehungen zur KP Jugoslawiens massiv verschlechtert, da diese Partei inzwischen ebenfalls und in noch größerem Maße rechtsopportunistische Positionen vertrat. Der KPJ wurde nun eine feindselige Haltung zur Sowjetunion vorgeworfen, außerdem, dass sie ihre Politik vor allem auf die Bauernschaft statt auf die Arbeiterklasse stütze und in diesem Zusammenhang die Entwicklung des Privateigentums toleriere, dass sie die führende Rolle der Partei relativierten und sie faktisch in einer breiten „Volksfront“ aufgelöst hätten und dass die Partei den Demokratischen Zentralismus missachte und sich in eine bürokratische und autoritäre Organisation verwandle40. Im Ergebnis wurde die KP Jugoslawiens aus dem Kominform ausgeschlossen.

Diese wichtigen Interventionen gegen die aufkommenden revisionistischen Tendenzen waren jedoch nicht ausreichend, zudem gab es auch in den strategischen Vorstellungen der sowjetischen Führung damals bereits problematische Aspekte. So kritisierte Stalin 1950 in Gesprächen mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Großbritanniens (CPGB) Harry Pollitt zwar einerseits deren kompromisslerische Haltung zur Sozialdemokratie: „Die englischen Kommunisten sollten im Programm ihrer Partei offen sagen, dass die Labour-Leute überhaupt keine Sozialisten sind sondern tatsächlich der linke Flügel der Konservativen Partei. Es ist notwendig, klarer zu sagen, dass unter einer Labour-Regierung die Kapitalisten sich sehr wohlfühlen und ihre Profite weiter ansteigen und dass diese eine Tatsache schon aussagt, dass die Labour-Leute in keiner Weise dabei sind, den Sozialismus aufzubauen“. Außerdem würden die britischen Kommunisten sich um die Frage des antikolonialen Kampfes herumdrücken. Neben diesen Kritiken stimmte Stalin aber auch der Taktik der CPGB für einen parlamentarischen Weg zum Sozialismus zu. Wenn den englischen Kommunisten vorgeworfen würde, das Sowjetsystem in Großbritannien errichten zu wollen, dann müssten sie darauf antworten: „dass sie das Parlament nicht schwächen wollen, dass England den Sozialismus auf seinem eigenen Weg erreichen soll und nicht auf dem Weg, den die Sowjetmacht beschritten hat, sondern durch eine demokratische Republik, die nicht von Kapitalisten, sondern von Vertretern der Volksmacht, d.h. einer Koalition aus Arbeitern, arbeitender Intelligenz, unteren Schichten der Städte sowie Bauern, geführt werden soll. Die Kommunisten müssen erklären, dass diese Macht durch das Parlament handeln wird.“41. Solche Positionen waren allerdings gerade in Bezug auf die Taktik der britischen Kommunisten nicht neu. Auch Lenin hatte ihnen bereits empfohlen, die reformistischen Führer bis zu einem gewissen Grad zu unterstützen, um die Konservativen bei den Wahlen zu schlagen. Man müsse „im Interesse der Revolution diesen Herrschaften eine gewisse parlamentarische Unterstützung gewähren“, so Lenin42. Stalin (und natürlich auch Lenin) verteidigte im Kern eine revolutionäre Strategie zum Sozialismus. Allerdings machten sie beide taktische Zugeständnisse an den Reformismus, die in späteren Jahren nicht hilfreich dabei waren, den Opportunismus in der kommunistischen Bewegung zu bekämpfen. Die rechtsopportunistische Wende der KPdSU auf dem XX. Parteitag 1956 konnte somit als weniger schroffer Bruch erscheinen als sie in Wirklichkeit war, weil man sich auf die taktischen Zugeständnisse berufen konnte, die bereits in der Vergangenheit gemacht worden waren.

Die institutionalisierte Kooperation im Rahmen des Kominform war zwar unzureichend, aber sie war besser als gar nichts, bzw. als ein bloß informeller bilateraler Kontakt zwischen den kommunistischen Parteien. Die Zielstellung, den Opportunismus in der kommunistischen Weltbewegung zu bekämpfen, wurde von der sowjetischen Führung nach dem Tod Stalins nicht mehr geteilt. Nach dem XX. Parteitag der KPdSU im Februar 1956 übernahm die KPdSU eindeutig rechtsopportunistische Vorstellungen bezüglich der Strategie (die Konzeption des friedlichen parlamentarischen Übergangs zum Sozialismus), der Sozialismuskonzeption (die Vorstellung vom „Staat des ganzen Volkes“ und die verstärkte Nutzung des Wertgesetzes im Sozialismus) und der Außenpolitik (friedliche Koexistenz mit dem Imperialismus nun verstanden als freundschaftliche Beziehung mit diesem). Diese Auffassungen verbreitete die KPdSU unter der Führung Chruschtschows auch in der kommunistischen Weltbewegung. Kurz nach dem XX. Parteitag wurde im April 1956 das Kominform einseitig durch einen Beschluss des Zentralkomitees der KPdSU aufgelöst und damit auch dieses Instrument, das zur Vereinheitlichung und Koordination der kommunistischen Weltbewegung noch geblieben war, liquidiert.

Mit dem sino-sowjetischen Zerwürfnis (der Spaltung der kommunistischen Weltbewegung in das pro-chinesische und das pro-sowjetische Lager), später ergänzt um die Spaltung zwischen der Partei der Arbeit Albaniens und der chinesischen KP, sowie den Konflikten zwischen Jugoslawien und Albanien kam es unter den kommunistischen Parteien in den folgenden Jahrzehnten zu schweren Auseinandersetzungen. Das Fehlen einer gemeinsamen Organisation, in der diese Konflikte hätten beigelegt und die opportunistischen Positionen, die sich ausnahmslos auf allen Seiten dieser zwischenparteilichen Konflikte finden lassen, möglicherweise hätten bekämpft werden können, wog schwer. Diese Konflikte verdienen eine weitere Untersuchung, ebenso wie die Frage, ob durch das Fehlen der Komintern nicht sogar das Übergewicht der großen KPen an der Macht gegenüber den anderen kommunistischen Parteien eher noch verstärkt wurde.

Die Reorganisation der kommunistischen Weltbewegung seit den 1990er Jahren

Nachdem durch die Konterrevolution der Sozialismus in der Sowjetunion und den anderen osteuropäischen Ländern zerstört worden war, geriet die kommunistische Weltbewegung in ihre bisher tiefste Krise. Zahlreiche kommunistische Parteien lösten sich auf, verwandelten sich faktisch in sozialdemokratische Systemparteien, verloren den Großteil ihrer Mitglieder oder versanken in Orientierungslosigkeit und Desorganisation. Die Konterrevolution bewies einmal mehr, wie eng verbunden die kommunistische Bewegung auch ohne eine gemeinsame Organisation in Wirklichkeit weiterhin war – fast alle sozialistischen Länder fanden auf einen Schlag ihr Ende und in allen kapitalistischen Ländern der Welt verloren die Kommunisten schlagartig an Einfluss.

Die Kommunistische Partei Griechenlands ergriff in dieser Situation im Jahr 1998 die Initiative, Internationale Treffen der Kommunistischen und Arbeiterparteien ins Leben zu rufen und mit der Website solidnet.org eine gemeinsame Internetpräsenz zu schaffen.

Die internationalen Treffen spielten eine wichtige Rolle bei der Rekonstituierung der kommunistischen Weltbewegung und der politisch-ideologischen Entwicklung der Bewegung. Allerdings waren an ihnen von vornherein Parteien mit sehr unterschiedlicher Ausrichtung beteiligt – von offen bürgerlich-kapitalistischen Parteien wie der PCF aus Frankreich, der „Partei der Kommunistischen Wiedergründung“ (Rifondazione Comunista) aus Italien oder der KP Chinas bis zu Parteien wie der KP Griechenlands, die eine revolutionäre Neuorientierung der kommunistischen Weltbewegung anstrebten. Diese Differenzen haben sich in den zweieinhalb Jahrzehnten, die seitdem vergangen sind, noch vertieft.

2009 und 2013 wurden deshalb, wiederum jeweils auf Initiative der KKE, die Internationale Kommunistische Rundschau als gemeinsames Publikationsorgan der marxistisch-leninistischen Teile der internationalen kommunistischen Bewegung und aus den europäischen kommunistischen Parteien die Initiative der Kommunistischen und Arbeiterparteien gegründet. Beide Vorstöße hatten das Ziel, den Zusammenschluss und Austausch unter den kommunistischen Parteien, die am Marxismus-Leninismus festhalten, zu vertiefen. Einige Parteien, wie die Portugiesische KP (PCP) und die DKP beteiligten sich von vornherein nicht daran, weil sie in der engeren Koordinierung der marxistischen Kräfte eine „Spaltung“ der Bewegung sahen – und das, obwohl auch die Initiative und die Internationale Kommunistische Rundschau nie allein aus antirevisionistischen Parteien bestanden.

Es zeigte sich, dass die politisch-ideologische Entwicklung der kommunistischen Weltbewegung sich im ständigen Fluss befindet, dass oft der Bezug auf den Marxismus-Leninismus ein Lippenbekenntnis ohne tiefe Einsicht war und dass der Minimalkonsens der Ablehnung der Europäischen Union zwar dazu diente, die offen proimperialistischen „eurokommunistischen“ Parteien auszuschließen, aber im Umkehrschluss keineswegs ausreichend für eine Vereinigung der wirklich kommunistischen Kräfte war.

Einige der Parteien, die anfangs zur Internationalen Kommunistischen Rundschau und zur „Initiative“ beitrugen, degenerierten in den folgenden Jahren zu rechtsopportunistischen Parteien, wie beispielsweise die Partei der Arbeit Belgiens, die eine reformistische Strategie und faktische Akzeptanz der EU entwickelte, oder die Russische Kommunistische Arbeiterpartei und die Ungarische Arbeiterpartei, die sich inzwischen klar unter die Fahne des russischen Imperialismus stellen. In der KP der Türkei (TKP) und der KP der Völker Spaniens (PCPE) kam es zu größeren Spaltungen, bei denen sich jeweils ein rechtsopportunistischer Flügel von der Partei abspaltete, worauf in Spanien der antirevisionistische Teil der Partei sich in Kommunistische Partei der Arbeiter Spaniens (PCTE) umbenannte. All diese Prozesse haben gezeigt, dass das Verständnis des Imperialismus und die strategische Ausrichtung einer Partei entscheidende Kriterien für ihren Charakter sind. Innerhalb des Zusammenhangs, der sich heute als kommunistische Weltbewegung versteht, bildet sich auf der einen Seite eine revolutionäre, leninistische Strömung heraus und auf der anderen Seite verschiedene opportunistische Strömungen, die sich überwiegend entweder am westlichen Imperialismus (v.a. der EU, wie bei den sogenannten „Eurokommunisten“) oder dem durch Russland und China geführten imperialistischen Pol orientieren. Die Politik der Parteien, die sich auf die Seite der russischen, chinesischen, brasilianischen, indischen etc. Bourgeoisie stellen, die die Stärkung der Position dieser Länder innerhalb des imperialistischen Weltsystems anstreben oder eine „nationale“ oder „demokratische“ Revolution anstelle der sozialistischen anstreben, ist letztlich nicht einfach nur verschieden von der Politik der Parteien des revolutionären Pols, sondern dieser entgegengesetzt.

Der Prozess der Teilung der Weltbewegung in den opportunistischen und den revolutionären Teil, die Trennung der Spreu vom Weizen und damit auch die Herausbildung eigener Formen der Organisierung der revolutionären Teile der kommunistischen Weltbewegung sind noch nicht abgeschlossen.

Wie weiter? Brauchen wir eine neue Komintern?

Die Antwort auf die Frage ergibt sich grundsätzlich aus dem bereits gesagten – Da der Grund für die Existenz der Komintern, nämlich der weltweit herrschende Imperialismus und die internationale Organisierung des Klassenfeindes zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft, heute nicht nur genauso fortbesteht, sondern sich in viel größerem Ausmaß als damals entfaltet hat, liegt die Notwendigkeit einer neuen kommunistischen Internationalen auf der Hand.

Dies bedeutet aber nicht, dass es unmittelbar möglich oder richtig wäre, diese Internationale auch aus der Taufe zu heben. Denn die Theorie der „nationalen Besonderheiten“ hat jahrzehntelang die Verbreitung des Opportunismus befördert und zahlreiche kommunistische Parteien der Welt auf Abwege gebracht: Bündnisse mit der eigenen Bourgeoisie im Sinne des „Antifaschismus“, des „Antiimperialismus“, der „nationalen Unabhängigkeit“, des „sozialen Fortschritts“ oder anderer Zielstellungen werden von vielen kommunistischen Parteien unhinterfragt eingegangen. Die Vorstellung, es sei möglich oder notwendig, auf einem anderen Weg als der proletarischen Revolution zum Sozialismus überzugehen, beispielsweise durch eine „antimonopolistische Demokratie“, „nationaldemokratische Revolutionen“ o.ä. implizieren eine falsche, reformistische Strategie und führen zu verheerenden politischen Entscheidungen. Der Legalismus, d.h. die Unterordnung der kommunistischen Parteien unter den vom bürgerlichen Staat diktierten rechtlichen Rahmen, verunmöglicht die Revolution. Das Flirten mit dem bürgerlichen Nationalismus in vermeintlich „unterdrückten Ländern“ bis hin zu mächtigen imperialistischen Staaten wie Russland oder Frankreich verhindert die Entwicklung einer konsequenten internationalistischen Linie des Klassenkampfes.

All diese Erscheinungsformen des Rechtsopportunismus zeigen, dass in der heutigen kommunistischen Weltbewegung nicht einfach nur „verschiedene Ansätze“ miteinander koexistieren, die sich eben aus Unterschieden in den Kampfbedingungen automatisch ergeben, sondern dass es sich um einen Kampf zwischen dem Marxismus-Leninismus und verschiedenen Variationen des Opportunismus und Revisionismus handelt, die besiegt werden müssen, um nicht in letzter Konsequenz die Zerstörung der kommunistischen Bewegung zu bewirken.

Die Liquidation der Komintern hat heute bedauerlicherweise die Folge, dass einige kommunistische Parteien mit schwerwiegenden opportunistischen Abweichungen sich der Diskussion über ihre Politik verweigern und öffentliche oder auch nicht-öffentliche Kritik als „Einmischung in innere Angelegenheiten“ denunzieren. Dies geht einher mit einer ungerechtfertigten und unbegründeten Polemik gegen diejenigen kommunistischen Parteien, die – wie etwa die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) und die Kommunistische Partei Mexikos (PCM) – in den vergangenen Jahrzehnten eine kritische und produktive Auseinandersetzung mit dem Opportunismus in ihrer eigenen Geschichte geführt, sich dadurch erneuert und gestärkt haben und die Diskussion richtigerweise auf internationaler Ebene führen wollen. Es ist einer kommunistischen Partei unwürdig, wenn sie die Diskussion über ihre Politik scheut und sich hinter dem Prinzip der „Nichteinmischung“ versteckt, wo es in Wirklichkeit gar nicht um „Einmischung“, sondern um ehrliche Kritik und Selbstkritik unter Kommunisten geht.

Angesichts dieser Problemlage ist die Wiederherstellung einer Weltorganisation aller kommunistischen Parteien momentan nicht unmittelbar möglich, sofern einem solchen Schritt nicht die Klärung und Beseitigung der großen inhaltlichen Differenzen innerhalb der kommunistischen Weltbewegung vorausgeht. Eine Internationale, in der revolutionäre und opportunistische, sogar bürgerliche Positionen miteinander koexistieren, wäre ein Ding der Unmöglichkeit: Entweder sie wäre außerstande, eine revolutionäre Orientierung für die weltweite Bewegung zu entwickeln, oder diese Orientierung würde von einem Teil der Parteien nicht akzeptiert werden bzw. sie wären mit ihrer Organisationsstruktur, die oftmals eher der einer sozialdemokratischen als der einer bolschewisierten Partei entspricht, überhaupt nicht imstande, die revolutionäre Strategie umzusetzen.

Deshalb ist der Prozess der Rekonstituierung einer Kommunistischen Internationale, so dringend notwendig er ist, ein langfristiger und komplexer Prozess, der zunächst darin besteht, dass die kommunistischen Parteien, die am Ziel der sozialistischen Revolution festhalten und an einer revolutionären Klärung der entscheidenden Fragen interessiert sind, schrittweise zu einer engeren Koordination und einem inhaltlichen Austausch finden müssen, zu einem immer engeren Verhältnis und einer konkreten Zusammenarbeit finden. Dies betrifft aktuell nur eine kleine Anzahl von Parteien. In vielen kommunistischen Parteien oder auch kommunistischen Jugendorganisationen ist dieser Kampf noch nicht entschieden und muss weitergeführt werden. Gleichzeitig bilden sich in manchen Ländern neue kommunistische Organisationen und Parteien heraus, die einen Bruch mit den revisionistischen und opportunistischen Traditionen vollziehen und, in der Regel mit sehr begrenzten Kräften, den Neuaufbau der Bewegung anstreben. Aus unserer Sicht ist ein engerer Austausch zwischen allen konsequenten marxistisch-leninistischen Kräften, also auch mit kleinen Organisationen, notwendig und muss angestrebt werden, ohne dass dadurch der offene Dialog mit denjenigen Organisationen, die in manchen Fragen abweichende Haltungen vertreten, aber gleichzeitig an wesentlichen Grundsätzen des Marxismus-Leninismus (der grundsätzlichen Bejahung des Demokratischen Zentralismus und der Partei neuen Typs, der Notwendigkeit der Revolution, dem Verständnis der sozialistischen Ökonomie als zentraler Planung und Vergesellschaftung der Produktionsmittel usw.) und des proletarischen Internationalismus (Ablehnung des Nationalismus, keine Unterstützung für imperialistische Kriege usw.) festhalten, abgebrochen werden sollte.

Für einen solchen Prozess stehen auch wir als Kommunistische Organisation und zu diesem Zweck streben wir einen Austausch und eine Zusammenarbeit mit kommunistischen Organisationen und Parteien in anderen Ländern an, um mit unseren begrenzten Ressourcen und Erfahrungen unseren Beitrag zur Wiederherstellung einer internationalen kommunistischen Bewegung zu leisten, im vollen Bewusstsein dessen, dass wir eine kleine Organisation sind, die nur begrenzte Ressourcen und Erfahrungen in dieses große Vorhaben einbringen kann.

1Karl Marx & Friedrich Engels: Allgemeine Statuten und Verwaltungs-Verordnungen der Internationalen Arbeiterassoziation, in: MEW 17, S.440f

2Karl Marx: Inauguraladresse der Internationalen Arbeiter-Assoziation, MEW 16, S. 13.

3Kommunistische Internationale 1919: Richtlinien der Kommunistischen Internationale, online: https://www.international-communist-party.org/BasicTexts/Deutsch/19Richtl.htm , abgerufen 2.5.2023.

4Resolution über die Bedingungen der Aufnahme in die Kommunistische Internationale, online: https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0010_int_de.pdf, , abgerufen 2.5.2023.

5Kommunistische Internationale 1925: Thesen über die Bolschewisierung der Kommunistischen Parteien, online: https://ia902206.us.archive.org/17/items/protokolle-der-kongresse-der-kommunistischen-internationale/Thesen%20%C3%BCber%20die%20Bolschewisierung%20der%20kommunistischen%20Parteien.pdf, abgerufen 2.5.2023, S. 8.

6Ebd, S. 35f.

7Ebd, S. 38.

8Vgl. Ossip Pjatnizki 1932: Die Bolschewisierung der Kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder durch Überwindung der sozialdemokratischen Traditionen. Verlagsgenossenschaft ausländischer Arbeiter in der UdSSR, Moskau.

9Übersetzt aus dem Englischen: “The principal function of social democracy at the present time is to disrupt the essential militant unity of the proletariat in its struggle against imperialism. In splitting and disrupting the united front of the proletarian struggle against capital, social democracy serves as the mainstay of imperialism in the working class”, Kommunistische Internationale 1929: Programme of the Communist International, online: https://www.marxists.org/history/international/comintern/6th-congress/index.htm , abgerufen 2.5.2023.

10Eine weitere Beschäftigung mit der Theorie der „Hauptstützen“, ihrer Verbindung untereinander und der häufig geäußerten Kritik, sie habe zu einer Unterschätzung der faschistischen Gefahr geführt, wird in Zukunft stattfinden müssen.

11Übersetzt aus dem Englischen: “The Fascist system is a system of direct dictatorship, ideologically marked by the “national idea” and by representation of the “professions” (in reality, representation of the various groups of the ruling class). It is a system that resorts to a peculiar form of social demagogy (anti-semitism, occasional sorties against usurers’ capital and gestures of impatience with the parliamentary “talking shop”) in order to utilise the discontent of the petty bourgeois, the intellectuals and other strata of society (…). At the same time, Fascism strives to permeate the working class by recruiting the most backward strata of workers to its ranks-by playing upon their discontent, by taking advantage of the inaction of social democracy, etc. The principal aim of Fascism is to destroy the revolutionary labour vanguard, i.e., the Communist Sections and leading units of the proletariat. (…) In periods of acute crisis for the bourgeoisie, Fascism resorts to anti-capitalist phraseology, but, after it has established itself at the helm of State, it casts aside its anti-capitalist prattle and discloses itself as a terrorist dictatorship of big capital.”, ebd.

12Ebd.

13https://www.bannedthought.net/International/Comintern/Congresses/6/RevMovementInTheColonies-Comintern-1928-crisp.pdf

14Hector Maravillo 2017: Das koloniale Problem und die nationale Bourgeoisie bei Lenin und der Kommunistischen Internationalen, auf deutsch veröffentlicht: https://kommunistische.org/diskussion/die-koloniale-frage-und-die-nationale-bourgeoisie-bei-lenin-und-der-kommunistischen-internationale/, abgerufen 3.5.2023.

15Georgi Dimitroff 1935: Arbeiterklasse gegen Faschismus. Bericht auf dem VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, online: http://www.mlwerke.de/gd/gd_001.htm, abgerufen 2.5.2023.

16Ebd.

17Ebd.

18Und das, obwohl die Losung der Volksfront 1939 nach dem Nichtangriffsvertrag mit Deutschland wieder zurückgenommen wurde. Faktisch basierte aber auch die Politik der Komintern nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion wieder auf der Volksfrontpolitik.

19Georgi Dimitrov 2003: The Diary of Georgi Dimitrov, 1933-1949, Yale University, S. 136, 147, 155.

20Übersetzt aus dem Englischen: “The current war is imperialist and unjust. The bourgeoisie of all the warring states is to be held responsible for it. This war cannot be supported by the working class of these countries, not to mention its communist parties. (…) This war has radically changed the situation: the division of the capitalist states between fascist and democratic is not in force any longer. As a result it is necessary to change tactics. The tactics of the communist party of the belligerent countries at this point is to expose its imperialist character, have communist deputies vote against war credits, tell the masses that the war will give nothing but privation and suffering.”, Kommunistische Internationale 1939: ECCI Secretariat Directive on the Outbreak of War, 8.9.1939, online: https://www.revolutionarydemocracy.org/rdv6n2/dimitrov.htm , abgerufen 2.5.2023.

21Kommunistische Internationale 1935: Über die Tätigkeit des Exekutivkomitees der kommunistischen Internationale, VII. Weltkongress.

22Kommunistische Internationale 1943: Beschluß des Präsidiums des EKKI über die Auflösung der Kommunistischen Internationale, 15.5.1943, online: https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0026_auf_de.pdf, abgerufen 2.5.2023.

23Josef Stalin 1946: Antwort des Genossen J.W. Stalin auf die Frage des Hauptberichterstatters der englischen Presseagentur Reuter, in: Stalin: Über den großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion, Verlag für fremdsprachige Literatur: Moskau, S. 55.

24Dimitrov 2003, S. 155f

25Kommunistische Internationale 1943: Beschluß des Präsidiums des EKKI über die Auflösung der Kommunistischen Internationale

26Communist International 1943: Statement of the Presidium of the ECCI on the Dissolution of the Communist International, 8.6.1943, online: http://ciml.250x.com/archive/comintern/dissolution_1943.html, abgerufen 2.5.2023.

27Palmiro Togliatti 1949: Einige Probleme in der Geschichte der Kommunistischen Internationale, online: https://www.associazionestalin.it/IC_5_togliatti.html , abgerufen 2.5.2023.

28Mao Tse-tung: The Comintern has long ceased to meddle in our internal affairs (26.5.1943), Selected Works of Mao Tse-tung, Vol. VI, Kranti Publications, Andhra Pradesh, 1990.

29Zhou Enlai 1960: The Communist International and the Chinese Communist Party, online: http://www.marx2mao.com/Other/CI60.html , abgerufen 2.5.2023.

30Vgl. Pjatnizki 1932.

31Kostas Skolarikos 2015: ‚Eurokommunismus‘ Theorie und Strategie für das Kapital (griechisch: „«Ευρωκομμουνισμός». Θεωρία και στρατηγική υπέρ του Κεφαλαίου), Athen, S. 127.

32Josef W. Stalin: From the Conversation with the Delegation of the CC CP of China in Moscow, 11th July 1949, online: https://www.revolutionarydemocracy.org/rdv16n1/china.htm?fbclid=IwAR3iSCbegv-NwIVCExvpfO47bwZjZdsGzDq1U83dNNHWOCM1T3y1ZBvyxZk, abgerufen 18.3.2023.

33So beispielsweise die KPD, die im Juni 1945 erklärte: „Wir sind der Auffassung, daß der Weg, Deutschland das Sowjetsystem aufzuzwingen, falsch wäre, denn dieser Weg entspricht nicht den gegenwärtigen Entwicklungsbedingungen in Deutschland. Wir sind vielmehr der Auffassung, daß die entscheidenden Interessen des deutschen Volkes in der gegenwärtigen Lage für Deutschland einen anderen Weg vorschreiben, und zwar den Weg der Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarisch-demokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk“, zitiert aus: Aufruf des ZK der KPD an das deutsche Volk zum Aufbau eines antifaschistisch-demokratischen Deutschlands, 11.6.1945, online: https://www.1000dokumente.de/pdf/dok_0009_ant_de.pdf , abgerufen 2.5.2023.

34Kommunistisches Informationsbüro: Resolution über Erfahrungsaustausch und Koordinierung der Parteien, die in der Tagung vertreten sind, 27.9.1947, online: https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_ru&dokument=0029_kim&object=context, abgerufen 2.5.2023.

35Der Shdanow-Bericht, 22.9.1947, online: https://www.cvce.eu/content/publication/1997/10/13/914edbc9-abdf-48a6-9c4a-02f3d6627a24/publishable_de.pdf, abgerufen 2.5.2023, S. 16.

36Zit. n. Hans-Jakob Stehle 1982: Togliatti, Stalin und der italienische Kommunismus 1943-1948, Quellen und Forschungen aus italienischen Bibliotheken und Archiven, Bd. 62, S. 322f.

37Ebd, S. 329

38Vgl. Bill Bland 1998: The Cominform fights Revisionism, online: https://www.marxists.org/history/erol/uk.postww2/bland-cominform.pdf, abgerufen 3.5.2023, S.4.

39Aus dem Englischen übersetzt: “It is no overstatement to say that there has been a tendency towards revision of Marxism-Leninism, towards a deviation — as Browderism in the United States was a deviation. After the war,
certain communists thought that a peaceful, parliamentary period of appeasement of the class
struggle was ahead — there was a deviation towards opportunism and parliamentarism. in the
French Party, the Italian Party, as in other Parties”, zit.n. Ebd, S. 5.

40 Ebd, S. 9ff.

41 Aus dem Englischen Übersetzt: “The English Communists in the programme of their party should openly say that the Labourites are not at all socialists but in fact are the left-wing of the Conservative Party. It is necessary to say more clearly that under a Labour government the capitalists feel very good and their profits go on increasing and that this one fact itself tells that the Labourites are in no way about to build socialism.”; “The English Communists must respond to this in their Programme that they do not want to weaken the Parliament, that England shall reach socialism through its own path and not through the path traversed by Soviet power but through a democratic republic that shall be guided not by capitalists but by representatives of peoples’ power i.e. a coalition of workers, working intelligentsia, lower classes of the cities as well as farmers. Communists must declare that this power shall act through the Parliament.”, zit. aus: Josef W. Stalin & Harry Pollitt: The British Road to Socialism, online: https://www.marxists.org/history/erol/uk.postww2/stalin-pollitt.pdf, abgerufen 3.5.2023.

42 Lenin: Der ‚linke Radikalismus‘, die Kinderkrankheit im Kommunismus, LW 31, S. 67ff.

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