Die Herrschaft des Kapitals in China

von Thanasis Spanidis im Auftrag der Zentralen Leitung der Kommunistischen Organisation

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Inhaltsverzeichnis

  1. Einleitung: Die Diskussion um den Klassencharakter Chinas
  2. Begriffsklärung: Kapitalismus, Imperialismus, Sozialismus
  3. Vom Sozialismus zum Kapitalismus: China in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
  4. Das Gesellschaftssystem Chinas
  5. China im imperialistischen Weltsystem: Krisen, Kapitalexport, Kriegsgefahr
  6. Fazit: Die korrekte Haltung der Kommunisten zu China

1. Einleitung: Die Diskussion um den Klassencharakter Chinas [nach oben]

Ist China ein sozialistischer Staat oder zumindest ein Staat, der weiterhin darauf hinarbeitet, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaft zu schaffen? Oder handelt es sich längst um eine kapitalistische Gesellschaft, in der die Bourgeoisie die Macht innehat?

Diese Frage spaltet die kommunistische Weltbewegung wie nur wenige andere. Und bei dieser Spaltung geht es nicht um Rechthaberei oder Sektierertum. Im Gegenteil – eine Spaltung an dieser Frage ist unvermeidlich und richtig. Denn es geht dabei um weit mehr als um die Einschätzung der gesellschaftlichen Zustände in einem fernen Land – es geht um die Grundsätze des Marxismus: Um die Frage, was unter Kapitalismus zu verstehen ist und vor allem darum, was Sozialismus eigentlich ist. Es geht darum, ob der Imperialismus weiterhin mit den Begriffen der Leninschen Imperialismustheorie zu erfassen ist und daher als Entwicklungsstadium des Kapitalismus und als alle Länder umfassendes Weltsystem verstanden werden muss – oder vielleicht doch als exklusiver Club einer Handvoll westlicher Staaten, die vor allem aufgrund ihrer Außenpolitik als imperialistisch eingeordnet werden. Und schließlich geht es darum, ob in den sich zuspitzenden weltpolitischen Konflikten zwischen China und den USA eine internationalistische Position eingenommen wird, die gegen beide Pole des imperialistischen Systems die Interessen der Arbeiterklasse verteidigt, oder ob stattdessen die Orientierung der Arbeiterbewegung am von China geführten Pol dieses Weltsystems propagiert wird. Die Beurteilung Chinas ist also eng verwoben mit den strategischen Fragen, vor denen die kommunistische Weltbewegung steht. Die unterschiedliche, ja gegensätzliche Beantwortung dieser Frage durch kommunistische Parteien auf der ganzen Welt hat großen Einfluss darauf, in welche Richtung diese Parteien an dem Scheideweg, an dem die kommunistische Weltbewegung heute steht, abbiegen.

Ein erheblicher Teil der kommunistischen Weltbewegung ist der Auffassung, bei der Volksrepublik China handle es sich nach wie vor um ein sozialistisches Land oder ein Land, in dem Schritte des sozialistischen Aufbaus gegangen werden. In Deutschland ist es vor allem die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die diese Position mit zunehmender Vehemenz vertritt und auf ihrem 25. Parteitag 2023 in einem sehr weitreichenden Beschluss festgehalten hat: „Die DKP begrüßt die Erfolge der ökonomischen Reformen und die gesteigerte weltweite ökonomische Bedeutung der VR China. Dies eröffnet eine Alternative zur imperialistischen Wirtschaftsordnung. Die KP Chinas will die VR China zu einem modernen sozialistischen Staat entwickeln. Es gibt Kapitalisten im Land, die aber nicht die politische Macht haben. Der Staat kontrolliert zentrale Bereiche der Wirtschaft. Das ist die Voraussetzung dafür, dass sich China von einem Anfangsstadium des Sozialismus zu einem modernen sozialistischen Land entwickeln kann.“ Und: „Die DKP sieht die Verbesserungen, die sich für viele Länder durch die Zusammenarbeit mit dem sozialistischen China ergeben und dass sich dadurch die Kampfbedingungen der Arbeiterklasse verbessern können“. Die Außenpolitik Chinas sei eine grundsätzlich andere als die der imperialistischen Länder, zu denen die DKP China nicht zählen will: „In dieser Situation betreibt die VR China eine auf den Erhalt des Friedens und der wirtschaftlichen Entwicklung gerichtete Außenpolitik. Diese Politik der friedlichen Koexistenz ist eine Form des internationalen Klassenkampfes, die Zusammenarbeit von Ländern unterschiedlicher Gesellschaftsordnung beinhaltet, ohne jedoch die ideologische Auseinandersetzung und den Kampf gegen den Imperialismus aufzugeben.“1

Eine Kritik an diesem Beschluss der DKP wurde von uns bereits in einem anderen Text geleistet2. Hier soll ausführlicher nachgewiesen werden, dass die DKP und ähnliche Parteien mit diesen Einschätzungen durch und durch falsch liegen.

Ein Problem bei der Diskussion gegen diese Position ist, dass zumeist die Behauptungen über den „Sozialismus“ in China zwar vollmundig proklamiert, aber nur selten ernsthaft argumentiert und begründet werden. Im Gegenteil, sehr häufig beschränken ihre Vertreter sich auf Plattitüden und Phrasen. Eine wissenschaftliche Analyse der Klassenverhältnisse in China, der treibenden Gesetzmäßigkeiten der chinesischen Ökonomie und des Klassencharakters des chinesischen Staates und der regierenden „Kommunistischen“ Partei findet kaum statt. Man bekommt den Eindruck, dass von den Anhängern der „Sozialismus-in-China“-These anstelle einer wissenschaftlichen Analyse vielmehr ein Glaubensbekenntnis abgelegt wird, zumal die Debatte darüber oft hochgradig emotionalisiert ist und jede abweichende Position dazu (insbesondere jede marxistische Analyse, die den Kapitalismus in China beim Namen nennt) scharf angegriffen wird.

Wenn doch versucht wird, diese Position zu belegen, dann werden in der Regel folgende Argumente angeführt:

  1. In China sei eine zentrale Planwirtschaft noch nicht möglich bzw. nicht sinnvoll, da der Entwicklungsstand der Produktivkräfte noch nicht ausreichend sei.
  2. Dennoch seien die Grundpfeiler einer sozialistischen Ökonomie in China weiterhin intakt, wobei auf das hohe Gewicht von Staatsunternehmen in der chinesischen Wirtschaft und das weiterhin bestehende Staatseigentum am Grund und Boden verwiesen wird.
  3. Die Staatsmacht liege weiterhin in den Händen der Arbeiterklasse, da die Kommunistische Partei Chinas das Land regiert.
  4. Somit sei die „Reform- und Öffnungspolitik“ in China keine Politik zur Herstellung kapitalistischer Verhältnisse, sondern ein notwendiger Kompromiss auf dem Weg zu einer entwickelten sozialistischen Gesellschaft, vergleichbar der Neuen Ökonomischen Politik in Sowjetrussland bzw. der frühen Sowjetunion.
  5. Der sozialistische Charakter Chinas zeige sich auch in seiner internationalen Politik, die anders als z.B. die der USA nicht auf Krieg und Unterjochung anderer Länder ausgerichtet sei, sondern auf friedliche Koexistenz, Gleichberechtigung und Entwicklung.

Diese Argumente stützen sich auf die offiziellen Verlautbarungen der chinesischen Parteiführung. Historisch sind sie vor allem auf Deng Xiaoping zurückführbar, unter dessen Führung und mit dessen Begründungen der Prozess der „Reformen und Öffnung“, wie er in China genannt wird, begonnen wurde. Deshalb wird dieser Standpunkt oft als „Dengismus“ bezeichnet.

Interessanterweise kommen manche Kapitalisten zu ganz anderen Schlussfolgerungen. So beispielsweise Shan Weijian, ehemaliger Mitarbeiter der Weltbank und der Investmentbank JP Morgan und CEO einer Private Equity-Gesellschaft in Hong Kong im Wert von 40 Mrd. US$. Über die US-Amerikaner meint er: „Sie wissen nicht, wie kapitalistisch China ist. Chinas rasantes Wirtschaftswachstum ist das Ergebnis seines Bekenntnisses zur Marktwirtschaft und zum privaten Unternehmertum. China ist einer der offensten Märkte der Welt: Es ist die größte Handelsnation und auch der größte Empfänger ausländischer Direktinvestitionen und hat die Vereinigten Staaten im Jahr 2020 übertroffen3. Wie kann es sein, dass ein international vernetzter Kapitalist mit der Wirtschaftsordnung des heutigen China offenbar genauso zufrieden ist wie bestimmte Gruppen in westlichen Ländern, die sich als Kommunisten verstehen? Falls nicht in China auf wundersame Weise die Kapitalisten und die Arbeiterklasse gelernt haben sollten, ihren Interessengegensatz im Einvernehmen zu überwinden, müssen wir wohl davon ausgehen, dass eine der beiden Seiten einer ziemlich groben Fehleinschätzung des Charakters des chinesischen Wirtschaftssystems aufsitzt.

Die kommunistische Bewegung auf Grundlage des Marxismus-Leninismus ist in der China-Frage bisher eher schwach aufgestellt, auch wenn sich eine Reihe von Analysen zu China finden, denen auch wichtige Erkenntnisse zu entnehmen sind4. Vielfach ist eine Kritik des chinesischen Kapitalismus aber eher von maoistischer und trotzkistischer Seite zu hören, die aber auch oft nicht ins Detail geht und vor allem mithilfe der Begrifflichkeiten und Konzepte dieser Strömungen vorgenommen wird („Bürokratie“, „Stalinismus“ bei den Trotzkisten, „Sozialimperialismus“ bei den Maoisten), die allesamt eher ein Hindernis für ein wirkliches Verständnis des chinesischen Kapitalismus darstellen.

Dieser Text wird nun eine ausführliche Analyse der heutigen chinesischen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung leisten. Er wird zeigen, dass die Charakterisierung Chinas als sozialistisch falsch ist und dass auch alle Argumente, die dafür angeführt werden, für sich genommen falsch sind. Er wird nachweisen, dass in China kapitalistische Gesetzmäßigkeiten vorherrschen, dass also China ein kapitalistisches Land ist und dass das Monopol- und Finanzkapital in China dominiert. Er wird zeigen, dass auch der chinesische Staat und die „Kommunistische“ Partei Chinas einen bürgerlichen Klassencharakter haben und dass die internationalen Beziehungen Chinas vom kapitalistischen Charakter der Ökonomie bestimmt sind. Wir werden sehen, dass es sich um Beziehungen handelt, die wesentlich auf der Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft beruhen und in denen China bestrebt ist, eine Neuaufteilung der Welt zugunsten seiner Monopole voranzutreiben. China agiert dabei nicht nur als ein Akteur innerhalb des imperialistischen Weltsystems, sondern zunehmend als eine der führenden Mächte des weltweiten Kapitalismus.

Man muss sich keine Illusionen machen: Für einige werden die Schlussfolgerungen dieses Artikels nicht akzeptabel sein, weshalb sie auch die hier gelieferten Fakten und Argumente einfach ignorieren werden. Das richtige Argument setzt sich nicht nur deshalb durch, weil es irgendwo aufgeschrieben wurde. Man kann jedoch hoffen, dass die hier vorgelegte Analyse zum einen den konsequenten marxistischen Kräften dabei helfen wird, den Dengismus zu bekämpfen; zum anderen aber auch, dass es vielleicht bei manchen vom Dengismus Beeinflussten noch genügend Offenheit gibt, um die hier ausgeführte Argumentation ernsthaft zu prüfen.

Die Analyse wird nun zuerst klären, was unter den Begriffen Kapitalismus, Imperialismus und Sozialismus aus marxistischer Sicht zu verstehen ist. Das nächste Kapitel wird sich mit der historischen Entwicklung der Volksrepublik China vom Sozialismus zum Kapitalismus befassen. Dann wird es um das Gesellschaftssystem Chinas gehen: In Unterkapiteln wird die jeweilige Rolle bzw. das Gewicht des privaten und des staatlichen Kapitals in der chinesischen Ökonomie untersucht; es wird kurz auf die Lage der Arbeiterklasse, ihre Kämpfe und die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware eingegangen; im Unterkapitel zu Staat, Partei und Bourgeoisie wird gezeigt, dass die Bourgeoisie in China die herrschende Klasse ist und – entgegen den unbelegten Behauptungen der DKP – auch die politische Macht innehat; und schließlich werden Programmatik und Ideologie der KP Chinas dargestellt und der Frage nachgegangen, welche strategischen Ziele die Partei verfolgt. Im letzten Kapitel geht es dann um die Position Chinas im imperialistischen Weltsystem, die internationale Rolle des chinesischen Kapitals und der Kapitalexporte, die Folgen für die Werktätigen in den Zielländern des Kapitalexports und die zwischenimperialistischen Konflikte, mit denen der Aufstieg Chinas schwanger geht. Abschließend wird ein Fazit zu der Frage gezogen, was eine korrekte kommunistische Position zum heutigen China ist.

2. Begriffsklärung: Kapitalismus, Imperialismus, Sozialismus [nach oben]

Die Frage nach dem Klassencharakter des chinesischen Staates und der KP Chinas sowie der Charakterisierung der Ökonomie Chinas setzt bestimmte Begriffe voraus, deren Verständnis zunächst dargelegt werden muss. Dabei geht es um die Frage, woran sich überhaupt erkennen lässt, ob ein Land einen kapitalistischen oder sozialistischen Charakter aufweist. Und was bedeutet es, wenn wir von Imperialismus sprechen?

Kapitalismus

Karl Marx hat in den drei Bänden des „Kapital“ die ökonomischen Gesetze aufgedeckt, die die Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise bestimmen. Er zeigt, wie sich aus der Form der Ware, die sowohl einen Gebrauchswert als auch einen Wert hat, gesetzmäßig alle kapitalistischen Verhältnisse entwickeln. Der Wert der Waren, dessen quantitative Höhe bestimmt ist durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, die zu ihrer Produktion benötigt wird, bestimmt in letzter Instanz die Austauschverhältnisse zwischen den Waren. Das nennt Marx das Wertgesetz. Das Wertgesetz bestimmt in der kapitalistischen Produktionsweise nicht nur die Preisbewegungen, sondern damit auch die Verteilung der gesellschaftlichen Arbeit auf verschiedene Güter und Wirtschaftszweige und die Einkommen der verschiedenen gesellschaftlichen Klassen.

Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bestehen im Privateigentum an Produktionsmitteln, das sich in den Händen einer gesellschaftlichen Minderheit konzentriert, die Marx als Bourgeoisie oder Klasse der Kapitalisten bezeichnet. Ihr gegenüber steht die Arbeiterklasse, die mit dem gesetzmäßigen Schrumpfen der Zwischenschichten (insbesondere der Kleinbauern und des städtischen Kleinbürgertums) zunehmend zur gesellschaftlichen Mehrheit wird. Die Arbeiterklasse verfügt über kein nennenswertes Privateigentum an Produktionsmitteln und ist gezwungen, ihre Arbeitskraft an die Kapitalisten zu verkaufen. Durch die Ausbeutung der Arbeitskraft wird nicht nur das investierte Kapital reproduziert, es entsteht darüber hinaus auch ein Mehrwert. Da die Kapitalisten in ständiger Konkurrenz zueinander stehen, können sie den Mehrwert nicht vollständig selbst konsumieren, sondern müssen einen erheblichen Teil davon in bessere Produktionsmethoden und -techniken investieren, um einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten zu erreichen. Dadurch wird Kapital akkumuliert – und jedes kapitalistische Unternehmen, das kein Kapital akkumuliert, ist schnell zum Untergang verdammt. Die Aneignung und Anhäufung von Mehrwert ist das alleinige und allem übergeordnete Ziel der Kapitalisten, das über ihren Erfolg oder Misserfolg in der kapitalistischen Konkurrenz entscheidet. Die Akkumulation von Kapital kennt dabei keine Grenze, weder von der Menge des akkumulierten Kapitals her, noch zeitlich oder räumlich.

Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse lassen sich also folgendermaßen zusammenfassen: Sie bestehen erstens darin, dass sich zwei gegenüberstehende Klassen gebildet haben, von denen die eine die Produktionsmittel besitzt und die andere über kein Eigentum an Produktionsmitteln verfügt und daher ihre Arbeitskraft an die Kapitalistenklasse verkaufen muss. Zweitens bestehen sie darin, dass Arbeiter und Kapitalisten untereinander in Konkurrenz stehen, weil alle Waren (einschließlich der Arbeitskraft) über einen Markt gehandelt werden. Das führt dazu, dass drittens die Kapitalisten notwendigerweise ihr ganzes Handeln auf die schrankenlose Akkumulation von Kapital ausrichten müssen.

Warenproduktion und kapitalistische Produktionsweise sind dabei nicht unmittelbar identisch, d.h. kapitalistische Produktion beinhaltet mehr als nur die Produktion von Waren und ihre Verteilung nach dem Wertgesetz. Zwischen beidem besteht aber ein sehr enger logischer und historischer Zusammenhang, wie Marx deutlich formuliert. Für Marx wird die Spaltung der Gesellschaft in Arbeiterklasse und Bourgeoisie „unvermeidlich, sobald die Arbeitskraft durch den Arbeiter selbst als Ware frei verkauft wird. Aber auch erst von da an verallgemeinert sich die Warenproduktion und wird sie typische Produktionsform; erst von da an wird jedes Produkt von vornherein für den Verkauf produziert und geht aller produzierte Reichtum durch die Zirkulation hindurch. Erst da, wo die Lohnarbeit ihre Basis, zwingt die Warenproduktion sich der gesamten Gesellschaft auf; aber auch erst da entfaltet sie alle ihre verborgnen Potenzen. Sagen, daß die Dazwischenkunft der Lohnarbeit die Warenproduktion fälscht, heißt sagen, daß die Warenproduktion, will sie unverfälscht bleiben, sich nicht entwickeln darf. Im selben Maß, wie sie nach ihren eignen immanenten Gesetzen sich zur kapitalistischen Produktion fortbildet, in demselben Maß schlagen die Eigentumsgesetze der Warenproduktion um in Gesetze der kapitalistischen Aneignung.“5. Für Marx geht also die kapitalistische Produktion gesetzmäßig aus jeder Warenproduktion und dem Wirken des Wertgesetzes hervor, der Kapitalismus ist nichts anderes als die volle Entfaltung der Warenproduktion bzw. des Wertgesetzes. Ein „Marktsozialismus“, in dem es dauerhaft Produktion von Waren und eine Verteilung nach dem Wertgesetz gibt – geschweige denn Privateigentum an Produktionsmitteln und Ausbeutung – ist für Marx nicht vorstellbar.

Zur kapitalistischen Gesellschaftsformation gehört auch die politische Herrschaft der Bourgeoisie. Die Absicherung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse gegen jede Missachtung des Privateigentums, die Organisierung der Kapitalakkumulation bzw. günstiger Bedingungen für diese, die Durchsetzung der Herrschaft gegen revolutionäre Bestrebungen und ständige Anstrengungen zur Desorganisierung und politischen Schwächung der ausgebeuteten Klasse, all das erfordert den bürgerlichen Staat, der die Herrschaft der Kapitalisten politisch durchsetzt. Die ökonomische und politische Herrschaft hängen dabei untrennbar miteinander zusammen: Einerseits organisiert der Staat als „ideeller Gesamtkapitalist“ die Akkumulation des Kapitals, also die Bereicherung der Kapitalistenklasse durch die Ausbeutung der Arbeiterklasse. Andrerseits ist der bürgerliche Staat auch Ort und Instrument der direkten Herrschaftsausübung durch die Kapitalisten, die durch zahllose Verbindungen und Überschneidungen mit den Staatsapparaten verbunden sind und sich erst über ihn als herrschende Klasse organisieren.

Sozialismus

Was ist dagegen der Sozialismus? Unter einer sozialistischen Gesellschaft wird im Marxismus für gewöhnlich eine Gesellschaft verstanden, die sich in der ersten, noch unreifen Stufe der Herausbildung der kommunistischen Produktionsverhältnisse befindet. Marx betont, dass in einer solchen Gesellschaft noch verschiedene Überbleibsel und Einflüsse der vorangegangenen, also der kapitalistischen Produktionsweise wirken: „Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt6. Entscheidend ist aber schon hier, dass die kapitalistischen Eigentums- und Produktionsverhältnisse überwunden wurden, höchstens noch im kleinen Maßstab fortbestehen, dass aber die neuen (sozialistisch-kommunistischen) Produktionsverhältnisse bereits die wirtschaftliche Entwicklung im Wesentlichen beherrschen.

Die sozialistisch-kommunistischen Produktionsverhältnisse beruhen auf dem gesellschaftlichen Eigentum an den Produktionsmitteln. Das impliziert, dass die Produktion der Gebrauchswerte auch nicht mehr (wie im Kapitalismus) über einen Markt, also Angebot und Nachfrage, reguliert werden kann und nicht mehr für den Profit produziert wird; vielmehr sind die einzelnen Produktionseinheiten einem gesamtgesellschaftlichen Plan unterworfen, der ihnen verbindlich vorschreibt, was sie in welchen Mengen zu produzieren haben. Eine zentrale Instanz muss dafür die Bedürfnisse der Gesellschaft im Voraus feststellen und einen Plan ausarbeiten, der ermittelt, in welchen Mengen Rohstoffe, Vorprodukte und Arbeitskräfte auf die verschiedenen Wirtschaftszweige und Betriebe verteilt werden müssen, um so zeit- und ressourcensparend wie möglich das gewünschte Produktionsergebnis zu erzielen. Das grundlegende Gesetz der sozialistisch-kommunistischen Produktionsweise ist dementsprechend die planmäßige Entwicklung der Produktivkräfte zum Zwecke der immer besseren Bedürfnisbefriedigung der Bevölkerung. Marx drückt das so aus: „Ökonomie der Zeit sowohl wie planmäßige Verteilung der Arbeitszeit auf die verschiednen Zweige der Produktion bleibt also erstes ökonomisches Gesetz auf Grundlage der gemeinschaftlichen Produktion.“7. Marx unterstreicht die Planmäßigkeit der Verteilung der Arbeitszeit im Sozialismus – während also die Arbeitszeit nach wie vor der Maßstab bleibt, in dem die Produkte miteinander ins Verhältnis gesetzt werden, geschieht dies nicht unbewusst und im Nachhinein über den Markt, sondern im Voraus durch die zentralen Planbehörden. Die Vorstellung eines „Marktsozialismus“, nach welchem Sozialismus dauerhaft mit der Fortexistenz von Warentausch und Wertgesetz vereinbar wäre, widerspricht dem Marxschen Verständnis von Sozialismus grundsätzlich.

In einer sozialistischen Gesellschaft kann es in einer frühen Entwicklungsstufe also noch Überreste der kapitalistischen Produktionsverhältnisse geben, allerdings können diese erstens keine bestimmende Rolle mehr spielen (sonst wäre die Gesellschaft insgesamt kapitalistisch und nicht sozialistisch) und zweitens muss es Ziel der herrschenden Arbeiterklasse sein, diese Elemente immer weiter zurückzudrängen: „Dieser Sozialismus ist die Permanenzerklärung der Revolution, die Klassendiktatur des Proletariats als notwendiger Durchgangspunkt zur Abschaffung der Klassenunterschiede überhaupt, zur Abschaffung sämtlicher Produktionsverhältnisse, worauf sie beruhen, zur Abschaffung sämtlicher gesellschaftlicher Beziehungen, die diesen Produktionsverhältnissen entsprechen, zur Umwälzung sämtlicher Ideen, die aus diesen gesellschaftlichen Beziehungen hervorgehen.“8.

So wie der Kapitalismus die politische Herrschaft der Bourgeoisie impliziert, so ist der Sozialismus die Herrschaft der Arbeiterklasse, oder in den Worten von Marx und Engels die Diktatur des Proletariats. Das heißt, dass im sozialistischen Staat die Arbeiterklasse über ihre eigenen Machtorgane das gesellschaftliche Eigentum an den Produktionsmitteln durchsetzt und verteidigt und der kommunistischen Partei die Aufgabe zukommt, die planmäßige Herausbildung der kommunistischen Produktionsverhältnisse voranzutreiben.

Imperialismus

Im Gegensatz zu bürgerlichen Verständnissen des Imperialismus, die Politik und Ökonomie als voneinander abgetrennte Bereiche betrachten, hat der Marxismus-Leninismus einen Imperialismusbegriff, der sowohl Ökonomie als auch Politik umfasst und die ökonomischen Gesetze dabei als die grundlegende Triebkraft gesellschaftlicher Entwicklung begreift. Zur ökonomischen Basis des Imperialismus schreibt Lenin: „Würde eine möglichst kurze Definition des Imperialismus verlangt, so müßte man sagen, daß der Imperialismus das monopolistische Stadium des Kapitalismus ist9. Nach Lenins Verständnis bedeutet Imperialismus also die Herrschaft des Monopolkapitals. Er entspricht damit einer Entwicklungsstufe des Kapitalismus, die sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts herausgebildet hat – zunächst in wenigen hochentwickelten kapitalistischen Ländern, seitdem aber über nahezu die gesamte Welt ausgebreitet10. Heute existieren imperialistische Verhältnisse also weltweit. Während zu Lenins Zeiten nur eine relativ kleine Zahl imperialistischer Staaten um die Neuaufteilung der Welt konkurrierte, existiert das Monopolkapital als ökonomische Grundlage des Imperialismus heute in den meisten Ländern der Welt, auch in vielen ehemaligen Kolonien und Halbkolonien. Das Kolonialsystem, das damals einen Großteil der Erdoberfläche beherrschte, ist hingegen weitgehend verschwunden.

Der Imperialismus ist daher aus marxistischer Sicht heute nicht als Eigenschaft weniger Länder, sondern als ein stark hierarchisch gegliedertes Weltsystem unter der Herrschaft des monopolistischen Kapitals zu verstehen. Manche Leser werden dieses Verständnis nicht teilen. Doch selbst wenn man Imperialismus als Eigenschaft nur sehr weniger Staaten versteht, drängt sich die Frage auf, ob China zu diesen Ländern gehört, ob in China also das Monopolkapital vorherrschend ist und inwieweit China am internationalen Kapitalexport beteiligt ist.

Was bedeutet das für die Untersuchung?

Es bedeutet, dass wir uns ansehen müssen, welches Gewicht in der Ökonomie Chinas das Wertgesetz und die Akkumulation von Kapital haben, ob die Eigentumsverhältnisse vorrangig durch privates oder gesellschaftliches Eigentum geprägt sind und welche Rolle die zentrale Planung ausübt. Außerdem werden wir uns ansehen müssen, welche Klassenherrschaft der Staat in China darstellt, ob sich in ihm die Interessen des Proletariats oder der Bourgeoisie ausdrücken. Für eine Einordnung der internationalen Rolle Chinas ist zudem zu untersuchen, ob sich in China ein Monopolkapital herausgebildet hat, ob chinesisches Kapital in nennenswertem Umfang exportiert wird und in welcher Form China in das imperialistische Weltsystem eingebunden ist.

Doch zuerst erscheint es sinnvoll, den Übergang zum Kapitalismus in China historisch zu betrachten.

3. Vom Sozialismus zum Kapitalismus: China in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts [nach oben]

Die Chinesische Revolution und Gründung der Volksrepublik China im Jahre 1949 war ohne Zweifel eins der bedeutendsten Ereignisse des 20. Jahrhunderts – Gab es vor 1949 kaum ein Volk, das unter elenderen Bedingungen lebte als das chinesische, machte das Land sich nun auf den Weg in Richtung Sozialismus. Bis Mitte der 50er wurde die Industrie verstaatlicht, in den 50ern die kleinbäuerlichen Wirtschaften zu Kommunen zusammengeschlossen; mithilfe der zentralen Planung wurde ein groß angelegtes Programm zur Industrialisierung des Landes, zur Steigerung der Agrarproduktion, zum Ausbau der Infrastruktur, eines Gesundheitssystems und Bildungssystems für das ganze Volk initiiert. Die Lebenserwartung stieg in den folgenden Jahrzehnten des sozialistischen Aufbaus enorm an, Hunderte Millionen Chinesen erfuhren eine spürbare Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse. War China 1949 eines der ärmsten und unterentwickeltsten Länder der Welt gewesen, waren 1978, am Ende der revolutionären Periode der Volksrepublik China, zwar Armut und Unterentwicklung noch nicht überwunden, aber das Leben der Massen hatte sich enorm verbessert, sie waren zum Subjekt der Geschichte ihres Landes geworden. Und dieses Land hatte in den vergangenen knapp drei Jahrzehnten einen gewaltigen Entwicklungsschub erlebt – in einer Gesellschaft, in der der gemeinsam geschaffene Wohlstand allen zugute kam, in der es keine Ausbeuterklasse und keine ausgebeutete Klasse gab und auch keine großen sozialen Unterschiede.

a. Probleme und Fehler während der revolutionären Periode der Volksrepublik [nach oben]

Während die großen Errungenschaften der Chinesischen Revolution auf der Hand liegen und immer gegen die verfälschende antikommunistische Propaganda verteidigt werden müssen, sollte gleichzeitig nicht unterschlagen werden, dass viele problematische Entwicklungen, die zur Wiedereinführung des Kapitalismus ab 1978 beigetragen haben, ihre Ursprünge bereits in früheren Jahrzehnten haben. Auch wenn nach 1978 ein tiefer Bruch in den Produktions- und Eigentumsverhältnissen vollzogen wurde – eine Auflösung der sozialistischen Planwirtschaft und der Übergang zu kapitalistischen gesellschaftlichen Beziehungen – so finden sich in der Politik der KP Chinas vor und nach 1978 gewisse Kontinuitäten, ohne die der Übergang zum Kapitalismus schwer zu erklären ist. Die führenden Köpfe der Konterrevolution wie Deng Xiaoping, Hu Yaobang und Zhao Ziyang hatten, anders als die sowjetischen konterrevolutionären Führer Gorbatschow, Jelzin, Jakowlew oder Gaidar, noch in der Revolution gekämpft. Nun waren sie Vorreiter der Abschaffung des Sozialismus. Wie war so etwas möglich? Es stellt sich direkt die Frage: Hatte die KP Chinas bereits vorher Standpunkte vertreten, die später ein Abgehen vom sozialistischen Weg begünstigt haben könnten?

Die problematischen, revisionistischen Tendenzen der KP Chinas vor 1978 können hier nur kurz beleuchtet werden und werden in ausführlicherer Form Gegenstand eines anderen Textes sein. Dazu ist ein kurzer Blick in die Geschichte der Revolution notwendig: Die KP Chinas musste sich den Weg zum Sozialismus im Kampf sowohl gegen die inländische Konterrevolution in Gestalt der Kuomintang unter Chiang Kai-Shek als auch gegen die japanische Besatzung bahnen. China war territorial unter verschiedene Warlords aufgeteilt, musste also erst einmal vereint und von ausländischen Eindringlingen befreit werden. Gleichzeitig waren kapitalistische Verhältnisse erst in Ansätzen in den Städten entstanden, auf dem Land lebten die Bauern in Abhängigkeit von Großgrundbesitzern. Die Aufgaben, vor denen die KP Chinas stand, waren also mehrere: Eine nationale und antikoloniale Befreiung, die Überwindung vorkapitalistischer Unterdrückungsverhältnisse und des Großgrundbesitzes und natürlich der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft. In der Theorie der KP Chinas, vor allem auch im Denken Mao Tse-tungs, hingen daher die nationale Wiedergeburt Chinas und der Sozialismus miteinander zusammen und bedingten sich gegenseitig. Das war an sich nicht falsch – natürlich war es richtig, dass die KP für die Befreiung Chinas aus seinem halbkolonialen Status kämpfte und diesen Kampf anführte. Problematisch daran war allerdings von Anfang an die Vorstellung, wonach ein Teil der Bourgeoisie sich an der Revolution beteiligen könne – denn, so Mao, der Widerspruch zwischen der Arbeiterklasse und der nationalen Bourgeoisie sei in China, wenn man ihn nur richtig behandle, kein antagonistischer Widerspruch, sondern ein „Widerspruch im Volk“11. Darin enthalten war ein Verständnis des Sozialismus als gemeinsamem Kampf des gesamten chinesischen Volkes (aus dem nur die „Kompradoren“, die mit dem ausländischen Imperialismus verbunden waren, als ausgeschlossen galten) gegen die ausländischen Mächte.

Mao analysierte gesellschaftliche und politische Konflikte mit der von ihm entwickelten Terminologie der „Haupt- und Nebenwidersprüche“. Demnach sei in einer bestimmten Phase der Entwicklung immer ein bestimmter Widerspruch der Hauptwiderspruch, womit Mao einfach den vorherrschenden, wichtigsten Konflikt meinte, und die anderen seien Nebenwidersprüche. Der Hauptwiderspruch wurde damit relativ willkürlich danach bestimmt, was gerade die vorherrschende politische Auseinandersetzung im Land war. Als Kategorie zur Analyse der gesellschaftlichen Basis taugte diese Kategorie – im Gegensatz zu dem von Engels verwendeten Begriff Grundwiderspruch, der eben den grundlegenden Widerspruch der Gesellschaft meinte, aus dem alle anderen Widersprüche sich entwickeln, nicht. Doch Mao ging hierbei noch weiter und betonte, dass Haupt- und Nebenwiderspruch häufig den Platz tauschen würden, sodass ein bestimmter Konflikt, der gerade noch Hauptwiderspruch gewesen war, auf einmal als Nebenwiderspruch gelten konnte und umgekehrt12. So war es möglich, dass die KP Chinas während des Kampfes gegen die japanische Besatzung den Kampf der chinesischen Nation gegen Japan als „Hauptwiderspruch“ definierte13, 1952 den Widerspruch zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie14 und seit 1956 den Widerspruch „zwischen den Bedürfnissen des Volkes nach rascher wirtschaftlicher und kultureller Entwicklung und der mangelnden Fähigkeit unserer Wirtschaft und Kultur, diese Bedürfnisse zu befriedigen15. Indem letzten Endes damit die wichtigste Aufgabe des Sozialismus in der Entwicklung der Produktivkräfte statt in der Entwicklung der neuen Produktionsverhältnisse gesehen wurde, war bereits ein Gedanke angelegt, den Deng Xiaoping später aufgreifen und zum Zentrum seiner Weltanschauung machen würde: Für Deng war, wie wir später sehen werden, Sozialismus mit Wirtschaftswachstum gleichzusetzen.

Die „Große Proletarische Kulturrevolution“, deren Vordenker und führender Kopf Mao war, kann als Versuch gesehen werden, diese einseitige Priorisierung der Produktivkraftentwicklung wieder zu korrigieren. Die Methode, die sie dafür wählte – die Mobilisierung der Massen gegen den Parteiapparat, die Entwicklung eines absurden Personenkults, die weitgehend undifferenzierte Ablehnung der gesamten früheren Kultur, die Lahmlegung des Bildungswesens – schwächte aber den Sozialismus, statt ihn zu stärken. Sie führte nicht zu einer Korrektur der opportunistischen Tendenzen in der Partei, sondern verhalf ihnen nach dem Ende der Kulturrevolution und dem Tod Maos zum Durchbruch. Doch auch dies muss an anderer Stelle ausführlich dargestellt werden.

Ein weiterer Faktor, der sowohl die Durchsetzung prokapitalistischer Kräfte als auch das Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft begünstigte, war die überaus problematische Außenpolitik der VR China in der Mao-Zeit. Nach dem Bruch in den Beziehungen zur Sowjetunion zu Beginn der 1960er Jahre war erstens die Sowjetunion als Modell sozialistischer Entwicklung innerhalb der KP Chinas diskreditiert. Dies wurde zwar von Mao und der Parteiführung so argumentiert, dass die Sowjetunion angeblich nach Stalins Tod den Kapitalismus wieder eingeführt habe – eine völlig antimarxistische Behauptung, die auch von der chinesischen KP nie ernsthaft argumentativ ausgeführt wurde – es erleichterte aber auf paradoxe Weise der rechten Gruppe um Deng Xiaoping später, die sowjetischen Erfahrungen und die dortigen Debatten zur sozialistischen Wirtschaftsplanung aus dem Diskurs zu verdrängen und so die Nutzung des Marktes als einzige Lösung ökonomischer Probleme erscheinen zu lassen. Gleichzeitig fand ab ca. 1971 eine starke Annäherung Chinas an die USA statt. Dass die USA als Führungsmacht des Kapitalismus nun faktisch Verbündete Chinas waren und die Sowjetunion als Führungsmacht des sozialistischen Lagers als Feind betrachtet wurde, schwächte innerhalb der KP Chinas die Kräfte, die an sozialistischen Produktionsverhältnissen festhalten wollten. Zudem eröffnete es die Möglichkeit, durch den Zufluss von ausländischem Kapital in wichtigen Bereichen technologisch aufzuholen und den jungen chinesischen Kapitalismus relativ unbehelligt von den USA – die zunächst noch ein Jahrzehnt lang mit der Sowjetunion als Hauptfeind beschäftigt waren – zu entwickeln und von einem wachsenden Handel mit ihnen zu profitieren16.

b. Der Bruch: 1978 und danach [nach oben]

Nach Maos Tod versuchte für kurze Zeit die sogenannte „Viererbande“, eine Gruppe aus führenden Funktionären der Kulturrevolution, das kulturrevolutionäre Programm fortzusetzen. Doch schon nach wenigen Wochen wurde sie gestürzt, verhaftet und zu langen Haftstrafen verurteilt. Doch auch der neue Vorsitzende der Kommunistischen Partei Chinas, Hua Guofeng, führte die Partei nur für kurze Zeit. Eine Einschätzung und Bewertung seiner Amtsdauer kann hier nicht geleistet werden, doch in jedem Fall wurde er schließlich von der weiter rechts stehenden Gruppe um Deng Xiaoping in der Parteiführung gestürzt, die ihm seine Politik der „Zwei Alles“ zum Vorwurf machte: Nach dieser Parole, die unter Hua in mehreren offiziellen Medien propagiert worden war, wurde beschworen, man werde alles was Mao entschieden und alles was er angewiesen habe, entschlossen weiter hochhalten bzw. befolgen.

Unter Dengs neuer Führung kam es zu einem definitiven Bruch in der Politik der KP Chinas, die eine schrittweise Aushöhlung und Abschaffung der sozialistischen Verhältnisse und den Übergang zum Kapitalismus einleitete.

Dieser Prozess vollzog sich in mehreren Schritten: Auf der 3. Plenarsitzung des 11. Zentralkomitees der KP Chinas im Dezember 1978 begann der Prozess der „Reform- und Öffnungspolitik“ und Deng Xiaoping setzte sich als führende Figur der Partei gegen Hua Guofeng durch. Der erste Schritt war ein Bruch in den gesellschaftlichen Beziehungen auf dem Land: Die Volkskommunen, in denen das Bauerntum bisher organisiert gewesen war – große Einheiten in der Größe von Kleinstädten, in denen die Detailplanung der Produktion stattfand, aber auch soziale Dienstleistungen umfangreich vergesellschaftet waren – wurden 1978 in Privathaushalte aufgelöst. Bis 1983 waren 98% der bäuerlichen Haushalte auf das neue System umgestellt, bis auf ein paar isolierte „Inseln“ war damit das Kommunensystem abgeschafft17. Auf dem Papier blieb der Boden zwar weiterhin Eigentum des Staates, faktisch wird es aber wie Privateigentum behandelt. Ab Ende der 1980er hatten die Pächter bereits vollumfängliche Rechte zur Vermietung, aber auch zum Verkauf oder zur Vererbung des Bodens18.

Im folgenden Jahr 1979 wurden zweitens lokale „Experimente“ mit dem Kapitalismus gemacht. In ausgesuchten Städten wurden private Unternehmen und Kooperativen zugelassen, die relativ außerhalb des zentralen Plans produzieren durften19. Diese lokalen Experimente wurden in den folgenden Jahren verallgemeinert und ausgeweitet – ein Muster, das die chinesische Regierung ab jetzt oft anwenden würde.

Gleichzeitig mit der Ausweitung des privaten Kapitals und der Kooperativen, also der immer weiteren Abschwächung des Geltungsbereichs und der Verbindlichkeit der zentralen Pläne wurde drittens die Arbeitskraft schrittweise zur Ware, ein Arbeitsmarkt wurde geschaffen. Ab 1983 stellten Staatsbetriebe Vertragsarbeiter für begrenzte Zeiträume und ohne soziale Absicherung ein, was eine Abkehr von der bisherigen Form der Beschäftigung darstellte. 1987 waren bereits ca. 8% der Industriearbeiter solche massiv benachteiligten Vertragsarbeiter. Nachdem es private Lohnarbeit in China nur noch in sehr geringem Ausmaß gegeben hatte, wuchs ihr Umfang jetzt wieder an20. Für den Lebensstandard der städtischen Arbeiterklasse bedeutete das zunächst erhebliche Einbußen: Nach offiziellen Angaben hatten im Jahr 1987 20% der städtischen Familien ein sinkendes Realeinkommen, nach dem chinesischen Gewerkschaftsbund fiel sogar im Durchschnitt das Realeinkommen in den Städten allein in diesem Jahr um 21%21.

Eine Schlüsselrolle beim Übergang zum Kapitalismus spielten sogenannte „township and village enterprises“ (TVE) – formal kollektive Unternehmen, die aber faktisch sehr oft verhüllte Privatunternehmen waren, die in Dörfern und Kleinstädten in den 1980ern massiv expandierten und durch ihren „kollektiven“ Rechtsstatus die Beschränkungen umgingen, die noch für private Unternehmen galten. Ihre Profitabilität beruhte oftmals darauf, dass sie den beschäftigten Arbeitern im Vergleich zu den Staatsbetrieben weitaus schlechtere Löhne und soziale Absicherung boten22. Der Aufschwung der TVEs dauerte aber nicht allzu lang. Denn die Manager dieser Unternehmen, die sich de facto bereits als deren Eigentümer verhalten durften und das auch taten, tendierten in den 90ern dazu, die Betriebe regelrecht auszuplündern, indem sie Kapital abzogen und zur Selbstbereicherung nutzten. Weil sie zurecht davon ausgingen, dass sie in näherer Zukunft ohnehin diese Betriebe aufkaufen können würden, drückten sie durch solche Werttransfers ihren Wert gezielt nach unten, um später einen niedrigeren Preis für sie zahlen zu müssen. Ab 1996 wurden die TVEs dann im großen Stil von den Autoritäten in den Dörfern und Kleinstädten auch formal privatisiert, d.h. in der Regel in die Hände ihrer bisherigen Manager übertragen23.

Durch die Privatisierung von TVEs, aber auch von anderen Betrieben entstand somit eine neue Kapitalistenklasse in China, nachdem die Bourgeoisie zwischen 1956 und Ende der 70er mehr als zwei Jahrzehnte in dem Land nicht mehr als Klasse existiert hatte. Auch Parteifunktionäre und Direktoren staatlicher Betriebe nutzten ihre Machtposition aus, um sich Teile des Kapitals der Betriebe anzueignen oder staatliche Subventionen für ihre Firmen für private Zwecke (wie Reisekosten oder private Bildungsgebühren ihrer Kinder) abzuzweigen. Staatseigentum wurde – von den Autoritäten toleriert oder gefördert – auf formal illegale Weise verkauft oder auf legale Weise zu unterbewerteten Preisen24. Der Transfer von staatlichem Eigentum an die neue Bourgeoisie, also die Enteignung der chinesischen Arbeiterklasse, nahm gewaltige Ausmaße an: Nach einer Schätzung wurden im Prozess dieser Privatisierungen umgerechnet etwa 5 Billionen (!) US$ staatliches und kollektives Eigentum an Individuen mit guten Beziehungen zur Regierung übertragen. Im Jahr 2006 gab es im Ergebnis dieses gigantischen Enteignungsprogramms 3200 Individuen mit einem Eigentum von umgerechnet über 15 Mio. US$ – und von diesen waren ca. 90% hohe Partei- und Staatsfunktionäre oder deren Familienmitglieder, deren kombiniertes Vermögen 2006 etwa der gesamten damaligen Wirtschaftsleistung des Landes (etwa 3 Billionen US$) entsprach25. Der Prozess der „Reform und Öffnung“ stellte also einen beispiellosen gemeinsamen Raubzug führender Wirtschafts-, Staats- und Parteifunktionäre dar, durch den diese sich in eine neue herrschende Klasse, eine neue Bourgeoisie Chinas verwandelten. Diese neue Bourgeoisie war bereits durch ihren Entstehungsprozess auf das engste mit den Staatsapparaten verwoben und besetzte Schlüsselpositionen darin.

1992 markierte einen weiteren Meilenstein: Das Jahr begann im Januar und Februar mit einer berühmt gewordenen Reise Deng Xiaopings durch die südchinesischen Provinzen. Während seiner Reise führte Deng Gespräche mit vielen Funktionären, in denen er diese dazu anhielt, die kapitalistischen „Reformen“ zu beschleunigen und Personen, die dies nicht ausreichend täten, aus Führungspositionen zu entfernen. Im Oktober wurde auf dem 14. Parteitag der KP Chinas die „sozialistische Marktwirtschaft mit chinesischen Charakteristika“ als Ziel formuliert. Konkret hieß das, dass die Bedeutung des Staatssektors als zentralem Anker der – bereits stark von kapitalistischen Elementen durchsetzten – Ökonomie aufgegeben wurde. Viele staatliche Unternehmen wurden nun privatisiert und in Aktiengesellschaften umgewandelt. 1997 waren bereits 107 der 500 größten Industriebetriebe Aktiengesellschaften, also zumindest teilweise in privatem Eigentum. Die Taktik der Regierung hieß nun „Die Großen packen und die Kleinen beleben“, also die 1000 größten Unternehmen weiterhin in Staatseigentum zu behalten und den Rest an private Kapitalisten zu verkaufen26.

Nach Dengs Südchina-Reise wuchs die Bedeutung ausländischer Investitionen im chinesischen Kapitalismus stark an, nachdem bis dahin fast nur exilchinesische Kapitalisten aus Taiwan, Hong Kong, Macao und anderen ostasiatischen Ländern in China investiert hatten. Diese Beziehungsnetzwerke der exilchinesischen Kapitalisten nach Festlandchina erleichterten den Zufluss von Kapital nach außen und sie erkundeten gewissermaßen auch für andere Kapitalisten das Terrain, die dann in den 90er Jahren ebenfalls begannen, in China zu investieren. Die chinesische Regierung förderte den Kapitalzufluss aktiv, indem bereits Ende der 80er Jahre die taiwanesischen Kapitalisten offiziell als „patriotische ethnische Chinesen“ und „besonderes einheimisches Kapital“ eingestuft wurden, was ihnen weitaus bessere Zugangsmöglichkeiten zum chinesischen Markt verschaffte als es andere ausländische Investoren hatten27.

Im Ergebnis all dieser miteinander zusammenhängenden Umbrüche wurde in den 1980ern und 1990ern der Übergang der chinesischen Gesellschaft und Volkswirtschaft vom Sozialismus zum monopolistischen Kapitalismus vollzogen und vollendet. Dieser Prozess ist genauso als Konterrevolution zu bezeichnen wie die Zerschlagung der Sowjetunion und der sowjetischen sozialistischen Planwirtschaft Ende der 1980er bis 1991.

c. Zur Einordnung und Bewertung der Konterrevolution in China [nach oben]

Der Übergang zum Kapitalismus war in der KP Chinas keineswegs unumstritten, vielmehr mussten sich die prokapitalistischen Elemente in der Partei erst im Verlauf großer Auseinandersetzungen durchsetzen. Dabei hielt die Kritik an der in manchen Phasen tatsächlich sehr voluntaristischen und kontraproduktiven Wirtschaftspolitik der Mao-Ära (insbesondere während des „Großen Sprungs nach Vorn“, aber in geringerem Maße auch während der „Kulturrevolution“) als Rechtfertigung für die schrittweise Abkehr von der Planwirtschaft überhaupt her, so als wäre etwa der „Große Sprung“ ein inhärentes Merkmal des Sozialismus und nicht vielmehr eine konkrete historische Entscheidung gewesen. In dem in den 80ern sehr einflussreichen Lehrbuch des Ökonomen Xue Muqiao heißt es beispielsweise: „Um diese (die vom Staat festgesetzten Entwicklungsprioritäten, Anm.d.A.) besser durchsetzen zu können, bedienten wir uns früher bürokratischer Maßnahmen, anstatt das Wertgesetz auszunutzen. Insbesondere die Landwirtschaft wurde befehlswirtschaftlich reglementiert28. Und: „Wir sollten daher unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen, d.h. wenn die gesellschaftliche Kaufkraft im wesentlichen dem Güterangebot entspricht, häufiger als bisher das Wertgesetz ausnutzen. Statt die Güter zu rationieren, sollte der Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage durch Preisbewegungen erfolgen. (…) Nur die Preise weniger lebenswichtiger Güter sollten vom Staat einheitlich festgelegt werden.“29. Mit „bürokratischen Maßnahmen“ meinten Ökonomen wie Xue offensichtlich einfach, dass die Wirtschaft sozialistisch, also durch zentrale Pläne gesteuert wurde. Die planwirtschaftliche Steuerung und Lenkung erschien ihnen als „unnatürlich“, die Steuerung über den Markt bzw. das Wertgesetz hingegen als die „natürliche“ und angemessene Form jeder Wirtschaft. Tonangebend wurden in China zunehmend solche Intellektuellen, die sich nur noch in oberflächlichen Phrasen auf den Marxismus beriefen, inhaltlich aber bereits nichts mehr mit ihm zu tun hatten.

Heute ist die hauptsächliche politische Rechtfertigung der KP Chinas oder ihrer Unterstützer im Ausland, die für die schrittweise Abkehr Chinas von der Planwirtschaft ab 1978 herangezogen wird, das Argument, dass damit das Wirtschaftswachstum Chinas außerordentlich beschleunigt worden sei. China sei auch fast drei Jahrzehnte nach der Revolution noch so rückständig gewesen, dass die KP Chinas schlicht keine Wahl gehabt hätte, als „pragmatisch“ vorzugehen und Elemente des Kapitalismus – angeblich vorübergehend – einzuführen, um mit den führenden kapitalistischen Staaten aufzuholen. Hinter diesem Argument steht offensichtlich eine sehr weitreichende und sehr fragwürdige Annahme: nämlich die Auffassung, wonach ein kapitalistisches System einem sozialistischen, also planwirtschaftlichen System grundsätzlich überlegen wäre und höhere Wachstumsraten hervorbringen würde. Diese Annahme ist nicht nur theoretisch fragwürdig30, sie ignoriert auch völlig, dass Wirtschaftswachstum ein klassenneutraler Begriff ist, der wenig darüber aussagt, ob dieses Wachstum wirklich den Wohlstand der breiten Massen vermehrt oder möglicherweise von der Arbeiterklasse mit niedrigen Löhnen, fehlenden Schutzmaßnahmen am Arbeitsplatz und hohen Arbeitszeiten bezahlt wird.

Doch sehen wir einmal von alldem ab und betrachten für sich genommen die Behauptung, wonach die Einführung der „Marktwirtschaft“, also des Kapitalismus, zu bedeutend höheren Wachstumsraten der chinesischen Volkswirtschaft geführt habe. Der britische Wirtschaftswissenschaftler Angus Maddison liefert Daten über das BIP Chinas von 1952 bis 2003, aus denen wiederum das jährliche Wirtschaftswachstum errechnet werden kann. Demnach lag das Wirtschaftswachstum in China zwischen 1953 und 1978, also bis zum Beginn der „Reformen und Öffnung“ bei jährlich durchschnittlich 4,6%. Zwischen 1979 und 2003 hingegen lag es bei 7,9%. Auf den ersten Blick bestätigt sich also das Urteil, wonach das Wirtschaftswachstum in der Zeit unter Mao zwar durchaus hoch war, aber dennoch erheblich viel niedriger als nach dem Beginn der „Reformen“. War es also wirklich der Kapitalismus, der China aus der „sozialistischen Armutsverwaltung“ befreit hat, wie antikommunistische Autoren behaupten?

Das Problem damit ist, dass ein solch oberflächlicher Vergleich etwas entscheidendes unterschlägt: China wurde während seiner sozialistischen Periode zweimal von schweren Wirtschaftseinbrüchen erschüttert: Während des „Großen Sprungs nach Vorne“ 1958-62 und während der „Großen Proletarischen Kulturrevolution“ 1966-1976. Diese Einbrüche waren offensichtlich keine Folge der zentralen Planwirtschaft, sondern jeweils von politischen Entscheidungen, die in beiden Fällen (aber deutlich schwerwiegender während des „Großen Sprungs“) wirtschaftliches Chaos stifteten. Welches Bild ergibt sich, wenn man die Jahre des „Großen Sprungs“ und der „Kulturrevolution“ aus der Berechnung herausnimmt? Dann lag das durchschnittliche Wachstum pro Jahr in der Phase von 1952 bis 1978 sogar bei 8,2% und damit sogar geringfügig höher als in der Phase 1979-2003. Nun kann man umgekehrt dieses hohe Wachstum wiederum zum Teil auch durch die Erholung nach den schweren Einbrüchen des Großen Sprungs und der Kulturrevolution interpretieren, was wiederum das bessere Abschneiden der Planwirtschaft relativieren würde – all das unterstreicht, wie begrenzt die Aussagekraft solcher Vergleiche ist.

Deshalb ist eine konkretere Analyse der Triebkräfte des Wachstums erforderlich. Dabei ist vor allem ein Fakt bedeutsam, der ebenfalls gegen das bürgerliche Narrativ vom effizienteren Kapitalismus spricht: In den letzten Jahren der sozialistischen Entwicklungsphase wurden zahlreiche Großprojekte in Industrie und Infrastruktur begonnen, deren positive Wirkung auf das Wirtschaftswachstum sich erst in späteren Jahren, also in den späten 1970ern und 80ern, zeigen konnte31. So wurden während der Kulturrevolution viele Straßen und Eisenbahnlinien gebaut, große Stahlwerke eröffnet und vor allem auch auf dem Land die Infrastruktur stark ausgebaut: „Einer der Gründe für die guten Ergebnisse der Getreideproduktion in der Post-Mao-Ära ist, dass die gewaltige Menge an Arbeit, die in Bewässerungsprojekte investiert wurde, besonders während der Kulturrevolution, sich in den Jahren sofort nach dem Tod Maos auszahlte. Von 1966 bis 1977 wurden 56.000 mittlere und kleine elektrische Stationen gebaut, die 80% der Kommunen und 50% der Produktionsbrigaden ans Stromnetz anschlossen. Bewässerung, die durch elektrische Pumpen angetrieben war, erreichte eine Kapazität von 65 Millionen PS. Mehr als 20.000 elektrisch betriebene Brunnen wurden gebaut, mit denen mehr als 700 Millionen mu Land bewässert werden konnten (ein mu entspricht etwa 0,0667 Hektar32). Im Vergleich zu 1965 stieg die bewässerte Fläche Chinas um 51 Prozent, der Stromverbrauch in der Landwirtschaft um 470 Prozent, die elektrisch betriebenen Brunnen um 935,89 Prozent, die mit Strom bewässerte Fläche um 355,58 Prozent, die verfügbaren Traktoren um das 5,7-fache und die Handtraktoren um das 65-fache.“33. Hinzu kamen große Bewässerungsprojekte wie das Haihe- und das Liaohe-Projekt mit Tausenden km Deichen, Tausenden Brücken und Schleusen und Zehntausenden Wasserreservoirs. All diese Projekte wurden während ihrer Bauphase nicht in das BIP eingerechnet, das deshalb in den Statistiken niedriger erscheint als es wirklich war. Gleichzeitig trugen diese Investitionen aber enorm zum Wirtschaftswachstum der folgenden Jahre bei, sodass sie auf doppelte Weise dazu führen, dass der direkte Vergleich der Wachstumsstatistiken die Realität verzerrt34.

Damit soll nicht gesagt sein, dass es am Ende der Mao-Ära keine wirtschaftlichen Probleme gegeben hätte. Die Löhne stagnierten seit langem, das Wachstum der Nahrungsproduktion war mittelmäßig (immerhin höher als in den meisten Ländern auf vergleichbarem Entwicklungsstand), die Produktqualität ließ oft zu wünschen übrig. Auf der anderen Seite war das industrielle Wachstum sehr hoch und China war im Gegensatz zu fast allen anderen Ländern der sogenannten „Dritten Welt“ frei von Auslandsschulden. Desaströs war die wirtschaftliche Lage also bei weitem nicht. Vor allem aber ist es völlig unplausibel zu unterstellen, dass die vorhandenen Probleme innerhalb einer sozialistischen Wirtschaft nicht lösbar gewesen wären. Viel eher beweist der Blick auf die Fakten in der Bilanz eine beeindruckende Leistung der sozialistischen Planwirtschaft in China. Die Entscheidung, den Sozialismus zu zerschlagen, war nicht die notwendige Konsequenz einer erdrückenden Zwangslage, sondern die Folge der politischen Durchsetzung einer bestimmten, rechtsopportunistischen und prokapitalistischen Linie innerhalb der Führung der KP Chinas.

Im Ergebnis der konterrevolutionären Prozesse entstand in China also ein qualitativ anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, das immer weniger mit dem sozialistischen System der Mao-Ära gemein hatte. Dieses System wird nun im Folgenden analysiert.

4. Das Gesellschaftssystem Chinas [nach oben]

Der folgende Teil ist in vier Unterkapitel gegliedert, die sich jeweils mit folgenden Aspekten des chinesischen Gesellschaftssystems beschäftigen werden: a) Dem Wirtschaftssystem und der Rolle von privatem und staatlichem Kapital sowie der Wirtschaftsplanung; b) der Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware, also der Schaffung einer ausgebeuteten Arbeiterklasse durch den Kapitalismus, der Lage und den Kämpfen dieser Klasse; c) der Bourgeoisie in China und den Instrumenten ihrer Herrschaft, vor allem ihre Verbindung mit dem Staat und der „kommunistischen“ Partei; und d) schließlich die Ideologie und Programmatik der KP Chinas, die proklamierten Ziele, die der „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“ erreichen soll und die Gesellschaft, die mit diesem Konzept angestrebt ist. Dabei wird es auch um die Widerlegung eines verbreiteten Mythos gehen, wonach die KP Chinas den Kapitalismus nur vorübergehend eingeführt habe.

a. Staatliches und privates Kapital im chinesischen Kapitalismus [nach oben]

Die Zerschlagung der sozialistischen Planwirtschaft ab 1979 bedeutete naturgemäß einen tiefgreifenden Umbruch in der Funktionsweise der chinesischen Ökonomie. Die Staatsunternehmen, die in der sozialistischen Phase der chinesischen Geschichte die wichtigsten Einheiten der Wirtschaft darstellten, wurden in den 1990ern und frühen 2000ern zu großen Teilen privatisiert. Gleichzeitig hat sich die verbreitete Annahme, dass mit der Zeit Stück für Stück alle staatlichen Unternehmen verkauft und China eine Ökonomie nach dem westlichen Vorbild werden würde, bislang nicht erfüllt. Der staatliche Einfluss auf die Ökonomie ist nach wie vor hoch und verleitet sowohl manche Liberale als auch einige Linke zu dem Trugschluss, es handle sich bei China nach wie vor nicht um einen „richtigen“ Kapitalismus. Wir werden uns daher nun die Eigentumsformen im chinesischen Kapitalismus und die ökonomische Rolle des Staates in der chinesischen Wirtschaft sowie die Rolle des privaten und staatlichen Wirtschaftssektors ansehen. Wir werden sehen, dass die Unterscheidung zwischen staatlichem und privatem Sektor keineswegs deckungsgleich mit dem Gegensatz zwischen sozialistischer und kapitalistischer Ökonomie ist und sowohl die privaten als auch die staatlichen Unternehmen Chinas einen kapitalistischen Charakter haben.

Zunächst ist es hilfreich, sich ein ungefähres Bild davon zu verschaffen, wie groß der staatliche Anteil an der chinesischen Wirtschaft ist. Doch diese Frage ist gar nicht so einfach zu beantworten, offizielle Statistiken gibt es dafür nicht. Generell gilt, dass der Staat sich stark auf die Spitze der Rangliste der Unternehmen konzentriert: Während es Millionen kleinere, mittlere und auch große Firmen in Privateigentum gibt und nur wenige Staatsunternehmen, sind die meisten der größten Konzerne weiterhin im Staatsbesitz.

Heute lassen sich die größten Monopole in China, die gleichzeitig auch zu den größten der Welt gehören, bezüglich ihrer Eigentümerstruktur in drei grobe Gruppen einteilen: Das sind erstens Staatsunternehmen, vor allem in strategischen Industrien, wie die Ölkonzerne Sinopec und CNPC, der Energiekonzern SGCC und das Bauunternehmen CSCECL. Die zweite Gruppe besteht aus faktisch gemischten börsennotierten Unternehmen, die aber als Staatsunternehmen gezählt werden, da der Staat in ihnen einen kontrollierenden Einfluss ausübt. Man findet diese Firmen beispielsweise im Finanzsektor mit den Großbanken ICBC, Agricultural Bank of China und Bank of China sowie dem Versicherungskonzern Ping An Insurance. Drittens schließlich findet sich unter den größten Monopolen auch eine Anzahl privater Unternehmen, die manchmal einen staatlichen Minderheitenanteil haben. Diese vorwiegend privatkapitalistischen Unternehmen finden sich u.a. in Bereichen wie Elektronik und Internet, beispielsweise fallen darunter Huawei, Lenovo, Tencent oder Alibaba.

Der Blick auf die größten der riesigen chinesischen Monopole kann jedoch leicht in die Irre führen, denn er verführt zu der Illusion, dass in China nach wie vor das Staatseigentum dominierend wäre. Das ist jedoch, sobald man sich das Kapital als Ganzes ansieht und nicht nur die dünne Schicht der allergrößten Monopole, keinesfalls so.

Schätzungen etwa Mitte der 2010er Jahre stimmten meistens etwa darin überein, dass auf die Staatsunternehmen in China etwa 40% der Wertschöpfung und 20% der Beschäftigung von Arbeitskräften entfallen35. Die aktuellste Studie, die zu dieser Frage zu finden war, ist von 2019. Demnach ergaben zwei verschiedene Schätzungsmethoden einen Anteil der chinesischen Staatsunternehmen am BIP Chinas zwischen 23 und 27,5% und Anteil an der Beschäftigung zwischen fünf und 16%36.

Diese Anteile klingen trotzdem immer noch relativ hoch und sind es auch im Vergleich zu den meisten anderen heutigen kapitalistischen Ökonomien. Sie können aber, wie wir sehen werden, leicht falsch interpretiert werden: Denn dass Staatsunternehmen heute vermutlich etwa 25% der Wertschöpfung leisten, bedeutet nicht, dass sich 25% der Wertschöpfung in Staatseigentum befinden – denn in den Staatsunternehmen ist der Staat nicht der einzige Anteilseigner und ihm gehört auch meistens weniger als die Hälfte der Aktien. Im Umkehrschluss bedeutet diese Zahl aber vor allem auch, dass im angeblich „sozialistischen“ China ungefähr 75% der gesamten Produktion und wahrscheinlich etwa 90% der Beschäftigung in nicht-staatlichen, d.h. vor allem privaten Unternehmen stattfinden37.

Wie kam es in einer ehemals sozialistischen Volkswirtschaft zu einer solchen Entwicklung, in der das private Kapital schließlich eine eindeutig beherrschende Rolle übernehmen konnte?

Privatisierung und kapitalistische Umstrukturierung des staatlichen Wirtschaftssektors

Der Übergang von einer Ökonomie, in der das gesellschaftliche Eigentum an Produktionsmitteln dominierte zu einer, in der die Produktionsmittel überwiegend in der Hand privater Kapitalisten liegen, verlief in China – anders als in der Sowjetunion und den meisten anderen ehemals sozialistischen Ländern – schrittweise, in einem über viele Jahre gestreckten Zeitraum. Die entscheidenden Stationen dieses Prozesses waren folgende:

In einer ersten Phase der sogenannten „Reform- und Öffnungspolitik“ von etwa 1978 bis 1984 lag der Schwerpunkt der Politik darauf, dem Management der Staatsunternehmen größere Spielräume bei betriebswirtschaftlichen Entscheidungen zu geben und den Haushalt der Betriebe teilweise vom Staatshaushalt zu trennen: So durften die Unternehmen eine Produktion außerhalb des verbindlichen staatlichen Plans tätigen, exportierende Betriebe durften einen Teil der gewonnenen Devisen behalten und nach Belieben ausgeben. Damit wurde bereits in der Anfangsphase der kapitalistischen Restauration die zentrale Planung der Investitionen und der Warenverteilung stark untergraben38.

1984 wurde ein weiterer entscheidender Schritt mit der Einführung eines Systems gegangen, wonach die Manager der Staatsbetriebe das komplette Management des Unternehmens durch ihren Beschäftigungsvertrag überschrieben bekamen. Sie wurden dadurch verpflichtet, einen Festbetrag an Gewinnen an die Regierung zu zahlen und konnten den Rest des Profits behalten. Bis 1988 waren bereits 93% aller Firmen auf dieses System umgestellt. Dies hatte vor allem zwei Folgen: Erstens waren die Manager nun nur noch am kurzfristigen Gewinn interessiert. Da sie meistens nur für drei oder fünf Jahre das Management einer Firma innehatten, gab es keinerlei Anreiz mehr, langfristige Investitionen zu tätigen oder auch nur den Bestand an fixen Investitionen zu erhalten. Viel lohnender war es, die Staatsbetriebe so gründlich wie möglich zu plündern und sich daran zu bereichern. Anfang der 90er waren deshalb 40% der Staatsbetriebe so ausgeblutet, dass sie Verluste registrierten39. Zweitens entstand auf diesem Weg automatisch eine Klasse in China, die durch die Revolution eigentlich abgeschafft worden war: Eine Kapitalistenklasse, die erhebliche Verfügungsgewalt über das immer noch staatliche Eigentum an Produktionsmitteln gewann und sich einen großen Teil des Mehrprodukts in Form von Profit privat aneignete. In der zweiten Hälfte der 1980er Jahre war die chinesische Gesellschaftsordnung damit in eine Umbruchphase eingetreten – es begannen die Jahre des Übergangs vom Sozialismus zum Kapitalismus.

Der qualitative Sprung in den Kapitalismus wurde Anfang der 90er vollendet: Nach einer Reihe von einflussreichen Reden Deng Xiaopings, die die Bedeutung des Marktes für die wirtschaftliche Entwicklung hervorhoben und nachdem der 14. Parteitag der KPCh das Ziel der „sozialistischen Marktwirtschaft“ festgehalten hatte, verschob sich der Schwerpunkt der „Reform- und Öffnungspolitik“. Während zuvor der Fokus auf der Veränderung der betrieblichen Verwaltung gelegen hatte, geriet nun das staatliche Eigentum an Produktionsmitteln direkt unter Beschuss. Die Öffnung der Börsen von Shanghai und Shenzhen ermöglichte es den Staatsunternehmen, sich an der Börse notieren zu lassen und somit Aktien an private Investoren zu verkaufen40. Die Börsennotierung bedeutete, dass diese Unternehmen ab diesem Zeitpunkt dem Imperativ zur Ausschüttung von Renditen unterworfen wurden, sich also vornehmlich Rentabilitätskriterien orientierten.

1978, als Deng Xiaoping die Führung der KP Chinas übernahm, entfielen 77% der industriellen Produktion auf Staatsunternehmen, die restlichen 23% auf Kollektivunternehmen, die nach dem Gesetz den Arbeitern vor Ort gehörten. Das änderte sich in den 1980ern und 90ern drastisch. 1996 war der Anteil der Staatsunternehmen bereits auf 33% drastisch zurückgegangen, der Rest verteilte sich auf Kollektivunternehmen mit 36%, die allerdings inzwischen meistens eine verschleierte Form von Privatunternehmen darstellten, offizielle private Firmen (19%) und ausländische Unternehmen (12%)41. Zwischen 1996 und 2006 wurde die Privatisierung der Staatsunternehmen dann weiter stark vorangetrieben: Ihre Zahl wurde halbiert, etwa 30-40 Millionen Arbeiter wurden entlassen. Doch die Privatisierung betraf auch diejenigen Unternehmen, die weiterhin in der Statistik als Staatsunternehmen geführt wurden. Denn diese erhielten nun das Recht, selbst Anteile des Unternehmens an Investoren zu verkaufen42.

In den 2000ern lag der Fokus auf der Reform der verbliebenen großen Staatsunternehmen. Die kleineren und strategisch unwichtigeren dieser Unternehmen wurden den lokalen und regionalen Regierungen übertragen. Großunternehmen, die als strategisch wichtig eingeschätzt wurden, verblieben in den Händen des Zentralstaats, der dafür im Jahr 2003 die SASAC (State-owned Assets Supervision and Administration Commission) schuf. Die SASAC untersteht dem Staatsrat, also der Regierung, und ist der zentralstaatliche Anteilseigner an den Staatsunternehmen. Sie ist gleichzeitig für die Überwachung einer ausgesuchten Gruppe an großen staatlichen Unternehmen zuständig. Bei der Gründung der SASAC waren dies 189 „zentrale Staatsunternehmen“43.

Die Privatisierungsprozesse in den großen Staatsunternehmen finden heute nicht mehr mit derselben rasanten Geschwindigkeit statt wie vor etwa 20 Jahren, was ein Umsteuern der chinesischen Führung anzeigt: Anders als in den 1990ern und frühen 2000ern ist die Devise nun nicht mehr, jeglichen Staatsbesitz so schnell wie möglich in die Hände privater Investoren zu veräußern. Stattdessen werden sowohl staatliches als auch privates Eigentum an den Produktionsmitteln von der Regierung und Parteiführung als legitime Bestandteile des Systems anerkannt.

2013 beschloss das Zentralkomitee der KP Chinas, die Rolle des Marktes in der Konzeption des chinesischen Wirtschaftssystems neu zu bestimmen bzw. aufzuwerten. Bis jetzt war in den offiziellen Verlautbarungen die Rede davon gewesen, dass der Markt eine „grundlegende“ Rolle bei der Zuteilung der Ressourcen auf die Zweige der Volkswirtschaft spielen solle. Seitdem heißt es, der Markt spiele die „entscheidende“ Rolle in der chinesischen Wirtschaft44.

Im selben Jahr wurde vom Nationalen Volkskongress, also dem chinesischen Parlament, eine neue Welle der Reformen der Staatsunternehmen beschlossen: „Für wettbewerbsfähige Sektoren lautete die Anweisung, ‚die gemischte Eigentümerschaft staatlicher Unternehmen stetig zu fördern und sicherzustellen, dass sich sowohl staatliches als auch nichtstaatliches Kapital am Betrieb der betreffenden staatlichen Unternehmen beteiligt‘, während für strategische Sektoren ‚staatliche Unternehmen in den betreffenden Sektoren in staatlicher Hand bleiben sollten, wobei jedoch Beteiligungen nichtstaatlicher Parteien gefördert werden‘.“45.

In den folgenden Jahren fanden weitere große Privatisierungen statt: Beispielsweise verkaufte der zweitgrößte Telekommunikationskonzern China Unicom 2017 35% der Aktien an der Shanghaier Börse an eine Gruppe aus privaten und staatlichen Investoren. Die staatliche Holding-Gesellschaft, die bis dahin 63% der Anteile des Unternehmens hielt, fiel dadurch auf 37%. Das ist deshalb besonders relevant, weil der Telekommunikationssektor bisher als strategischer Sektor unter strikter Staatskontrolle galt46. Eine bürgerliche Studie freut sich entsprechend: „Es ist ein vielversprechender Trend, dass mehr privates Kapital in strategischen und Säulenindustrien zugelassen wird, da mehr Wettbewerb eingeführt wird und das technische, Management- und Strategie-Know-how privater Unternehmen genutzt wird.“47. Es sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass es auch Gegentendenzen gab: Der Staat kaufte sich gleichzeitig in private Unternehmen ein oder übernahm sie auch vollständig, vor allem in Form von staatlichen Rettungspaketen für bankrotte Firmen48. Solche Beispiele werden oft angeführt, um zu argumentieren, dass der chinesische Staat seine Kontrolle über die Wirtschaft verstärke – entweder von Wirtschaftsliberalen, die damit das „Schreckgespenst“ einer Rückkehr Chinas zur Planwirtschaft malen, oder von Dengisten, die damit eine sozialistische Orientierung belegen wollen und diese Maßnahmen daher positiv bewerten. Wie bereits gezeigt wurde, geht die Gesamttendenz aber weiterhin klar in Richtung einer Stärkung des privaten Sektors gegenüber dem staatlichen und nicht in die umgekehrte Richtung.

Mit der neuen Richtlinie von 2013 wurde außerdem vom Zentralkomitee der KP Chinas und dem Staatsrat eine Zweiteilung der Staatsunternehmen vorgenommen, die nun in eine „öffentliche“ und eine „kommerzielle“ Kategorie unterteilt wurden. Die „öffentlichen“ Unternehmen sind solche, die für die Bereitstellung wichtiger Güter zuständig sind und in denen der Staat einen entscheidenden Einfluss behalten will. Diese Unternehmen sollen demnach politischen Entscheidungen unterworfen bleiben, obwohl auch sie gleichzeitig auf Kostenreduktion und Gewinnsteigerung ausgerichtet werden. Die „kommerzielle“ Kategorie soll hingegen in umfassender Weise der Konkurrenz auf dem Markt ausgesetzt werden und vor allem Profite generieren49.

Eine weitere Reform des Managements der Staatsunternehmen wurde 2014 beschlossen. Dabei ging es in verschiedenen Variationen darum, den Staat von einem direkten Verwalter der Firmen in einen Manager von Wertpapieren dieser Firmen zu verwandeln, den Staatsunternehmen freiere Hand bei der Ernennung ihrer Führungskräfte zu lassen und die Privatisierung oder Teilprivatisierung eines Teils der Staatsunternehmen voranzutreiben, indem der Staat einen Teil der Aktien an private Investoren verkaufen sollte50.

2019 wurde mit einem neuen Gesetz über ausländische Direktinvestitionen der Fluss ausländischen Kapitals in die chinesische Wirtschaft erleichtert. Während bis dahin ausländische Investoren in vielen Branchen verpflichtet waren, Joint Ventures mit chinesischen Unternehmen zu gründen, wurden damit eine Reihe von weiteren Branchen von der Regelung ausgenommen und damit für ausländische Investitionen freigegeben51.

Im Juli 2023 veröffentlichte das ZK der KP Chinas gemeinsam mit der Regierung ein Schlüsseldokument zur Expansion des Privatsektors. Darin wird beschlossen: „Falschen Aussagen und Handlungen, die das grundlegende sozialistische Wirtschaftssystem untergraben oder schwächen, die Privatwirtschaft negieren oder herunterspielen, entschlossenen Widerstand (zu) leisten und sie sofort (zu) widerlegen“; „private Wirtschaftsvertreter dabei (zu) unterstützen, eine größere Rolle in internationalen Wirtschaftsaktivitäten und ökonomischen Organisationen zu spielen“; „die verschiedenen Ebenen der Regierungsabteilungen dabei (zu) unterstützen, hervorragende Unternehmer zu konsultieren und ihre Rolle bei der Formulierung und Bewertung von Politiken, Plänen und Normen im Zusammenhang mit Unternehmen zu nutzen“; und „umsichtige Empfehlung herausragender privater Wirtschaftsfachleute als Kandidaten für Vertreter des Volkskongresses auf allen Ebenen und als Mitglieder der PKKCV52, wobei der Gesamtchinesische Industrie- und Handelsverband eine führende Rolle als Hauptkanal für eine geordnete politische Beteiligung der privaten Wirtschaftsfachleute spielen sollte.“53.

Zusammenfassend beinhaltet das Dokument also: 1) Ein klares Bekenntnis zur Ausweitung der Rolle des Privatsektors im chinesischen Kapitalismus und einen Kampf gegen noch immer vorhandene Standpunkte, die diese Rolle verringern wollen. 2) Die Verstärkung der internationalen Wirtschaftsdiplomatie chinesischer Kapitalisten mit dem Ziel einer besseren globalen Vertretung der Interessen chinesischer Monopole. 3) Die stärkere direkte Einbindung der Kapitalisten in die Ausarbeitung von Gesetzen und politischen Maßnahmen. Und 4) eine gesicherte Präsenz der Kapitalisten in den führenden staatlichen Organen. Mit einigen dieser Punkte werden wir uns in den folgenden Kapiteln näher befassen, doch diese Erklärung gibt bereits einen Vorgeschmack auf das, was uns dort erwarten wird.

Die fortgesetzten und vertieften kapitalistischen Reformen seit der Übernahme des Präsidentenamtes durch Xi Jinping im Jahr 2013 widerlegen auch den in Teilen der kommunistischen Bewegung populären und von manchen bürgerlichen Medien verbreiteten Mythos, dass sich China unter Xi Jinping wieder stärker einer sozialistischen Orientierung zuwende. Doch dazu weiter unten mehr.

Welche Funktion erfüllen die Staatsunternehmen?

Die anhaltende Bedeutung der Staatsunternehmen in einer vorwiegend privaten Ökonomie verweist darauf, dass die Staatsunternehmen in der chinesischen Ökonomie drei hauptsächliche Funktionen ausüben: Sie sollen erstens Infrastruktur und wichtige Dienstleistungen zur Verfügung stellen, die die soziale und politische Stabilität erhöhen, aber vor allem auch der Akkumulation des privaten Kapitals günstig zur Verfügung gestellt werden können. Damit kann der private Kapitalismus in China beispielsweise auf ein gut ausgebautes Transport- und Kommunikationsnetzwerk sowie billige Energie zurückgreifen, was in der internationalen Standortkonkurrenz einen entscheidenden Vorteil darstellt54. Zweitens sollen die Staatsunternehmen aber auch selbst Kapital akkumulieren und zu international wettbewerbsfähigen Monopolkonzernen entwickelt werden. Drittens und zusammenhängend mit den ersten beiden Funktionen sollen die Staatsunternehmen auch international die Märkte erschließen und die Rohstoffversorgung für die wachsende kapitalistische Ökonomie sicherstellen. So hängen im Rahmen der Belt and Road Initiative Kredite von Staatsbanken, Infrastrukturprojekte (oft durch chinesische Staatskonzerne) und Rohstoffabbau in anderen Ländern eng miteinander zusammen.

Alle drei Funktionen sind für kapitalistische Länder nicht ungewöhnlich. Dafür dass der Staat bestimmte Unternehmen in der Hand behält, weil es volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen haben kann, sie zu privatisieren, finden sich Beispiele in fast allen Ökonomien: Dies betrifft besonders Infrastruktur- und Kommunikationsunternehmen (Telekommunikation, Eisenbahn, Wasser- und Stromversorgung), aber auch z.B. die Förderung bestimmter Rohstoffe. Und was die zweite Funktion angeht, ist es zwar so, dass in den meisten entwickelten kapitalistischen Ländern vor allem Monopole in Privateigentum die dominierende Stellung in der Volkswirtschaft und beim Kapitalexport einnehmen. Dennoch gehörte der gezielte Aufbau von „nationalen Champions“, also international konkurrenzfähigen Spitzenkonzernen in (mehrheitlichem) Staatseigentum oder mit massiver staatlicher Unterstützung über Jahrzehnte zum Kern der wirtschaftspolitischen Strategien von anderen ostasiatischen Ländern wie Südkorea und Japan, aber auch Frankreichs.

Ein Beispiel, wie auf diesem Weg international führende Monopolkonzerne unter staatlicher Anleitung entstehen, ist der Bereich künstliche Intelligenz. In dem mehrstufigen „Plan zur Entwicklung einer neuen Generation Künstlicher Intelligenz“ von 2017 der chinesischen Regierung heißt es: „bis 2030 sollten Chinas KI-Theorien, -Technologien und -Anwendungen ein weltweit führendes Niveau erreicht haben, sodass China zum ersten KI-Innovationszentrum der Welt wird, sichtbare Ergebnisse bezüglich der Anwendungen in den Bereichen intelligent economy und intelligent society erreicht und eine wichtige Grundlage für eine führende innovationsgetriebene Nation und Wirtschaftsmacht legt“. Erreicht werden soll dies durch eine systematische Politik der Technologieentwicklung, den Aufbau großer Internetkonzerne und die Beschleunigung der „Schaffung global führender KI-Unternehmen und Marken in vorteilhaften Bereichen wie unbemannte Luftfahrt, Spracherkennung, Mustererkennung (…) smarte Roboter, smarte Autos, tragbare Ausrüstung, virtuelle Realität usw55.

Um den Vergleich mit Frankreich zu konkretisieren: Dort wurde in der Nachkriegszeit das Modell der „planification“, also eines geplanten Kapitalismus geschaffen, in dem der Zentralstaat die wirtschaftliche Entwicklung steuerte, indem den Unternehmen gezielt Anreize gesetzt wurden, um im Rahmen einer gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsstrategie die Position des französischen Kapitals in der Konkurrenz zu verstärken. Insbesondere gehörte dazu auch die Verstaatlichung vieler Schlüsselindustrien und Banken und der gezielte Aufbau sogenannter „nationaler Champions“, d.h. überwiegend staatlicher Unternehmen, die unter der schützenden Hand des Staates die global Konkurrenzfähigkeit erreichen sollten56. Das Wirtschaftssystem und die Wirtschaftspolitik in Frankreich wiesen damals große Gemeinsamkeiten mit dem heutigen chinesischen Kapitalismus auf: Indikative Planung mithilfe von Anreizen, Staatseigentum am Finanzsystem und den größten Industriekonzernen sowie eine gezielte Industrialisierungspolitik, unterstützt von einer Geldpolitik der Zentralbank, die auf Wachstumsförderung ausgelegt war. Allerdings wäre niemand auf die Idee gekommen, dieser Politik in Frankreich einen „sozialistischen“ Charakter zu unterstellen. Im Gegenteil wurde sie schwerpunktmäßig unter den konservativen Präsidenten Charles de Gaulle und Georges Pompidou verfolgt, Frankreich galt unbestritten als kapitalistisches Land und war Teil des antikommunistischen westlichen Bündnissystems.

Welche Gründe gibt es, weshalb auch in kapitalistischen Ländern staatliche Großunternehmen eine wichtige Rolle spielen können? Im monopolistischen Stadium des Kapitalismus ist in den meisten Wirtschaftszweigen überhaupt und in allen mittel- und hochtechnologischen Branchen letzten Endes nur noch das Monopol konkurrenzfähig, da nur die Monopolunternehmen in der Lage sind, ausreichend Finanzmittel aufzubringen, um die notwendigen Investitionen tätigen zu können. Eine Transnationalisierung der Investitionen, also Kapitalexport, können zudem sowieso meist nur die Monopolkonzerne schaffen. Deshalb ist der Aufstieg Chinas zur Weltmacht, vor allem im ökonomischen Bereich, nur auf Grundlage einer gewaltigen Konzentration und Zentralisation des Kapitals möglich. Und diese Strategie ist erfolgreich: Gehörten im Jahr 2000 noch neun chinesische Staatsunternehmen zu den 500 größten Unternehmen der Fortune Global 500 Liste, waren es im Jahr 2017 bereit 7557. 2023 liegt die Anzahl chinesischer Unternehmen unter den 500 größten bei 135.

Die „Belt and Road Initiative“ (BRI), das ambitionierte Projekt zur Förderung des chinesischen Waren- und Kapitalexports dient ebenfalls hauptsächlich den Monopolen bzw. wird von diesen umgesetzt (siehe Kapitel 5). Es ist darum nicht verwunderlich, dass der Staat die Zentralisation des Kapitals gezielt vorantreibt: „Um die BRI und die “Going-out”-Initiativen staatlicher Unternehmen zu unterstützen, werden Fusionen zur Schaffung großer “nationaler Champions” dazu beitragen, ausreichende wirtschaftliche Ressourcen für Fusionen und Übernahmen im Ausland sowie für Forschung und Entwicklung (FuE) bereitzustellen. Die Fusionen werden auch dazu beitragen, den Verlust von Finanzmitteln aufgrund von Preiskämpfen zwischen staatlichen Unternehmen auf dem internationalen Markt zu vermeiden.“58. Die SASAC hat bei den größten Staatsunternehmen, die unter ihrer Aufsicht stehen, in den 2010ern eine gezielte Politik der Schaffung großer Konzerne durch Fusionen betrieben und allein in den sechs Jahren zwischen 2012 und 2018 bei 20 großen Staatskonzernen Fusionen angeleitet59.

Zum Charakter der Staatsunternehmen im heutigen China

Stellen die Staatsunternehmen, die weiterhin einen großen Anteil an der Wirtschaftsleistung Chinas haben, heute immer noch einen „sozialistischen Sektor“ in der chinesischen Ökonomie dar? Das wird von Propagandisten des chinesischen „Sozialismus“ oft behauptet. Doch dies ist ein grundsätzlich falsches Verständnis der Rolle dieser Staatsunternehmen.

Grundsätzlich ist entscheidend, dass der Sozialismus nicht das gleiche ist wie staatliches Eigentum an den Produktionsmitteln. Vielmehr bedeutet der Sozialismus als Produktionsweise die Ausschaltung der kapitalistischen Gesetzmäßigkeiten und die Organisierung der Produktion nach den bindenden Vorgaben einer zentralen Planung, die auf die Befriedigung der gesellschaftlichen Bedürfnisse abzielt. Selbstverständlich setzt dies eine Verstaatlichung der Produktionsmittel voraus, aber vor allem bedeutet es, dass die Investitions- und Produktionsentscheidungen der Staatsbetriebe gemäß den Planvorgaben getroffen werden.

Der Charakter eines einzelnen Betriebes kann zudem nicht unabhängig vom Charakter der Ökonomie als Ganzer und den darin vorherrschenden ökonomischen Gesetzen festgestellt werden: Ein Staatsunternehmen in einer Ökonomie, die nach kapitalistischen Gesetzen funktioniert und von einem bürgerlichen Staat reguliert wird, kann keinen sozialistischen Charakter haben, weil der Staat, dem die Betriebe gehören, ein Staat der Bourgeoisie ist und dementsprechend auch staatliche Betriebe dafür nutzt, die kapitalistische Gesamtordnung zu sichern und Dienstleistungen für die Akkumulation des privaten Kapitals bereitzustellen. Staatliches Eigentum an Produktionsmitteln ist also an sich durchaus mit einer kapitalistischen Ökonomie vereinbar und, wie bereits gezeigt wurde, auch nichts ungewöhnliches. Auch in der BRD sind beispielsweise die Deutsche Bahn und die Kreditanstalt für Wiederaufbau bis heute Staatsunternehmen.

Bereits Friedrich Engels weist darauf hin: „Je mehr Produktivkräfte er (d.h. der Staat, Anm.d.A.) in sein Eigentum übernimmt, desto mehr wird er wirklicher Gesamtkapitalist, desto mehr Staatsbürger beutet er aus60. Und auch Lenin stellt fest, dass „sich in der Epoche des Finanzkapitals private und staatliche Monopole miteinander verflechten und die einen wie die anderen in Wirklichkeit bloß einzelne Glieder in der Kette des imperialistischen Kampfes zwischen den größten Monopolisten um die Teilung der Welt sind61. Die Tatsache, dass ein Unternehmen dem Staat gehört, lässt also für sich genommen noch keine Rückschlüsse auf seinen gesellschaftlichen Charakter zu.

Die Staatsunternehmen in China haben jedenfalls die typische Form von kapitalistischen Staatsbetrieben innerhalb einer kapitalistischen Ökonomie: Sie dienen, wie bereits aufgezeigt wurde, der Akkumulation des Kapitals in privater Hand. Doch darüber hinaus sind auch sie selbst nach den grundsätzlich gleichen Prinzipien strukturiert wie die privaten Unternehmen. So ist zu betonen, dass in China „politische Entscheidungsträger sowie Eigentümer staatlicher beziehungsweise kollektiver Betriebe in ihrem wirtschaftlichen Verhalten analog zu privaten Eigentümern verstanden werden können. Maßgeblich ist dabei nicht ihr rechtlicher Status, sondern ihre (ökonomische) Funktion.“62.

Der Haushalt der Staatsunternehmen ist im heutigen chinesischen Unternehmensrecht formal und real vom Staatshaushalt getrennt. Die Unternehmen wurden dadurch zu eigenständigen ökonomischen Einheiten, deren Aktivitäten nicht mehr direkt durch den Staat gesteuert wurde und dem Staat auch keine festgelegten Abgaben mehr leisteten, sondern die auf eigene Rechnung wirtschafteten und lediglich durch den Staat besteuert wurden, wie jedes andere Unternehmen auch63. Die von liberalen Ökonomen64 an den sozialistischen Planwirtschaften immer wieder kritisierten „weichen Budgetbeschränkungen“ – das heißt, dass ein sozialistischer Betrieb bei finanziellen Verlusten nicht einfach bankrott ging, sondern vom Staat aufgefangen wurde – existieren im heutigen China somit nicht mehr. Die Unternehmen arbeiten nach Rentabilitätskriterien und der Staat ist oft bereit, sie bei Verlusten aufzugeben65. Kommt es zu einer solchen Insolvenz eines Staatsunternehmens, stellt sich die Frage, wem die Lasten des Bankrotts aufgebürdet werden. In China hat sich die Praxis durchgesetzt, die Interessen der Gläubiger des Unternehmens höher zu priorisieren als die der Arbeiter – zuerst müssen die Schulden an Banken abbezahlt werden, erst dann kommen Entschädigungen für verlorene Jobs infrage66.

Die Industriebetriebe, die früher völlig vom Staat kontrolliert waren, wurden in den 1990ern und 2000ern entweder ganz privatisiert oder teilprivatisiert. Auch diejenigen Firmen, die heute noch offiziell als Staatsunternehmen geführt werden, haben einen großen Teil ihres Kapitals an private Kapitalisten verkauft. Bereits 2003 lag bei den Staatsunternehmen der Anteil der Aktien, die vom Staat gehalten wurden, durchschnittlich nur noch bei 46,6%. Bis 2017 war er auf 38,3% gefallen67. Allerdings bedeutet ein staatlicher Anteil unter 50% nicht zwangsläufig, dass der Staat seinen kontrollierenden Einfluss auf das Unternehmen aufgibt: Erstens, weil der Anteil an den Aktien eines Unternehmens nicht immer dem Anteil an den Stimmrechten entspricht; zweitens, weil es die Möglichkeit gibt, über Pyramidenstrukturen mit weniger als 50% des Kapitals trotzdem die Kontrolle zu behalten68. Da der chinesische Staat erklärtermaßen die Kontrolle über den staatlichen Wirtschaftssektor behalten will, ist davon auszugehen, dass von diesen Mechanismen auch des Öfteren Gebrauch gemacht wird. Zudem scheint der Staat der Tendenz entgegenwirken zu wollen, dass durch die fortschreitende Teilprivatisierung der Staatskonzerne die Staatseinnahmen langsam erodieren könnten. 2015 wurde deshalb beschlossen, den Anteil des Profits, den die Staatsfirmen an den Staat auszahlen müssen von 15 auf 30% anzuheben69 – konkret bedeutet das, dass die Staatsunternehmen einen Teil der Profite, die formell immer schon dem Staat gehörten, ihnen bis dahin aber für die Finanzierung von Investitionen zur Verfügung standen, nun an den Staat abführen müssen. Dessen ungeachtet zeigt der oben dargestellte Trend aber sehr deutlich eine fortschreitende Übertragung des Eigentums an den Produktionsmitteln und damit auch der Ansprüche auf den Profit aus staatlichen in private Hände.

Nur noch wenige Großunternehmen, v.a. in Infrastrukturbereichen, werden in China direkt vom Staat finanziert. Die meisten Staatsunternehmen sind so wie private Firmen an der Börse notiert und unterliegen deshalb unmittelbar dem Zwang zur Ausschüttung von Renditen an die Aktionäre70. Diese Staatsunternehmen, die die große Mehrheit der chinesischen Staatsunternehmen darstellen, produzieren also nach dem Kriterium des Profits und der schrankenlosen Akkumulation von Kapital. 2017 erklärte Xi Jinping, dass bereits 90% der staatlichen Konzerne in Kapitalgesellschaften umstrukturiert worden seien und die restlichen 10% nun folgen sollten71. Damit nimmt der gesamte staatliche Wirtschaftssektor in China die typische Form des monopolistischen Finanzkapitals an, bei dem ein Industriekonzern als Finanzgruppe funktioniert und die Unternehmensfinanzierung über das Beteiligungssystem läuft.

Im Ergebnis dieser Reformen sind die großen Staatskonzerne zu weitestgehend eigenmächtig agierenden Unternehmen geworden, deren Management zwar weiterhin gegenüber staatlichen Behörden verantwortlich ist, allerdings in seinem betriebswirtschaftlichem Entscheidungsspielraum fast nicht eingeschränkt wird. Auch finanziell sind die Staatskonzerne eigenständige kapitalistische Unternehmen. Ende 2017 kamen nur noch 6% der Finanzmittel, die die Staatsunternehmen zur Finanzierung von Investitionen aufwandten, vom Staat72.

Zudem setzt der Staat die Staatsbetriebe bewusst in Konkurrenz zueinander. Eine Situation, dass in einer Branche ein einzelnes Staatsunternehmen den Markt beherrscht, soll aus staatlicher Sicht vermieden werden, deshalb existieren in China selbst in Branchen, in denen der Staat absolut beherrschend ist (beispielsweise sensible Industrien wie die Rüstungsbranche) immer zwei oder mehr Unternehmen, die gegeneinander konkurrieren73. In den meisten Branchen sind die Staatsunternehmen aber sowieso der direkten Konkurrenz chinesischer und ausländischer Privatfirmen ausgesetzt. In ähnlicher Weise werden auch die Provinzen bewusst in eine Standortkonkurrenz zueinander gesetzt: Die Provinzregierungen konkurrieren gegeneinander um Investitionen und dementsprechend darum, sich gegenseitig mit günstigen Investitionsbedingungen zu überbieten.

Wirtschaftsplanung im chinesischen Kapitalismus

Aus welchem Grund hält der chinesische Staat daran fest, einen immerhin erheblichen Teil der Industrie, Infrastruktur und Dienstleistungen weiterhin in den Händen des Staates zu konzentrieren?

Dies hat jedenfalls wenig damit zu tun, dass der Staat immer noch eine sozialistische Entwicklung anstreben würde. Vielmehr ist der hohe Anteil der Staatsbetriebe eine tragende Säule der kapitalistischen Entwicklungsstrategie der chinesischen Regierung. Verschiedene Studien haben erwiesen, dass die Staatsbetriebe in China sich – entgegen den Glaubenssätzen von wirtschaftsliberalen Ökonomen – durchaus förderlich für die Kapitalakkumulation auswirken, indem sie mit staatlicher Hilfe das notwendige Kapital für strategische Investitionen schneller aufbringen können und dem privaten Kapital verschiedene Vorprodukte und Dienstleistungen zur Verfügung stellen74. Sie erlauben zudem dem Staat, die Entwicklung der kapitalistischen Ökonomie planmäßiger nach einem langfristigen Konzept zu steuern.

Diese makroökonomische Steuerung der Wirtschaftsentwicklung wird in anderen kapitalistischen Ländern grundsätzlich auch betrieben, allerdings in den westeuropäischen und nordamerikanischen Ländern heute in einer weitaus zurückhaltenderen Form. Auf die Ähnlichkeiten der französischen „planification“ in den 1960er und 70er Jahren mit dem chinesischen Planungssystem wurde bereits hingewiesen. In China wurde die makroökonomische Steuerung vor allem seit Mitte der 2000er unter der Regierung Hu Jintao/Wen Jiabao stärker betont, während in den 10-15 Jahren davor unter der Führung um Jiang Zemin der Schwerpunkt der Wirtschaftspolitik eindeutig auf den Privatisierungen und der Liberalisierung immer weiterer Wirtschaftszweige lag.

Die vom chinesischen Staat betriebene Steuerung der wirtschaftlichen Entwicklung hat aber einen grundsätzlich ganz anderen Charakter als eine sozialistische Wirtschaftsplanung. In einer sozialistischen Ökonomie werden die Planziele, die sich an den gesellschaftlichen Bedürfnissen orientieren, den vergesellschafteten Betrieben vorgegeben. Es hat dabei in der Geschichte verschiedene Grade an Autonomie der Betriebe gegeben, je nachdem wie viele Plankennziffern verbindlich vorgegeben wurden. Dadurch blieb gegebenenfalls bei manchen Planzielen den Betrieben ein Spielraum, auf welchem Weg und wie weitgehend diese erfüllt werden mussten. Grundsätzlich haben Planziele in einer sozialistischen Planwirtschaft jedoch einen bindenden Charakter, da der Betrieb keine eigenständig agierende Einheit ist, wie unter kapitalistischen Bedingungen, sondern ein ausführendes Organ der Gesellschaft, das heißt der Gesamtheit der Produzenten.

In China werden hingegen in der Regel keine verbindlichen Planziele für die Unternehmen mehr herausgegeben. Eine solche imperative Planung mit vollzugsverbindlichen Zielstellungen findet hauptsächlich noch bei großen staatlichen Infrastrukturprojekten statt, wo der Staat auf ein ganz bestimmtes Ergebnis des Projektes abzielt. Außerhalb dieser wenigen ausgewählten Sektoren spielt der Staat auch gegenüber den Staatsunternehmen nur eine koordinierende Rolle und macht keine verbindlichen Vorgaben. Diese Koordination findet in zwei Formen statt: Entweder in Form von vertraglichen Abmachungen zwischen der Zentralregierung und den verantwortlichen Provinzregierungen oder mit Unternehmen, d.h. in Übereinkünften, in der beide Seiten zustimmen müssen. Oder in Form einer indikativen (statt imperativen) Lenkung, in der anstelle von Vorgaben lediglich Anreize (z.B. steuerliche Vergünstigungen für bestimmte Investitionen) gesetzt werden.

Zu diesem Zweck werden die Staatsunternehmen von der SASAC überwacht. Es handelt sich hierbei selbstverständlich nicht um eine zentrale Planbehörde wie es beispielsweise das GOSPLAN in der Sowjetunion darstellte, sondern um ein Instrument, das lediglich im Sinne eines größtmöglichen Wirtschaftswachstums eine grobe Lenkung der Wirtschaftsentwicklung des Staatssektors gewährleisten kann und soll. Ein weiteres Instrument, das eine politische Loyalität der Betriebsleitungen gegenüber dem Staat und seinen strategischen Zielen absichern soll, ist die Schaffung von Parteigruppen in den Betrieben, wobei auch das Management einbezogen wird.

Die SASAC ist aber keineswegs eine allmächtige Behörde mit der Fähigkeit, eine genaue Planung und Lenkung der Wirtschaft zu betreiben, allein schon weil die betriebswirtschaftliche und machtpolitische Autonomie der Staatskonzerne dafür viel zu groß ist. „Viele der von ihr beaufsichtigten Firmen sind gewaltige Konglomerate, die große Mengen an Ressourcen kontrollieren und daher selbst Machtpole darstellen, die nicht einfach zu kontrollieren sind. Zwar ernennt sie, zusammen mit der Organisationsabteilung des ZK der KPCh, vielfach die Leitungspersonen der ihr formell unterstellten Unternehmen, doch kann sie deren betriebswirtschaftliche Orientierung nicht annullieren. So sind ab 2010 Anstrengungen unternommen worden, die hohen Profite im staatlichen Unternehmenssektor über erhöhte Steuern teilweise abzuschöpfen. Dies erweist sich für die SASAC allerdings als schwierig, da große Staatskonzerne erfolgreich versuchen, die neuen Bestimmungen zu umgehen. Dieser Sachverhalt stellt zudem die mitunter mystifizierten Annahmen einer umfassenden Parteikontrolle infrage. Die Tatsache, dass die KPCh Führungskräfte ein- und absetzen kann, setzt noch nicht die betriebswirtschaftlichen Partikularinteressen und Praktiken von Unternehmen außer Kraft. Angeblich existieren heute in 420.000 Firmen sogenannte Parteigruppen. Dass diese allerdings effektive Instrumente im Sinne einer kohärenten volkswirtschaftlichen Steuerung verkörpern, ist fraglich.“75. Wenn in der erhöhten Präsenz der „kommunistischen“ Partei in der Wirtschaft ein Beleg für eine schrittweise Rückkehr hin zur sozialistischen Zentralplanung gesehen wird, dann geht das am Zweck und Charakter dieser Parteigruppen vorbei.

Die Frage, ob Markt oder Planung, also ob die kapitalistischen oder die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der chinesischen Wirtschaft vorherrschen, wurde von der KP Chinas außerdem bereits selbst (zutreffend) beantwortet: Wie bereits dargestellt, ist es seit 2013 offizielle Linie der KP Chinas, dass im „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ die Marktgesetze dominieren, also die blinde Wirkungsweise des Wertgesetzes die bestimmende Rolle spielt.

Das Finanzsystem

Ein entwickelter Kapitalismus, sowieso ein Monopolkapitalismus, ist ohne ein entwickeltes Finanzsystem, d.h. ohne einen Kapitalmarkt nicht möglich. Oder umgekehrt formuliert: Die Entwicklung des Kapitalismus hat immer und überall zur Entwicklung eines Kapitalmarktes geführt und muss das auch. Denn ohne einen Mechanismus, um eine für alle größeren Investitionen erforderliche Zentralisation von Finanzmitteln zu bewerkstelligen sowie den möglichst unkomplizierten Fluss des Kapitals von einer Branche in die andere zu ermöglichen, wäre das Privateigentum eine zu enge Schranke, um überhaupt eine Entwicklung des Kapitalismus über sein embryonales Stadium hinaus zuzulassen. Dieses immer engere Verwachsen der Kreisläufe des industriellen, kommerziellen und Bankkapitals, das Lenin als Entstehung des Finanzkapitals bezeichnet hatte, ist eine Gesetzmäßigkeit jedes entwickelten Kapitalismus. Deshalb erforderte der Prozess der Herstellung kapitalistischer Verhältnisse in China schon zu einem frühen Zeitpunkt die Einrichtung eines Marktes für Unternehmenskredite, weil die TVEs und eigenständigeren Betriebe in den Städten (die nun nicht mehr vom Staat finanziert wurden) zunehmend auf Kredite zur Finanzierung ihrer Geschäfte angewiesen waren76.

Die Regierung in China unterwirft entsprechend ihrer Strategie eines staatlich gelenkten Kapitalismus danach, die Entwicklung des Finanzmarktes ebenfalls klaren Einschränkungen. Das Finanzsystem ist durch verschiedene Regulierungen und Eintrittsbarrieren vom globalen Finanzsystem relativ abgeschirmt und dient vor allem der Förderung und Steuerung der Wirtschaftsentwicklung und Industrialisierung durch gezielte Kreditvergabe77.

Trotz der bestehenden Beschränkungen gibt es einen Aktienmarkt über die Börsen, einen Rentenmarkt und einen Markt für Bankkredite, wobei die Finanzierung von Investitionen hauptsächlich über den letzteren stattfindet78. Das chinesische Finanzsystem lässt sich in drei Segmente unterteilen:

Erstens das nach wie vor stark vom Staat dominierte Bankensystem, das sich aus zentralstaatlichen Geschäftsbanken, lokalen Banken und Kreditgenossenschaften und natürlich der Volksbank Chinas, der chinesischen Zentralbank, zusammensetzt. Die vier größten Banken Chinas sind gleichzeitig auch die vier größten Banken der Welt, im Westen bekannt unter ihren englischen Namen. Als weltgrößte Geschäftsbank die Industrial and Commercial Bank of China (ICBC), die China Construction Bank (CCB), die Agricultural Bank of China (AgBank) und die Bank of China, die bis 1980 als Zentralbank fungierte und jetzt ebenfalls eine Geschäftsbank ist. Die zehn größten chinesischen Banken verfügen zusammen in ihren Bilanzen über Aktiva von 28,2 Billionen US$, was mehr ist als das Bruttoinlandsprodukt der USA. Natürlich ist hierbei zu bedenken, dass diesem Kapital auch Verbindlichkeiten gegenüberstehen (also Forderungen, die sie bedienen müssen). Trotzdem vermittelt die Statistik eine Vorstellung davon, in welchem Umfang die chinesischen Staatsbanken Kapital verwalten.

Tabelle 1: Die zehn größten Banken Chinas

Ranglistenplatz der weltgrößten BankenName der BankAktiva in Mrd. US$
1Industrial & Commercial Bank of China5.537
2China Construction Bank4.762
3Agricultural Bank of China4.576
4Bank of China4.207
14Postal Savings Bank of China1.982
18Bank of Communications1.836
25China Merchants Bank1.456
27Industrial Bank1.345
28China CITIC Bank1.266
29Shanghai Pudong Development Bank1.251

Quelle: Yuzo Yamaguchi et al. 2022: The world’s 100 largest banks, 2022, Standard & Poor’s, online: https://www.spglobal.com/marketintelligence/en/news-insights/latest-news-headlines/the-world-s-100-largest-banks-2022-69651785, abgerufen 23.5.2023.

Das zweite Segment des Finanzsystems ist der Kapitalmarkt, also der Handel mit Wertpapieren und Aktien. Nach wie vor sind allerdings die meisten Firmen in China nicht an der Börse gelistet, da sie sich überwiegend über Kredite finanzieren. Vor allem große Unternehmen agieren an der Börse, darunter viele Staatsunternehmen. Die Börsen sind damit vor allem auch ein Instrument der Regierung, um die schrittweise Privatisierung der Staatsunternehmen voranzutreiben.

Drittens existiert auch ein informelles Kreditsystem, bei dem kleinere und mittlere Unternehmen, die oft nur schwierig Kredite bei den Großbanken erhalten, Kredite aufnehmen können. Voraussetzungen dafür sind vor allem gute Beziehungen und eine entsprechende geschäftliche Reputation79.

Mittel- und langfristig steht die chinesische Regierung bezüglich des Finanzmarktes und insbesondere auch ihrer Währungspolitik vor einem Dilemma: Um den Aufstieg Chinas im kapitalistischen Weltsystem weiter fortsetzen und zur dominierenden Wirtschaftsmacht des Planeten werden zu können, muss das chinesische Kapital die Vorherrschaft des US-amerikanischen Kapitals auf den Finanzmärkten und die des US-Dollar als internationaler Leit- und Reservewährung untergraben und ablösen. Das wiederum erfordert aber zwangsläufig eine viel tiefergehende Integration des chinesischen Kapitalismus in den internationalen Finanzmarkt und die Öffnung des gesamten Spektrums an Finanzoperationen für das chinesische Finanzkapital. Genau das hat die chinesische Regierung bisher zu vermeiden versucht, weil es zugleich auch bedeuten würde, die chinesische Wirtschaft verwundbarer gegenüber den internationalen kapitalistischen Krisen zu machen und die staatliche Wirtschaftslenkung, die bisher eine wesentliche Grundlage der erfolgreichen Kapitalakkumulation war, aufzugeben.

Die chinesische Währung, der Renminbi (RMB), wird zudem gemessen am wirtschaftlichen Gewicht Chinas noch wenig im internationalen Zahlungsverkehr genutzt. Die strenge Regulierung des chinesischen Finanzsystems steht einer Internationalisierung des Renminbi auch teilweise im Weg – denn es senkt die Attraktivität einer Währung für Investoren, wenn ihrer freien Anwendung als Kapital Grenzen gesetzt werden. Nun würde eine Stärkung des Renminbi und ein ernsthafter Versuch, ihn zu einer globalen Herausforderung für den US-Dollar aufzubauen, allerdings voraussetzen, dass der Außenwert der chinesischen Währung gezielt gestärkt wird. Das wiederum widerspricht sowohl den Interessen des chinesischen Exportkapitals, das von dem dauerhaft niedrigen Wechselkurs des Renminbi stark profitiert, als auch den Plänen der Regierung, durch Lohnerhöhungen die Binnennachfrage (und potenziell die Inflation) zu verstärken80. Diese widersprüchlichen Interessen erklären, weshalb die chinesische Regierung zwar einerseits in den vergangenen Jahren immer wieder Schritte hin zu einer breiteren internationalen Verwendung der chinesischen Währung und auch zu einer weiteren Öffnung für die internationalen Finanzmärkte gegangen ist, andrerseits aber auch auf diesen Gebieten eine völlige Integration in das kapitalistische Weltsystem scheut.

Erste Anläufe zur Internationalisierung des Renminbi durch den Abbau von Kapitalverkehrskontrollen in den 90er Jahren wurden mit der sogenannten „Asienkrise“ Ende der 90er wieder gestoppt, da die chinesische Regierung fürchtete, durch die stärkere Integration in den internationalen Finanzmarkt verwundbar für die Krisen in anderen Ländern zu werden81. Seitdem wird die Internationalisierung des Renminbi auf anderem Wege vorangetrieben, indem beispielsweise RMB-basierte Handelsplattformen eingerichtet werden, der Devisenhandel zwischen den chinesischen Banken eröffnet wurde, die Nutzung des RMB in bilateralen Handelsverträgen und Investitionsabkommen vertraglich verankert und der RMB in den Währungskorb des IWF aufgenommen wurde. Damit versucht China einen Spagat zwischen einerseits verstärkter Integration seines Kapitals und seiner Währung in die internationalen Kapitalströme und andrerseits weiterhin bestehenden Schutzmechanismen für das chinesische Finanzsystem82. Ziel der chinesischen Regierung ist hier also, einerseits ein effizientes Finanzsystem zu entwickeln, um die Akkumulation des Kapitals in China und seine Expansion über die nationalen Grenzen hinaus zu fördern, andrerseits aber auch zu verhindern, dass rivalisierende kapitalistische Zentren die Kontrolle über relevante Teile der chinesischen Wirtschaft gewinnen könnten.

Das Eigentum an Grund und Boden

Nur kurz soll hier auch auf die Eigentumsrechte am Grund und Boden eingegangen werden. Apologeten des chinesischen Kapitalismus verweisen oft darauf, dass der Boden in China weiterhin dem Staat gehöre, was sie als Beleg für den sozialistischen Charakter der Wirtschaftsordnung sehen. Formal gesehen ist das auch zutreffend: Nach der chinesischen Verfassung gehört das Land nach wie vor dem Staat. Es ist aber leicht ersichtlich, dass in einer kapitalistischen Ökonomie auch der Boden faktisch zur Ware werden muss – denn irgendwo müssen die Unternehmen ihre Betriebe und Bürogebäude ja bauen und damit es eine Konkurrenz der Firmen um die besten Grundstücke geben kann, müssen diese auch auf einem Immobilienmarkt handelbar sein. Faktisch ist es daher auch in China so, dass der Boden längst privatisiert wurde. Zwar kann ein Kapitalist nicht das juristische Eigentumsrecht an einem Grundstück erwerben, allerdings kann er gegen eine Gebühr ein Nutzungsrecht dafür kaufen und dieses auch an Dritte weiterverkaufen oder vererben83. Dadurch behält sich der Staat letzten Endes eine theoretische Einspruchsmöglichkeit vor, die er allerdings auch auf anderem Wege behalten könnte, schließlich ist auch in westlichen kapitalistischen Ländern die Nutzung des Bodens an Vorgaben gebunden wie z.B. das Einholen einer Bauerlaubnis. Gleichzeitig hat er aber der Entwicklung eines voll ausgewachsenen kapitalistischen Immobilienmarktes alle Schranken aus dem Weg geräumt: Der chinesische Immobilienmarkt war 2016 größer als der in den USA und damit der größte der Welt84

b. Die Arbeitskraft wird zur Ware: Die chinesische Arbeiterklasse [nach oben]

Von einer kapitalistischen Gesellschaft kann nur dann die Rede sein, wenn die Arbeitskraft eine Ware ist. Neben der Privatisierung und Abschaffung der Planwirtschaft war die dritte große ökonomische Veränderung, die die „Reformen“ seit 1978/79 bewirkt haben, genau das, die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware, also die Schaffung eines Arbeitsmarktes.

Die Arbeitskraft wird zur Ware

Unter dem sozialistischen System in China waren die meisten Arbeitskräfte entweder Teil der landwirtschaftlichen Kommunen, innerhalb derer Waren- und Geld-Beziehungen weitgehend abgeschafft waren, oder festangestellt in den Staatsbetrieben. Sie waren nicht gezwungen, ihre Arbeitskraft an Unternehmer zu verkaufen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Anstellung war lebenslang und im Rahmen eines Wirtschaftssystems, in dem kein Mehrwert produziert und angeeignet wurde, sondern eine zumindest grobe zentrale Planung die Produktion und Verteilung bestimmte, die sich nach den Bedürfnissen der Gesellschaft bzw. des arbeitenden Volkes richtete. Die Beschäftigung in einem Staatsunternehmen oder einer landwirtschaftlichen Kommune ging mit umfangreichen sozialen Leistungen für den Arbeiter und seine Familie einher. Die Anstellung in den sozialistischen Betrieben und die Arbeit in den Kommunen war somit keine Form der Lohnarbeit, jedenfalls nicht in dem Sinne, wie der Begriff für kapitalistische Ökonomien verwendet wird, sondern vielmehr die Form, über die das Individuum seinen Beitrag zur gesellschaftlichen Produktion leistete und umgekehrt seinen Anteil am gesellschaftlichen Gesamtprodukt erhielt.

Diese gesicherte Beschäftigung wurde 1984 aufgehoben und die Unternehmen angewiesen, die Arbeitskräfte nun nach Leistungskriterien auszuwählen und gegebenenfalls auszusortieren85. Der Übergang zu einer kapitalistischen Ökonomie ging mit einer gigantischen Welle an Entlassungen einher. In den 1990ern wurden geschätzte 50 Millionen Arbeiter aus den Staatsunternehmen entlassen und weitere 18 Millionen in andere Firmen verschoben, in denen ihnen die sozialen Leistungen der Staatsunternehmen verloren gingen. Die Beschäftigung in den vom Zentralstaat kontrollierten Unternehmen fiel insgesamt während der Dekade von 76 auf 28 Millionen Personen86.

Die Schaffung einer Klasse von Lohnarbeitern wurde noch aus einer zweiten Quelle genährt: Der Bauernschaft. Seit Beginn der kapitalistischen Reformen fand auf dem Land in China eine Form der ursprünglichen Akkumulation statt. Obwohl das Land sich formell weiterhin im Eigentum des Staates befindet, wird es faktisch privat genutzt. Der Landbesitz durch die Bauern fiel dabei in den 1990ern und 2000ern einer gewaltigen Welle von Enteignungen zum Opfer, da das Land infolge des wachsenden Platzbedarfs der Städte und der Industrie, aber auch von Immobilienspekulation aufgekauft wurde. Nach einer Schätzung verloren bis 2006 insgesamt 70 Millionen Bauern ihr Land, das den Lokalregierungen abgekauft wurde. Die Entschädigung die sie dafür erhielten war in der Regel minimal und lag schätzungsweise zwischen 1 und 10% des Wertes, den die Käufer den Lokalregierungen für das Land zahlten. Somit stand der Enteignung der Bauern auf der einen Seite die Bereicherung der Kapitalisten, lokalen Regierungsfunktionäre und lokalen staatlichen Institutionen auf der anderen Seite gegenüber87.

Die Zahl der in der Landwirtschaft beschäftigten Personen nahm zwischen 1990 und 2014 von 389 auf 219 Millionen ab. Diese Menschen flossen in die Dörfer und vor allem Städte als Teil der neuen Arbeiterklasse. Die Zahl der Arbeiter auf dem Land stieg im selben Zeitraum von 73 auf 108 Millionen an. Die Beschäftigung in Privatunternehmen in den Städten stieg von 600.000 im Jahr 1990 auf 76 Millionen im Jahr 2014. Hinzu kommen jedoch Arbeiter in sogenannten „urbanen Einheiten“, was sowohl staatliche als auch „kollektive“, d.h. faktisch meist private Unternehmen umfasst: Die Zahl der bei diesen Unternehmen beschäftigten Arbeiter stieg in diesem Zeitraum von 118 auf 136 Millionen. Der informelle Sektor, der zu einem großen Teil die Funktion einer industriellen Reservearmee für das Kapital erfüllt und für die Betroffenen das Fehlen jeglicher sozialer Sicherheit bedeutet, explodierte zwischen 1990 und 2010 von 23 auf 111 Millionen Menschen88. Die städtische Arbeiterklasse lag 1952 bei nur 6% der insgesamt Beschäftigten in China, stieg bis 1978 auf 21% an und lag 2014 bei 33%. Selbstständige Unternehmer, die während der sozialistischen Phase ab 1956 fast inexistent gewesen waren, machten 2014 immerhin 14% der arbeitenden Bevölkerung aus89.

„Kollektive“ Unternehmen, die teilweise faktisch privat sind und während des Übergangs zum Kapitalismus vor allem in den Dörfern eine Schlüsselrolle spielten (s.o.), spielen heute nur noch eine marginale Rolle. 2019 beispielsweise waren im urbanen Raum in China 145,7 Mio. Arbeiter bei Privatunternehmen beschäftigt, 54,7 Mio. bei Staatsunternehmen und nur 3 Mio. in sogenannten Kollektivunternehmen. Der Entwicklungstrend ist auch hier eindeutig: 2011 lagen die Privatunternehmen und Staatsunternehmen noch fast gleichauf und die Beschäftigung in Kollektivbetrieben war mit etwa 6 Mio. Menschen noch doppelt so hoch wie nur acht Jahre später90.

Die chinesische Arbeiterklasse ist durch das System des Aufenthaltsstatus („hukou“) stark gespalten. Sogenannte Wanderarbeiter, die für die Lohnarbeit vom Land in die Städte migrieren, aber keine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in der Stadt haben, haben einen weitaus schlechteren oder gar keinen Zugang zu zahlreichen sozialen Leistungen wie Sozialwohnungen, Bildungseinrichtungen, Gesundheits- und Rentenleistungen91. Von 459 Millionen abhängig Beschäftigten in den Städten (733,5 Millionen Beschäftigte in China insgesamt) waren 2022 fast 300 Millionen solche landesinternen Arbeitsmigranten, also etwa zwei Drittel der gesamten städtischen Arbeiterklasse und etwa 40% der Arbeiterklasse insgesamt92. Diese Tatsache allein relativiert sehr deutlich die oft gepriesenen Verbesserungen beim Aufbau eines Systems der sozialen Absicherung, da diese Errungenschaften die Arbeiterklasse nur sehr ungleich betreffen und in den Städten eine Mehrheit der Arbeiter von vielen Leistungen ausgeschlossen bleibt.

Wie oben schon angesprochen, bedeutet die Verwandlung der Arbeitskraft in eine Ware, die jetzt auf dem Markt gehandelt wird, auch, dass die Arbeiterklasse der ständigen Drohung der Arbeitslosigkeit unterworfen wird. Besonders die Jugendarbeitslosigkeit in den Städten entwickelt sich zu einem immer größeren Problem: Im Juni 2023 fanden über 21% der arbeitssuchenden Stadtbewohner zwischen 16 und 24 Jahren keinen Job. Angesichts dieses Rekords beschloss die Regierung, künftig keine Statistiken zur Jugendarbeitslosigkeit mehr zu veröffentlichen93. Die allgemeine Arbeitslosenrate ist zwar mit etwa 4,5-5% in den letzten Jahren deutlich moderater, aber gemessen am hohen Wirtschaftswachstum des Landes ebenfalls nicht niedrig94.

Kämpfe der chinesischen Arbeiterklasse

Wo der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit besteht oder entsteht, da entwickelt sich auch der Kampf zwischen den beiden Klassen. Die Arbeitskämpfe und Arbeiterproteste in China entwickeln sich seit vielen Jahren sehr dynamisch – dies genau darzustellen, würde eine eigenständige umfassende Untersuchung erfordern.

Bis 2005 wurde von den chinesischen Behörden jährlich eine Statistik zu „Massenereignissen“ veröffentlicht, die allerdings alle möglichen Vorkommnisse erfassten und keinen direkten Aufschluss dazu gaben, welchen Charakter diese jeweils hatten. Trotzdem zeigt der Entwicklungstrend zunehmende Widersprüche in der chinesischen Gesellschaft an. Von 10.000 im Jahr 1996 stiegen sie auf 87.000 im Jahr 2005 und wurden 2008 auf 127.000 geschätzt95

Nach Untersuchungen des China Labour Bulletin, das Arbeitskämpfe in China detailliert verfolgt und analysiert, wurden 2018 1706 Streiks und Arbeiterproteste in ganz China registriert und 2019 eine Zahl von 1385. 2020 brach die Zahl aufgrund der Covid19-Pandemie auf etwa 800 ein, wächst seitdem aber wieder tendenziell an: Im ersten Halbjahr 2023 lag die Zahl der Streiks und Arbeiterproteste ungefähr wieder auf dem Niveau von 2019. Zahlreiche Streiks finden dabei in der verarbeitenden Industrie, dem Bausektor, aber auch Bereichen wie Einzelhandel und Taxiunternehmen statt. Zu den häufigsten Ursachen gehören nicht ausgezahlte Löhne und Entlassungen, bei denen die Unternehmen durch diverse Tricks vermeiden, den entlassenen Arbeitern Entschädigungen zu zahlen96.

Welche Rolle spielen die Gewerkschaften in diesen Kämpfen?

Der chinesische Gewerkschaftsbund (auf Englisch üblicherweise All-China Federation of Trade Unions, ACFTU, genannt) ist die einzige legale Gewerkschaftsorganisation und hat Gliederungen auf allen Ebenen der Wirtschaftsstruktur. Die Arbeiter sind in der Regel in Betriebsgewerkschaften organisiert, also nicht nach Branche. Teilweise übernimmt die ACFTU ähnliche Funktionen wie Gewerkschaften in westlichen kapitalistischen Ländern, z.B. die Arbeiter bei arbeitsrechtlichen Konflikten zu unterstützen und kollektive Verträge mit dem Kapital auszuhandeln. Die Gewerkschaften organisieren allerdings keine kämpferischen Aktionen gegen das Kapital, sondern beteiligen sich an der Verwaltung der Betriebe und der geregelten Kompromissfindung97. Generell „erhält die kooperative Beziehung zum Unternehmen in konkreten Arbeitskonflikten den Vorrang vor der (konfliktgeladenen) Positionierung aufseiten der Arbeiter. Nicht wenige Gewerkschaftsfunktionäre nutzen ihre Position des Weiteren als Ausgangsbasis für eine Unternehmenskarriere oder den Aufstieg in höhere staatliche Instanzen.“98.

Die vom Staat anerkannten Gewerkschaften sind in jedem Fall keine eigenständige Organisierung der Arbeiterklasse, sondern Apparate des Staates, der, wie weiter unten gezeigt wird, keineswegs ein Staat der Arbeiterklasse ist. Sie verfolgen im Einklang mit der Staatsräson vorrangig das Ziel des Wirtschaftswachstums und nehmen höchstens eine vermittelnde Rolle zwischen den Forderungen der Arbeiter und den Interessen der Kapitalisten ein, ohne dabei aber die kapitalistische Ordnung infrage zu stellen. In manchen Fällen haben Teile der ACFTU Forderungen der Belegschaften bis zu einem gewissen Grad und halbherzig unterstützt. Es gibt gleichzeitig auch viele Berichte darüber, dass die Beschäftigten gemeinsam Forderungen artikulieren und die zuständige Gewerkschaft sich weigert, diese zu vertreten99. Aus diesem Grund, aufgrund des Fehlens einer organisierten Interessensvertretung des Proletariats in China, ist dieses gezwungen, selbstständig und ohne feste Organisationsformen durch kämpferische Aktionen seine Interessen gegenüber dem Kapital zu vertreten.

Auch die „kommunistische“ Partei und der „sozialistische“ Staat treten in den Klassenkämpfen keineswegs als Verbündete der kämpfenden Arbeiter, geschweige denn, wie es bei einer tatsächlich kommunistischen Partei der Fall wäre, als organisierende und führende Kraft der Arbeiterklasse selbst auf. Vielmehr versuchen sie in der Regel, die Konflikte zu beenden, indem sie entweder unterdrückt oder durch Zugeständnisse eingehegt werden. Staatliche Institutionen „begegnen sozialen Auseinandersetzungen mit einer Kombination aus Zugeständnissen, Vermittlung, Versprechen sowie Drohungen und physischer Gewalt. Auf aufkeimende Proteste wird häufig mit Entschädigungen reagiert.“100

Dadurch sind Proteste und Streiks, auch wenn sie gegen Gesetze verstoßen, dennoch eine funktionierende Methode der Arbeiter, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen und den Druck der Ausbeutung etwas abzumildern. Auch das hat zu einem bedeutenden Wachstum der Löhne in China beigetragen.

Hunderte Millionen aus der Armut befreit“ – wie mit Statistiken der chinesische Kapitalismus schöngerechnet wird

Das Wachstum der Löhne wird von Verteidigern des chinesischen Kapitalismus häufig als Beleg für den „sozialistischen“ oder zumindest arbeiterfreundlichen Charakter des Wirtschaftssystems in China angeführt. Und tatsächlich muss man feststellen, dass die Nominallöhne und -gehälter in China zwischen 2010 und 2022 durchschnittlich jedes Jahr um etwa 10% gewachsen sind und im Jahr 2022 bei etwa 114.000 Yuan lagen, was umgerechnet knapp 14.500 € im Jahr entspricht101. Davon muss nun die Inflation abgezogen werden, die allerdings im untersuchten Zeitraum mit 2,34% pro Jahr relativ niedrig war102. Die Reallöhne und -gehälter sind 2010-2022 insgesamt etwa um den Faktor 2,4 gestiegen, haben sich also mehr als verdoppelt. Diese Zahlen sagen allerdings nichts darüber aus, wie die Zuwächse in verschiedenen Gesellschaftsgruppen und insbesondere die der Arbeiterklasse waren – da der Lohn eines Wanderarbeiters in einer Fabrik sicherlich weit unter 114.000 Yuan im Jahr liegen dürfte, verweisen sie vor allem auch auf eine große Ungleichheit der Einkommen.

Eng verwandt mit diesem Argument ist der Verweis auf die Verringerung der Armut in China. Wie immer wieder von der KP Chinas und ihren Verteidigern im Ausland stolz betont wird, habe China innerhalb der letzten 40 Jahre fast 800 Millionen Menschen „aus der Armut geholt“103. An der Aussagekraft dieser Zahl sollte man allerdings Zweifel haben: Vor allem geht es dabei keineswegs, wie oft behauptet wird, um die Befreiung „aus der Armut“, sondern lediglich aus der „extremen Armut“. Die „extreme Armut“ ist jedoch eine relativ willkürliche Grenze, die von der Weltbank verwendet wird und seit September 2022 so definiert ist, dass jeder als „extrem arm“ gilt, der weniger als 2,15 US$ pro Tag zur Verfügung hat. Die „Befreiung aus der extremen Armut“ bedeutet also nichts anderes, als dass ein Mensch mehr als 2,15 US$ am Tag verdient – es ist offensichtlich, dass man auch mit 3 oder 4 US$ am Tag immer noch in extremem Elend lebt. Es ist sogar möglich, dass jemand nach der Weltbank-Definition von „extremer Armut“ befreit wurde, weil das Einkommen geringfügig gestiegen ist, man in Wirklichkeit aber ärmer geworden ist, weil die lokalen Lebenshaltungskosten stärker gestiegen sind. In China ist hierbei nicht nur der Anstieg der Verbraucherpreise zu bedenken, sondern vor allem auch, dass viele lebenswichtige Dienstleistungen, die in der sozialistischen Epoche allen Chinesen zur Verfügung standen, in den letzten Jahrzehnten privatisiert wurden und oft nur gegen viel Geld erhältlich sind, wie beispielsweise höhere Bildung, Gesundheitsversorgung oder öffentlicher Transport. Die Lebenskosten einer Person, die zuvor auf dem Land gearbeitet hat und nun zur Arbeit in eine Großstadt gezogen ist, können durchaus deutlich gestiegen sein, beispielsweise weil sie nun zusätzlich für die Miete und öffentliche Transportmittel aufkommen muss, um jeden Tag zur Arbeit zu kommen. Das flächendeckende Gesundheitssystem, das in der Zeit vor 1978 auf dem Land aufgebaut wurde und von den Volkskommunen und Betrieben zur Verfügung gestellt wurde, ist durch die kapitalistischen Reformen stark ausgehöhlt worden, sodass es in entlegenen Dörfern teilweise schwierig ist, überhaupt ärztliche Versorgung zu erhalten. Hinzu kommt der drastische Einbruch sozialer Sicherheit: Während in den sozialistischen Betrieben den Arbeitern eine lebenslange Beschäftigung garantiert war, verloren in den 90ern Dutzende Millionen Arbeiter ihren Job. Diese qualitativen Verschlechterungen des Lebensstandards werden mit den statistischen Methoden der Weltbank, die eher dazu dienen, die weltweite Armut schönzureden als sie wirklich zu erfassen, nicht einkalkuliert. Eine Studie der Entwicklungsökonomen Andy Sumner und Eduardo Ortiz-Juarez geht stattdessen von einer realistischeren Armutsgrenze von täglich 13 US$ aus und ordnet jeden, der pro Tag weniger als diese Summe verdient, als extrem arm ein. Nach dieser Kalkulation ist die Zahl der extrem armen Menschen auf der Welt zwischen 1981 und 2019 überhaupt nicht geschrumpft, sondern sogar um 46% gewachsen. In China lebten 2019 nach dieser Definition immer noch über 800 Millionen Menschen (und damit 57% der Gesamtbevölkerung) unter der Grenze der extremen Armut, womit es in absoluten Zahlen immer noch auf Platz zwei liegt (Platz eins ist Indien)104.

Hier geht es nun trotzdem nicht darum, zu bestreiten, dass in China insgesamt der Konsum der Bevölkerung gestiegen ist und, wenn man Lebensstandard so misst, auch der Lebensstandard relativ breiter Massen der Bevölkerung und der Arbeiterklasse gewachsen ist. Das ist sicherlich der Fall. Es wäre allerdings auch sehr verwunderlich und schwer erklärlich, wenn ein so gewaltiges Wirtschaftswachstum über Jahrzehnte nicht zu einer Steigerung des Konsums auch der Arbeiterklasse geführt hätte. Eine realistische Betrachtung müsste diese Veränderungen aber mit den zahlreichen Verschlechterungen infolge des Umbruchs zum Kapitalismus kontrastieren: Zunehmender Arbeitsstress, soziale Unsicherheit, entfallender Zugang zu (kostenloser) Gesundheitsversorgung und Bildung, stärkere Umweltverschmutzung, Hierarchien und Unterdrückung in der Arbeitswelt. In jedem Fall ist das triumphalistische Geschwätz der liberalen Ideologen, die das „chinesische Armutsbekämpfungswunder“ natürlich allein auf die Einführung der „Marktwirtschaft“ zurückführen, falsch und verlogen. Selbst unter der fragwürdigen Annahme, dass das Wirtschaftswachstum unter sozialistischen Bedingungen deutlich geringer gewesen wäre, hätte die chinesische Arbeiterklasse, das heißt die große Mehrheit des chinesischen Volkes, von einem sozialistischen Wirtschaftswachstum wesentlich stärker profitiert. Denn dieses wäre kein Wachstum von Luxusyachten, teuren Privatautos, Villen oder einem durch Spekulation aufgeblähten Immobiliensektor gewesen, es hätte nicht der Bereicherung einer parasitären Kapitalistenklasse gedient, wie es im heutigen China der Fall ist, sondern es wäre ein Wachstum durch den Bau von Krankenhäusern, Stromleitungen und Straßen in die entlegenen Regionen, von Bildungs-, Kultur- und Sporteinrichtungen für die Arbeiter und Bauern gewesen. Es wäre ein Wirtschaftswachstum nicht durch die brutale Ausbeutung der Arbeiterklasse, sondern ein Wachstum des gemeinsamen gesellschaftlichen Wohlstands gewesen.

c. Staat, Partei und Bourgeoisie in China [nach oben]

Ein zentrales Argument einiger Vertreter des Dengismus besteht darin, dass die chinesische Ökonomie zwar vielleicht überwiegend kapitalistisch sei, aber doch zumindest die Macht fest in den Händen der Arbeiterklasse in Form des proletarischen Staates und der kommunistischen Partei liege. Sicherlich ist es so, dass der chinesische Kapitalismus aufgrund seiner sozialistischen Vorgeschichte einige Besonderheiten aufweist. Doch kann der Klassencharakter eines Staates wohl kaum dadurch bestimmt werden, dass man seine Selbstbezeichnung („Sozialismus“, „Volksrepublik“) einfach übernimmt. Ebenso wenig ist es für Marxisten zulässig, eine Partei allein deshalb als kommunistische Partei zu akzeptieren, weil sie sich so nennt. Mit der Weltanschauung und den programmatischen Zielen der KP Chinas wird sich das nächste Unterkapitel befassen – diese sind selbstverständlich Ausdruck des Klassencharakters des Staates. Hier geht es zunächst um einen anderen Aspekt dieses Klassencharakters – sehen wir uns an, welche Klasse im chinesischen Staat und über die regierende Partei in China sich selbst und ihre politische Herrschaft organisiert. Denn wenn es stimmen sollte, dass in China der Staat einen sozialistischen Charakter habe, dann sollte dieser Staat auch die Macht der Arbeiterklasse ausdrücken.

Im vorherigen Kapitel haben wir aber gesehen, dass die Arbeiterklasse in China offenbar nicht an der Macht sein kann – die chinesische Arbeiterklasse ist der Ausbeutung durch das Kapital unterworfen und ihre eigenständige Organisierung als „Klasse für sich“ wird von staatlicher Seite unterbunden. Sie ist offensichtlich in China keine herrschende, sondern eine beherrschte Klasse. In einem kapitalistischen Land ist das auch gar nicht anders möglich – die ökonomische Basis und der politische Überbau hängen zwangsläufig miteinander zusammen und der Staat muss zwangsläufig die Reproduktion des Kapitals sichern. Der Staat im Kapitalismus ist deshalb Staat des Kapitals, er setzt die Interessen der Bourgeoisie gegenüber der Arbeiterklasse durch und die Bourgeoisie organisiert sich im und durch den bürgerlichen Staat. Der bürgerliche Staat ist die politische Form der Herrschaft der Bourgeoisie. Das ist, wie wir sehen werden, in China nicht anders.

Die chinesische Bourgeoisie

Mit den kapitalistischen Reformen, die 1978 nach dem Tod Maos in Gang gesetzt wurden, entstand eine neue Kapitalistenklasse in China. Diese entstand ursprünglich zum Teil dadurch, dass entweder hohe Parteifunktionäre oder Betriebsdirektoren die Betriebe bei der Privatisierung übernahmen. Ein anderer Teil waren chinesische Kapitalisten im Ausland (beispielsweise aus Hong Kong und Macao, damals noch britische bzw. portugiesische Kolonien, Taiwan und anderen Ländern), die nun ihre Chance sahen, sich in China niederzulassen, da das sozialistische System sich in Auflösung befand. Seitdem ist ein weiterer Teil der Bourgeoisie durch Neugründungen von Unternehmen entstanden, beispielsweise in modernen Wirtschaftssektoren wie Mikroelektronik und Online-Dienstleistungen.

Inzwischen gehört die chinesische Kapitalistenklasse zu den größten und mächtigsten der Welt. Dies zeigt ein Blick auf die Rangliste des Forbes-Magazins mit den reichsten Menschen der Welt. Die meisten Milliardäre der Welt stammen laut der Liste von 2023 nach wie vor aus den USA mit einer Anzahl von 735. Den Platz zwei belegt aber bereits China mit 495 bzw. 562, wenn Hong Kong und Macao dazugerechnet werden (insbesondere Hong Kong ist ein Zentrum der chinesischen Bourgeoisie und sollte daher mit eingerechnet werden). Platz drei ist mit großem Abstand Indien mit 169 Milliardären, auf den Plätzen vier und fünf liegen die BRD und Russland105. Eine andere Zählung kommt sogar zu dem Ergebnis, dass China bereits 1133 und damit deutlich mehr Milliardäre beheimatet als die USA (716 Milliardäre nach dieser Studie)106. Die Zahl der Milliardäre relativ zur Gesamtbevölkerung ist in China aufgrund seiner riesigen Bevölkerungszahl natürlich dementsprechend geringer. Hier lag China 2018 mit seiner Milliardärsdichte aber immer noch auf Platz 20, wobei allerdings die Stadt Hong Kong als eigenes „Land“ gezählt wird und auf Platz eins liegt107.

Eine Besonderheit der chinesischen Bourgeoisie ist ihre Verflechtung mit dem Staatsapparat bzw. die enge Verschmelzung von staatlichem und privatem Kapital, die größer ist als in anderen kapitalistischen Ländern. So haben die größten privaten Kapitalisten oft Joint Ventures mit dem Staat oder zumindest Verflechtungen mit anderen Privatkapitalisten, die wiederum mit dem Staat verbunden sind. 2019 hatten etwa 65% der 1000 größten privaten Kapitalisten in ihrem Unternehmen staatliche Beteiligungen, insgesamt traf dies auf über 100.000 Angehörige der Kapitalistenklasse zu, die zusammen über geschätzte 15% des Gesamtkapitals in China verfügten. Die Zahl der privaten Kapitaleigentümer mit solchen ökonomischen Beziehungen zum Staat hat sich zwischen 2000 und 2019 etwa verdreifacht108. Das zeigt, dass der chinesische Staat nicht nur die Entstehung der in den 80ern und 90ern neu entstandenen Bourgeoisie möglich gemacht hat, sondern auch heute noch eine enorme und wachsende Rolle bei der Formierung der Kapitalistenklasse spielt. Vor allem der Aufstieg in die höchsten Schichten der Bourgeoisie ist in China meistens nur mithilfe des Staates möglich.

Die Kapitalisten und die „Kommunistische“ Partei

Wie es möglich ist, dass eine mächtige und extrem reiche Kapitalistenklasse unter der Herrschaft einer „kommunistischen“ Partei wächst und gedeiht, ist nur dann ein Rätsel, wenn man die KP Chinas weiterhin für eine kommunistische Partei hält. Tatsächlich hat die Partei, obwohl sie bereits in den Jahrzehnten nach der Revolution schwerwiegende ideologische Probleme und Fehlentwicklungen durchmachte, seit dem Beginn der kapitalistischen „Reform- und Öffnungspolitik“ ihren Charakter grundlegend verändert. Von einer Partei, die bei all ihren falschen Orientierungen immer noch am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft arbeitete, hat sie sich zu einer Partei des kapitalistischen Entwicklungswegs, zu einem nützlichen Herrschaftsinstrument des kapitalistisch transformierten chinesischen Staates und damit auch zu einem Apparat der Bourgeoisie entwickelt. Apparat der Bourgeoisie ist die KPCh nicht nur insofern, dass sie bemüht ist, dem Kapital günstige Akkumulationsbedingungen bereitzustellen, sondern auch, indem sie einzelnen Kapitalisten eine effektive Möglichkeit bietet, politische Verbindungen herzustellen und die Erfolgschancen ihrer Geschäfte zu verbessern. Die Herstellung eines solchen Netzwerks aus politischen Verbindungen und gegenseitigen Gefälligkeiten zwischen Einzelpersonen, um die eigene Karriere zu befördern, ist in China eine übliche Form, den sozialen Aufstieg in die Bourgeoisie oder innerhalb der Bourgeoisie zu fördern und wird mit dem chinesischen Wort „guanxi“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um eine historisch über einen langen Zeitraum gewachsene Form gesellschaftlichen Handelns, das also bereits lange vor der kapitalistischen Ära seine Wurzeln hat, heute aber auch für die Selbstorganisation der Bourgeoisie eine wichtige Rolle spielt.

Bedingung dafür war, dass 2001 die KPCh unter Führung von Jiang Zemin das bis dahin geltende Verbot für Kapitalisten, Mitglieder der Partei zu werden, aufhob. Begründet wurde dies mit der bereits von Mao betriebenen Unterscheidung zwischen „Kompradorenkapitalisten“, die dem ausländischen Imperialismus dienten, und „nationalen“ bzw. „patriotischen“ Kapitalisten, die dem Aufstieg Chinas dienten und damit Bündnispartner der KP sein könnten. De facto waren bereits vorher Kapitalisten Mitglieder der Partei geworden, durch die Reform kam es aber zu einem Zustrom von Unternehmern in die Partei, sodass 2006 bereits 35% der Privatunternehmer ein Parteibuch besaßen. Damit war die Bourgeoisie als Personengruppe in der KP Chinas weit überrepräsentiert – denn nur etwa 6% der Gesamtbevölkerung waren zu diesem Zeitpunkt Parteimitglieder109.

Viele Kapitalisten machen seitdem von dieser Möglichkeit Gebrauch, denn die Mitgliedschaft in der KPCh signalisiert zum einen Loyalität zu den Zielen des Staates und bietet im Gegenzug zahlreiche Möglichkeiten, eigene Geschäftsinteressen in den Staatsapparaten besser durchsetzen zu können. Bekannte führende Mitglieder der chinesischen Bourgeoisie wie Jack Ma, der Gründer der Online-Handelsplattform Alibaba, Ma Huateng („Pony Ma“), der Gründer des IT- und Videospiel-Konzerns Tencent, Qin Yinglin, der „Schweinekönig“ und reichste Agrarindustrielle der Welt oder Liang Hua, Vorsitzender des Huawei-Konzerns, geben sich öffentlich als Mitglieder der KP Chinas aus. In einem Bericht von 2011 wurde festgestellt, dass über 90% der 1000 reichsten Chinesen Mitglieder oder Funktionäre der KP Chinas waren110. Für 2010 stellte die Hurun Rich List (die chinesische Entsprechung des Forbes Magazine) fest, dass von den damals 1363 Yuan-Milliardären in China 12% „bedeutende beratende Regierungsposten besitzen, was ihnen eine mächtige Plattform in einem Geschäftsklima gibt, in dem offizielle Kontakte wichtig sind.“111. Ein Forbes-Artikel von 2011 beklagt: „Fast alle der reichsten Menschen Chinas haben ihr Geld in staatlich dominierten Sektoren wie dem Immobilien- und Bausektor, der Rohstoffindustrie, anderen Schwerindustrien und der Telekommunikation verdient.“. „Das Problem bei diesem staatlich gelenkten Ansatz ist, dass Unternehmer und andere Geschäftsleute die Unterstützung der Partei oder besser noch die Mitgliedschaft in der KPCh brauchen, um voranzukommen112. Seitdem haben sich auch in anderen Branchen, in denen der Staat weniger präsent ist, wie in der Elektronik, im e-Commerce und der Software-Entwicklung extrem reiche Kapitalisten hervorgetan – doch wie die oben genannten Beispiele zeigen, sind auch diese oft Parteimitglieder. Diese sogenannten „roten Kapitalisten“, wie sie wegen ihres vermeintlich „roten“ Parteibuchs teilweise genannt werden, sind in Wirklichkeit keineswegs sonderlich „rot“, was ihre politische Gesinnung angeht – als Gründe für den Eintritt in die Partei gaben diese Kapitalisten in Umfragen vor allem ökonomische Vorteile und Verbindungen zu politischen Entscheidungsträgern an, die sich durch die Parteimitgliedschaft eröffnen113.

Viele dieser Kapitalisten mit Parteibuch sind aktiv daran beteiligt, die staatliche Politik auszuarbeiten. So sind 2023 41 Dollar-Milliardäre Abgeordnete des Nationalen Volkskongresses, des chinesischen Parlaments, und 40 weitere Milliardäre Mitglieder der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes (PKKCV). In keinem anderen Parlament der Welt gibt es so viele Milliardäre. Abgeordneter der PKKCV sind beispielsweise Lei Jun, der Gründer von Xiaomi, einem der weltweit führenden Smartphone-Produzenten. Liu Qingfeng, Gründer des Konzerns iFlyTek, einem führenden Konzern für Spracherkennung und Künstliche Intelligenz, ist Abgeordneter des Nationalen Volkskongresses. Der oben genannte Ma Huateng, einer der reichsten Menschen der Welt, ist nach zehn Jahren Abgeordnetentätigkeit im Parlament inzwischen ausgeschieden114.

Auch in der Führung der KPCh existieren enge familiäre Verbindungen zwischen Parteifunktionären und dem Monopolkapital. 2012 berichtete die New York Times darüber, wie die engsten Verwandten des damaligen chinesischen Premierministers Wen Jiabao während seiner Amtszeit zu enormem Reichtum gekommen waren. Nach Berechnungen der Zeitung belief sich das Vermögen der Familie, das Anteile an Banken, Telekommunikationsunternehmen, Firmen der Tourismusbranche und an Infrastrukturprojekten umfasste, zum damaligen Zeitpunkt umgerechnet auf 2,7 Mrd. US$115. 2017 wurde in diesem Zusammenhang Duan Weihong, eine Milliardärin mit engen Verbindungen zu Wens Familie, wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet. Wen Jiabao selbst versuchte, sich vom Verdacht der Korruption reinzuwaschen und forderte eine Untersuchung116. Infrage gestellt wurde allerdings nur, ob Wens Familie sich auf illegale Weise bereichert hat und ob Wen Jiabao selbst in eine Korruptionsaffäre verwickelt war. Die Existenz des Milliardenvermögens seiner Familie wurde nicht an sich bestritten. Das reflektiert auch im Allgemeinen die Sichtweise der KP Chinas auf privaten Reichtum: Es gilt nicht als problematisch, dass die Gesellschaft in Klassen, in Arme und Reiche, in Ausgebeutete und Ausbeuter gespalten ist. Als politisches Problem wird es erst eingeschätzt, wenn die gesetzlichen Rahmenbedingungen nicht mehr eingehalten werden.

2012 kam eine andere Untersuchung zu dem Ergebnis, dass die Geschwister von Xi Jinping ebenfalls zur obersten Schicht der chinesischen Bourgeoisie zählen. Ihr Vermögen war damals u.a. mit jeweils einigen Hundert Millionen US$ in dem Bergbaukonzern Jiangxi Rare Earth und dem Immobilienkonzern Yuanwei Group angelegt und umfasste schätzungsweise über eine Milliarde US$117.

Der Lobbyismus der Bourgeoisie in China

Neben den personellen Überschneidungen und informellen Verbindungen zwischen staatlichen und Parteifunktionären einerseits und Kapitalisten andrerseits ist, wie überall sonst in der kapitalistischen Welt, auch in China der legale Lobbyismus ein wichtiges Mittel, mit dem das Kapital die Durchsetzung seiner Interessen über den Staat absichert und steuert. Allein die Tatsache, dass in China der Lobbyismus des Kapitals im Wesentlichen eine ähnliche Rolle spielt wie in Ländern der westlichen Welt, verweist ein weiteres Mal auf den kapitalistischen Klassencharakter des sogenannten „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“.

In einem politikwissenschaftlichen Artikel heißt es dazu: „Seit Mitte der 1990er wurde die nationale Wirtschaftspolitik dem Einfluss nicht-staatlicher Interessen unterworfen, vor allem in der Geschäftswelt. Die Industrie interagiert mit der chinesischen Funktionärsschicht auf täglicher Basis auf lokaler und nationaler Ebene, um die Politik so zu formen, dass sie ihren Präferenzen entspricht.“118. Auch wenn hier von „nicht-staatlichen“ Interessen die Rede ist, ist es präziser, allgemein von Kapitalinteressen zu sprechen. Denn Lobbying wird in China ohne wesentlichen Unterschied sowohl von staatlichen als auch privaten aus auch ausländischen privaten Kapitalgruppen betrieben. Auch hier zeigt sich, dass die staatseigenen Firmen im vollen Umfang als kapitalistische Unternehmen mit eigenen Interessen auftreten und in Konkurrenz zueinander sowie in Konkurrenz zum privaten chinesischen sowie ausländischen Kapital versuchen, ihre Profitinteressen in der staatlichen Politik durchzusetzen. Unterschiede im Verhalten lassen sich weniger an der Eigentumsform (staatlich, privat-chinesisch, privat-ausländisch) als vielmehr an der Größe festmachen: Wie auch in anderen kapitalistischen Ländern haben die Monopolkonzerne in China wesentlich umfangreichere Ressourcen und einen engeren Draht zu lokalen und nationalen Regierungen als es kleinere Unternehmen haben. Dies äußert sich beispielsweise darin, dass viele große Konzerne eigene Abteilungen für Lobbying eingerichtet haben, die oft mit ehemaligen Funktionären des Staates und der Partei besetzt sind, die bereits über persönliche Kontakte verfügen und die „Spielregeln“ des chinesischen bürgerlichen Staates kennen119. Deshalb drücken sich im chinesischen Staatsapparat und seiner Politik – so wie in allen bürgerlichen Staaten im Monopolkapitalismus – überproportional die Interessen der Monopole gegenüber denen des nicht-monopolistischen Kapitals aus.

Eine Studie, die das Lobbying sowohl von staatlichen als auch privaten chinesischen sowie ausländischen Unternehmen untersucht, kommt zu folgenden Ergebnissen: Über 85% der untersuchten Firmen waren in Gesetzgebungs- oder Verwaltungsanhörungen anwesend. 90% von ihnen hielten Pressekonferenzen ab und noch mehr verbreiteten ihren Standpunkt über die Medien. Fast alle der Unternehmen waren mindestens einmal im Jahr in Interaktion mit Agenturen der Zentralregierung und den lokalen Regierungen und 82% mit dem Nationalen Volkskongress. Fast 59% der chinesischen Privatunternehmen und 72% der ausländischen Unternehmen gaben an, dass der politische Einfluss der Industrie in den letzten drei Jahren insgesamt gestiegen sei. Fast 70% stimmten der Aussage zu, „guanxi (s.o.) ist der Schlüssel, um die öffentliche Politik zu beeinflussen120.

Der Lobbyismus des Kapitals in China ist dabei durchaus erfolgreich. Aus der zuletzt genannten Studie: „In einigen Sektoren, wie z.B. Energie, scheint es, dass die grundlegenden Entwicklungen weniger durch einen kohärenten Plan der Regierung als durch Unternehmen bestimmt wurden, die die Regierung dahingehend manipulierten, eine Politik in Übereinstimmung mit ihren Interessen umzusetzen121.

Ein zentraler institutionalisierter Kanal für das private Kapital, um seine Interessen durchzusetzen, ist zudem der gesamtchinesische Unternehmerverband, die Allchinesische Föderation für Industrie und Handel (auf englisch ACFIC). Eine weitere Studie untersucht alle Vorschläge, die die ACFIC zwischen 2009 und 2016 gegenüber der Politischen Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes eingegeben hat. Dabei handelte es sich um allgemeine Forderungen zur Verbesserung des Geschäftsklimas, z.B. zur Schaffung neuer Sonderwirtschaftszonen, Forderungen die die Interessen des Privatsektors gegenüber dem staatseigenen Kapital betreffen sowie Forderungen bezüglich der Interessen spezifischer Branchen oder einzelner Firmen122. Die jährliche Politische Konsultativkonferenz „zieht viel Aufmerksamkeit von Medien und der Regierung auf sich. [Durch die Vorschläge der ACFIC] haben wir Gelegenheit, hochrangige Führer der Regierung zu treffen und die Vorschläge können unsere Forderungen in öffentliche Angelegenheiten verwandeln. Daher ist die Eingabe von Vorschlägen bei der PKKCV eine effektive Plattform, um unsere Forderungen an die Regierung zu artikulieren.“, so ein Lobbyist des Internetmonopols baidu123.

Beispiele dafür, wie Unternehmerverbände die öffentliche Politik direkt beeinflusst und verändert haben, gibt es viele. Das war schon bei entscheidenden Weichenstellungen wie der Verfassungsänderung zur Garantie des Privateigentums im Jahr 2004 und der Ausarbeitung des Eigentumsrechts 2007 der Fall124. Hier seien beispielhaft nur zwei Fälle der Beeinflussung konkreter Politik dargestellt (für weitere Beispiele vgl. Huang/Chen 2020).

Erstens der Fall der Handelskammer für die Ölindustrie (CCPI), die über Jahre hinweg Lobbying für die Auflösung des staatlichen Monopols in der Ölbranche betrieben hat. 2011 war die Reaktion der staatlichen Energieverwaltung noch ablehnend, 2012 wurde bereits auf eine erneute Eingabe hin versprochen, man werde Maßnahmen ergreifen, um den Konflikt zu lösen. Im Februar 2013 besuchte dann der stellvertretende Direktor der Öl- und Gasabteilung der Nationalen Energieverwaltung die CCPI und lotete Möglichkeiten für eine Übereinkunft aus. Der Generalsekretär der CCPI sah darin einen Trend: „In der Vergangenheit hätten wir uns sehr glücklich geschätzt, irgendeine Antwort zu erhalten. Heutzutage geben die Ministerien nicht nur Antworten, sondern organisieren auch Treffen mit uns, wenn wir ihre Antworten nicht zufriedenstellend finden. Auf den Treffen lassen sie uns wissen, welche Maßnahmen sie ergreifen, was sie von uns erwarten das wir tun und warum. In der Tat hat sich die Haltung des Ministeriums geändert. Jetzt kommunizieren sie mit uns über alles, auch darüber wie die Vorschläge weiterverarbeitet werden sollen.“125. Im Ergebnis der erneuten Eingabe der CCPI wurden zuerst die Beschränkungen für den Import von Rohöl abgeschafft, die Raffinierung und der Verkauf in den drei großen staatlichen Ölfirmen voneinander getrennt und schließlich 2015 der direkte Import von Rohöl durch Privatunternehmen erlaubt – alles Maßnahmen, die das staatliche Ölmonopol massiv zugunsten des Privatkapitals aushöhlten126.

Ein zweites bedeutendes Beispiel war die Lobbyingkampagne der Industrie zur Beeinflussung der Wechselkurspolitik der chinesischen Zentralbank. Die Banken, einige Think Tanks und die Zentralbank selbst hatten zwischen 2003 und 2005 massiv die Aufwertung des Wechselkurses des Renminbi gefordert. Bereits in Reaktion auf die „Asienkrise“ 1997-99 hatte China seine Währung stark aufgewertet. Die verarbeitende Industrie hingegen, die über gute Verbindungen vor allem zu den Lokalregierungen der stark exportorientierten Küstenprovinzen und zum damals sehr einflussreichen Handelsminister Bo Xilai verfügte, stemmte sich gegen die Aufwertung127. Dahinter standen selbstverständlich entgegengesetzte Interessen von zwei Gruppen des Kapitals: Während die Banken, deren Geldkapital in Yuan angelegt ist, davon profitieren, wenn eine Aufwertung der Währung den Wert ihres Kapitals auf dem Weltmarkt steigert, kann die Aufwertung für das Industriekapital von Nachteil sein, weil sich dadurch die Exporte in andere Länder verteuern und somit an preislicher Wettbewerbsfähigkeit verlieren. So gaben 2008 41% der in einer Studie befragten Exportunternehmen in China an, die Wechselkurspolitik der Regierung als Hauptproblem ihres Geschäftsmodells zu sehen128. Im selben Jahr setzte sich die Exportindustrie und das Handelsministerium durch, die Aufwertungen der Währung wurden nun eingestellt129.

Allgemein ergibt die oben zitierte Studie, dass etwa 20% der kollektiven Eingaben der ACFIC von der Umsetzung einer entsprechenden staatlichen Politik gefolgt werden130. Diese Quote scheint auf den ersten Blick einen eher geringen Erfolg des Lobbyismus auszudrücken, das ist aber nicht der Fall. Oft stellen die Lobbyisten des Kapitals relativ weitgehende Forderungen an die Staatsorgane, die vorerst nicht angenommen werden, aber dazu dienen, den Horizont des Möglichen zu erkunden. Dann kann ein abgeschwächter oder anders abgeänderter Vorschlag erneut abgegeben werden, der mit höherer Wahrscheinlichkeit umgesetzt wird. In anderen Fällen bedarf es einfach wiederholter Eingaben und geduldiger öffentlicher Meinungsbeeinflussung, bis schließlich das Ziel erreicht wird131. Und schließlich liegt auf der Hand, dass nicht alle Forderungen von Kapitalverbänden angenommen werden können, allein schon weil sie oft (wie beim Beispiel der Wechselkurspolitik) den Interessen anderer Teile des Kapitals widersprechen und damit der Einfluss des einen Kapitalisten seine Begrenzung an der Macht seiner Konkurrenten findet.

Schließlich sind auch persönlicher Einfluss und Verbindungen des Kapitals zu hohen Staatsfunktionären wichtig, um Kapitalinteressen auf direktestem Weg durchsetzen zu können. Die ACFIC wird deshalb regelmäßig von den reichsten und einflussreichsten chinesischen Kapitalisten geführt: Li Shufu, der stellvertretende Vorsitzende der ACFIC seit 2017, war zu diesem Zeitpunkt der zehntreichste Mensch in China und Platz 91 auf der Weltrangliste von Forbes. Sein Vorgänger Li Yanhong war der CEO des größten Suchmaschinenbetreibers in China. Auch weitere hochrangige Funktionäre des Verbands wie Xu Guanju, Chen Zhilie und Wang Wenbiao verfügen über Privatvermögen von umgerechnet Milliarden oder einigen Hundert Millionen US$. Diese Großkapitalisten haben enge Verbindungen zur Parteispitze und Regierung auch außerhalb der formellen Kanäle des ACFIC. Beispielsweise war Li Yanhong immer wieder auf Staatsbesuchen als Begleiter von Xi Jinping zu sehen132. Die Studie schlussfolgert: „Die engen Verbindungen zwischen mächtigen Unternehmern und der Partei-Staats-Führung kann diese dazu befähigen, erfolgreich zu kriegen was sie wollen, selbst wenn die ACFIC es abgelehnt hat, einen kollektiven Vorschlag für sie einzureichen133. Und: „Die Macht eines wohlhabenden Unternehmers kommt allerdings nicht nur von seinem oder ihrem Wohlstand, sondern ist auch durch seine oder ihre offizielle Position im Partei-Staats-System bestimmt.“134

Solche Einflussnahme über persönliche Kanäle kann auch auf den institutionalisierten Treffen der KP Chinas mit Nicht-Parteimitgliedern stattfinden, auf denen u.a. Vorschläge und Sichtweisen des Privatkapitals eingeholt werden. Diese sind sehr nützlich dabei, Kapitalinteressen direkt der Regierung und Partei gegenüber geltend zu machen. So erklärt ein Funktionär des ACFIC 2016: „Auf dem diesjährigen Treffen des Präsidenten Xi mit Nicht-Partei-Personal hat die ACFIC Kostensenkungen für Unternehmen vorgeschlagen. Nicht viel später setzte die Regierung Politik zur Kostensenkung, einschließlich der acht Maßnahmen zur Regulierung des Immobilienmarktes, von denen fünf das ACFIC entworfen und eingebracht hatte. Selbst einige Minister hatten möglicherweise nicht solche Gelegenheiten, sich mit Präsident Xi zu treffen. Aber der gegenwärtige Vorsitzende des ACFIC hatte für lange Zeit in Fujian gearbeitet und damals mit Präsident Xi zu tun gehabt. Präsident Xi ist jetzt willig, seine Ideen anzuhören.“135.

An dieser Stelle sollen auch ein paar Worte zu einem beliebten Thema westlicher bürgerlicher Medien verloren werden, nämlich den „verschwindenden Milliardären“ in China. Regelmäßig wird davon berichtet, dass einige der reichsten Kapitalisten des Landes „verschwinden“ würden – damit soll wohl, ähnlich wie durch wiederholte Berichte über Repressionen gegen Separatisten aus Xinjiang und Tibet – der Eindruck erweckt werden, dass der Rivale China eine brutale, bösartige und „kommunistische“ Diktatur ist, gegen die der „demokratische Westen“ sich militärisch und auf andere Weise rüsten müsse. Aber was hat es wirklich damit auf sich? In aller Regel tauchen diese „verschwundenen“ Milliardäre nach einiger Zeit wieder auf. Vermutlich haben sich einige davon für einen begrenzten Zeitraum in Haft befunden, was mit dem Vorgehen der Regierung gegen die Korruption zu tun haben dürfte136. Dies zeigt, dass der Staat in China darauf achtet, dass auch einzelne Mitglieder der Bourgeoisie sich an die gesetzlichen Rahmenbedingungen halten – mit einem Vorgehen gegen Reiche oder die Kapitalistenklasse an sich hat das jedoch nichts zu tun, entgegen dem, was westliche Medien üblicherweise suggerieren. Angesichts von Hunderten Milliardären und noch mehr Multimillionären in China, die innerhalb kürzester Zeit mithilfe des Staates einen gewaltigen privaten Reichtum anhäufen konnten, belegt die zeitweise Inhaftierung einer Handvoll Großkapitalisten wegen Korruption sicherlich keine sozialistische Zielsetzung des Staates und wird überhaupt in seiner Bedeutung deutlich überbetont.

Diese Fakten sollten insgesamt ausreichend gezeigt haben, welchen Klassencharakter der chinesische Staat aufweist. Es handelt sich um einen Staat der chinesischen Kapitalistenklasse. Er vertritt dabei nicht die Interessen einzelner Kapitalisten, sondern die der Bourgeoisie insgesamt, wobei die Monopolbourgeoisie strukturell bessere Voraussetzungen zur Durchsetzung ihrer Interessen als die nichtmonopolistische Bourgeoisie hat. Die regierende Partei und die Staatsapparate dienen als Scharniere, um die Kapitalistenklasse mit dem Staat zu verbinden, ihre Interessen und Sichtweisen direkt in die Politik der Staatsapparate einzubringen und die Kapitalistenklasse hinter einem gemeinsamen Gesamtinteresse zu vereinen. Der chinesische Staat setzt seine Rolle als Vertretung des Gesamtkapitals in besonders aktiver Weise durch, indem er die Kapitalakkumulation gemäß einer gesamtwirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsstrategie organisiert, den freien Verkehr des Kapitals im Interesse dieser Strategie begrenzt und selbst die Kontrolle in strategischen Sektoren der Wirtschaft behält. Sein Wesen als bürgerlicher Klassenstaat drückt sich schließlich, wie das folgende Unterkapitel zeigen wird, auch in den herrschenden ideologischen Leitlinien aus, die die erfolgreiche Produktivkraftentwicklung unter kapitalistischen Bedingungen zum obersten nationalen Ziel erheben.

d. Mit Marx-Zitaten gegen den Marxismus: Die Ideologie der KP Chinas [nach oben]

Die Kommunistische Partei Chinas behauptet in ihrem Statut nach wie vor, als „höchstes Ideal“ und „letztendliches Ziel“ den Kommunismus anzustreben137. Doch was die Partei darunter versteht, erklärt das Dokument nicht. Angesichts des offensichtlich schreienden Widerspruchs zwischen einer durch und durch kapitalistischen Ökonomie und dem offiziellen Bekenntnis zum Kommunismus liegt jedoch auf der Hand, dass die Frage, was die KPCh unter Sozialismus und Kommunismus versteht, dabei die eigentlich entscheidende ist. Das Verständnis von Sozialismus und Kommunismus, das die KP Chinas vertritt, muss aber, da es (bezeichnenderweise) nirgendwo explizit dargelegt wird, mühsam aus verschiedenen Formulierungen in offiziellen Dokumenten und Reden ihrer Führer herausgearbeitet werden.

Es ist zunächst einmal wenig verwunderlich und auch nicht sehr aussagekräftig, dass im Statut der KP Chinas weiterhin der Kommunismus als Ziel festgehalten wird, immerhin trägt die Partei das Adjektiv „kommunistisch“ weiterhin in ihrem Namen und beansprucht auch, in der Nachfolge und Fortsetzung der Chinesischen Revolution von 1949 zu stehen. Die Geschichtspolitik der KPCh hat dabei trotz der kapitalistischen Restauration eine völlige Distanzierung von Mao und der sozialistischen Vergangenheit immer vermieden: Das Porträt Mao Tse-tungs ziert weiterhin das Tor des Himmlischen Friedens in Beijing und alle Geldscheine in China. Als weltanschauliche Grundlage der Partei gelten unter anderem laut Statut weiterhin die sogenannten „Mao Tse-tung-Gedanken“. Der Bezug auf diese Phase der chinesischen Geschichte knüpft aber inhaltlich vor allem an der nationalen Befreiung und dem Wiederaufstieg Chinas an, der durch die Revolution eingeleitet wurde und nicht an der konkreten Politik der früheren KP Chinas zur Überwindung der Klassengesellschaft und zum Aufbau sozialistischer Verhältnisse.

Entscheidend ist also nicht die Frage, mit welchen Symbolen und historischen Traditionslinien die KPCh sich heute noch schmückt, sondern welchen Charakter ihre Politik und Programmatik tatsächlich hat. Einen ersten Hinweis auf die Bedeutung des „Kommunismus“-Verständnisses der KPCh gibt bereits das Statut selbst, in dem der Kommunismus immer wieder als das „höchste Ideal“ der Partei bezeichnet wird. Diese Formulierung entspricht jedoch nicht dem Verständnis des wissenschaftlichen Sozialismus, sondern dem des utopischen Sozialismus, der von Marx, Engels und Lenin bekämpft und überwunden wurde. Dem wissenschaftlichen Sozialismus, d.h. dem Marxismus-Leninismus zufolge ist der Kommunismus eben kein „Ideal“, das sich einige kluge Köpfe ausgedacht haben und bei dem es schön wäre, wenn die Gesellschaft sich danach richten würde. Der Kommunismus ist eine recht genau bestimmte Produktionsweise, also eine Art und Weise, die Produktion der Gesellschaft auf der Grundlage bestimmter Eigentumsverhältnisse, nämlich des gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln, zu organisieren (siehe Kapitel 2). Ohne die zentrale Planung der Produktion und die unmittelbar gesellschaftliche Zuteilung der Produkte an die Konsumenten – eine Art der Verteilung also, bei der die Produkte an keiner Stelle Warencharakter annehmen – kann von kommunistischen Produktions- und Verteilungsverhältnissen keine Rede sein. Das Verständnis des Kommunismus als „höchstes Ideal“ ist einer revolutionären Programmatik zur Erreichung des Kommunismus letzten Endes sogar entgegengesetzt – denn sie degradiert den Kommunismus zu einem moralischen Wertesystem, an dem sich die Partei und ihre Mitglieder irgendwie (also in nicht näher definierter Weise) zu orientieren haben. Der Kommunismus kann aber nur höchst bewusst unter Führung einer revolutionären Partei aufgebaut werden, die die fortgeschrittensten Erkenntnisse der marxistischen Wissenschaft in sich vereint, verallgemeinert und immer wieder aktualisiert, und eben nicht durch die Orientierung an Werten und Idealen. Die falsche Bezeichnung des Kommunismus als Ideal bedeutet, dass die KPCh sich für ihre Politik, die mit einem bewussten Aufbau kommunistischer gesellschaftlicher Beziehungen nicht das geringste zu tun hat, nicht rechtfertigen muss – schließlich handelt es sich ja nur um ein Ideal, an dem man sich irgendwie orientieren sollte und das vielleicht eines schönen Tages verwirklicht werden kann oder auch nicht.

Im Statut legt die KPCh ihre eigene weltanschauliche Grundlage folgendermaßen dar: „Die Kommunistische Partei Chinas stützt sich auf den Marxismus-Leninismus, die Mao-Tse-tung-Gedanken, die Deng-Xiaoping-Theorie, die Theorie der drei Repräsentationen, die wissenschaftliche Perspektive auf die Entwicklung und den Xi-Jinping-Gedanken über den Sozialismus mit chinesischen Merkmalen für eine neue Ära als Leitlinien für ihr Handeln.“138. Sofort fällt auf, dass der Marxismus-Leninismus keineswegs für sich genommen die Weltanschauung der Partei bildet, wie es bei einer tatsächlich kommunistischen Partei der Fall wäre, sondern lediglich einen von vielen, gleichrangig nacheinander aufgezählten Bezugspunkten darstellt. Zudem ist der Marxismus-Leninismus nach dem Verständnis der KPCh lediglich die Enthüllung „der Gesetzmäßigkeiten, die die Geschichte der menschlichen Gesellschaft bestimmen.“139. Dass der Marxismus-Leninismus in Wirklichkeit keineswegs nur ein Instrument zur Analyse ist, sondern vor allem zur bewussten Veränderung der Welt in Richtung der Überwindung der Klassen und Schaffung einer von Ausbeutung und Klassen befreiten Gesellschaft, fehlt in dieser Definition – und da die KPCh in ihrer Politik die Klassengegensätze keineswegs überwindet, sondern im Gegenteil weiter ausweitet, ist das sicherlich kein Zufall.

Neben dem Marxismus-Leninismus werden die „Mao-Tse-tung-Gedanken“ genannt und (was ebenfalls fragwürdig ist, siehe Kapitel 3a) als „Anwendung des Marxismus-Leninismus in China“ definiert. Doch die wirkliche programmatische Linie der KP Chinas bedient sich nur sehr selektiv an den Gedanken Mao Tse-tungs, insofern diese sich (wie etwa seine Theorie der „nicht-antagonistischen Widersprüche“ und der „nationalen Bourgeoisie“) zur ideologischen Rechtfertigung des kapitalistischen Entwicklungsprogramms nutzen lassen. Die Linie ist vor allem von den danach genannten Konzepten bestimmt: Den ideologischen Standpunkten Deng Xiaopings, der sogenannten „Theorie der drei Repräsentationen“, der sogenannten „wissenschaftlichen Perspektive auf die Entwicklung“ und den „Xi-Jinping-Gedanken“. Mit den Inhalten der „Deng-Xiaoping-“ und „Xi-Jinping-Gedanken“ werden wir uns weiter unten genauer beschäftigen.

Die „drei Repräsentationen“ oder „drei Vertretungen“, die vom ehemaligen Generalsekretär der Partei Jiang Zemin eingeführt und dann von der KPCh in völlig überzogener Weise zu einer „Theorie“ aufgeblasen wurden, besagen nichts anderes, als dass die Partei die Erfordernisse der Entwicklung fortgeschrittener Produktivkräfte sowie einer fortgeschrittenen Kultur verfolgen und dabei die Interessen der Mehrheit des chinesischen Volkes verfolgen soll. Übersetzt bedeutet das nichts anderes, als dass das rapide kapitalistische Wirtschaftswachstum, das nach Auffassung der Partei eben den Interessen der Mehrheit des Volkes entspricht, weiterhin angestrebt wird und gleichzeitig die Herausbildung einer nationalen Kultur verfolgt wird. Auch Jiangs Nachfolger Hu Jintao hat mit der „wissenschaftlichen Perspektive auf die Entwicklung“ seinen „Beitrag“ zur Ideologie der Partei geleistet. Diese „wissenschaftliche“ Perspektive wird folgendermaßen inhaltlich ausgeführt: „Die wissenschaftliche Perspektive auf die Entwicklung ist eine wissenschaftliche Theorie, die mit dem Marxismus-Leninismus, dem Mao-Zedong-Gedanken, der Deng-Xiaoping-Theorie und der Theorie der drei Repräsentationen übereinstimmt und gleichzeitig mit der Zeit geht. Sie verkörpert die marxistische Weltanschauung und Entwicklungsmethodik in vollem Umfang und stellt eine große Leistung bei der Anpassung des Marxismus an den chinesischen Kontext dar. Sie ist eine Kristallisation der kollektiven Weisheit der Kommunistischen Partei Chinas und eine Leitideologie, die bei der Entwicklung des Sozialismus mit chinesischen Merkmalen langfristig beibehalten werden muss.“140. Das einzig Hervorzuhebende in diesen Ausführungen, deren Aussagekraft fast Null ist, ist die Zielstellung des „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“. Dieser wiederum wird im Statut 28mal erwähnt, aber an keiner Stelle auch nur ansatzweise inhaltlich bestimmt. Was damit eigentlich gemeint ist, sehen wir uns nun an.

Das Ziel der KP Chinas: „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“

Der „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ ist die offizielle Bezeichnung für das Gesellschaftssystem, das die KPCh anstrebt. Die Weltanschauung der heutigen KPCh ist dabei stark geprägt von Deng Xiaoping. Deng gilt bis heute zurecht als der „Architekt“ der „Reform- und Öffnungspolitik“. Er schuf die ideologischen Grundlagen und Rechtfertigungen dieser Politik, vor allem, indem er den marxistischen Sozialismusbegriff liquidierte, dabei allerdings umso sorgfältiger darauf achtete, seiner Position einen marxistischen Anstrich zu geben. Bereits 1979, am Beginn der „Reform und Öffnung“, erklärte er: „Es ist falsch zu behaupten, dass eine Marktwirtschaft nur in der kapitalistischen Gesellschaft existiert und dass es nur eine “kapitalistische” Marktwirtschaft gibt. Warum können wir nicht auch im Sozialismus eine Marktwirtschaft entwickeln? Eine Marktwirtschaft zu entwickeln bedeutet nicht, Kapitalismus zu praktizieren … Wir können nicht sagen, dass es Marktwirtschaft nur im Kapitalismus gibt. Die Marktwirtschaft befand sich schon in der feudalistischen Gesellschaft in ihrem Anfangsstadium. Wir können sie sicherlich im Sozialismus entwickeln141. Und 1985 erklärte er: „Es gibt keinen grundlegenden Widerspruch zwischen dem Sozialismus und einer Marktwirtschaft142. 1992 noch deutlicher: „Planwirtschaft ist nicht dasselbe wie Sozialismus, auch im Kapitalismus gibt es Planung; und Marktwirtschaft ist nicht dasselbe wie Kapitalismus, auch im Sozialismus gibt es einen Markt. Planung und Markt sind gleichermaßen Instrumente der Wirtschaft143.

Bereits in der Anfangsphase der kapitalistischen „Reformen“ machte Deng implizit sehr deutlich, dass es ihm um nichts geringeres ging als um die völlige Aufgabe des marxistischen Verständnisses des Sozialismus und damit auch um ein Ende des Aufbaus des Sozialismus. Seine Argumentation, dass die „Marktwirtschaft“ an sich nicht kapitalistisch sei, da es bereits im Feudalismus Märkte gegeben habe, ist selbstverständlich vollkommen falsch. Denn, wie Marx und Engels aufzeigten, war die Expansion von Warenproduktion und -austausch in der Feudalgesellschaft gerade der Anfangspunkt der Herausbildung kapitalistischer Beziehungen, die sich damals aber noch in den Nischen der Gesellschaft entwickelten und noch nicht vorherrschend geworden waren. Zwar ist eine warenproduzierende Gesellschaft per se noch nicht kapitalistisch, aber sie enthält bereits den Kapitalismus als Keim in sich (siehe Kapitel 2). Offenbar hatte Deng Xiaoping „Das Kapital“ von Marx entweder nie gelesen, oder nie verstanden oder er stellte sich bewusst gegen die Analyse von Marx, denn dieser hatte in seinem Werk schließlich dargelegt, wie sich aus der Ware als gewissermaßen der Keimzelle die kapitalistische Produktionsweise in ihrer Gesamtheit mit logischer und historischer Notwendigkeit entfaltet. Deng ignoriert diese wesentliche Erkenntnis völlig, für ihn sind die Produktion von Waren, ihr Austausch auf dem Markt und damit natürlich auch das Privateigentum an Produktionsmitteln neutrale „Instrumente der Wirtschaft“, die per se noch keinen gesellschaftlichen Charakter haben. Markt und Plan können deshalb nach Bedarf eingesetzt werden, um das eigentliche Ziel zu erreichen, nämlich die Entwicklung der Produktivkräfte.

Denn dass Deng unter Sozialismus im Kern die Entwicklung der Produktivkräfte verstand, formulierte er 1980 völlig eindeutig: „Wenn die Wirtschaft über einen langen Zeitraum stagniert, kann man nicht von Sozialismus sprechen. Wenn der Lebensstandard der Menschen über einen langen Zeitraum auf einem sehr niedrigen Niveau bleibt, kann er nicht als Sozialismus bezeichnet werden.“144.

Sozialismus war für Deng dementsprechend nicht wie für den Marxismus eine Gesellschaft, die auf dem gesellschaftlichen Eigentum an Produktionsmitteln, der zentralen Planung und der politischen Macht der Arbeiterklasse beruht; für ihn war das entscheidende Kriterium, ob „die Wirtschaft“ und der Konsum der Bevölkerung wachsen. Noch deutlicher definiert Deng auf seiner Tour durch Südchina im Jahr 1992: Sozialismus sei dadurch bestimmt, dass erstens die Produktivkräfte entwickelt würden, zweitens die nationale Stärke des Landes erhöht werde und drittens der Lebensstandard sich erhöhe145. „Manche Leute scheuen vor Reform und Öffnung zurück, weil sie fürchten, den kapitalistischen Weg einzuschlagen (…). Das Hauptkriterium der Beurteilung, ob ein Weg kapitalistisch oder sozialistisch ist liegt in der Antwort auf die Frage: Fördert er das Wachstum der Produktivkräfte in einer sozialistischen Gesellschaft, steigert er die nationale Stärke des sozialistischen Staates, und erhöht er den Lebensstandard des Volkes?“146.

Die Reduktion des Sozialismusbegriffs auf erhöhten Lebensstandard ist natürlich völlig falsch. Auch die kapitalistische Entwicklung eines Landes kann die Konsummöglichkeiten breiter Bevölkerungsschichten vermehren. Offensichtlich ist das im Verlauf der Entwicklung des Kapitalismus auch immer wieder geschehen: Nicht nur in den entwickelten kapitalistischen Ländern lebt die Arbeiterklasse heute in besseren Wohnungen, konsumiert mehr Nahrung und hat ein höheres Bildungsniveau als während der Industriellen Revolution. Auch in sogenannten „Schwellenländern“ ist das der Fall – auch in Brasilien oder der Türkei besitzen heute viele Menschen z.B. ein Handy oder einen PC, natürlich ohne deshalb aus der grundsätzlichen Armut, also der Unterwerfung ihres Lebens unter das Kapital, zu entkommen. Mit dem von Deng vertretenen Verständnis des „Sozialismus“ wäre jede Entwicklungsphase mit sich verbesserndem Lebensstandard und jede Aufschwungphase des kapitalistischen Konjunkturzyklus, in denen die Arbeiterklasse immer tendenziell verbesserte Bedingungen hat, um für bessere Löhne zu kämpfen, bereits „Sozialismus“. Da die KP Chinas sich bereits in den 1980er Jahren diese „Theorie“ als Leitlinie zu eigen machte, müssen wir festhalten, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt der Marxismus im Wesentlichen nicht mehr die Grundlage ihres Handelns bildete und wir daher nicht mehr von einer kommunistischen Partei sprechen können.

Diese Entwicklung hat sich seitdem ungebrochen fortgesetzt und vertieft. Das „Sozialismus“-Verständnis der KP Chinas folgt seit Deng Xiaoping konsequent der oben dargestellten Auffassung Dengs, wonach „Sozialismus“ im Wesentlichen Produktivkraftentwicklung, gegebenenfalls verbunden mit einem gewissen Maß sozialer Umverteilung und lenkender Rolle des Staates bedeutet, aber keineswegs wie im Marxismus eine neue Produktionsweise, in der die Produktionsmittel sich unter der Kontrolle der Arbeiterklasse befinden und gemäß einer zentralen Planung für die Bedürfnisbefriedigung der gesamten Gesellschaft eingesetzt werden.

So hält das ZK der KP Chinas fest: „dass sowohl der öffentliche als auch der nicht-öffentliche Sektor wichtige Bestandteile der sozialistischen Marktwirtschaft und eine wichtige Grundlage für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung Chinas sind. Hinsichtlich des Schutzes der Eigentumsrechte weist der Beschluss darauf hin, dass die Eigentumsrechte sowohl des öffentlichen als auch des nicht-öffentlichen Sektors unantastbar sind.“ 147. Ähnlich an anderer Stelle: „Auch die Eigentumsrechte des öffentlichen Sektors sind unantastbar, ebenso wie die des privaten Sektors. Der Staat schützt die Eigentumsrechte und legitimen Interessen aller Wirtschaftssektoren148.

Und: „Unsere Betonung der Notwendigkeit, den öffentlichen Sektor zu konsolidieren und zu entwickeln, und unsere Politik, die Entwicklung des privaten Sektors zu fördern, zu unterstützen und zu lenken, stehen nicht im Widerspruch zueinander, sondern sind von Natur aus kohärent (…) Der öffentliche und der private Sektor der Wirtschaft sollten sich gegenseitig verstärken und voneinander profitieren; es gibt keinen Grund für Konflikte oder Streit149. Nach dem Verständnis des „sinisierten Marxismus“ ist der „Sozialismus“ ein Zusammenspiel aus Privatsektor und Staatsunternehmen (die, wie wir gesehen haben, ebenfalls kapitalistische Unternehmen sind). Entscheidend ist dabei auch, dass die KP Chinas explizit jede Vorstellung eines Klassenkampfes, der sich gegen den kapitalistischen Sektor bzw. auf dessen Zurückdrängung oder zumindest Einhegung richtet, explizit ablehnt, für derartige Konflikte gebe es schließlich „keinen Grund“. Anstelle des Sozialismus ist das Ziel der KP Chinas heute die „harmonische Gesellschaft“, in der staatliches und privates Kapital, Arbeiterklasse und Bourgeoisie konfliktfrei miteinander auskommen. Diese „Harmonie“ soll erreicht werden, indem der Arbeiterklasse begrenzte materielle Zugeständnisse gemacht werden und sie dafür akzeptieren soll, dass sie ausgebeutet wird, dass also der gewaltige Reichtum des Landes, den sie täglich mit ihrer Hände Arbeit erschafft, nicht in ihrem Eigentum verbleibt, sondern von der parasitären Kapitalistenklasse angeeignet wird, die sich davon immer neue repräsentative Bürotürme, luxuriöse Yachten und Privatjets leistet.

In einer Rede vor dem Politbüro der Partei über die „unsichtbare Hand“ und die „sichtbare Hand“ in der Wirtschaftsentwicklung erklärte Xi: „Der Vorschlag, den Markt die entscheidende Rolle bei der Verteilung der Ressourcen spielen zu lassen, ist ein Durchbruch im Verständnis unserer Partei für die Gesetze, die die Entwicklung des Sozialismus mit chinesischen Merkmalen regeln, sowie eine neue Errungenschaft bei der Sinisierung des Marxismus. Er symbolisiert, dass die sozialistische Marktwirtschaft in eine neue Phase eingetreten ist150. Die „neue Phase“ der „sozialistischen Marktwirtschaft“ besteht also für Xi eben nicht darin, dass mit zunehmender Entwicklung des „Sozialismus“ der gesellschaftliche Charakter des Eigentums gestärkt würde, sondern im genauen Gegenteil: Wie die KP Chinas offen eingesteht, ist der Markt, und keineswegs politische Entscheidungen des Staates, der entscheidende Mechanismus, der die Verteilung der Ressourcen auf die Wirtschaftssektoren und damit die wirtschaftliche Entwicklung insgesamt in erster Linie steuert. Dass Xi sich dabei auf die berühmte Formulierung von Adam Smith stützt, wonach der kapitalistische Markt durch eine „unsichtbare Hand“ angeblich immer im Gleichgewicht sei und das bestmögliche Ergebnis für Alle garantiere, zeigt zudem, wie sehr seine Weltanschauung im Gegensatz zum Marxismus steht: Auch Xi begreift offensichtlich hier den kapitalistischen Markt als ein neutrales Instrument, das Effizienz garantiert. Er unterschlägt, dass der Kapitalismus aus sich heraus permanent sich selbst untergräbt und deshalb von einer Krise in die nächste stolpern muss. So erklärte Xi auf dem World Economic Forum (einem internationalen Treffen des Monopolkapitals, das jährlich in Davos in der Schweiz stattfindet und Vertreter der Großbourgeoisie sowie Politiker, Journalisten und NGOs, die in ihrem Interesse handeln, vereint) zur 2008 ausgebrochenen Weltwirtschaftskrise, diese sei „kein unvermeidliches Ergebnis der ökonomischen Globalisierung; vielmehr ist sie die Folge eines übermäßigen Drangs nach Profit durch das Finanzkapital und eines schweren Versagens der Finanzregulierung151. Offenbar hat die KP Chinas keinerlei marxistische Krisenanalyse, sie hat – trotz eines breiten Spektrums dazu vorliegender Forschung – kein Verständnis davon, dass die sogenannte „Finanzkrise“ eine Erscheinungsform einer tiefer liegenden strukturellen Überakkumulation ist, die einen Zusammenbruch der Kapitalakkumulation in der Industrie bewirkte. Xi spricht so, als wäre nicht das kapitalistische Gesamtsystem in die Krise geraten, sondern lediglich ein bestimmter Sektor der Wirtschaft, nämlich das Finanzsystem, das unter dem Fehlverhalten der Kapitalisten und dem Mangel an Regulierung leide. Diese bürgerliche Sichtweise ist nicht zufällig – sie ermöglicht es der KP Chinas, weiterhin ihren Kurs zu rechtfertigen, wonach das Kapital lediglich vom Staat in die „richtigen“ Bahnen gelenkt werden müsse, um zum Nutzen der ganzen Gesellschaft zu fungieren.

Dass Xi kein marxistisches Krisenverständnis hat und als bürgerlicher Politiker auch nicht haben kann, wird anhand der folgenden Aussagen noch deutlicher: In einer Rede vor dem Zentralkomitee aus dem Jahr 2016 führt Xi detailliert aus, weshalb in der Auseinandersetzung zwischen „keynesianischer“ (also nachfrageorientierter) und angebotsorientierter („neoliberaler“) Wirtschaftspolitik der zweiten der Vorzug zu geben sei: „Die internationale Erfahrung zeigt, dass die Entwicklung eines Landes im Wesentlichen von der Angebotsseite bestimmt wird152. „Angebot und Nachfrage sind die beiden Grundlagen der inneren Beziehungen in der Marktwirtschaft. Sie sind gegensätzlich und einheitlich, voneinander abhängig und bedingen sich gegenseitig. Neue Nachfrage erzeugt neues Angebot und neues Angebot erzeugt neue Nachfrage153. Xis Glaube, dass jedes Angebot sich seine Nachfrage erschaffe, ist dabei mitnichten die Auffassung des Marxismus. Im Gegenteil handelt es sich um das sogenannte „Saysche Gesetz“, eine der zentralen Annahmen der liberalen „neoklassischen“ Ökonomik, die von Marx scharf kritisiert wurde: Diese geht im Gegensatz zum Marxismus (aber auch im Gegensatz zu anderen bürgerlichen Theorien) davon aus, dass eine kapitalistische Ökonomie sich selbst reguliert und immer im Gleichgewicht ist – weil jedes Angebot sich seine Nachfrage schafft, kann es schließlich keine Überproduktion geben. Krisen sollte es nach dieser – offensichtlich falschen – liberalen Theorie also nicht geben, weshalb Ideologen des Kapitalismus wie Xi Jinping auf alternative „Erklärungen“ (mangelnde Regulierung, „externe Schocks“, individuelles Fehlverhalten) ausweichen müssen.

Der „sinisierte Marxismus“: Marx und Engels werden zu bürgerlichen Ideologen verfälscht

Der Marxismus ist für die KP Chinas immer noch gelegentlich eine Referenz, allerdings so gut wie immer völlig inhaltsleer. So werden in Reden Xi Jinpings ab und zu Marx und Engels zitiert, aber ohne dass die Bedeutung ihrer Aussagen dabei verständlich gemacht oder überhaupt Berücksichtigung finden würde.

Um nur ein Beispiel anzuführen: In einem Abschnitt, wo Xi über die Notwendigkeit weiterer kapitalistischer Reformen spricht, zitiert er – scheinbar völlig willkürlich – die berühmte Aussage von Marx „In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen154. Xi fährt lückenlos mit seinen Ausführungen fort: „Bei der Fortsetzung unserer umfassenden Reformen sollten wir uns weiterhin auf die Wirtschaftsreformen konzentrieren und uns um Durchbrüche bei der Reform von Schlüsselbereichen bemühen, damit diese Durchbrüche die Reformen in anderen Bereichen vorantreiben und stimulieren und sicherstellen, dass diese Reformen zusammenarbeiten und gemeinsam vorankommen können. Wir sollten in dieser Hinsicht nicht zersplittert und unkoordiniert vorgehen155.

Marx spricht in seinem Text über das Verhältnis des ideologischen und politischen Überbaus zur ökonomischen Basis der Gesellschaft und insbesondere zu den Produktionsverhältnissen. Nicht zuletzt impliziert er damit, dass auf einer kapitalistischen ökonomischen Grundlage sich nur eine kapitalistische Staatsmacht entwickeln kann und auch die herrschende Ideologie eine kapitalistische sein muss – deshalb ist es auch nicht möglich, unter der Führung einer kommunistischen Partei und eines proletarischen Staates über Jahrzehnte hinweg den Kapitalismus zu entwickeln, ohne dass der Staat und die Partei ihren Klassencharakter entsprechend ändern werden. Xi Jinping denkt aber nicht daran, irgendwelche Schlüsse aus dem von ihm verwendeten Marx-Zitat zu ziehen. Im Gegenteil nutzt er die Textstelle von Marx als Referenz, um für ein in sich konsistentes Programm der kapitalistischen Reformen zu werben. Marx‘ Hinweis auf den dialektischen Zusammenhang zwischen Basis und Überbau wird mit Gewalt so verdreht, dass er als Anleitung für die Verwaltung des Kapitalismus genutzt werden kann – schließlich habe Marx ja auch gesagt, dass alles mit allem irgendwie zusammenhängt, weshalb man den Zusammenhang verschiedener „Reformen“ miteinander bedenken müsse.

Auf solche und ähnliche Weise wird der Marxismus immer wieder von der KP Chinas als Mittel für das Management der kapitalistischen Entwicklung missbraucht. „Wir alle müssen uns besser in die Lage versetzen, den Marxismus zur Analyse und Lösung praktischer Probleme einzusetzen“, so Xi156. Nun ist der Marxismus aber gerade keine „Problemlösungstheorie“, wie sie die bürgerliche Politikwissenschaft kennt und zur effizienteren Regulierung der kapitalistischen Widersprüche entwickelt. Er ist ganz im Gegenteil eine Theorie, die die Notwendigkeit der revolutionären Überwindung dieses Systems nachweist und aufzeigt, wie diese eben aufgrund des Selbstwiderspruchs der kapitalistischen Gesellschaft möglich ist.

Einen Einblick, was der von der KP Chinas vertretene „Marxismus“ inhaltlich bedeutet, gibt David Kotz, der 2006 an einer „Internationalen Konferenz über Eigentum und Eigentumsrechte“ in Beijing teilnahm157. Die Konferenz fand im Kontext einer politischen Debatte um ein neues Gesetz über Eigentumsrechte statt und wurde von der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Deutschland unterstützt. Auf dieser Konferenz wurden laut Kotz folgende Aussagen getätigt: Ein Funktionär der Zentralen Parteischule der KP Chinas argumentierte, dass der Börsengang eines Staatsunternehmens (also seine Privatisierung) eine „Vergesellschaftung des Eigentums“ bedeute, wie Marx und Engels sie angestrebt hätten, da nun das Eigentum von einem einzelnen an eine Vielzahl von Eigentümern übergehe. Zudem habe Marx sich für das Privateigentum an Aktien eingesetzt. Marx habe übersehen, dass es „Risikoarbeit“ gebe, die von den Kapitalisten geleistet werde, indem sie mit ihren Investitionen ein Risiko eingingen – damit wurde offensichtlich impliziert, dass Kapitalisten eine Art von Arbeitern seien, weshalb die KP Chinas gut daran tue, ihnen die Parteimitgliedschaft zu ermöglichen

Verschiedene Redebeiträge behaupteten, dass Unternehmen in der „sozialistischen Marktwirtschaft“ nur dann effizient sein könnten, wenn sie in privatem Eigentum seien. Das Eigentum an Unternehmen habe, so wurde in Übereinstimmung mit Deng Xiaoping argumentiert, nichts damit zu tun, ob ein Land kapitalistisch oder sozialistisch sei. Sozialistisch wäre ein Land dadurch, dass die Regierung den Mehrwert besteuert und die Einnahmen für Renten und Sozialprogramme ausgebe. Der „moderne Kapitalismus“ schaffe graduell eine neue Form des Kapitalismus, die sich mehr dem Sozialismus annähere. In Bezug auf die Geschichte Chinas wurde argumentiert, dass die KP Chinas in den ersten Jahren der Volksrepublik mit der Neuen Demokratie (in der Periode, wo das private Kapital noch existierte) einen korrekten Ansatz verfolgte und der Beschluss zum Aufbau des Sozialismus in den 50ern ein Fehler gewesen wäre.

Einige Kongressteilnehmer argumentierten auch gegen die prokapitalistische Neuinterpretation des Marxismus, wie Kotz berichtet. Das zeigt, dass 2006 – sicherlich in größerem Maße als heute – der kapitalistische Entwicklungsweg innerhalb der KP Chinas noch umkämpft war. Doch auch damals stand außer Zweifel, dass der prokapitalistische Standpunkt dominierend war.

So hatte bereits im Jahr 2004 das ZK der KP Chinas eine Kampagne zur „Weiterentwicklung der marxistischen Theorie“ ausgerufen, wobei es darum ging, die Marxismus-Lehrbücher entsprechend den veränderten Bedürfnissen der Partei umzuschreiben. Alle Kerninhalte des Marxismus, die als Kritik des chinesischen Kapitalismus interpretiert werden könnten, wurden entfernt. Originaltexte der marxistischen Klassiker werden ohnehin an Schulen und Universitäten normalerweise nicht verwendet, sodass ein Zugang zum Marxismus, der nicht durch die Ideologen der KP Chinas verfälscht wäre, nicht vorgesehen ist. Ein Professor der Sun Yat-sen-Universität Guangzhou beurteilt das Ergebnis folgendermaßen: „Diese Textbücher entsprachen den politischen Anforderungen der Partei, sie hatten keinerlei intellektuellen Wert.“158.

Wird China 2049 zum Sozialismus zurückkehren? – zur Widerlegung einer verbreiteten Legende

Bezüglich der programmatischen Zielstellungen der KP Chinas in der heutigen Zeit hält sich hartnäckig der Mythos, die Partei würde die gegenwärtige kapitalistische Entwicklung nur als vorübergehend betrachten und irgendwann in der Zukunft – oft wird das Jahr 2049, also der 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China genannt – zum sozialistischen Weg zurückkehren. Abgesehen davon, dass stark bezweifelt werden kann, ob eine solche Kehrtwende ohne eine erneute Revolution überhaupt möglich wäre (dazu weiter unten mehr), ist es schlicht eine Legende, dass die KP Chinas ein solches Ziel verfolgen würde. Nicht nur gibt es dafür keinerlei Anhaltspunkte oder entsprechende Aussagen – ganz im Gegenteil mangelt es nicht an Stellungnahmen hochrangiger Führer der KP Chinas und des chinesischen Staates die das exakte Gegenteil verkünden. Auch wenn der „Sozialismus mit chinesischen Charakteristika“ nirgendwo inhaltlich erschöpfend definiert wird, ergibt sich aus der Vielzahl von Reden und Aussagen hochrangiger Politiker der Partei dennoch ein umfassendes und klar konturiertes Bild, was damit gemeint ist.

Zunächst folgen nun einige Zitate, die eindeutig klarstellen, dass der kapitalistische Entwicklungsweg aus Sicht der „Kommunistischen“ Partei Chinas für die Ewigkeit gedacht ist. Xi Jinping 2012: „Die Politik der Reform und Öffnung ist eine ständige Aufgabe und wird nie enden. Ohne Reformen und Öffnung wäre China nicht das, was es heute ist, und hätte auch nicht die Aussicht auf eine bessere Zukunft. Die Probleme, die bei der Reform und Öffnung auftreten, können nur durch die Reform und Öffnung gelöst werden.“159. Ein Jahr später: „Wir werden in eine Sackgasse geraten, wenn wir auf unserem Weg ins Stocken geraten oder den Rückwärtsgang einlegen; Die Reform und Öffnung ist immer im Gange und wird niemals enden.“160. „Die Antwort lautet seit jeher: Reform und Öffnung. Mit Blick auf die Zukunft gibt es keine Alternative zur Fortsetzung der Reform und der Öffnung, wenn wir alle Arten von schwierigen Problemen, die unsere Entwicklung behindern, lösen, die Risiken entschärfen und die Herausforderungen in allen Bereichen bewältigen, die Vorteile des Sozialismus mit chinesischen Merkmalen besser zur Geltung bringen und die stetige und gesunde Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft fördern wollen.“161. In einer anderen Rede 2013: „Unsere Politik der Nutzung ausländischer Investitionen und des Schutzes der legitimen Rechte und Interessen ausländischer Unternehmen im Einklang mit dem Gesetz wird sich nicht ändern. China wird seine Tür zur Außenwelt niemals verschließen. In den letzten zehn Jahren hat es seine Versprechen gegenüber der WTO erfüllt, indem es ein offeneres und standardisiertes Geschäftsumfeld geschaffen hat. Wir werden neue Bereiche erschließen und einen tieferen Zugang ermöglichen. Unsere Wirtschaft wird für ausländische Investoren offen bleiben, und wir hoffen, dass andere Länder chinesischen Investoren den gleichen Zugang gewähren werden162.

In einer Rede auf dem Treffen der BRICS-Staaten 2013 erklärte Xi Jinping, was mit der oft zitierten Parole, bis 2049 ein „wohlhabendes, starkes, demokratisches, kulturell fortgeschrittenes, harmonisches und modernes sozialistisches Land“ zu werden, gemeint ist. Dass damit keine Rückkehr zum Sozialismus gemeint sein kann, ergibt sich bereits daraus, dass die KP Chinas unter „Sozialismus“ seit Beginn der kapitalistischen „Reformen“ unter Deng Xiaoping vor allem ein Modell der beschleunigten Produktivkraftentwicklung versteht und den aktuellen Entwicklungsweg ja ebenfalls als „sozialistisch“ bezeichnet. Dazu erklärte Xi: „Wir werden China bis zum Jahr 2049, wenn wir den hundertsten Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China begehen, zu einem modernen sozialistischen Land aufbauen, das wohlhabend, stark, demokratisch, kulturell fortgeschritten und harmonisch ist. Um diese (…) Ziele zu erreichen, werden wir die Entwicklung weiterhin zu unserer obersten Priorität und das Wirtschaftswachstum zu unserer zentralen Aufgabe machen und die wirtschaftliche und soziale Entwicklung fördern. Unser Entwicklungsbestreben ist ein offenes, denn wir werden der grundlegenden staatlichen Politik der Öffnung nach außen und der für beide Seiten vorteilhaften Strategie der Öffnung und weiteren Liberalisierung unserer Wirtschaft verpflichtet bleiben163. Für Xi und die KPCh steht also der „Sozialismus“ in keinerlei Widerspruch dazu, die Volkswirtschaft weiter für das ausländische Kapital zu öffnen und durch die weitere Liberalisierung die Handlungsspielräume des Kapitals immer weiter zu vergrößern.

Xi Jinping 2022 weiter in seinem Bericht an den 20. Parteitag der KP Chinas: „Die nächsten fünf Jahre werden entscheidend dafür sein, dass unsere Bemühungen um den Aufbau eines modernen sozialistischen Landes in jeder Hinsicht einen guten Start haben. Unsere wichtigsten Ziele und Aufgaben für diesen Zeitraum sind die folgenden: (…) Weitere Fortschritte bei der Reform und Öffnung; (…) Weiteres Engagement für die Vertiefung der Reformen und die Öffnung. Wir müssen unsere Anstrengungen verstärken, um die Reformen voranzutreiben und neue Wege zu beschreiten, und wir müssen die Öffnung unbeirrt weiter vorantreiben.“164. Davon, den privaten kapitalistischen Wirtschaftssektor zurückzudrängen, das staatliche Eigentum zu stärken oder den Charakter der Wirtschaftsplanung in Richtung verbindlicher Vorgaben zu verändern, ist nicht die Rede.

Waren all diese Bekenntnisse zum Kapitalismus noch nicht eindeutig genug? Dann vielleicht die folgenden zwei Aussagen: Liu He, Vize-Premierminister der Volksrepublik China 2023 auf dem World Economic Forum:

Erstens müssen wir die wirtschaftliche Entwicklung immer als die primäre und zentrale Aufgabe betrachten. (…)

Zweitens müssen wir den Aufbau einer sozialistischen Marktwirtschaft stets zur Richtschnur unserer Reformen machen. Wir müssen dem Markt eine entscheidende Rolle bei der Zuteilung von Ressourcen zugestehen und der Regierung eine bessere Rolle zugestehen. Einige Leute sagen, dass China zur Planwirtschaft zurückkehren wird. Das ist auf keinen Fall möglich. Wir werden die Reform staatlicher Unternehmen vertiefen, den Privatsektor unterstützen und fairen Wettbewerb, das Aufbrechen von Monopolen und das Unternehmertum fördern.

Drittens müssen wir stets eine umfassende Öffnung fördern. Die Öffnung als grundlegende staatliche Politik ist ein Katalysator für Reformen und Entwicklung und ein wichtiger Motor für den wirtschaftlichen Fortschritt in China. Chinas Tür nach außen wird sich nur weiter öffnen.165

Und ganz ähnlich wieder Xi Jinping: „Die Reformpraxis hat uns vor Augen geführt, dass wir uns auf keinen Fall davon abwenden dürfen, auf die Blindheit des Marktes zu reagieren und dass wir nicht auf den alten Weg der Planwirtschaft zurückkehren dürfen166.

All diese Aussagen lassen keinerlei Interpretationsspielraum übrig: Die KP Chinas bekennt sich explizit dazu, den kapitalistischen Entwicklungsweg des Landes (den die KP Chinas, wie wir gesehen haben, als „Sozialismus“ bezeichnet) für immer weiter zu verfolgen. Eine Rückkehr zur Planwirtschaft wird, ebenso wie jede substanzielle Einschränkung der Handlungsfreiheit der Kapitalisten, ganz explizit ausgeschlossen.

Unsere Betrachtung der programmatischen Ziele der KP Chinas verbietet jede andere Schlussfolgerung als diese: Die KP Chinas ist nur dem Namen nach noch eine kommunistische Partei. Ihrem Wesen nach ist sie das direkte Gegenteil – sie ist eine Partei der kapitalistischen Modernisierung der Volkswirtschaft, deren zentrales Ziel die immer weitere Stärkung der Position Chinas innerhalb des imperialistischen Weltsystems ist.

Das Verhältnis der KP Chinas zum globalen Kapitalismus

Wenn die KP Chinas eine verbesserte Stellung innerhalb des weltweiten Kapitalismus anstrebt, dann bedeutet das im Konkreten zwangsläufig, dass sie darauf hinarbeiten muss, dem chinesischen Monopolkapital eine zunehmend beherrschende Stellung auf dem kapitalistischen Weltmarkt zu verschaffen. Die KP Chinas kann somit den weltweiten Kapitalismus aber nicht mehr bekämpfen – sie akzeptiert ihn vielmehr als Rahmen, in dem die kapitalistische Entwicklung des eigenen Landes stattfinden kann. Und sie setzt sich innerhalb dieses Rahmens für möglichst günstige Bedingungen für das Kapital (und das heißt notwendigerweise: auf Kosten der Arbeiterklasse und anderen werktätigen Schichten) ein.

Genau wie alle anderen führenden imperialistischen Länder setzt sich China, trotz der Differenzen in anderen Fragen, für eine „offene Weltwirtschaft“ ein: „Wir müssen eine offene Weltwirtschaft bewahren und entwickeln. ‚Eine einzige Blume macht nicht den Frühling, während hundert Blumen in voller Blüte den Frühling in den Garten bringen.‘ Länder werden wachsen, wenn ihre Volkswirtschaften offen sind, und umgekehrt schrumpfen, wenn ihre Volkswirtschaften geschlossen sind“, so Xi Jinping auf Treffen der G20 im Jahr 2013167. Für den Kapitalexport in ein anderes Land ist es natürlich vorteilhaft, wenn das Kapital im Zielland auf möglichst geringe Hindernisse trifft. Staatliche Maßnahmen wie Zölle, nichttarifäre Handelshemmnisse (z.B. Auflagen im Verbraucherschutz, Umweltschutz, vorgeschriebene Produktstandards) oder Subventionen für heimische Unternehmen sind zum Nachteil der ausländischen Investoren, weil die Firmen des Ziellandes dadurch in der Konkurrenz gestärkt werden. Deshalb fordern die internationalen Mechanismen der Kapitalistenklasse wie die Welthandelsorganisation (der auch China angehört) eine möglichst „offene“ Weltwirtschaft. Im gleichen Wortlaut wie die führenden Ideologen des westlichen Kapitalismus empfiehlt auch Xi Jinping den Ländern der Welt, den Umfang staatlicher Interventionen gering zu halten, natürlich um den chinesischen Monopolkonzernen auf der Welt möglichst die Bahn freizumachen: „Ein Wachstum, das durch eine stimulierende Politik und groß angelegte und direkte staatliche Eingriffe in die Wirtschaft angetrieben wird, kann nur die Symptome, nicht aber die Krankheit behandeln (…). Die Länder sollten (…) die Märkte beleben und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit durch aktive Strukturreformen verbessern.“168. Auf dem World Economic Forum 2017 führt Xi weiter aus: „Wir müssen uns weiterhin für die Entwicklung des weltweiten Freihandels und der Investitionen einsetzen, die Liberalisierung und Erleichterung des Handels und der Investitionen durch Öffnung fördern und dem Protektionismus eine Absage erteilen169.

Angesichts der hervorgehobenen und rapide wachsenden Rolle chinesischer Monopole im internationalen Kapitalverkehr, als globale Investoren und Gläubiger (dazu siehe Kapitel 5) kann es eigentlich nicht verwundern, dass die chinesische Regierung sich für eine möglichst „offene“ Weltwirtschaftsordnung einsetzt, die diesem Kapital nützt – während es ganz so wie die entwickelten kapitalistischen Staaten aus Europa und Nordamerika selbst keineswegs darauf verzichtet, den eigenen Binnenmarkt durch zahlreiche Maßnahmen zu schützen und einen wichtigen Teil der Unternehmen unter der Kontrolle des Staates zu behalten und damit ausländische Übernahmen zu blockieren.

e. Zwischenfazit [nach oben]

Die Analyse des chinesischen Gesellschaftssystems hat nun Folgendes ergeben:

In China dominieren kapitalistische Produktionsverhältnisse. Es dominiert das private Kapital bei gleichzeitig bedeutender Rolle des staatlichen Kapitals, doch auch die Staatsunternehmen haben kapitalistischen und keinen sozialistischen Charakter. Die Wirtschaftsplanung hat einen indikativen Charakter, sie arbeitet mit Anreizen statt mit verbindlichen Vorgaben und steht in keinem Widerspruch zur kapitalistischen Ökonomie.

Die Arbeitskraft ist mit dem Übergang zum Kapitalismus zur Ware geworden, die Arbeiterklasse zu einer ausgebeuteten Klasse, die zahlreiche Errungenschaften des Sozialismus verloren hat. Sie wird durch die legalen Gewerkschaften nicht vertreten, weshalb sie zumeist außerhalb dieser für ihre Rechte kämpft. Dabei trifft sie auf den Staat als Gegner, der versucht, den Klassenkampf durch eine Mischung aus Repressionen und Zugeständnissen zu befrieden.

Die Bourgeoisie in China gehört zu den mächtigsten der Welt und ist eng mit dem chinesischen Staat und der KP Chinas verwoben. Durch persönliche Beziehungen, aber auch durch den legalen Lobbyismus wird sichergestellt, dass die Politik die Interessen des Kapitals zuverlässig umsetzt.

Die offizielle Ideologie der KP Chinas beruft sich auf den Marxismus-Leninismus, stellt aber einen vollständigen Bruch mit diesem dar. Tatsächlich verfolgt die KP Chinas kein sozialistisches Programm, sondern ein Programm der kapitalistischen Entwicklung des Landes und der Stärkung seiner Kapitalisten in der internationalen Konkurrenz.

Bisher war die Analyse auf den nationalen Rahmen Chinas beschränkt. Im nächsten Kapitel werden wir uns mit der Rolle Chinas im imperialistischen Weltsystem befassen.

5) China im imperialistischen Weltsystem: Krisen, Kapitalexport, Kriegsgefahr [nach oben]

Das Kapital folgt in jedem Land dem Antrieb zur grenzenlosen Akkumulation. Die Profite, die es realisiert, müssen wieder investiert werden, damit das Kapital gegen seine Konkurrenten bestehen kann. Seit der Entstehung von Monopolen infolge der Konzentration und Zentralisation des Kapitals agiert das Kapital in ständig zunehmendem Maße auch außerhalb seiner nationalen Grenzen, auf internationaler Bühne. Der Kapitalexport, dessen hauptsächlicher Initiator das Monopolkapital ist, ist ein wesentlicher Faktor für die Bestimmung der Position der Stärke oder Schwäche, die ein bestimmtes Land innerhalb des imperialistischen Weltsystems einnimmt170.

Diese Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise gelten überall, wo die kapitalistische Produktionsweise vorherrscht und unabhängig vom Willen der Regierungen. Da in China, wie gezeigt wurde, die kapitalistische Produktionsweise vorherrschend ist, gelten sie also auch in China – auch dort muss das Kapital ständig nach neuer gewinnbringender Anlage suchen, auch dort expandiert es dafür über die Grenzen Chinas hinaus. Dies ist von Seiten der Regierung und der KP Chinas durchaus gewollt. So beispielsweise der ehemalige Präsident Hu Jintao in seinem Bericht an den 18. Parteitag der KP Chinas: „Chinesische Firmen sollten mit höherer Geschwindigkeit nach Übersee expandieren, ihre Operationen im internationalen Umfeld ausweiten und eine Anzahl von Multinationalen Konzernen auf Weltklasseniveau entwickeln. Wir sollten eine umfassende Planung für die bilaterale, multilaterale, regionale und sub-regionale Öffnung (der jeweiligen nationalen Wirtschaften, Anm.d.A.) und Zusammenarbeit entwickeln.“171. Eine Studie deutscher bürgerlicher Ökonomen schreibt zu den Triebkräften des chinesischen Kapitalexports: „Das wohl bedeutendste Motiv sind vermutlich schwache Renditen in China selbst, so dass sich chinesische Investoren zunehmend in anderen Ländern nach interessanten Anlagemöglichkeiten umsehen172. Wie in allen kapitalistischen Ländern sind es letzten Endes der tendenzielle Fall der Profitraten und die Stagnationserscheinungen des imperialistischen Kapitalismus, die auch in China das Kapital zur Expansion über die Grenzen hinaus treiben.

a. Krisenentwicklungen im chinesischen Kapitalismus [nach oben]

Lange Zeit erschien es paradox, im Zusammenhang mit dem chinesischen Kapitalismus und dem Rekordwachstum seiner Wirtschaft von Krisen zu sprechen. In den letzten Jahren wird aber zunehmend sichtbarer, dass die grundlegenden Gesetze der kapitalistischen Produktion in China genauso gelten wie überall sonst und ein krisenfreier Kapitalismus nicht möglich ist. Grafik 1 zeigt die Entwicklung der wirtschaftlichen Wachstumsraten in den letzten vier Jahrzehnten:

Grafik 1: Wirtschaftswachstum in % des BIP, 1982-2022

Quelle: Weltbank, online: https://data.worldbank.org/indicator/NY.GDP.MKTP.KD.ZG?end=2022&locations=CN&start=1982, abgerufen 09.12.2023.

Wenngleich es auch in früheren Jahrzehnten größere konjunkturelle Schwankungen des Wachstums gab, was bereits ein Hinweis auf den kapitalistischen Charakter dieses Wachstums ist, ist in der letzten Zeit die allgemeine langfristige Tendenz zu einer Verlangsamung der Kapitalakkumulation in China eindeutig erkennbar. Die Wachstumsrate ist etwa von 8-14% im Zeitraum 1992-2007 auf eine Spanne zwischen grob 2 und 8% im Zeitraum 2012-2022 gefallen. Marx hat nachgewiesen, dass in allen kapitalistischen Gesellschaften der Anstieg der organischen Zusammensetzung des Kapitals (d.h. der Anteil der Investitionen, die in Produktionsmittel fließen im Vergleich zur Masse der ausgezahlten Löhne) dazu führt, dass langfristig die Profitabilität von Investitionen abnimmt173. Dieser langfristige Fall der Profitrate bewirkt, dass Krisen in geringeren Abständen und mit größerer Heftigkeit vorkommen.

Überkapazitäten in vielen der wichtigsten Industrien sind schon seit längerer Zeit ein ständig wiederkehrendes Thema in China. Dies bedeutet, dass die Produktionskapazität der Industrie chronisch unausgelastet ist, weil die (globale und nationale) Nachfrage zu gering ist. 2018 etwa lag die durchschnittliche Kapazitätsauslastung der Industrie in China bei nur 64%, d.h. über ein Drittel der Produktionskapazität lag still, weil dafür keine zahlungskräftige Nachfrage vorhanden war. In der Schwerindustrie lag die Auslastung mit 50-60% sogar noch niedriger, in einigen Regionen lag sie sogar unter 40%174. Chronisch besonders betroffen sind Branchen wie Stahl, Zement, Scheibenglas und der Seehandel175. Das Problem der chronischen Überproduktion wurde in den ersten Phasen der kapitalistischen „Reformen“ zu Zeiten von Deng Xiaoping auch dadurch beschleunigt, dass darauf gesetzt wurde, die einzelnen Regionen gegeneinander konkurrieren zu lassen, sodass jede regionale Regierung bestrebt war, eine möglichst starke Produktionskapazität aufzubauen. Damit wurden die Wachstumszahlen für China insgesamt in die Höhe getrieben und gleichzeitig die Krisenentwicklung beschleunigt.

Ein besonders krisenhafter Sektor der chinesischen Wirtschaft ist der Immobiliensektor, der über ein Viertel des gesamten BIP Chinas ausmacht. Der wirtschaftliche Aufschwung Chinas ging über lange Zeit mit einem nicht endenden Boom der Bauwirtschaft einher, der das Aussehen der chinesischen Großstädte in den letzten Jahrzehnten so verändert hat, dass sie nicht wiedererkennbar sind. Doch in den letzten Jahren mehren sich die Krisentendenzen auch hier: Es gibt eine erhebliche Überproduktion in der Branche und viele der großen Immobilienkonzerne wie Evergrande oder Country Garden haben große Schwierigkeiten ihre Schulden noch zu bedienen bzw. konnten bereits Rückzahlungsfristen nicht einhalten (Country Garden im Oktober 2023). Im Juli 2023 lag der Verkauf von Neubauwohnungen bereits 33% unter dem Niveau vom Juli 2022176. Die Anzeichen einer Überproduktionskrise sind unübersehbar.

Auch diese Entwicklung belegt wiederum das Vorherrschen kapitalistischer Beziehungen in der chinesischen Wirtschaft. In der sozialistischen Entwicklungsperiode gab es in China, so wie in anderen sozialistischen Ländern, keine Krisen aufgrund von Überproduktion, sondern lediglich Wachstumseinbrüche wegen äußerer Einflüsse (beispielsweise Naturkatastrophen) und politischer Fehlentscheidungen, die (beispielsweise beim „Großen Sprung nach Vorn“) die Wirtschaftsplanung beeinträchtigten. Zyklische Überproduktionskrisen gibt es in einem sozialistischen System deshalb nicht, weil die Produktion nicht mit dem Ziel stattfindet, Waren möglichst gewinnbringend zu verkaufen, sondern um die Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen177.

Durch die stetig wachsende Einbindung der chinesischen Ökonomie in den kapitalistischen Weltmarkt ist diese auch von den globalen Krisenentwicklungen immer stärker betroffen. Die Internationalisierung des chinesischen Kapitals durch den Kapitalexport und die Herausbildung von international operierenden Monopolen sehen wir uns als nächstes genauer an.

b. Der chinesische Kapitalexport [nach oben]

Der chinesische Staat trägt gezielt zum Import und Export von Kapital, also zur Integration Chinas in die weltweiten Kapitalflüsse bei. In den 2000ern wurden in zunehmendem Maße Investitionen im Ausland, vor allem in Bereichen wie Logistik, Energie und Bausektor getätigt. Ziele waren vor allem die Absicherung des Zugangs zu Ressourcen einerseits und der Einsatz von überakkumuliertem Kapital andrerseits178.

Auch wenn der Kapitalexport Chinas von seinem Wesen her dem Kapitalexport aus anderen Ländern gleichzusetzen ist, weist er im Konkreten Besonderheiten auf. Vor allem sticht auch hier die Rolle des Staates hervor. Der Kapitalexport lässt sich untergliedern in Direktinvestitionen, Portfolioinvestitionen und Kredite: Bei Direktinvestitionen handelt es sich um Kapitalanlagen im Ausland, die mit dem Ziel getätigt werden, einen Einfluss auf das Unternehmen auszuüben. Portfolioinvestitionen hingegen verfolgen vor allem das Ziel, einen Anteil an den Profiten des Unternehmens zu erhalten. Bei den Direktinvestitionen spielt das private chinesische Kapital neben dem staatlichen Kapital eine wichtige Rolle, während Kredite und Portfolioinvestitionen weit überwiegend von den staatseigenen kapitalistischen Unternehmen ausgehen179. Dies liegt v.a. daran, dass Portfolioinvestitionen überwiegend von der Volksbank Chinas (der chinesischen Zentralbank) in Form von Käufen ausländischer Staatsanleihen getätigt werden und dass das chinesische Finanzsystem von den staatlichen Banken dominiert ist, weshalb die Kreditvergabe innerhalb der Banken innerhalb und außerhalb Chinas ebenfalls weitestgehend von staatlichen Banken ausgeht180. Das internationale Kreditgeschäft Chinas wurde im Zeitraum 2000-2017 zu über 75% von zwei Banken beherrscht, nämlich der Export-Import-Bank Chinas und der China Development Bank181.

Für die empirische Analyse ergibt sich dabei das Problem, dass der chinesische Staat über die Kreditvergabe keine Daten herausgibt und auch internationale Institutionen kein vollständiges Set dieser Daten vorliegen haben. Vorhandene Statistiken zur Kreditvergabe sind daher unvollständig bzw. geben deren Umfang zu niedrig an182.

Eine Studie, die anhand umfangreichen Materials versucht, das tatsächliche Volumen der internationalen Kredite Chinas einzuschätzen, kommt zu dem Ergebnis, dass etwa im Jahr 2016 chinesische Kredite im Umfang von mehr als 200 Mrd. US$ aus der Statistik herausgefallen sind und dass die tatsächliche Kreditvergabe Chinas etwa doppelt so hoch liegt wie in Statistiken ausgewiesen (also bei etwa 400 Mrd. US$)183.

Für das Jahr 2018 wird der Umfang der Darlehen und Handelskredite Chinas auf 1,6 Bio. US$ geschätzt, was 2% der gesamten Wirtschaftsleistung der Welt entsprach. Um diesen enormen Umfang zu erreichen, ist die Kreditvergabe parallel zum wirtschaftlichen Aufstieg Chinas regelrecht explodiert – um 2000 war sie noch fast inexistent184. Der chinesische Staat ist damit der größte „offizielle“, also nicht-private Gläubiger insgesamt, noch deutlich vor den USA. Lediglich wenn man private und staatliche Kreditvergabe zusammenrechnet, liegen die USA insgesamt noch vor China185. Die ausstehenden Kredite Chinas an Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen liegen weit über denen des gesamten Pariser Klubs (der Vereinigung der Gläubigerstaaten Westeuropas und Nordamerikas plus Brasilien und Australien) und sind sogar geringfügig höher als die des IWF und der Weltbank zusammen (Stand 2020)186.

Betrachtet man nun nicht nur die Kredite, sondern addiert alle Formen des Kapitalexports zusammen, entsprachen im Jahr 2017 die finanziellen Forderungen Chinas im Ausland (also das ins Ausland exportierte Kapital) über 8% des gesamten Bruttoinlandsprodukts der Welt, was etwa 6,5 Billionen US$ entspricht und damit fast so hoch ist wie das kombinierte BIP von Frankreich und Deutschland187.

Der chinesische Staat verfolgt bei seinem Kapitalexport eine zweigleisige Strategie: Er unterteilt die Welt in entwickelte Länder einerseits und Entwicklungs- und Schwellenländer andrerseits. In die erste Gruppe exportiert er Kapital vor allem in der Form, dass er Staatsanleihen dieser Länder kauft. In der zweiten Gruppe, deren Staatsanleihen deutlich geringere Sicherheit bieten, werden vor allem Kredite vergeben188. Direktinvestitionen fließen zudem in beide Ländergruppen, mit einem Schwerpunkt auf Länder der Nordhalbkugel (s.u.). Der größere Anteil des Kapitals fließt dabei insgesamt in die entwickelten Industrieländer: Im Jahr 2017 hielt der chinesische Staat 3 Bio. US$ an Staatsanleihen (vorwiegend entwickelter Industrieländer). Im Vergleich dazu lagen die Forderungen aus Krediten (vorwiegend an ärmere Länder) im darauffolgenden Jahr bei 710 Mrd. US$189. Unter den Staatsanleihen im Portfolio der chinesischen Zentralbank lagen beispielsweise 370 Mrd. US$ deutsche Bundesanleihen (entsprechend 10% des BIP Deutschlands und 17% der deutschen Staatsanleihen) und 850 Mrd. US$ Staatsanleihen von Ländern der Eurozone insgesamt. Die Staatsanleihen aus sogenannten „Schwellenländern“ betrugen demgegenüber „nur“ 30 Mrd. US$190.

Die Konditionen für die Kredite sind bei chinesischen Krediten meistens weder schlechter noch besser als das durchschnittliche Niveau auf dem globalen Kreditmarkt. Beispielsweise nahm Ecuador im Jahr 2010 einen Kredit gegen 7% Zinsen über 15 Jahre auf, Angola einen Kredit von 20 Mrd. US$ über 10 Jahre für 6%191. Diese Zinsen sind ähnlich hoch wie bei Krediten anderer Akteure (z.B. europäischer oder nordamerikanischer Banken), weil die Sicherheit der Rückzahlung in den Zielländern geringer ist als in den entwickelten Industrieländern. Das zeigt, dass die chinesischen Banken ihr Kapital nach den gleichen Erwägungen im Ausland einsetzen, wie es andere Banken auch tun.

Die Ausländischen Direktinvestitionen (FDI) schließlich wuchsen ebenfalls explosionsartig von einem kaum relevanten Niveau von etwa 10 Mrd. US$ im Jahr 2005 auf 177 Mrd. US$ pro Jahr (Stand 2017)192.

Anders als bei den internationalen Krediten, die vor allem von staatlichen Instituten vergeben werden, werden die chinesischen Direktinvestitionen im Ausland zunehmend von privatem Kapital getätigt. In der EU beispielsweise gab es eine starke Verschiebung der chinesischen Direktinvestitionen: Gingen 2011 noch 83% von sogenannten Staatsunternehmen aus, waren es 2019-2020 nur noch zwischen 11 und 18%193 . Aufgrund der engen Verschmelzung von staatlichem und privatem Kapital in China ist eine strikte Trennung zwischen beiden Kategorien aber ohnehin nicht möglich – auch das private Kapital expandiert mithilfe des Staates, auch die „Staatsunternehmen“ gehören oft mehrheitlich privaten Investoren. Diese Verbindung ist im chinesischen Fall besonders stark, aber keineswegs auf ihn beschränkt. Lenin weist ebenfalls schon darauf hin, „wie sich in der Epoche des Finanzkapitals private und staatliche Monopole miteinander verflechten und die einen wie die anderen in Wirklichkeit bloß einzelne Glieder in der Kette des imperialistischen Kampfes zwischen den größten Monopolisten um die Teilung der Welt sind194.

Bei den FDI wird ferner unterschieden zwischen Greenfield-Investitionen195 einerseits und Fusionen und Übernahmen andrerseits. Im Zeitraum 2005-2018 waren grob ein Viertel der FDI Greenfield-Investitionen und drei Viertel Fusionen und Übernahmen196. Die chinesischen Direktinvestitionen richten sich vor allem auf den Energiesektor und den Transportsektor. Rechnet man Direktinvestitionen und Baukontrakte (Kredite für Bauprojekte, z.B. für Infrastruktur im Rahmen der BRI) zusammen, entfallen alleine 36% der Kapitalflüsse auf die Energiewirtschaft (insbesondere Öl, Kohle, Wasserkraft) und 19% auf den Transportsektor (v.a. große chinesische Investitionen in die Auto- und Eisenbahnindustrie)197.

In Europa und den USA kauften chinesische Investoren sich dabei vor allem seit der Krise 2007 und in den Folgejahren in die dortigen Banken ein (mit 5 Mrd. US$ bei Morgan Stanley, mit 3 Mrd. US$ bei Barclays). Seitdem gab es einige spektakuläre Deals wie die Übernahme des deutschen Robotikproduzenten Kuka durch den chinesischen Midea-Konzern (2016/17 mit 4,7 Mrd. US$), den Kauf des kalifornischen IT-Konzerns Ingram Micro durch den chinesischen Konzern HNA (2016, 6 Mrd. US$), den Erwerb des Reifenherstellers Pirelli durch die Investoren ChemChina und SAFE (2015, 7,8 Mrd. US$), des britischen Bankmonopols HSBC durch den privaten chinesischen Versicherungskonzern Ping An (2017, 9,6 Mrd. US$) sowie die Beteiligung von Geely am Autokonzern Daimler (2018, 9 Mrd. US$)198. Initiatoren dieser Investitionen sind sowohl Staatsfonds, staatliche Banken und Staatsfirmen als auch private chinesische Unternehmen. Sie alle profitierten in den Jahren seit Beginn der 2008 beginnenden Weltwirtschaftskrise von den niedrigen Aktienkursen westlicher Unternehmen, was es ihnen erleichterte, sich in diese einzukaufen199.

Dies zeigt, dass die chinesischen Monopole bereits in den 2000ern teilweise auf Augenhöhe mit ihren westlichen Konkurrenten agieren konnten und die Kapitalverflechtungen zunahmen. Die Warnungen der bürgerlichen Politik und Medien in Europa und den USA vor einem angeblichen „Ausverkauf“, einer „chinesischen Investitionsflut“ und ähnlichem hatten trotz alledem wenig mit der Realität zu tun. Die Verflechtungen des europäischen Kapitals mit dem chinesischen sind beispielsweise immer noch viel geringer als die mit dem US-amerikanischen. Vielmehr ist die antichinesische Stimmungsmache in der westlichen Presse Ausdruck davon, dass mit China eine rivalisierende Macht, die in vielen Wirtschaftssektoren und geografischen Regionen als direkter Konkurrent der etablierten Mächte (d.h. des westeuropäischen, nordamerikanischen und japanischen Kapitals) auftritt und eigenständige Interessen unabhängig von den USA, der NATO und EU verfolgt, an Einfluss gewinnt und daher von der herrschenden Klasse der europäischen Länder und der USA als Bedrohung identifiziert wird. Immer wieder kommt es inzwischen daher auch dazu, dass westliche Regierungen gegen chinesische Übernahmen einschreiten und diese verhindern, vor allem wenn es um Technologien geht, die für militärische oder geheimdienstliche Zwecke verwendet werden: So beispielsweise bei der Übernahme des Aachener Halbleiter-Anlagenbauers Aixtron durch den chinesischen Konzern Fujian Grand Chip Investment, der in der letzten Sekunde durch die Bundesregierung gestoppt wurde200.

Geografisch betrachtet fließen die größten Summen durch Direktinvestitionen und Baukontrakte nach Nordamerika, Mitteleuropa (vor allem Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, die Schweiz und Italien), nach Australien, Russland und Brasilien, Größere Direktinvestitionen im Umfang von jeweils über 100 Mio. US$ gehen pro Jahr aber auch nach Indien, Pakistan, Kasachstan, Indonesien, Nigeria, die DR Kongo, Südafrika, Peru oder Argentinien201. Nach Europa sind im Zeitraum 2005-2018 insgesamt 343 Mrd. US$ chinesische Direktinvestitionen geflossen, wobei mehr als 95% dieser Kapitalflüsse auf Fusionen oder den Kauf von Anteilen europäischer Unternehmen entfielen202.

Die Direktinvestitionen konzentrieren sich also vorwiegend auf relativ entwickelte Volkswirtschaften der sogenannten „Ersten Welt“, allerdings mit vielen Ausnahmen (Indien, Pakistan, Kasachstan, Indonesien, Kongo, Nigeria, Südafrika, Brasilien, Peru). Die Baukontrakte hingegen werden weit überwiegend in schwächer entwickelten Ökonomien getätigt: Zum einen entlang der „Seidenstraße“ in den Philippinen, Indonesien, Vietnam, Malaysia, Bangladesh, Indien, Pakistan, Iran, Saudi Arabien, Irak, Türkei (und auf der Landroute außerdem Kasachstan und Russland); zum anderen auch generell in Küstenstaaten vor allem Afrikas (Algerien, Äthiopien, Nigeria, Ägypten, Kamerun, Angola, Kenia) und in geringerem Maße Lateinamerikas (Argentinien, Venezuela)203. In manchen Ländern kommt es dabei zu einer starken Konzentration chinesischer Investitionen, sodass diese in eine erhebliche ungleiche Abhängigkeit vom chinesischen Kapital geraten: Beispielsweise kommen ca. 40% der Direktinvestitionen in Tadschikistan, mehr als 1/3 in Niger und Myanmar und mehr als ¼ der Investitionen in Kirgisistan und der Mongolei aus China204.

Die Vielzahl an hier präsentierten Daten zeigt, dass China zu einem der Zentren des globalen Kapitalverkehrs geworden ist und zu einer der Hauptquellen des Kapitalexports. Chinesische Monopole beherrschen also nicht nur den riesigen heimischen Markt, sondern beteiligen sich auch mit stark ansteigender Intensität an der globalen Konkurrenz der Monopole zur ständigen Neuaufteilung der Welt. Ein Instrument, mit dem sie in dieser Konkurrenz durch den chinesischen Staat gestärkt und unterstützt werden, ist die Initiative der „Neuen Seidenstraße“ oder „Belt and Road Initiative“.

Die „Belt and Road Initiative”

Im September 2013 kündigte Xi Jinping in Kasachstan einen „Seidenstraßen-Wirtschaftsgürtel“ an und ergänzte einen Monat später bei einem Besuch in Indonesien das Ziel einer „Maritimen Seidenstraße“. Mit dem Bezug auf die historische Seidenstraße knüpft die chinesische Regierung symbolpolitisch an die Bedeutung Chinas für den Welthandel in früheren Jahrtausenden an. Es handelt sich dabei um ein gewaltiges Investitionsprojekt, das zuerst auf englisch als „One Belt One Road“ bekannt war, mittlerweile aber als „Belt and Road Initiative“ (BRI) bekannt ist. Trotz des Bezugs auf die Seidenstraße richtet sich die BRI nicht nur an die Länder, die an der historischen Seidenstraße liegen, sondern ist prinzipiell für alle Länder offen. Hauptsächlich besteht das Projekt aber aus einer Landroute, die von China durch Zentralasien und Iran über Istanbul und Moskau nach Mitteleuropa führt, und einer Seeroute durch die südostasiatischen Gewässer, den Indischen Ozean und das Rote Meer ins Mittelmeer (siehe Grafik 2).

Ziel dieses riesigen Projekts, des größten Infrastrukturprojekts der Geschichte, ist es, die Massen an akkumuliertem Kapital, die in China selbst oft nur noch schwierig produktive Anlage finden, in eine Verwendung zu kanalisieren, die dem weiteren wirtschaftlichen Aufstieg des chinesischen Kapitals dienlich ist. Die Produktionskapazität in China wächst stetig weiter, daher wächst entsprechend auch der Bedarf Chinas an ausländischen Absatzmärkten für seine Waren. Für diesen wachsenden Warenhandel ist es allerdings ein Hindernis, wenn die Transportinfrastruktur in den Ländern entlang der Handelsrouten unzureichend entwickelt ist. Deshalb liegt der Fokus der „Neuen Seidenstraße“ auf dem Ausbau eben dieser Transportinfrastruktur an den Küsten wie auch im Inland. Dadurch wird China entlang der maritimen „Seidenstraße“ von China über Südost- und Südasien durch das Rote Meer ins Mittelmeer zu einem der wichtigsten, teilweise zum wichtigsten (wie z.B. in Äthiopien) Investor in die Infrastruktur205.

Allein in den ersten fünf Jahren seit der Verkündung des BRI-Projekts 2013 wurden 207 Mrd. US$ an Direktinvestitionen im Rahmen der BRI in die Teilnehmerländer geleitet und zusätzlich Kredite im Rahmen von Baukontrakten in Höhe von 406 Mrd. US$ vergeben. Aufgrund des Infrastrukturfokus der BRI bestehen etwa zwei Drittel des offiziell registrierten chinesischen Kapitalexports in die BRI-Länder aus Krediten für Bauprojekte206. Das Projekt ging zudem damit einher, viele der wichtigsten Handelshäfen der Welt zu kaufen, um die Kontrolle über die wesentlichen Knotenpunkte des Welthandels auch wirklich gesichert zu haben.

Grafik 2: Die „Belt and Road Initiative“

Quelle: ORF: Milliardenschwere Investitionen, online: https://newsv2.orf.at/stories/2445719/2445718/ , abgerufen 19.10.2023.

Bei der BRI handelt es sich um das größte Projekt zur Stärkung des Exports von Kapital und Waren, das ein Staat in der Geschichte des Kapitalismus bisher aufgelegt hat. Die chinesischen Investitionen im Rahmen des Projekts liegen inzwischen bei über einer Billion US-Dollar207. Es hat entscheidend dazu beigetragen, in vielen Ländern entlang der „Straße“ und des „Gürtels“ China zu einem der Hauptinvestoren und -gläubiger zu machen. In den letzten Jahren wurden immer weniger große Infrastrukturinvestitionen getätigt und eher kleinere Projekte im sogenannten „grünen“ Sektor (z.B. regenerative Energien) begonnen208

Die chinesische Propaganda preist die BRI und allgemein die chinesischen Kapitalexporte als heilsbringendes Wirken an, von dem alle Beteiligten profitieren und das den Zielländern der chinesischen Investitionen nur Vorteile bringen würde. Mit den Folgen der chinesischen Kapitalexporte für die werktätige Bevölkerung der Zielländer wird sich das folgende Unterkapitel beschäftigen.

c. Folgen des chinesischen Kapitalexports für die Werktätigen in den Zielländern [nach oben]

Aus der schnell wachsenden Kreditvergabe der chinesischen Banken ans Ausland ergibt sich natürlich umgekehrt entsprechend eine wachsende Verschuldung der Empfänger gegenüber China. Nach Daten der Weltbank (die im Durchschnitt, wie oben ausgeführt, um etwa 50% zu niedrig sind), hat China im Zeitraum 2000-2018 allein an afrikanische Länder Kredite mit einem Umfang von 152 Mrd. US$ vergeben und hält etwa 17% der Staatsverschuldung aller afrikanischen Länder209. Die (offiziell ausgewiesenen) ausstehenden Forderungen Chinas gegenüber den Ländern der „Belt and Road Initiative“ betrugen 2017 215 Mrd. US$210. Einige Länder, innerhalb und außerhalb der „Neuen Seidenstraße“ sind dabei durchaus in einem Maße bei China verschuldet, das ihren Staatshaushalt stark belastet: Djibouti, dessen Auslandschulden fast ausschließlich von China gehalten werden, ist gegenüber China mit über 25% seines BIP verschuldet. Auch die Republik Kongo und Laos schulden China über ein Viertel ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung. Zwischen 10 und 25% des BIP liegt der Anteil bei Togo, Sambia, Mozambique und Kambodscha211. Während 25% des BIP für ein entwickeltes Land mit einer hohen Rate der Kapitalakkumulation und wirtschaftlicher Stabilität noch moderat sind, kann ein solches Niveau für arme Länder wie die genannten, die entsprechend viel höhere Zinsen zahlen müssen, direkt destabilisierend sein.

Bei vielen Regierungen aus weniger entwickelten Ländern ist China als Adresse für die Aufnahme von Krediten vergleichsweise beliebt. Das liegt vor allem daran, dass die chinesischen Staatsbanken anders als der IWF oder die Weltbank keine politischen Bedingungen stellen: Sie fordern vom Kreditnehmer nicht die Privatisierung von Staatseigentum, die Entlassung von öffentlichen Angestellten, die Senkung von Gehältern und Renten usw. usf., wie es z.B. der IWF oder im Fall der Krise der Eurozone die „Troika“ taten bzw. tun. Von diesem zurückhaltenderen Ansatz erhoffen die Regierenden in China sich, für immer mehr Regierungen in Afrika, Asien, Lateinamerika und teilweise sogar in Europa als attraktive Alternative zu den USA und dem um sie herum gebildeten imperialistischen Pol zu erscheinen. Wie der steigende politische Einfluss Chinas vor allem, aber nicht nur in Afrika und Südost- sowie Zentralasien zeigt, ist diese Strategie bisher sehr erfolgreich.

Laut westlichen Regierungen, insbesondere der US-Regierung, verfolgt China dabei einen gezielten Plan, Länder insbesondere durch die BRI in eine „Schuldenfalle“ zu locken, also zur Aufnahme von Krediten zu verleiten, die sie nicht zurückzahlen können, um sie dadurch zu Marionetten Chinas zu machen. Diese Behauptung wurde bereits mehrfach als falsch widerlegt, es handelt sich dabei um ein Element der antichinesischen Propagandaoffensive der westlichen Regierungen und Medien, also als ideologische Flankierung des zwischenimperialistischen Konflikts zwischen den USA und ihren Verbündeten einerseits und China andrerseits. Tatsächlich ist eine kohärente Strategie der chinesischen Regierung in diese Richtung nicht nachzuweisen. Die Infrastrukturprojekte wurden nicht einseitig von China aufgezwungen, sondern auch von der Bourgeoisie der Zielländer aus eigenen Interessen verfolgt; chinesische Banken erlegten ihnen dabei keine besonders harten Bedingungen auf, sondern waren in der Regel bereit, über Umschuldungen zu diskutieren. Behauptungen, wonach China sich kritische Infrastruktur wie die Häfen und Flughäfen seiner Schuldner unter den Nagel reiße, sind ebenfalls nicht belegt.

Ein von den USA immer wieder hervorgehobenes Beispiel für die angebliche „chinesische Schuldenfallendiplomatie“ ist Sri Lanka – der mit chinesischen Krediten gebaute Containerhafen in Hambantota und die Zahlungsschwierigkeiten, in die das Land geriet. Auch dieser Beleg gehört aber ins Reich der Propaganda: Das Projekt ging von der Regierung Sri Lankas aus, beruhte auf Empfehlungen und zwei westlichen Gutachten und wurde erst (zu üblichen Konditionen) an die Exim-Bank aus China vergeben, nachdem die USA und Indien einen solchen Deal verweigert hatten212.

Es ist also unsinnig, China als „moderne Kolonialmacht“ oder besonders übles Beispiel einer imperialistischen Macht darzustellen. Wenn solche Kritik aus Europa oder den USA kommt, also Ländern mit einer langen Geschichte des Kolonialismus, die selbst immer wieder ärmere Länder in solche „Schuldenfallen“ getrieben haben, ist sie in der Tat besonders heuchlerisch und verlogen.

Doch sind chinesische Kapitalexporte auch für die Arbeiterklasse der Zielländer deshalb ein Grund zur Freude? Haben sie einen grundsätzlich menschenfreundlicheren Charakter als die Kapitalexporte anderer Länder? Sehen wir uns die Folgen der chinesischen Expansion für die Arbeiterklasse in den „Partnerländern“ anhand von ein paar Beispielen an:

Griechenland

2016 nutzte die staatliche chinesische Großreederei COSCO, einer der weltgrößten Konzerne in der Handelsschifffahrt die Tatsache aus, dass Griechenland massiv von der kapitalistischen Krise getroffen war, und kaufte 51% des Hafens von Piräus, einem der größten Containerhafen Europas. Für COSCO gab es aber, wie für die anderen Kapitalisten in Piräus, ein Problem: Die Dockarbeiter im Hafen von Piräus haben eine lange Tradition des Klassenkampfes gegen das Reedereikapital. Unter der Führung der klassenkämpferischen Gewerkschaftsfront PAME nutzen sie ihre Kampfkraft immer wieder, um den Hafen lahmzulegen und damit in Verhandlungen erheblichen Druck auf die Kapitalseite auszuüben. Das Kapital reagierte damit, die Nazipartei „Goldene Morgendämmerung“ zu fördern und als Schlägertruppe gegen die Gewerkschaftsbewegung, Kommunisten und antifaschistische Aktivisten einzusetzen. Die Verbindungen zwischen Reedereikapital und Nazis sind in Griechenland bekannt und zeigen sich auch darin, dass die „Goldene Morgendämmerung“ sich im Parlament stets konsequent für die Interessen der Schifffahrtsgesellschaften eintrat213.

Auch COSCO wurde von Seiten der Gewerkschaften eine Zusammenarbeit mit den Neonazis vorgeworfen214. Sicher ist zudem, dass auch der chinesische Staat direkte Beziehungen zu den Neonazis in Griechenland unterhält: 2017 und 2018 gab es mindestens zweimal Treffen der chinesischen Botschaft in Griechenland mit einer Delegation der „Goldenen Morgendämmerung“, um die „weitere Entwicklung der Beziehungen zwischen den beiden Ländern“ zu diskutieren215. Während also die Kommunistische Partei Griechenlands einen organisierten Kampf gegen die Faschisten im eigenen Land führte und diese immer wieder für mörderische Überfälle auf Gewerkschafter, Migranten und Kommunisten verantwortlich waren, zu einem Zeitpunkt, als bereits alle bürgerlichen Parteien in Griechenland ihre Beziehungen zu der Nazipartei abgebrochen hatten und diese selbst vom Staatspräsidenten nicht mehr zu öffentlichen Veranstaltungen eingeladen wurden, konnten die Nazis sich ausgerechnet auf die Rückendeckung des „sozialistischen“ Chinas und der „Kommunistischen“ Partei Chinas weiterhin verlassen.

Pakistan

Pakistan hat sich in den vergangenen Jahren von einem historisch engen Verbündeten des US-Imperialismus (beispielsweise seit den 70ern in den Strategien der USA in Afghanistan) zu einem engen Kooperationspartner Chinas gewandelt. Diese Umorientierung folgt einer Verschiebung der internationalen Kapitalströme: So ist China inzwischen der größte Kreditgeber Pakistans, da chinesische Banken allein etwa 30% der gesamten Auslandsverschuldung Pakistans halten, die zum großen Teil durch chinesische Infrastrukturprojekte in Pakistan im Rahmen der „Belt and Road Initiative“ angehäuft wurden216.

Die Lebensbedingungen großer Teile des pakistanischen Volkes sind bekanntlich nach wie vor von großem Elend geprägt. Besonders arm ist die große Provinz Belutschistan im Südwesten, in dem es eine Bewegung für nationale Unabhängigkeit von Pakistan gibt, die von der pakistanischen Regierung mit staatsterroristischen Mitteln bekämpft wird. China hat sich nicht nur bedeutende Ausbeutungsrechte für Gold und Kupfer in der Region gesichert, sondern investiert auch in den Hafen der Stadt Gwadar, die zu einem wichtigen Knotenpunkt des China-Pakistan Economic Corridor als Bestandteil der BRI ausgebaut wurde. Die chinesischen Bauprojekte zerstören die Lebensgrundlage der einheimischen Bevölkerung, die größtenteils vom Fischfang lebt: Indem chinesische Investoren in einem Radius von 70 km um Gwadar herum Land aufgekauft haben und neue Jobs weitgehend direkt an mitgebrachtes Personal aus China vergeben wurden (da die einheimische Bevölkerung dafür auch nicht die notwendigen Qualifikationen erlernt hat), das lokale Ökosystem empfindlich geschädigt und mehrere Fischarten ausgerottet wurden, wurde die bereits elende Lage der örtlichen Bevölkerung noch weiter verschlechtert. Die pakistanische Regierung hingegen profitiert gemeinsam mit den chinesischen Konzernen von den Geschäften und setzt sie mit Gewalt gegen den Widerstand des Volkes durch. Angesichts der Interessen des chinesischen Kapitals an den Bodenschätzen und Handelsrouten der Region ist es wenig verwunderlich, dass China sich im Belutschistan-Konflikt klar auf die Seite des pakistanischen Staates stellt und sich zur Zusammenarbeit in gemeinsamen „Anti-Terror-Operationen“ gegen die separatistische Bewegung bekennt217.

Doch der chinesische Kapitalexport bedroht auch die Lebensgrundlage der Arbeiterklasse und der Kleinbauern im Rest von Pakistan. Die Kommunistische Partei Pakistans beklagt in einer Stellungnahme, wie das chinesische Kapital zur Verschlechterung der Lebensbedingungen der werktätigen Bevölkerung des Landes beiträgt: „In dem im Lande eingeführten Mikrofinanzsystem wurden die Zinsen so hoch gehalten, dass sie denen privater Darlehensgeber gleichgekommen sind. Daher befindet sich die Landwirtschaft derzeit in einer Situation, in der die Kleinbauern ihr Land entweder verkaufen oder es an die hohen Tiere der Regierung verpachten. (…) Die Industrieprodukte konnten mit ausländischen Produkten nicht konkurrieren. Infolgedessen werden Industrien geschlossen oder ins Ausland verlagert. China übernimmt die Produktion und den Markt für Konsumgüter. Die Arbeitslosigkeit steigt drastisch an. Die Inflation ist in den letzten drei Jahren in die Höhe geschnellt und hat die arbeitenden Familien in arge Bedrängnis gebracht, während die Mittelschicht nicht in der Lage war, den Bedarf der Haushalte zu decken“218.

Südostasien

In Südostasien versucht China, seine wirtschaftlichen und politischen Interessen mithilfe verschiedener Hebel durchzusetzen. Auf die militärische Besetzung von Inselgruppen im Südchinesischen Meer wird weiter unten eingegangen. Den Herrschenden in China kommt auch die Geografie entgegen, denn die südostasiatischen Länder Thailand, Laos, Myanmar, Vietnam und Kambodscha sind alle vom Wasser des Mekong-Flusses abhängig, den China flussaufwärts aufstaut und damit die Wassermenge für die südlicheren Länder reduziert, was deren Landwirtschaft potenziell gefährdet219. Wie auch der Konflikt um die Krim zwischen Russland und der Ukraine bzw. konkret die Wasserversorgung aus dem Dnjepr gezeigt hat, kann die Kontrolle über Flussverläufe und das Abschneiden der Wasserversorgung für das flussabwärts gelegene Gebiet ein wichtiges machtpolitisches Instrument sein.

Vor allem die schwächeren südostasiatischen Staaten wie Laos und Kambodscha geraten dadurch in eine erhebliche wirtschaftliche Abhängigkeit von China. Laos ist hoch verschuldet, ein großer Teil dieser Schulden besteht gegenüber China: Laut einer Studie von 2019 lagen die laotischen Staatsschulden gegenüber China bei 45% des BIP von Laos. Zustande gekommen ist diese Schuldenlast vor allem durch eine Schnellbahnlinie von Südchina in die Hauptstadt Vientiane sowie eine Reihe von Staudämmen, die mit chinesischen Bankkrediten im Umfang einiger Milliarden US$ gebaut wurden. Des Weiteren ist die staatliche Elektrizitätsgesellschaft EDL mit mindestens fünf Milliarden US$ verschuldet (Stand Ende 2020) – bei einem BIP des Landes von etwa 19 Mrd. US$ -, weshalb sie an den chinesischen Staat überschrieben wurde220. Während die chinesische Regierung großen Wert darauf legt, gerade die strategischen Sektoren wie Energieversorgung und Transport als Garant ihrer wirtschaftlichen Unabhängigkeit in chinesischen Händen zu behalten und sie deshalb teilweise bis heute für ausländisches Kapital sperrt, hat sie offensichtlich umgekehrt keinerlei Hemmungen, diese Wirtschaftszweige in anderen Ländern unter ihre Kontrolle zu nehmen.

Afrika

Die Aktivitäten Chinas auf dem afrikanischen Kontinent sind vielfältig und umfassen zahlreiche Projekte zum Ausbau der Infrastruktur und zur Ausbeutung von Ressourcen, die China für seine schnell wachsende Industrie benötigt. Die chinesische Propaganda stellt – ganz ähnlich wie die der westlichen Staaten – ihre wirtschaftliche Expansion in Afrika grundsätzlich als eine „Entwicklungszusammenarbeit“ dar, die im „beiderseitigen Interesse“ liege. Auf diese Rhetorik, die nichts anderes ist als eine Neuauflage der alten Lüge, dass der Kapitalismus letzten Endes Wohlstand für Alle zu bieten habe, fallen auch bemerkenswert viele Linke auf der ganzen Welt herein. Das ist erstaunlich angesichts der allgemein bekannten Tatsache, dass auch chinesische Unternehmen in Afrika aus Profitmotiven investieren und es nicht tun würden, wenn sie nicht darauf hoffen könnten, ihre Investition mit einer satten Gewinnmarge zurückzubekommen. Dabei sollte eigentlich zumindest die Frage naheliegen, weshalb dann die chinesischen Investitionen grundsätzlich „besser“ sein sollten. Doch sehen wir uns ein paar Daten und Beispiele an.

Auch auf dem afrikanischen Kontinent ist China inzwischen der größte Gläubigerstaat und hat nach Schätzungen allein zwischen 2006 und 2017 Kredite im Umfang von 132 Mrd. US$ an afrikanische Länder vergeben. Etwa 20% der gesamten Verschuldung afrikanischer Länder im Ausland besteht demnach gegenüber China (Stand 2018)221. Allerdings handelt es sich dabei um Schätzungen, da offizielle Daten nicht vorliegen – wie oben dargelegt gehen einige Wirtschaftswissenschaftler davon aus, dass die tatsächliche chinesische Kreditvergabe deutlich höher liegt. Auf der anderen Seite zeigen diese Daten auch, dass der Großteil der afrikanischen Auslandsverschuldung immer noch aus anderen Teilen der Welt kommt, das heißt überwiegend aus Europa und den USA, die zusammen immer noch für die meisten imperialistischen Aktivitäten auf dem Kontinent verantwortlich sind – eine Tatsache, die von den westlichen Medien, die vor dem wachsenden chinesischen Einfluss warnen, gerne ausgespart wird.

Die chinesischen Aktivitäten konzentrieren sich in manchen Ländern besonders. Da ist zum einen Djibouti, der Standort der ersten chinesischen Marinebasis im Ausland, dessen Auslandsverschuldung zu mehr als drei Vierteln von chinesischen Gläubigern gehalten wird.

Bei Sambia lag der chinesische Anteil an seinen Auslandsschulden 2017 bei 73,5%222. Sambia ist eins der afrikanischen Länder, die immer wieder durch Konflikte zwischen den Arbeitern vor Ort und chinesischen Kapitalisten auffielen: Die unsicheren Arbeitsbedingungen in den Bergwerken des Landes sind berüchtigt: Nach einem Bericht von Human Rights Watch von 2011 sind Arbeitsschichten von 12 bis 18 Stunden an der Tagesordnung, obwohl die Gesetze des Landes theoretisch eine Obergrenze von 8 Stunden vorsehen. Arbeitsbedingungen und Sicherheitsmaßnahmen seien sogar noch schlimmer und die Löhne niedriger als in den Bergwerken anderer ausländischer Investoren223. Bereits 2005 waren mindestens fünfzig sambianische Arbeiter bei einer Explosion in einer chinesischen Kupfermine ums Leben gekommen224. 2010 eröffneten zwei der Manager der chinesischen Collum-Kohlemine im südlichen Sambia das Feuer auf Arbeiter, die gegen die schlechten Arbeitsbedingungen protestierten. Zwölf Bergarbeiter wurden verletzt, zwei überlebten nur knapp mit Schüssen in den Kopf und in die Brust225. 2012 kam es zu Protesten von Arbeitern vor derselben Kohlemine, wobei wiederum fehlende Sicherheitsmaßnahmen angesichts der lebensgefährlichen Arbeitsbedingungen und sehr niedrige Löhne beklagt wurden. Die chinesischen Eigentümer setzten Streikbrecher ein, woraufhin es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen protestierenden Arbeitern und dem chinesischen Personal kam und, anscheinend unbeabsichtigt, ein Chinese ums Leben kam226.

Die Ereignisse in Sambia stellen keinen Einzelfall dar. Auch in Simbabwe ist China als Investor in vielen Infrastrukturprojekten aktiv und hat beispielsweise ein neues Parlamentsgebäude gebaut. 2020 kam es hier zu einem öffentlichen Skandal, als ein chinesischer Unternehmer zwei Arbeiter in seinem Bergbauunternehmen in die Hüften sowie in den Unterkiefer schoss. Anlass waren Auseinandersetzungen um den Lohn: „Die Löhne sind oft sehr niedrig und werden oft nicht pünktlich ausbezahlt. Wenn jemand auf seine Rechte als Arbeiter besteht und verlangt, was er verdient, werden sie angegriffen oder erschossen“, so ein Sprecher einer lokalen Umweltorganisation227.

Weitere Fälle ließen sich aufzählen, wenn es an dieser Stelle um eine umfassende Darstellung des Agierens chinesischer Monopole in Afrika ginge. Doch auch diese Fälle sollten ausreichend belegen, dass die häufig kursierenden Behauptungen, wonach chinesische Kapitalisten in Afrika eine grundsätzlich menschenfreundlichere Rolle spielen würden als die anderer Länder, ins Reich der Legenden gehört. Gleiches gilt für die anderen aufgeführten Beispiele: Der chinesische Kapitalexport erfolgt mit dem Zweck, Profite zu generieren, die von den chinesischen Monopolen, das heißt vom Staat und den chinesischen Kapitalisten angeeignet werden. Umweltauflagen, Sicherheitsmaßnahmen am Arbeitsplatz und vor allem eine Arbeiterklasse, die sich organisiert und für höhere Löhne kämpft, schränken die Profite ein und werden deshalb von den Kapitalisten bekämpft. Hier unterscheiden die chinesischen Kapitalisten sich nicht von ihren „Kollegen“ aus anderen Ländern, sei es aus Deutschland, Südkorea oder Brasilien.

d. Militärische Aktivitäten und zwischenstaatliche Konflikte [nach oben]

Die weltweite Expansion des chinesischen Kapitals geht auch einher mit einem wachsenden Bedürfnis Chinas nach Absicherung seiner Investitionen, seiner Absatzmärkte, von Rohstoffvorkommen und Transportrouten. Auch hierin unterscheidet China sich grundsätzlich nicht von anderen Staaten, die eine führende Rolle im imperialistischen Weltsystem spielen – lediglich der Umfang der militärischen Aktivitäten in anderen Ländern ist im chinesischen Fall geringer. Dies liegt zum einen daran, dass China erst seit wenigen Jahren eine Position an der Spitze der globalen imperialistischen Rangordnung einnimmt; zum anderen würden vor allem offene Kriegseinsätze, die z.B. denen der USA oder der NATO in Irak, Jugoslawien oder Afghanistan vergleichbar wären, im Widerspruch zur offiziellen chinesischen Selbstdarstellung des „friedlichen Aufstiegs“ stehen. Sie wären zudem für den chinesischen Imperialismus, der durch die Stärke seiner Kapitalakkumulation seine Position verbessern kann, kontraproduktiv – ganz im Gegensatz zu den USA, die spätestens seit den 1990er Jahren versucht haben, ihren relativen Abstieg im Weltsystem durch Kriege aufzuhalten.

Militärische Aktivitäten im Ausland

Dessen ungeachtet steigt die militärische Präsenz Chinas außerhalb seiner Grenzen, insbesondere in Zentralasien und in Afrika. Zum Fall des „Südchinesischen Meeres“, das von China selbst, nicht aber von den anderen Anrainerstaaten als zugehörig zu China betrachtet wird, kommen wir weiter unten. Dass sich mit dem zunehmenden Kapitalexport auch die Frage dringlicher stellt, wie die Investitionen im Zweifelsfall auch militärisch abgesichert werden können, spricht der chinesische Staat in seinen „Defense White Papers“ offen aus. Bereits in dem Papier von 2015 wurde formuliert, die „Sicherheit der Interessen in Übersee in Bezug auf Energie und Ressourcen, strategische Seekommunikationslinien sowie Institutionen, Personal und Vermögenswerte im Ausland ist zu einem dringenden Thema geworden.“. Und: „Als Reaktion auf die neuen Anforderungen, die sich aus den wachsenden strategischen Interessen des Landes ergeben, werden sich die Streitkräfte aktiv an der regionalen und internationalen Sicherheitszusammenarbeit beteiligen und Chinas Interessen in Übersee wirksam schützen.“228. Das White Paper von 2019 ergänzt: „Um Defizite bei Operationen in Übersee und bei der Unterstützung zu beheben, baut sie (die chinesische Volksbefreiungsarmee, Anm.d.A.) Hochsee-Streitkräfte auf, entwickelt logistische Einrichtungen in Übersee und verbessert die Fähigkeiten zur Erfüllung diversifizierter militärischer Aufgaben.“229

Am sichtbarsten ist die militärische Präsenz Chinas und ihr Zusammenhang mit der Profitsicherung im Fall der chinesischen Militärbasis in Djibouti. Das kleine ostafrikanische Land liegt an der Meerenge, die das Rote Meer und den Golf von Aden voneinander trennt. Dabei handelt es sich um einen der wichtigsten Flaschenhälse des maritimen Handels überhaupt, der von einem Großteil des Warenhandels zwischen China und Europa passiert wird. Die chinesische Militärpräsenz an diesem Ort dient offensichtlich vor allem einem Zweck: Der Kontrolle und Sicherung des Handels zwischen China und Europa durch die chinesische Armee. Im Interesse der örtlichen Bevölkerung ist die Anwesenheit chinesischer Soldaten wohl kaum.

Ob China momentan am Aufbau weiterer Militärbasen in anderen Ländern arbeitet, ist unklar, da entsprechende Behauptungen immer wieder von westlichen Medien aufgestellt, aber nie nachgewiesen werden. 2018 wurden in verschiedenen Medien beispielsweise Gerüchte über eine neue chinesische Flottenbasis in Pakistan in Umlauf gebracht, die aber von chinesischer Seite bisher nicht bestätigt wurden230. Auch kursierende Behauptungen über chinesische Militärbasen in den Vereinigten Arabischen Emiraten, Äquatorialguinea und Kambodscha wurden bisher nicht belegt.

Doch auch in anderen afrikanischen Ländern ist China auf eine bewaffnete Absicherung seiner Interessen bedacht. Im Südsudan ist China seit einigen Jahren stärker als jedes andere Land in der Ölförderung engagiert. Die bestätigten Ölreserven sind die drittgrößten in Afrika, gesichert sind etwa 3,5 Mrd. Barrel Rohöl, mit einer hohen Wahrscheinlichkeit der Entdeckung weiterer Lagerstätten. Die chinesische Ölfirma CNPC investiert in dem Land trotz der politischen Instabilität und bewaffneten Auseinandersetzungen; ihr Vorteil dabei ist, dass gerade diese Faktoren die westlichen Ölkonzerne bisher auf Distanz gehalten haben. Im Rahmen einer UN-Mission, aber mit dem eindeutigen Ziel, chinesische Investitionen in Ölfelder zu schützen, hat die chinesische Regierung seit 2014 Truppen im Südsudan stationiert, die 2016 und 2018 in Gefechte mit Rebellen verwickelt waren und dabei auch selbst Tote zu beklagen hatten. 2018 wurden zudem 14 chinesische Ölarbeiter von Rebellen getötet231.

Die chinesischen Investitionen im Rahmen der „Belt and Road Initiative“ sind laut der Chinesischen Akademie für Gesellschaftswissenschaften zu 84% in Ländern situiert, denen eine mittlere oder hohe Risikostufe zugeschrieben wurde232. Allein zwischen 2010 und 2015 kam es laut dem chinesischen Ministerium für Staatssicherheit in chinesischen Firmen zu 350 sicherheitsrelevanten Ereignissen wie u.a. Entführungen, Terroranschläge und Gewaltakte gegen das Personal der Unternehmen. Um die Sicherheit dieser Investitionen zu gewährleisten, setzen chinesische Kapitalisten zusätzlich zu den im Ausland stationierten Soldaten der Armee auch private Sicherheitsfirmen ein233. In einem Artikel heißt es dazu: „Das Wachstum chinesischer privater Sicherheitsunternehmen erfolgt in dem Maße, wie Beijing seine Investitionen in große Infrastrukturprojekte in Afrika erhöht. China investiert auch in Bergbauprojekte auf dem gesamten Kontinent. In Ländern wie der Demokratischen Republik Kongo, dem Sudan und dem Südsudan bedeuten die anhaltenden politischen Unruhen jedoch, dass die staatlichen Sicherheitsdienste zu wünschen übrig lassen. (…) Als Reaktion auf die zunehmende kriminelle und militante Gewalt gegen chinesische Personen und Infrastrukturen im Ausland erweitert sich ihre Rolle (die der privaten Sicherheitsfirmen, Anm.d.A.) von der Sicherung fester Strukturen auf die Bereitstellung von Hightech-Überwachung.“234

Zusätzlich zu diesem direkten Engagement unterstützt China, ähnlich wie es auch europäische Staaten und die USA tun, afrikanische Regierungen beim Ausbau ihres Militärs und Sicherheitsapparates. Beispielsweise hat China der G5-Sahel-Gruppe235 Geld zur Verfügung gestellt, um islamische Rebellengruppen zu bekämpfen. Chinesische Truppen nehmen an verschiedenen UN-Missionen in afrikanischen Ländern teil (UNMIL in Liberia, MONUC in der DR Kongo, UNMISS im Sudan, MINUSMA in Mali). In Liberia trainierten chinesische Ausbilder 2014 lokale Polizeieinheiten. In Nigeria teilte das chinesische Militär Aufklärungsdaten mit den Regierungstruppen in ihrem Kampf gegen Rebellen. Das Militär von Ghana wurde von China kostenlos mit Patrouillenbooten zum Kampf gegen Piraterie ausgestattet236.

In vergleichbarer Weise, als militärischer Ausrüster lokaler Regierungstruppen, ist China auch in Zentralasien aktiv. So unterstützte China das von den USA eingesetzte Regime in Afghanistan durch den Aufbau einer Gebirgsjägerbrigade im Kampf gegen die Taliban, wie die afghanische Botschaft in Beijing im August 2018 bekanntgab. Russische Medien behaupteten zudem, dass China eine Militärbasis in der Provinz Badakhshan finanzieren würde, was allerdings von offizieller Seite bestritten wurde. Laut dem chinesischen Verteidigungsministerium unterstütze China lediglich die afghanische Regierung im Kampf gegen „Terrorismus“. Diese Unterstützung beinhaltete laut einem Mitarbeiter des Centre for Strategic and Regional Studies in Kabul Militärhilfe an die Kabuler Regierung im Umfang von 70 Mio. US$237. Auch die Machtübernahme der Taliban hat sich allerdings für chinesische Interessen eher als vorteilhaft erwiesen. China hat als erstes Land der Welt nach dem Sieg der Taliban einen Botschafter nach Kabul geschickt. Es laufen nun Gespräche mit der neuen afghanischen Regierung zur Aufnahme des Landes in die BRI und in den China-Pakistan Economic Corridor sowie zum Bau einer großen Kupfermine mit chinesischem Kapital. Das Ende des jahrzehntelangen Bürgerkrieges eröffnet in Afghanistan also neue Investitionsmöglichkeiten in Ressourcenabbau und Handelswege238.

In Tadschikistan ist China zweifellos die vorherrschende ausländische Macht. Tadschikistan hat sich einer „Anti-Terror-Koalition“ angeschlossen, die aus China, Tadschikistan, Pakistan und Afghanistan (vor der Machtübernahme der Taliban) besteht und klar von China dominiert wird. Im Rahmen dieses Bündnisses bilden die beteiligten Staaten gemeinsam Truppen für den Kampf gegen als terroristisch definierte Kräfte aus. Gemäß einem Abkommen zwischen dem chinesischen Ministerium für öffentliche Sicherheit und dem tadschikischen Innenministerium hat China einen Militärstützpunkt sowie vier Grenzposten und eine Reihe weiterer militärischer Einrichtungen gebaut239. Nach verschiedenen Berichten und Satellitenbildern soll es mindestens bereits seit 2016 ohnehin eine Präsenz von chinesischen bewaffneten Kräften in Tadschikistan geben240. Das Interesse Chinas besteht hier einerseits darin, Länder an seiner Grenze und in seiner ökonomischen Einflusszone zu stabilisieren, andrerseits aber vor allem auch potenzielle Rückzugsorte für uiguirische Separatisten „auszutrocknen“.

Das Interesse Chinas an dem armen zentralasiatischen Land erklärt sich nicht allein aus der geografischen Nachbarschaft und der instabilen Lage in Xinjiang, deretwegen die chinesische Regierung enge Beziehungen zu den Herrschenden in den westlichen Nachbarländern anstrebt. Es sind auch handfeste Profitinteressen: Etwa 40% der Auslandsverschuldung des Landes bestehen aus chinesischen Forderungen, mehr als 80% des tadschikischen Goldes wird von chinesischen Konzernen abgebaut und 37% (Stand 2018) der ausländischen Direktinvestitionen kommen aus China. Des Weiteren haben chinesische Bergbaukonzerne sich Schürfrechte für Silber, Blei, Zink und Uran gesichert und eine Pipeline zwischen China und Turkmenistan führt ebenfalls durch Tadschikistan241. In den Worten eines Politikwissenschaftlers aus der Region: „China will zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen – sich selbst von möglichen militärischen Angriffen uigurischer Separatisten durch den Wakhan-Korridor schützen und Bedingungen zur Einrichtung der günstigsten Transportrouten für den Export von Erz aus Afghanistan und Tadschikistan, das wertvolle Metalle birgt, zu schaffen242.

Wir können also bilanzieren: Der Kapitalexport eines Landes geht mit verstärkten militärischen Aktivitäten einher, um die immer bedeutenderen Interessen im Ausland zu schützen und auch aktiv durchzusetzen. China, das inzwischen zu den größten Kapitalexporteuren der Welt gehört, ist hier keine Ausnahme. Sein Militär verfolgt, so wie auch die Armeen anderer kapitalistischer Länder, explizit u.a. das Ziel, Investitionen und Handelswege abzusichern. Neben dem Einsatz des Militärs stützt sich der Staat aber auch auf die oftmals „diskretere“ Variante der Verwendung privater Sicherheitsdienste und der Ausbildung von Armee und Polizei in verbündeten Staaten, um seine Profitinteressen zu wahren.

Chinas Aufstieg und die Konflikte im imperialistischen System: Taiwan und das Südchinesische Meer

China ist aus Sicht der westlichen imperialistischen Staaten, insbesondere aus Sicht der USA, der größte und gefährlichste Rivale, der ihre Machtstellung und ihre Ansprüche auf die Beherrschung möglichst großer Teile der Welt bedroht. Nachdem es seit der Annäherung Chinas an die USA, insbesondere durch die Treffen Mao Tse-tungs mit den US-Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford, eine engere Zusammenarbeit zwischen China und den USA gegen die Sowjetunion gab und auch in den 90er Jahren die Beziehungen vorerst relativ gut blieben, musste der weitere wirtschaftliche Aufstieg Chinas an einem bestimmten Punkt die Beziehungen zu den USA infrage stellen. Die chinesischen Kapitalisten erobern nicht nur einen wachsenden Anteil der globalen Absatzmärkte, die chinesische Regierung schränkt zudem auch den Zugriff des US-amerikanischen und westlichen Kapitals auf chinesische Unternehmen ein, sodass es sich bei China um einen relativ eigenständigen, in kein von US-dominiertes Bündnissystem integrierten Rivalen handelt.

Die USA reagierten auf den Aufstieg Chinas mit einer Strategie der Einkreisung. Von Südkorea und Japan über Taiwan und Guam bis zu den Philippinen und Thailand besteht vom Meer aus eine lückenlose Kette von mit den USA verbündeten Inseln bzw. Staaten, die durch die US-Verbündeten Australien und Neuseeland noch ergänzt wird. Das US-Militär verfügt über Stützpunkte entlang der ganzen Kette. Es ist wenig verwunderlich, dass dies von der Regierung Chinas als feindseliger Akt wahrgenommen wird.

Doch China ist seinerseits kein passives Opfer der Aggressionen des US-Imperialismus, sondern vertritt selbst in zunehmend offensiver Form seine Interessen. Es gibt dabei vor allem zwei Konfliktherde in der geografischen Umgebung Chinas: Zum ersten der Konflikt um Taiwan, zum zweiten der im Südchinesischen Meer.

Der Taiwan-Konflikt hat seine Wurzeln im Jahr 1949, als die antikommunistische Kuomintang-Regierung, die den Bürgerkrieg gegen die Kommunistische Partei Chinas verloren hatte, auf die Insel Taiwan flüchtete und dort ihre Diktatur installierte. Die neu gegründete Volksrepublik China erkannte Taiwan bzw. die „Republik China“ zu keinem Zeitpunkt als eigenständigen Staat an, sondern betrachtete den faktischen Staat immer als abtrünnige Provinz bzw. Teil des chinesischen Staatsgebiets. Bis heute erkennen nur wenige Länder Taiwan als Staat an, da dies automatisch von der VR China als Affront betrachtet werden würde. Doch das Wesen des Konflikts liegt nicht in der völkerrechtlichen Frage, ob der chinesische Anspruch auf Taiwan „legitim“ ist oder nicht. Es liegt in den kapitalistischen Interessen aller an dem Konflikt beteiligten Parteien: Das ist das Interesse der USA daran, Taiwan als Teil seines antichinesischen Bündnissystems als „unsinkbaren Flugzeugträger“ vor dem chinesischen Festland zu erhalten und ungehindert Geschäfte mit der wichtigen Wirtschaft des Inselstaates betreiben zu können. Es ist das Interesse der taiwanesischen Kapitalisten daran, unabhängig von den Vorgaben aus Beijing ihren Geschäften nachgehen zu können und ihre lukrativen Wirtschaftsbeziehungen mit den USA, Japan, Südkorea und weiteren Ländern entwickeln zu können. Und es ist das Interesse Festlandchinas daran, Taiwan zu annektieren, um die feindliche Einkreisung durch US-Verbündete zu durchbrechen und zudem einen zentralen Baustein des ostasiatischen Wirtschaftsraums unter Kontrolle zu bekommen, in dem u.a. über 60% der weltweiten Produktion von Halbleitern und über 90% der Produktion der am weitesten fortgeschrittenen Halbleitertechnologie lokalisiert ist243. Ein militärischer Konflikt um Taiwan könnte sich schnell zu einem großen Krieg zwischen China und den USA und ihren Verbündeten ausweiten. In einem solchen Krieg wäre es nicht entscheidend, wer den ersten Schuss abgefeuert hat – es würde sich um einen Krieg zwischen den beiden führenden imperialistischen Polen um die Vormacht im Pazifik handeln, den vor allem die Arbeiterklasse der beteiligten Länder mit ihrem Blut bezahlen würde und bei dem sie auf keiner Seite etwas zu gewinnen hätte. Denn gegenüber der im Westen vorherrschenden Propaganda ist zu betonen, dass es die USA im Bündnis mit der taiwanesischen Bourgeoisie waren, die Taiwan über Jahrzehnte hinweg zu einem antichinesischen Frontstaat aufgebaut und damit einen solchen Krieg vorbereitet haben.

Um den Konflikt im Südchinesischen Meer zu verstehen, ist es ebenfalls erforderlich, sich die ökonomische und geopolitische Bedeutung dieser Meeresregion vor Augen zu führen: 2016 führten 64% des gesamten chinesischen Seehandels und 42% des japanischen Seehandels sowie 21% des gesamten Welthandels durch das Gebiet244. Der Konflikt dreht sich um zwei Gruppen winziger Inseln im Südchinesischen Meer – die Spratly- und die Paracel-Inseln, die teilweise von China militärisch besetzt sind, aber von einer Reihe anderer Staaten, insbesondere von den Philippinen und Vietnam beansprucht werden (siehe Grafik 3). Mit der Kontrolle über die Inseln sichert China sich nicht nur die wirtschaftliche Ausbeutung der umliegenden Gewässer, sondern vor allem auch die Fähigkeit zur Projektion militärischer Macht im gesamten Südchinesischen Meer und damit eine enorme Macht über die Ströme des globalen Warenhandels.

Grafik 3: Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer

Quelle: William Pesek: Making Sense of the South China Sea Dispute, Forbes 22.8.2017, online: https://www.forbes.com/sites/outofasia/2017/08/22/making-sense-of-the-south-china-sea-dispute/?sh=152dbd41c3b9, abgerufen 19.10.2023.

Mit der wachsenden Stärke Chinas im Weltsystem geht also unvermeidlich die Verschärfung von Konflikten einher. Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass China alleine „schuld“ an diesen Konflikten trägt. Um eine „Schuldfrage“ geht es nicht, denn es handelt sich um objektive Prozesse, die aus den sich verschiebenden Kräfteverhältnissen innerhalb der imperialistischen Ordnung resultieren. Worum es geht ist die Erkenntnis, dass diese Konflikte den Charakter von Auseinandersetzungen zwischen Staaten mit kapitalistischem Charakter, bisweilen auch zwischen den beiden hauptsächlichen Zentren des heutigen Imperialismus, haben. Sowohl die pro-chinesische Propaganda, die China als bloßes Opfer westlicher Aggressionen darstellt und damit die Aufrüstung und Expansion Chinas rechtfertigt, als auch die spiegelverkehrte westliche Propaganda, die Taiwan als unschuldiges Opfer chinesischer Übergriffe porträtiert und damit weitere Waffenlieferungen und Militärpräsenz der USA und europäischer Staaten begründet, gehen daher am Wesen der Sache vorbei.

Damit sind wir bei der Frage angelangt, die implizit schon während der ganzen letzten Abschnitte eine Rolle gespielt hat, nämlich die, ob im Fall von China der Begriff des Imperialismus angemessen ist.

e. Gibt es einen chinesischen Imperialismus? [nach oben]

Der Imperialismus, wenn wir ihn nach seinem marxistischen Begriff verstehen, ist keine Eigenschaft, die manche Länder an sich haben und andere nicht, je nachdem wie aggressiv ihre Außenpolitik ist oder wie viele Militärbasen sie außerhalb ihrer Grenzen unterhalten. Imperialismus ist ein Weltsystem, in dem die Rangordnung in den wechselseitigen Abhängigkeitsverhältnissen auf der Grundlage der Vorherrschaft des international expandierenden Monopolkapitals beruht. Die Voraussetzung dafür, dass ein Staat einen nicht- bzw. antiimperialistischen Charakter annehmen kann, ist, dass in ihm die ökonomische Basis des Imperialismus, das Monopolkapital fehlt: Es kann sich also entweder nur um einen sozialistischen Staat handeln, oder um ein Land, dessen Entwicklung zum Kapitalismus sich an einem sehr frühen Punkt befindet. Zu behaupten, dass China außerhalb des globalen monopolistischen Kapitalismus stehe, wäre allerdings eine so realitätsferne Aussage, dass nur die dreistesten Apologeten des chinesischen Kapitalismus sie aufstellen würden.

Denn, wie die Analyse des chinesischen Kapitalismus einschließlich seiner weltweiten Expansion gezeigt hat, ist es offensichtlich, dass China nicht nur voll und ganz in das imperialistische Weltsystem integriert ist, sondern sich sogar zu einem der führenden Machtpole dieses Systems entwickelt hat. Verwirrend ist dabei für manche, die sich selbst auf den Marxismus berufen, dass der chinesische Imperialismus bisher durchaus noch anders in Erscheinung tritt. Während der US-Imperialismus, wie man angelehnt an Marx sagen könnte, aus allen Poren vor Blut und Schmutz trieft, zahllose Kriege, faschistische Putsche und Abermillionen Todesopfer in zig Ländern der Welt zu verantworten hat, mit anderen Worten also für jeden, der nicht völlig von der Propaganda geblendet ist, als nackte Barbarei auf der Weltbühne erscheint, kommt der chinesische Imperialismus wesentlich „zivilisierter“ daher: Er hat bisher keine Kriege begonnen und keine Völkermorde in anderen Ländern angezettelt. Er verfügt auch bisher über kein weltumspannendes Netz aus Militärbasen, um seinen Einfluss überall auf der Welt durchzusetzen und seine Rivalen durch Umzingelung zu bedrohen. Er hat keine Geschichte des Kolonialismus, also der rücksichtslosen, mörderischen und systematischen Ausplünderung anderer Länder hinter sich.

Und doch handelt es sich ohne Zweifel um Imperialismus: Der chinesische Staat vertritt die Interessen des Monopolkapitals, das insgesamt zum größten Teil privat ist, während die größten Monopole überwiegend in mehrheitlichem Staatsbesitz sind. Diese Monopole exportieren in erheblichem Maße Kapital in alle Kontinente, sie gehören zu den weltgrößten Gläubigern, gründen überall Zweigstellen und kaufen sich in Monopole anderer Länder ein oder übernehmen sie. Zum Schutz der Kapitalinvestitionen und Handelsrouten setzt der chinesische Staat seine Armee und Flotte sowie private Söldnerfirmen ein. Auch bei chinesischen „Polizeiaktionen“ gegen Rebellen oder Piraten werden, genauso wie wenn dahinter westliche Financiers stehen, überwiegend junge Männer aus ärmsten Verhältnissen getötet, deren einzige Perspektive oft in der Piraterie oder dem Beitritt zu einer bewaffneten Gruppe besteht.

China steht eben nicht außerhalb des imperialistischen Systems, wie es die sozialistische Planwirtschaft der Sowjetunion tat, sondern es ist Teil davon und trägt zu seiner Reproduktion und Aufrechterhaltung bei. China ist Mitglied der wichtigsten Institutionen zur globalen Aufrechterhaltung und Regulierung des Imperialismus, des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank. Der chinesische Anteil an der Weltbank beträgt 4,8%, der am IWF 6,4% – Versuche Chinas, seine Anteile zu erhöhen wurden von den anderen Staaten wie den USA blockiert. Beide Institutionen haben in den letzten Jahrzehnten eine wichtige Rolle dabei gespielt, die globale Offensive des Monopolkapitals gegen die Arbeiterklasse und Kleinbauernschaft vor allem der armen Länder zu führen, indem sie im Gegenzug für Kredite oft auf Privatisierungen, Entlassung von Staatsangestellten, Maßnahmen gegen Gewerkschaften, Kürzung von Renten, Streichung von Subventionen und ähnliche Schritte auf Kosten der breiten Volksmassen bestanden und damit direkt die Verarmung dieser Bevölkerungsschichten vorangetrieben haben. China beteiligt sich an beiden Institutionen keineswegs mit dem Ziel, ihren Charakter grundlegend zu verändern, was auch nicht möglich ist, sondern es versucht, seine Interessen dabei zu vertreten und Einfluss auf die Regulierung der kapitalistischen Weltwirtschaft zu erhalten.

Das konzentrierte Privateigentum, für dessen Schutz China steht und dessen Interessen es grundsätzlich genauso international durchzusetzen beabsichtigt, wie es die USA oder EU tun, bedeutet auch hier nichts anderes als dass die Reichtümer der Welt in der Verfügung einer kleinen Minderheit von Kapitalisten bleiben, während es den übrigen Milliarden verwehrt bleibt, die Früchte ihrer Arbeit selbst zu genießen. Für die Bergleute in Sambia und die Hafenarbeiter in Griechenland macht es jedenfalls keinen Unterschied, ob der Hungerlohn, für den sie ihre Lebenszeit und Gesundheit opfern, von einem chinesischen, US-amerikanischen oder auch einem einheimischen Unternehmen ausgezahlt wird oder welcher Ausbeuter sich den produzierten Mehrwert aneignet. Und während es sicherlich ein Unterschied bleibt, dass chinesisches Militär und Söldner bisher „nur“ zur Sicherung von Investitionen und Handelsrouten lokal begrenzt eingesetzt werden, während die USA in den vergangenen Jahrzehnten mit ihren Kriegen immer wieder ganze Landstriche verwüstet und entvölkert haben, so ist und bleibt es eine Gewaltherrschaft des Monopolkapitals über die arbeitenden Massen.

Das Agieren in der imperialistischen Konkurrenz, der Kampf um die Vergrößerung des Anteils der chinesischen Monopole an dem Mehrwert, der der Arbeiterklasse abgepresst wird, dieser Kurs der KP Chinas ist das direkte Gegenteil des proletarischen Internationalismus. Anstatt für die Befreiung der Arbeiter der Welt zu arbeiten, ihre Kämpfe gegen die Ausbeutung in jedem Land zu unterstützen, hilft die KP Chinas an zentraler Stelle dabei mit, genau diese Ausbeutung zu organisieren und zu festigen. Der Aufstieg Chinas bedeutete auch für den Rest der Welt eine Zunahme des Konkurrenzdrucks, beispielsweise für andere Länder Südost- und Ostasiens, aber auch Lateinamerikas, in denen Produktionsstätten geschlossen und nach China verlagert wurden245. Dies hat die Lage der dortigen Arbeiterklassen verschlechtert, da die bürgerlichen Staaten auf die verstärkte Konkurrenz mit intensivierten Klassenkampf von oben zur Senkung der Löhne reagiert haben. Es geht an dieser Stelle natürlich nicht darum, China moralisch für seine Rolle in der kapitalistischen Konkurrenz zu kritisieren, denn die gleiche Rolle spielen alle kapitalistischen Staaten. Es geht darum, dass eine Entwicklungsstrategie, die darauf beruht, in der kapitalistischen Weltmarktkonkurrenz erfolgreicher zu sein als andere Staaten, den proletarischen Internationalismus zwangsläufig ad absurdum führt.

Auch dass Formen der Expansion, die auf unmittelbare militärische Gewalt setzen, momentan von China weniger verfolgt werden als von anderen imperialistischen Zentren, liegt wohl kaum an der internationalistischen Haltung der chinesischen Führung. Viel eher liegt es daran, dass ein solcher Kurs die blühenden weltweiten Geschäfte der chinesischen Monopole stören und die Gefahr einer kriegerischen Konfrontation mit den USA erhöhen würde. Der chinesische Kapitalismus gewinnt den Konkurrenzkampf mit seinen Rivalen momentan auf dem „friedlichen“ Weg und braucht den Krieg noch nicht. Das ist der Grund, weshalb der chinesische Kapitalismus sich momentan ein „menschliches Antlitz“ zulegt, und dieser Grund wird mit der Verschiebung der weltweiten Kräfteverhältnisse irgendwann zwangsläufig entfallen.

Die Folgen der chinesischen ökonomischen und teilweise auch militärischen Expansion für die Zielländer wurden hier dargestellt, nicht um die Propaganda westlicher Medien zu unterstützen, wonach Chinas Engagement in Afrika oder anderswo angeblich eine besonders skrupellose Form von Imperialismus darstelle. Diese Kritik, aus dem Mund derer, die über Jahrhunderte hinweg die Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas gnadenlos ausgebeutet, abgeschlachtet und bis auf das letzte Hemd ausgeraubt haben, ist selbstverständlich niederträchtigste Heuchelei und wird in den betreffenden Ländern auch oft so wahrgenommen. Die Kritik an westlichen Doppelstandards sollte aber nicht dazu führen, dass wir als Marxisten blind gegenüber den objektiven Tatsachen werden und somit selbst Doppelstandards anwenden. Vielmehr ging es darum, aufzuzeigen, dass die grundsätzlichen Entwicklungsgesetze und Tendenzen, die den westlichen Imperialisten über lange Zeit ihre Vorherrschaft im kapitalistischen Weltsystem verschafft haben, auch im Falle Chinas wirksam sind und hinter dem Aufstieg Chinas zur Weltmacht stehen.

Die häufig gehörte Argumentation der Apologeten des heutigen China, wonach der chinesische Kapitalexport – im Gegensatz zum Kapitalexport z.B. Frankreichs, Deutschlands oder der USA – keinen imperialistischen Charakter trage, weil er in den Zielländern ja zur Entwicklung der Infrastruktur beitrage, ist offenkundig sehr absurd. Denn dass der Kapitalexport, vor allem wenn er mit Investitionen in Industrie oder Infrastruktur einhergeht, immer auch die Produktivkräfte vor Ort entwickelt, ist wenig verwunderlich und ein allgemeines Charakteristikum von Kapitalexport, auf das auch Lenin in seiner Imperialismusschrift hinwies: „Der Kapitalexport beeinflußt in den Ländern, in die er sich ergießt, die kapitalistische Entwicklung, die er außerordentlich beschleunigt246. Selbst die Kolonialmächte im 19. Jahrhundert, deren Fokus in den Kolonien überwiegend darauf lag, zu möglichst niedrigen Kosten möglichst hohe Profite durch den Abbau der natürlichen Ressourcen zu erreichen, trugen zu einem gewissen Grad zur Entwicklung der Produktivkräfte bei, indem sie Eisenbahnen und Häfen bauten und wenigstens eine schmale Schicht von Kollaborateuren ausbildeten. Eine Rechtfertigung der Barbarei des Kolonialismus lässt sich daraus nicht ableiten. Und auch wenn es unsinnig ist, die chinesischen Aktivitäten in Afrika und anderswo heute als „Rekolonisierung“ zu bezeichnen, wie es oft getan wird, so handelt es sich selbstverständlich um Kapitalexport im imperialistischen Sinne.

Denn eine korrekte marxistische Kritik des Imperialismus besteht nicht darin, dass dieser absolut und überall jede wirtschaftliche Entwicklung in den Zielländern verhindern würde. Sie besteht vielmehr darin, dass die Arbeiterklasse mit ihrer Hände Arbeit gewaltige Reichtümer erschafft, die aber nicht ihr gehören, sondern einer winzigen Gruppe von parasitären Monopolkapitalisten – und das unabhängig davon, ob diese aus dem eigenen oder einem anderen Land kommen. Sie besteht darin, dass der Imperialismus kolossale Widersprüche hervorbringt, die sich in zwischenstaatlichen Konflikten niederschlagen und oftmals nur durch Kriege gelöst werden können; Kriege, in denen die Arbeiterklassen der verschiedenen Länder in die Schlacht geschickt werden, um andere Arbeiter im Interesse ihrer kapitalistischen Herren umzubringen.

Dieses menschenfeindliche System ging historisch gesehen nicht von China aus. Im Gegenteil war das chinesische Volk lange Zeit eins seiner Opfer, das unfassbares Leid ertragen musste, bevor es sich durch die Revolution selbst befreien konnte. Doch heute ist China kein Gegenpol des Imperialismus mehr, sondern selbst Teil dieses Systems und einer der Pole der heutigen Dynamik, die die Gefahr eines neuen imperialistischen Weltkriegs wieder am Horizont erscheinen lässt.

6. Fazit: Die korrekte Haltung der Kommunisten zu China [nach oben]

Die Ergebnisse einer Analyse der gesellschaftlichen Entwicklung in China sind eindeutig: In China sind kapitalistische Produktionsverhältnisse nicht nur vorherrschend, sondern allgegenwärtig. Die Grundklassen der kapitalistischen Gesellschaft, Bourgeoisie und Arbeiterklasse, haben sich mit der Zerschlagung der sozialistischen gesellschaftlichen Beziehungen erneut herausgebildet (mit dem großen Unterschied, dass bis in die 1950er neben der Bourgeoisie und der Arbeiterklasse noch eine riesige Bauernklasse existierte, die heute stark verringert wurde). Die chinesische Bourgeoisie gehört zu den stärksten der Welt, während die chinesische Arbeiterklasse zahlreiche Errungenschaften der sozialistischen Ära eingebüßt hat und nun wieder eine ausgebeutete Klasse ist, die erneut vor der Aufgabe steht, ihre Lebensinteressen gegen die Kapitalisten zu verteidigen und für ihre Macht zu kämpfen. Die Rolle des Staates, der in die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin steuernd eingreift, widerspricht dem nicht – vielmehr besteht die Rolle des Staates gerade darin, die kapitalistische Entwicklung, also die Akkumulation von Kapital, zu organisieren und voranzutreiben. Der chinesische Staat ist ein bürgerlicher Staat, er agiert in der Funktion, die Akkumulation des Kapitals als Gesamtheit voranzutreiben und gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, die dafür förderlich sind, beispielsweise indem der Klassenkampf der Arbeiterklasse mit einer Mischung aus Zugeständnissen und Repressionen niedergehalten wird.

Die KP Chinas bezeichnet das konterrevolutionäre Programm der Ausweitung kapitalistischer Verhältnisse als „sozialistisch“, obwohl es in Wirklichkeit antisozialistisch ist. Das Verständnis von Sozialismus, das die KPCh verwendet, hat nichts mit dem des Marxismus zu tun – es geht nicht um die Schaffung neuer Produktionsverhältnisse, um gesellschaftliches Eigentum und zentrale Planung. Die KPCh selbst spricht lediglich davon, bestimmte Werte wie „Wohlstand“, „soziale Harmonie“, gesellschaftliche Stabilität und nationale Größe erreichen zu wollen. Diese Ziele will die KP unter kapitalistischen Bedingungen erreichen, nicht unter sozialistischen, was natürlich nicht möglich ist – eine kapitalistische Gesellschaft beruht auf Klassengegensätzen und ist darum nie „harmonisch“. Eine sozialistische Ökonomie im marxistischen Sinne wird von der Parteiführung explizit abgelehnt. Die „kommunistische“ Partei ist damit seit langem eine Partei des kapitalistischen Entwicklungsweges, die nicht nur die ideologische Konzeption und Legitimation für die kapitalistische Entwicklung liefert, sondern auch ein Organ der Herrschaftsausübung des Kapitals darstellt, das konkret die Organisierung der chinesischen Bourgeoisie als herrschende Klasse unterstützt. Dass die Bourgeoisie sich zu diesem Zweck weiterhin einer Partei bedient, auf deren Fahne Hammer und Sichel prangen, ist eine historisch bedingte Besonderheit, die uns aber nicht davon abhalten sollte, genau nachzusehen, was sich unter der Oberfläche verbirgt.

Aufgrund seines kometenhaften wirtschaftlichen Aufstiegs nimmt China in der imperialistischen Weltordnung inzwischen einen Spitzenplatz ein, es gehört zu den größten Exporteuren von Kapital, zu den größten Gläubigern und internationalen Investoren, es ist eins der hervorragendsten Zentren der Kapitalakkumulation und Heimat eines erheblichen Teils der „Global players“, also der Monopole, die bei der Neuaufteilung der Welt führend sind.

Nun gibt es auch die abgeschwächte Auffassung, wonach China zwar momentan vielleicht nicht sozialistisch sei, aber doch immerhin eine „sozialistische Entwicklungsperspektive“ verfolge, also letztendlich sozialistische Verhältnisse anstrebe. Auch diese These entbehrt jedoch leider jeder Beziehung zur Realität. Nicht nur haben führende Funktionäre der KP Chinas oft genug erklärt, dass der Weg der „Reform- und Öffnungspolitik“ auf Dauer angelegt und ein Übergang zur sozialistischen Planung ausgeschlossen ist. Es ist auch unabhängig davon eine ausgesprochen fragwürdige Vorstellung, man könnte nach einer bereits stattgefundenen Phase des sozialistischen Aufbaus eine Periode kapitalistischer Entwicklung über sieben Jahrzehnte (1978-2049) „einschieben“ (immerhin so lange, wie die Sowjetunion existiert hat) und dann wieder zum Sozialismus übergehen. Die kapitalistische Entwicklung hat in China eine überaus starke Bourgeoisie geschaffen, die Kapital in alle Welt exportiert und damit von der Ausbeutung der Arbeiterklassen anderer Länder und Kontinente profitiert. Dieses Kapital ist eng mit dem chinesischen Staat verbunden oder es handelt sich sogar um staatseigenes Kapital, somit sind auch der Staat und die „kommunistische“ Partei direkt an den Ausbeutungsverhältnissen beteiligt und haben ein Interesse daran, dass sie aufrecht erhalten werden. Auch in Form von Krediten hat China in hohem Maße Kapital exportiert und wird genau darauf achten, dass diese Investitionen mit Zinsen zurückgezahlt werden. Letztlich lässt sich die Situation folgendermaßen auf den Punkt bringen: Ein Staat, der auf dem kapitalistischen Weltmarkt erfolgreich sein will, muss sich auch nach den „Spielregeln“ des Kapitalismus verhalten, oder, historisch-materialistisch ausgedrückt: Er ist den objektiven Gesetzen der kapitalistischen Produktionsweise unterworfen und muss bei Strafe des Untergangs nach ihren Imperativen handeln. Ein Staat, der dies tut, entscheidet sich aber zwangsläufig und auf Dauer für den kapitalistischen Entwicklungsweg. Denn auf diesem Weg entsteht eine neue herrschende Klasse, die alles dafür tun wird, ihren neu akkumulierten Reichtum zu verteidigen – während gleichzeitig die Macht der Arbeiterklasse erodiert und schließlich beseitigt wird, wie in China vor langer Zeit geschehen, wo heute die Arbeiterklasse keine eigenen Organisationen mehr besitzt und deshalb ihre unmittelbaren Interessen in Form spontaner Streiks und Protestaktionen geltend machen muss.

Die Hoffnung auf eine Rückkehr Chinas zum sozialistischen Entwicklungsweg ist aus diesen Gründen eine reine Illusion und zudem sehr gefährlich. Die Parteinahme für den chinesischen Staat und die regierende Partei, die aus dieser Illusion abgeleitet wird, hat gleich auf mehrfache Weise eine zwangsläufige Abkehr von kommunistischen Standpunkten zur Folge:

Erstens bedeutet sie, der chinesischen Arbeiterklasse in ihrem Kampf gegen die kapitalistische Ausbeutung die unbedingte Solidarität zu versagen – denn diese würde nicht nur bedeuten, mit ihr in allen Arbeitskämpfen solidarisch zu sein, sondern auch und vor allem den Kampf für eine neue sozialistische Revolution in China, für den Sturz der bürgerlichen Regierung zu unterstützen, wie es die Aufgabe einer zukünftigen kommunistischen Internationale sein wird.

Zweitens ist die Parteinahme für den chinesischen Staat auch deshalb ein Verrat am proletarischen Internationalismus, weil damit in der sich immer weiter zuspitzenden imperialistischen Rivalität zwischen den USA und der EU einerseits und dem um China gebildeten Block andrerseits die Seite eines der imperialistischen Pole gewählt wird, so wie es 1914 die Sozialdemokratie zu Beginn des Ersten Weltkriegs tat. Das bedeutet in der Konsequenz nichts anderes, als im Gemetzel des drohenden Weltkriegs die internationale Arbeiterklasse zu desorientieren und davon abzuhalten, ihre eigene Organisation gegen den Krieg und für die Revolution aufzubauen.

Drittens bedeutet die „dengistische“ Position letztlich auch, den Kampf für den Sozialismus im eigenen Land aufzugeben. Denn wenn ein kapitalistisches Land, wo der Staat eine aktivere Rolle in der Ökonomie spielt, bereits als „sozialistisch“ akzeptiert wird, wenn gar, wie bei Deng Xiaoping, Sozialismus im Wesentlichen auf das Wachstum der Produktivkräfte reduziert wird, dann ist der marxistische Begriff vom Sozialismus-Kommunismus als einer von Ausbeutung befreiten Gesellschaft auf Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums offenbar völlig abhanden gekommen. Es ist dann nicht mehr klar, was überhaupt der Inhalt bzw. das Ziel der revolutionären Bewegung sein soll. Eine revolutionäre Strategie zum Sturz des kapitalistischen Systems kann auf dieser Grundlage nicht mehr formuliert werden.

Es handelt sich deshalb beim „Dengismus“ um eine gefährliche Form des Revisionismus und rechten Opportunismus, die bereits eine Vielzahl kommunistischer Parteien beeinflusst und falsche Orientierungen hervorbringt. Es ist nicht mehr möglich, gegenüber diesem Opportunismus die Augen zu verschließen, denn er hat sich zu einer der größten Gefahren für die kommunistische Weltbewegung entwickelt. Er muss bekämpft und zurückgedrängt werden – und das ist möglich, denn er hat die Fakten eindeutig nicht auf seiner Seite.

Denn dass die Positionen des „Dengismus“ trotz ihrer Absurdität einige Ausstrahlung haben, liegt sicherlich nicht an ihren überzeugenden Argumenten. Wenn die eigentlich offensichtliche Erkenntnis, wonach das heutige China ein kapitalistisches Land ist, immer wieder bestritten wird, dann liegt das auch nicht daran, dass diese Frage tatsächlich noch ungeklärt wäre. Es geschieht aus einem Wunschdenken heraus und aufgrund der Scheu davor, anzuerkennen, dass es heute bedauerlicherweise keine sozialistische Großmacht auf der Erde gibt, die wirksam dem Imperialismus Widerstand leisten könnte. Dass eine solche Schlussfolgerung emotional herausfordernd sein kann, ist verständlich – sie bedeutet nämlich, dass wir im Kampf um den Sozialismus im Wesentlichen keinen anderen Verbündeten haben als die internationale Arbeiterklasse, dass kein Staat mit einer starken Armee uns dabei zur Seite stehen wird, solange die Arbeiterklasse sich diesen Staat nicht selbst schafft. So ist aber nun einmal die Realität, so ist die Größe der vor uns liegenden Aufgabe und es ist tödlich, sich diesbezüglich Illusionen zu machen.

Eine internationalistische kommunistische Position in westlichen Ländern bedeutet nun auf der anderen Seite natürlich nicht, dass Kommunisten sich der antichinesischen Propaganda der westlichen bürgerlichen Medien anschließen könnten. Ähnlich wie im Falle anderer Länder, die den NATO-Staaten als Rivalen gegenüberstehen, gilt es auch hier, die Rolle der Kriegspropaganda aufzudecken. Wenn von den Propagandisten aus den USA oder Deutschland die Repressionen in China reißerisch angeklagt werden, wenn das Vorgehen Chinas in Afrika oder Südostasien skandalisiert wird, dann soll das nicht nur von den eigenen Verbrechen ablenken, es dient auch dazu, China als neues „Reich des Bösen“ (so einst US-Präsident Ronald Reagan über die UdSSR) anzuprangern und Aufrüstung, Sanktionen und Kriegsvorbereitungen gegen diesen Staat zu rechtfertigen. Diese Propaganda steht selbstverständlich im völligen Gegensatz zum internationalistischen Standpunkt der Arbeiterklasse und muss als imperialistische Kriegshetze entlarvt und bekämpft werden. Das ist weiterhin die Hauptaufgabe der Friedens- und Arbeiterbewegung in Deutschland, wenn es um China geht. Um sie bewältigen zu können, ist die Klarheit über den Klassencharakter des chinesischen Staates jedoch eine unbedingte Voraussetzung.

1DKP 2023: Die VR China, ihr Kampf um den Aufbau eines modernen sozialistischen Landes und die Veränderung der internationalen Kräfteverhältnisse, online: https://www.unsere-zeit.de/die-vr-china-ihr-kampf-um-den-aufbau-eines-modernen-sozialistischen-landes-und-die-veraenderung-der-internationalen-kraefteverhaeltnisse-4779337/, abgerufen 2.10.2023.

2 Kommunistische Organisation 2023: Die DKP, der Sozialismus und die VR China, online: https://kommunistische.org/stellungnahmen/die-dkp-der-sozialismus-und-die-vr-china/#sdfootnote1sym, abgerufen 8.12.2023.

3 “They don’t know how capitalist China is. China’s rapid economic growth is the result of its embrace of a market economy and private enterprise. China is among the most open markets in the world: It is the largest trading nation and also the largest recipient of foreign direct investment, surpassing the United States in 2020.”, “Americans Don’t Know How Capitalist China Is”, Interview mit Weijian Shan, Harvard Business Review, 2021

4 Vgl. z.B. Elisseos Vagenas 2010: The international role of China, KOMEP 6/2010, online: https://inter.kke.gr/en/articles/The-International-role-of-China; TKP 2017: Thesen zum Imperialismus entlang der Achse von Russland und China, online: https://kommunistische.org/diskussion/tkp-thesen-zum-imperialismus-entlang-der-achse-von-russland-und-china-2017/; Frank Flegel/ Jürgen Geppert 2020: Ökonomische Analyse Chinas, online: https://offen-siv.net/wp-content/uploads/2020/04/2002-03.pdf; Anton Stengl 2021: Chinas neuer Imperialismus. Ein ehemals sozialistisches Land rettet das kapitalistische Weltsystem, Promedia Verlag: Wien; alle Links abgerufen 2.10.2023.

5 Karl Marx: Das Kapital, Band I, MEW 23, S. 613.

6 Karl Marx: Kritik des Gothaer Programms, MEW 19, S. 20

7 Karl Marx: Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie, MEW 42, S. 105

8 Marx: Klassenkämpfe in Frankreich, MEW 7, S. 90

9 Wladimir I. Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, S. 270.

10 Thanasis Spanidis 2022: Zur Politischen Ökonomie des heutigen Imperialismus, online: https://kommunistische.org/diskussion-imperialismus/zur-verteidigung-der-programmatischen-thesen-der-ko, abgerufen 8.12.2023.

11 Mao Tse-Tung (1957): Über die Richtige Behandlung der Widersprüche im Volke, 1957, erschienen in: vier philosophische Monographien, Verlag für Fremdsprachige Literatur Peking 1968, S. 92

12 Mao Tse-tung (1937): Über den Widerspruch, Ausgewählte Werke Bd I, S. 365-408

13 Ebd, S. 389.

14 Mao: Der Widerspruch zwischen der Arbeiterklasse und der Bourgeoisie ist der Hauptwiderspruch in China, Ausgewählte Werke Bd V, S. 353

15 ZK der KP Chinas 2021: Resolution des ZK der KP Chinas über die großen Erfolge und historischen Erfahrungen des hundertjährigen Kampfes der Partei, online: http://german.china.org.cn/txt/2021-11/17/content_77877415.htm , abgerufen 15.3.2023.

16 Ten Brink 2013, S. 176.

17 Ebd, S. 43

18 Ebd, S. 44.

19 Hart-Landsberg/Burkett 40f

20 Ebd. S. 41

21 Ebd, S. 51.

22 Ebd.

23 Ebd, S. 58.

24 Ebd., S. 55.

25 Minqi Li 2017, S. 71.

26 Hart-Landsberg/Burkett, S. 52f

27 Ten Brink 2013, S. 182.

28 Xie Muqiao 1982: Wertgesetz und neue Preispolitik in China, in: Felix Wemheuer (Hg.) 2021: Marktsozialismus. Eine kontroverse Debatte, ProMedia Verlag: Wien, S. 151.

29 Ebd., S. 158.

30 Warum, kann hier nicht ausgeführt werden, daher soll der Verweis genügen, dass sich eine solche Position weder aus der historischen Erfahrung ergibt, zumal sozialistische Volkswirtschaften oft und über lange Zeiträume höhere oder gleich hohe Wachstumsraten wie kapitalistische hatten, noch theoretisch plausibel ist. Das zentrale Gegenargument des Antikommunismus, dass eine moderne Wirtschaft für eine zentrale Planung zu komplex sei, stammt jedenfalls aus einer Zeit, als Computertechnologie noch nicht verfügbar war und ist spätestens seit den 1980er Jahren, seit die elektronische Datenverarbeitung eine ständig in Echtzeit aktualisierte Wirtschaftsplanung ermöglicht, obsolet.

31 Gao 2018, S. 145

32 Umgerechnet also 467.000 Quadratkilometer landwirtschaftlich bearbeiteter Fläche, was annähernd dem gesamten Territorium Spaniens entspricht.

33 Übersetzt aus dem Englischen: „One of the reasons for the good record of grain production in the post-Mao era is that the huge amount of work invested in irrigation projects, especially those carried out during the CR, happened to pay off during the years immediately after the death of Mao. From 1966 to 1977, 56,000 middle- and small-sized electric stations were built that connected 80 percent of communes and 50 percent of production brigades with electricity. Irrigation powered by electric pumps reached a capacity of 65 million horsepower. More than 20,000 electric-powered wells were made that could irrigate more than 700 million mu of land (on mu is about 0.0667 hectares). Compared with 1965, China’s irrigated land increased by 51 percent, electricity consumption in agriculture increased by 470 percent, electric-powered water wells by 935.89 percent, land areas irrigated by electric power by 355.58 percent, available tractors increased 5.7 times, and hand tractors increased 65 times”, Ebd, S. 147

34 Ebd.

35 Economist Intelligence 2015: Grappling with leviathan: reforming the state sector, 12.1.2015, online: http://country.eiu.com/article.aspx?articleid=472649831&Country=China&topic=Economy_1 , abgerufen 23.5.2023.

36 Chunlin Zhang 2019: How Much Do State-Owned Enterprises Contribute to China’s GDP and Employment?, World Bank Working Paper, Washington D.C.

37 Statista.de: Number of employees at state-owned, collective-owned, and private enterprises in urban China from 2011 to 2021.

38 Lin et al. 2020, S. 37

39 Ebd, S. 38

40 Lin et al 2020, S. 38

41 Tobias ten Brink 2013: Chinas Kapitalismus. Entstehung, Verlauf, Paradoxien, Campus Verlag: Frankfurt am Main, S. 126

42 Ten Brink 2013, S. 127

43 Lin et al 2020, S. 39

44 Xi 2014, S. 135.

45 For competitive sectors, the direction was to ‘steadily promote the mixed ownership of SOEs and make sure both state capital and non-state capital engage in the operation of the relevant SOEs’, while for strategic sectors, ‘SOEs in the relevant sectors should remain state-controlled, but share-holdings of non-state parties are encouraged’.; Song 2018, S. 361

46 Song 2018, 361

47 It is a promising trend that more private capital is being allowed into strategic and pillar industries as more competition is introduced and private firms’ technical, management and strategy expertise is utilised; Song 362

48 Marquis/Qiao 2022, S. 216ff.

49 Song 2018, 362

50 Economist Intelligence 2015.

51 Jörg Kronauer: Stark genug für die Öffnung, junge Welt, 9.3.2019.

52 PKKCV: Politische Konsultativkonferenz des Chinesischen Volkes, eine zentrale staatliche Institution zur Einbeziehung verschiedener Interessengruppen in die Politik

53 Auf Englisch: “„Firmly resist and promptly refute erroneous statements and actions that undermine or weaken the basic socialist economic system, negate, or downplay the private economy.”; “Support private economic representatives to play a greater role in international economic activities and economic organizations.”; “Support various levels of government departments in consulting outstanding entrepreneurs and fully leverage their role in formulating and evaluating policies, plans, and standards related to enterprises.”; “prudently recommend outstanding private economic professionals as candidates for People’s Congress representatives at all levels and members of the CPPCC, and make the All-China Federation of Industry and Commerce play a leading role as the main channel for orderly political participation of private economic professionals.”, online: https://www.pekingnology.com/p/new-top-document-promoting-chinas , abgerufen 18.10.2023

54 David M. Kotz & Hao Qi 2019: The Impact of State-Owned Enterprises on China’s Economic Growth, Review of Radical Political Economics 52(1), 1-19.

55 Aus dem Englischen übersetzt: “by 2030, China’s AI theories, technologies, and applications should achieve world-leading levels, making China the world’s primary AI innovation center, achieving visible results in intelligent economy and intelligent society applications, and laying an important foundation for becoming a leading innovation-style nation and an economic power”; “creation of global leading AI enterprises and brands in advantageous areas such as unmanned aircraft, speech recognition, pattern recognition (…) smart robots, smart cars, wearable equipment, virtual reality”, in: Chinese State Council 2017: New Generation Artificial Intelligence Development Plan, online: https://digichina.stanford.edu/work/full-translation-chinas-new-generation-artificial-intelligence-development-plan-2017/, abgerufen 8.12.2023.

56 Schild, Joachim/ Uterwedde, Henrik 2006: Frankreich: Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, VS Verlag: Wiesbaden, S. 145-159.

57 Lin et al 2020, S. 31

58 to serve the BRI and ‘going out’ initiatives of SOEs, mergers to create large ‘national champions’ will help provide sufficient economic resources for overseas M&As and research and development (R&D). The mergers will also help avoid the loss of financial resources due to price wars among SOEs in the international market., Song 2018, 363

59 Lin et al 2020, S. 39

60 Friedrich Engels: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft, MEW 19, S. 222

61 Wladimir Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, S. 255.

62 Ten Brink 2013, S. 170

63 Ten Brink 2013, S. 127.

64 Kornai

65 Ten Brink 2013, S. 170.

66 Ten Brink 2013, S. 258

67 Lin et al 2020, S. 43

68 Diese Strukturen gibt es auch in anderen Ländern. Sie funktionieren so, dass der (private oder staatliche) Großaktionär ein Unternehmen B nicht direkt mit seinem Kapital kontrolliert, sondern z.B. 50% + eine Aktie einer Holdinggesellschaft A besitzt, die wiederum 50% + eine Aktie des Unternehmens B hält. Das bedeutet, dass (angenommen, dass A und B eine gleich hohe Marktkapitalisierung aufweisen) nur ein Viertel des Aktienkapitals von Unternehmen B aufgewandt werden muss, um alle Abstimmungen auf den Aktionärsversammlungen des Unternehmens sicher gewinnen zu können.

69 Economist Intelligence 2015.

70 Ten Brink 2013, S. 197f

71 Die Presse: China will alle Staatsunternehmen in Kapitalgesellschaften umwandeln, 26.7.2017, online: https://www.diepresse.com/5258847/china-will-alle-staatsunternehmen-in-kapitalgesellschaften-umwandeln

72 Lin et al 2020, s. 40.

73 Ten Brink 2013, S. 198.

74 Vgl. z.B. Kotz & Qi

75 Ten Brink 2013, S. 272f.

76 Ten Brink 2013, S. 152.

77 Simon 2022, S. 390

78 Ten Brink 2013, S. 151.

79 Ten Brink 2013, S. 159f.

80 Vgl. Sit Tsui et al. 2018: Renminbi: A Century of Change, Monthly Review, November 2018.

81 Ebd, S. 392f.

82 Ebd, S. 395ff.

83 Zhenhuan Yuan 2004: Land Use Rights in China, Cornell Real Estate Journal, Vol. 3.

84 Paul Tostevin (undatiert): The 10 most valuable real estate markets in the world, The Savills Blog, online: https://www.savills.com/blog/article/219340/international-property/the-10-most-valuable-real-estate-markets-in-the-world.aspx#:~:text=Japan%2C%20the%20UK%2C%20India%2C%20Germany%2C%20France%2C%20Brazil%2C%20Italy,%2456.8tn%2C%20of%20the%20global%20real%20estate%20asset%20total., abgerufen 23.9.2023.

85 Ten Brink 2013, S. 163f

86 Richard McGregor 2010: The Party: The Secret World of China’s Communist Rulers, HarperCollins e-books, S. 59.

87 Isabela Nogueira 2018: Estado e capital em una China com classes , Revista de Economia Contemporânea 22(1), S. 11.

88 Minqi Li 2017: China’s changing class structure and national income distribution, 1952-2015, Journal of Labour and Society, S. 70.

89 Ebd, S. 72.

90 Statista.de: Number of employees at state-owned, collective-owned, and private enterprises in urban China from 2011 to 2021.

91 Ten Brink 2013, S. 284f

92 https://www.statista.com/statistics/1102407/china-number-of-employed-persons-in-urban-rural-areas/#:~:text=Published%20by%20C.%20Textor%2C%20Jun%2028%2C%202023%20In,around%20274%20million%20were%20employed%20in%20rural%20areas; https://www.statista.com/statistics/251380/number-of-employed-persons-in-china/#:~:text=The%20graph%20shows%20the%20number%20of%20employed%20people,in%20China%20amounted%20to%20around%20733.5%20million%20people.; https://www.statista.com/statistics/1127597/number-of-migrant-laborers-in-china-by-region-of-origin/

93 Statista: Monthly surveyed urban unemployment rate of people aged 16 to 24 in China from June 2021 to June 2023, online: https://www.statista.com/statistics/1244339/surveyed-monthly-youth-unemployment-rate-in-china/#:~:text=In%20June%202023%2C%20the%20surveyed%20unemployment%20rate%20of,up%20from%2020.8%20percent%20in%20the%20previous%20month; Benn Steil/ Elisabeth Harding 2023: The Root of China’s Growing Youth Unemployment Crisis, online: https://www.cfr.org/blog/root-chinas-growing-youth-unemployment-crisis, abgerufen 9.12.2023.

94 China Unemployment Rate 1991-2023, online: https://www.macrotrends.net/countries/CHN/china/unemployment-rate, abgerufen 9.12.2023.

95 Ten Brink 2013, S. 282

96 CLB 2023: After years of pandemic anomalies, worker strikes and protests are on the rise across industries in China, 28.7.2023, online: https://clb.org.hk/en/content/after-years-pandemic-anomalies-worker-strikes-and-protests-are-rise-across-industries-china ; CLB 2022: Increase in strikes in logistics and service sectors in 2021 not expected to let up, 15.2.2022, online: https://clb.org.hk/en/content/increase-strikes-logistics-and-service-sectors-2021-not-expected-let ; CLB 2021: Collective protests decline but worker grievances remain unresolved, 27.1.2021, online : https://clb.org.hk/en/content/collective-protests-decline-worker-grievances-remain-unresolved

97 Ten Brink 2013, S. 294f

98 Ebd.

99 CLB 2023

100 Ten Brink 2013, S. 301.

101 https://www.economy.com/china/wage-and-salaries

102 https://www.inflationtool.com/chinese-renminbi?amount=100&year1=2010&year2=2022&frequency=yearly

103 https://www.worldbank.org/en/news/press-release/2022/04/01/lifting-800-million-people-out-of-poverty-new-report-looks-at-lessons-from-china-s-experience

104 Andy Sumner/ Eduardo Ortiz-Juarez 2021: Fragile Progress? Global Monetary Poverty, 1981-2030, Paper prepared for the United Nations Virtual Inter-Agency Expert Group Meeting on the Implementation of the Third UN Decade for the Eradication of Poverty, S. 7, 13.

105 Chase Peterson-Withorn: Forbes’ 37th Annual World’s Billionaires List: Facts and Figures 2023, Forbes, 4.4.2023, online: https://www.forbes.com/sites/chasewithorn/2023/04/04/forbes-37th-annual-worlds-billionaires-list-facts-and-figures-2023/?sh=8c479877d76a, abgerufen 15.7.2023.

106 Hope King: China is making new billionaires much faster than the US, Axios 20.3.2022, online: https://www.axios.com/2022/03/20/china-new-billionaires-faster-us, abgerufen 16.7.2023.

107 Jeff Desjardins: The 25 Countries with the most billionaires, VisualCapitalist 13.3.2018, online: https://www.visualcapitalist.com/25-countries-billionaires/#:~:text=In%20the%20U.S.%2C%20there%20is%20one%20billionaire%20for,%28233k%29%2C%20Singapore%20%28267k%29%2C%20Sweden%20%28319k%29%2C%20and%20Israel%20%28475k%29., abgerufen 15.7.2023.

108 Bai, Chong-En et al. 2021: The Rise of state-connected private owners in China, NBER Working Paper 28170, Cambridge/Massachusetts, S. 2.

109 Ten Brink 2013, S. 209.

110Almost all of China’s richest people have made their money in state-dominated sectors, such as property and construction, resources, other heavy industries and telecommunications.”; “The problem with this state-led approach is that entrepreneurs and other businesspeople need the support of the Party, or better still, CCP membership to get ahead. “; John Lee 2011: China’s Rich Lists Riddled with Communist Party Members, Forbes 14.9.2011, online: https://www.forbes.com/2011/09/14/china-rich-lists-opinions-contributors-john-lee.html?sh=4fc6442b210b , abgerufen 18.7.2023.

111 Zit. n. ten Brink 2013, S. 208.

112 Ebenda.

113 Ten Brink 2013, S. 210.

114 Rhiannon Du Cann 2023: China’s Communist Party billionaires who own more than £400bn of wealth, Express, 15.3.2023, online: https://www.express.co.uk/news/world/1746362/china-latest-communist-party-billionaires-spt, abgerufen 18.7.2023.

115 David Barboza 2012: Billions in Hidden Riches for Family of Chinese Leader, New York Times, 25.10.2012, online: https://www.nytimes.com/2012/10/26/business/global/family-of-wen-jiabao-holds-a-hidden-fortune-in-china.html , abgerufen 18.7.2023.

116 David Barboza/ Michael Forsythe 2018: Corruption Inquiry Draws Nearer to Former Chinese Prime Minister, New York Times, 7.2.2018, online: https://www.nytimes.com/2018/02/07/world/asia/china-whitney-duan-weihong.html, abgerufen 29.7.2023.

117 John Garnaut 2012: Chinese leader’s family worth a billion, 30.6.2012, online: https://www.smh.com.au/world/chinese-leaders-family-worth-a-billion-20120629-218qi.html , abgerufen 18.7.2023.

118 „Since the mid-1990s China’s national economic policies have become subject to influence by nonstate interests, particularly in business. Industry interacts with Chinese officialdom on a daily basis at the local and national levels to shape policies to suit their preferences.”, Scott Kennedy 2009: Comparing Formal and Informal Lobbying Practices in China, China Information XXIII (2), S. 196.

119 Kennedy 2009, S. 204

120 Guosheng Deng/ Scott Kennedy 2010: Big business and industry association lobbying in China, The China Journal 63, S. 110ff.

121 “In some sectors, such as energy, it appears that the basic trajectory has been determined less by a coherent government plan than by companies who have manipulated the government to adopt policies consistent with their interests”, Deng/ Kennedy 2010, S. 102.

122 Dongya Huang/Minglu Chen 2020: Business Lobbying within the Party-State: Embedding Lobbying and Political Co-optation in China, The China Journal, no. 83, S. 110ff.

123 „After all, the CPPCC annual conference attracts much media and governmental attention. [Through the ACFIC proposals submitted to the CPPCC], we have opportunities to meet high-ranking government leaders, and the proposals can turn our requests into public issues. Thus the submission of CPPCC proposals is an effective platform to voice our requests to the government”, Ebd, S. 116.

124 Ten Brink 2013, S. 205.

125 In the past, we would have felt very lucky to have any response (on the proposals). Nowadays, the ministries not only provide responses, but also organize meetings with us if we don’t find their responses satisfactory. In the meetings, they let us know what measures they are taking, and what they expect us to do and why. Indeed, the ministries’ attitude has changed. Now they communicate with us on everything, including how the proposals are to be processed”, Ebd, S. 117f.

126 Ebd, S. 118.

127 David A. Steinberg/ Victor C. Shih 2012: Interest Group Influence in Authoritarian States. The Political Determinants of Chinese Exchange Rate Policy, Comparative Political Studies 45 (11), S. 1418.

128 Ebd, S. 1420.

129 Ebd, S. 1421.

130 Huang/Chen 2020, S. 115.

131 Für Beispiele vgl. Huang/Chen 2020.

132 Ebd, S. 121f.

133 „The strong connections between powerful entrepreneurs and the party-state leadership can enable them to successfully get what they want even when the ACFIC has declined to submit a collective proposal in their behalf”, Ebd, S. 121;

134 “The power of a wealthy entrepreneur, however, not only comes from his or her wealth but also is determined by his or her official position in the party-state system”, Ebd, S. 120.

135 Huang/Chen 2020, S. 122f

136 Vgl. Z.B. Ben Chapman 2017: Chinese billionaires and CEOs keep disappearing in ‘state-sanctioned abductions’, Independent 6.2.2017, online: https://www.independent.co.uk/news/business/news/china-billionaires-ceo-disappearing-missing-station-sanctioned-abductions-beijing-security-agencies-xiao-jianhua-a7564896.html, abgerufen 17.12.2023.

137 Communist Party of China 2022: Constitution of the Communist Party of China, Revised and adopted at the 20th National Congress of the Communist Party of China on October 22, 2022.

138 Ebd.

139 Ebd.

140 Ebd.

141 “It is wrong to maintain that a market economy exists only in capitalist society and that there is only ‘capitalist’ market economy. Why can’t we develop a market economy under socialism? Developing a market economy does not mean practising capitalism … We cannot say that market economy exists only under capitalism. Market economy was in its embryonic stages as early as feudalist society. We can surely develop it under socialism.“, zit. n. Boer 2021, S. 116f.

142 „There is no fundamental contradiction between socialism and a market economy”, Boer 2021, S. 117

143 Zit. n. Kai Vogelsang 2014: Kleine Geschichte Chinas, Reclam: Ditzingen, S. 393f.

144 If the economy remains stagnant for a long period of time, it cannot be called socialism. If the people’s living standards remain at a very low level for a long period of time, it cannot be called socialism, zit. Nach Boer 2021, S. 37

145 Boer 2021, S. 39

146 Zit. N. Konrad Seitz 2006: China. Eine Weltmacht kehr zurück, Goldmann: München, S. 300ff

147 that both the public and nonpublic sectors are important components of the socialist market economy, and an important basis for China’s economic and social development. On the protection of property rights, the Decision points out that the property rights of both the public and non-public sectors are inviolable.” Xi 2014, S. 100.

148 Also, the property rights of the public sector are inviolable, as are those of the private sector. The state protects the property rights and legitimate interests of all economic sectors , Xi 2017, 282

149 Our emphasis on the need to consolidate and develop the public sector and our policy of encouraging, supporting and guiding the development of the private sector are not contradictory but inherently coherent (…) The public and the private sectors of the economy should be mutually reinforcing and beneficial; there is no need for conflict or strife” Xi 2017, 283

150 The proposal to let the market play the decisive role in allocating resources is a breakthrough in our Party’s understanding of the laws governing the development of socialism with Chinese characteristics as well as a new achievement in the sinicization of Marxism. It symbolizes that the socialist market economy has entered a new stage.” Xi 2014, S. 134

151 “The global financial crisis is another example. It is not an inevitable outcome of economic globalization; rather, it is the consequence of excessive pursuit of profit by financial capital and a grave failure of financial regulation” Xi 2017, S. 520.

152 “Based on international experience, a country’s development is fundamentally driven by the supply side”, Ebd, S. 278.

153 “Supply and demand are the two basics of the inner relationships of the market economy. They are opposite and unified, interdependent, and mutually conditional. New demand generates new supply while new supply creates new demand” Ebd, S. 275;

154 Karl Marx: Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Vorwort, 1859, MEW 13, S. 8

155 Übersetzt aus dem Englischen: “As we continue to reform comprehensively, we should keep our focus on economic reforms, and strive to make breakthroughs in the reform of key fields, so that such breakthroughs will drive and stimulate reforms in other areas, and ensure that these reforms can work together and progress in concert. We should not take a fragmented and uncoordinated approach in this regard”, Xi 2014, S. 115f.

156 Aus dem Englischen übersetzt: “we must all become better able to use Marxism to analyze and solve practical problems “, Xi 2014, S. 70

157 David Kotz 2007: The State of Official Marxism in China Today, Monthly Review, September 2007.

158 Stengl 2021, S. 164f

159 “Reform and Opening up Is Always Ongoing and Will Never End” 87. “Reform and opening up is always an ongoing task and will never end. Without reform and opening up, China would not be what it is today, nor would it have the prospects for a brighter future. Problems occurring in reform and opening up can only be solved through reform and opening up.” Xi 2014, S. 89

160 „We will reach an impasse if we stall or go into reverse on our path; reform and opening up is always ongoing and will never end.“ Xi 2014, 91

161 The answer has always been reform and opening up. Looking to the future, there is no alternative to continuing reform and opening up if we are to solve all sorts of difficult problems hindering our development, defuse risks and meet challenges in all aspects, give better play to the advantages of socialism with Chinese characteristics, and promote the steady and healthy development of the economy and society.”; Xi 2014, 108

162 Our policies of utilizing foreign investment and protecting the legitimate rights and interests of foreign enterprises in accordance with law will not change. China will never close its door to the outside world. Over the past ten years it has fulfilled its promises to the WTO by creating a more open and standardized business environment. We will open up new areas and enable deeper access. Our economy will remain open to foreign investors, and we hope that other countries will extend the same access to Chinese investors” Xi 2014, 133

163 „we will build China into a modern socialist country that is prosperous, strong, democratic, culturally advanced and harmonious by 2049, when we mark the centenary of the founding of the People’s Republic of China. To achieve these (…) goals, we will continue to make development our top priority and economic growth our central task, and promote economic and social development. Our development endeavor is an open one, as we will remain committed to the basic state policy of opening to the outside world and the mutually beneficial strategy of opening up and further liberalize our economy.”, Xi 2014, S. 361

164 The next five years will be crucial for getting our efforts to build a modern socialist country in all respects off to a good start. Our main objectives and tasks for this period are as follows: (…) Make new strides in reform and opening up; (…). Remaining committed to deepening reform and opening up. We must intensify efforts to advance reform and explore new ground, and we must remain steadfast in expanding opening up.

165 “First, we must always take economic development as the primary and central task. (…) Second, we must always make establishing a socialist market economy the direction of our reform. We must let the market play a decisive role in resources allocation, let the government play a better role. (Some people say China will go for the planned economy. That’s by no means possible.) We will deepen SOE reform, support the private sector, and promote fair competition, anti-monopoly and entrepreneurship. Third, we must always promote all-round opening-up. Opening-up, as a basic state policy, is a catalyst of reform and development, and a key driver of economic progress in China. China’s door to the outside will only open wider.”, World Economic Forum 2023: Davos 2023: Special Address by Liu He, Vice-Premier of the People’s Republic of China, online: https://www.weforum.org/agenda/2023/01/davos-2023-special-address-by-liu-he-vice-premier-of-the-peoples-republic-of-china/, abgerufen 5.6.2023.

166“The practices in reform have made us realize that we must under no circumstances turn our back on addressing blindness of the market, and we must not return to the old path of a planned economy.”, Xinhua: Xi stresses decisive role of market in resource allocation, 23.5.2020, online: http://www.xinhuanet.com/english/2020-05/23/c_139082022.htm? , abgerufen 5.6.2023.

167 “we must safeguard and develop an open world economy. “A single flower does not make spring while one hundred flowers in full blossom bring spring to the garden.” Countries will grow if their economies are open, and conversely decline if their economies are closed.”, Xi 2014, S. 373

168 Growth driven by stimulating policies and large-scale and direct government intervention in the economy can only treat the symptoms but not the disease (…). Countries should (…) invigorate markets and enhance economic competitiveness through active structural reform” Ebd, S. 371

169 „We must remain committed to developing global free trade and investment, promote trade and investment liberalization and facilitation through opening up, and say no to protectionism “, Xi 2017, S. 525.

170 Vgl. Spanidis 2022: Zur Politischen Ökonomie des heutigen Imperialismus, online: https://kommunistische.org/diskussion-imperialismus/zur-verteidigung-der-programmatischen-thesen-der-ko/, abgerufen 20.10.2023.

171 Chinese companies should expand overseas presence at a faster pace, enhance their operation in an international environment, and develop a number of world-class multinational corporations. We should make overall planning for bilateral, multilateral, regional and sub-regional opening up and cooperation”, Report of Hu Jintao to the 18th CPC National Congress, 8.11.2012

172 Felbermayr et al 2019, S. 28

173 Karl Marx: Das Kapital, Band III, S. 221-277.

174 Jiawen Guo et al. 2022: Uncovering the overcapacity feature of China’s industry and the environmental & health co-benefits from de-capacity, Journal of Environmental Management, Vol. 308.

175 Lydia Guo: China’s overcapacity problem: here’s the plan, Financial Times, 18.10.2013.

176 Daisuke Wakabayashi/ Alexandra Stevenson: China is on Edge as Fallout from its Real Estate Crisis Spreads, New York Times, 20.8.2023.; Zen Soo: Chinese developer Country Garden says it can’t meet debt payment deadlines after sales slump, 10.10.2023, online: https://apnews.com/article/china-country-garden-property-debt-8cee5b3d24762ef34e1bb056389d27d1, abgerufen 9.12.2023.

177 Die kapitalistische Produktionsweise kann sich nur krisenhaft entwickeln, eine andere Bewegungsform ist ihr nicht möglich. Für eine genauere Darstellung dieser Bewegungsform vgl. Grundlagenschulung der KO, Kapitel 4.8 Konjunkturzyklus und Krise, online: https://kommunistische.org/grundlagenschulung/kapitel-4-kritik-der-politischen-oekonomie/#4-8, abgerufen 9.12.2023.

178 Simon 2022, S. 394

179 Felbermayr et al 2019, S. 28

180 Horn et al. 2019, S. 2

181 Ebd, S. 20.

182 Ebd.

183 Horn et al 2019, S. 6f

184 Ebd., S. 6

185 Ebd, S. 6f

186 MERICS 2023: The party knows best. Aligning economic actors with China’s strategic goal, Merics Report October 2023, S. 81, online: https://merics.org/sites/default/files/2023-10/MERICS%20Report%20The%20party%20knows%20best-Aligning%20economic%20actors%20with%20Chinas%20strategic%20goals2_0.pdf, abgerufen 9.12.2023.

187 Horn et al 2019, S. 9.

188 Ebd, S. 37.

189 Ebd, S. 33

190 Ebd, S. 34.

191 Horn et al, S. 22.

192 Felbermayr et al. 2019, S. 30

193 Agatha Kratz et al. 2021: Chinese FDI in Europe: 2020 Update, S. 13, online: https://merics.org/sites/default/files/2021-06/MERICSRhodium%20GroupCOFDIUpdate2021.pdf, abgerufen 23.9.2023.

194 Wladimir Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, S. 255.

195 Greenfield-Investitionen sind Investitionen, bei denen ein neues Tochterunternehmen im Ausland gegründet wird.

196 Ebd, S. 31

197 Ebd.

198 Ebd, S. 32.

199 Simon 2022, S. 397

200 Matthias Naß 2ß19: Aufkaufen und ausschlachten, Die Zeit, 8.5.2018.

201 Ebd, S. 33.

202 Ebd, S. 34.

203 Ebd., S. 33f.

204 Isha Agarwal et al. 2020: The Determinants of China’s International Portfolio Equity Allocations, IMF Economic Review 68, S. 643-692.

205 Johnston 2018, 45f

206 Felbermayr et al 2019, S. 30

207 Martin Armstrong: The Global Reach of China’s Belt and Road, 17.10.2023, online: https://www.statista.com/chart/31053/chinese-belt-and-road-initiative-investment-and-construction-by-region/, abgerufen 20.10.2023.

208 Christoph Nedopil: China’s BRI isn‘t going away, it’s getting smaller and greener, 13.10.2023, online: https://asia.nikkei.com/Opinion/China-s-BRI-isn-t-going-away-it-s-getting-smaller-and-greener, abgerufen 9.12.2023.

209 Diermeier et al 2020, S. 2

210 Ebd., S. 3.

211 Cerutti/ Zhou 2018

212 Lee Jones/ Shahar Hameiri 2020: Debunking the Myth of ‘Debt-trap Diplomacy’, Asia-Pacific Programme Research Paper, August 2020; Deborah Brautigam/ Meg Rithmire 2021: The Chinese ‘Debt Trap’ is a myth, The Atlantic, 6.2.2021, online: https://archive.ph/81ENz#selection-908.0-969.70, abgerufen 11.12.2023.

213 Atechnos 2019: Χρυσή Αυγή — εφοπλιστές: Οι φασίστες και τα αφεντικά τους…, online: https://atexnos.gr/%cf%87%cf%81%cf%85%cf%83%ce%ae-%ce%b1%cf%85%ce%b3%ce%ae-%ce%b5%cf%86%ce%bf%cf%80%ce%bb%ce%b9%cf%83%cf%84%ce%ad%cf%82-%ce%bf%ce%b9-%cf%86%ce%b1%cf%83%ce%af%cf%83%cf%84%ce%b5%cf%82-%ce%ba%ce%b1%ce%b9/. Abgerufen 2.10.2023.

214z.B.: Iskra: Επίθεση χρυσαυγιτών σε δημοσιογράφο που κάλυπτε την απεργία στην Cosco, 9.9.2018, online: https://iskra.gr/%ce%b5%cf%80%ce%af%ce%b8%ce%b5%cf%83%ce%b7-%cf%87%cf%81%cf%85%cf%83%ce%b1%cf%85%ce%b3%ce%b9%cf%84%cf%8e%ce%bd-%cf%83%ce%b5-%ce%b4%ce%b7%ce%bc%ce%bf%cf%83%ce%b9%ce%bf%ce%b3%cf%81%ce%ac%cf%86%ce%bf/ , abgerufen 2.10.2023.

215 International Communist Press 2018: KKE condemns relations of the PR of China with the Greek fascist organization „Golden Dawn“, online: https://icp.sol.org.tr/europe/kke-condemns-relations-pr-china-greek-fascist-organization-golden-dawn, abgerufen 2.10.2023

216 Gibran Naiyyar Peshimam 2023: US concerned about debt Pakistan owes China, official says, online: https://www.reuters.com/world/asia-pacific/us-concerned-about-debt-pakistan-owes-china-official-says-2023-02-16/, abgerufen 2.10.2023.

217 Stengl 2021, S. 51-59; S. Khan Islamabad 2020: Why China’s investment is stoking anger in Balochistan, DW 15.7.2020, online: https://www.dw.com/en/why-chinese-investment-is-stoking-anger-in-pakistans-balochistan-province/a-54188705, abgerufen 18.10.2023; Ahmed Kulmeer 2017: CPEC: A game changer or a disaster, Balochistan Times 2.12.2017, online: https://balochistantimes.com/cpec-a-game-changer-or-a-disaster/, abgerufen, 18.10.2023.

218Auf englisch: „In the Microfinance system introduced in the country, interest has been kept so high that their interest has become equal to that of private loan providers. Therefore, agriculture is currently in a situation where small farmers are either selling their lands or leasing them out to the bigwigs in the government. (…) The industrial products  have not been able to compete with foreign products.  As a result, industries are closing down or relocating abroad.  China is taking over the production and market of consumer goods.  Unemployment is rising sharply.  Inflation has soared over the past three years, leaving working families in dire straits, but the middle class has not been able to meet household needs”, Communist Party of Pakistan: Statement of the central secretariat after central committee meeting, 26.7.2021, online: http://www.solidnet.org/article/CP-of-Pakistan-Statement-of-the-central-secretariat-after-central-committee-meeting/? , abgerufen 2.10.2023.

219 Steffen Richter 2020: Der reiche Nachbar übernimmt, Die Zeit, 26.12.2020.

220 Ebd.

221 BBC 2018: Reality Check: Is China burdening Africa with debt?, online: https://www.bbc.com/news/world-africa-45916060. Abgerufen 2.10.2023.

222Ebd.

223BBC 2011: China mines in Zambia ‚unsafe‘ says Human Rights Watch, online: https://www.bbc.com/news/world-africa-15569310, abgerufen 2.10.2023.

224Alexis Okeowo 2013: China, Zambia, and a Clash in a Coal Mine, online: https://pulitzercenter.org/stories/china-zambia-and-clash-coal-mine, abgerufen 2.10.2023.

225Lusaka Times 2010: Two Chinese nationals arrested for shooting 12 Zambian miners, online: https://www.lusakatimes.com/2010/10/16/chinese-nationals-arrested-shooting-12-zambian-miners/, abgerufen 2.10.2023.

226 Okeowo 2013.

227 Chinese mine companies in Zimbabwe accused of ‘rampant abuse’ after boss shot local workers, South China Morning Post, 1.7.2020.

228 security of overseas interests concerning energy and resources, strategic sea lines of communication (SLOCs), as well as institutions, personnel and assets abroad, has become an imminent issue.”, In response to the new requirement coming from the country’s growing strategic interests, the armed forces will actively participate in both regional and international security cooperation and effectively secure China’s overseas interests”, Verteidigungsministerium der VR China 2015: China’s Military Strategy, Beijing.

229 “To address deficiencies in overseas operations and support, it builds far seas forces, develops overseas logistical facilities, and enhances capabilities in accomplishing diversified military tasks.”, Verteidigungsministerium der VR China 2019: China’s National Defense in the New Era, Beijing.

230 Sputiknews 2018: China to Build Second Foreign Naval Base, This Time in Pakistan, online: https://sputniknews.com/asia/201801051060541891-china-second-foreign-base-pakistan/ , abgerufen 25.6.2023.

231 Austin Bodetti 2019: How China came to dominate South Sudan’s Oil, The Diplomat, 11.2.2019; Reuters: China deploys troops to UN force to protect South Sudan oilfields, 10.9.2014, online: https://www.reuters.com/article/china-sudan-idUSL3N0RB03Z20140910/ , abgerufen 11.12.2023.

232Chris Devonshire-Ellis 2020: 84% of China’s BRI Investments are in medium-high risk countries, online: https://www.silkroadbriefing.com/news/2020/07/02/84-chinas-bri-investments-medium-high-risk-countries/, abgerufen 2.10.2023.

233Brenda Goh et al. 2017: Local, global security firms in race along China’s ‚Silk Road‘, online: https://www.reuters.com/article/us-china-silkroad-security-analysis-idUSKBN17P10Y, abgerufen 2.10.2023.

234 Übersetzt aus dem Englischen: „The growth of Chinese private security companies comes as Beijing increases its investment in large infrastructure projects in Africa. China is also investing in mining projects across the continent. However, in nations like the Democratic Republic of Congo, Sudan and South Sudan, ongoing political unrest means government security services are wanting. (…) In response to increasing criminal and militant violence against Chinese individuals and infrastructure abroad, their role is expanding from securing fixed structures to providing high-tech surveillance.“, Alessandro Arduino 2022: Chinese private security firms spreading far and wide in Africa, Asia Times 10.8.2022, online: https://asiatimes.com/2022/08/chinese-private-security-firms-spreading-far-and-wide-in-africa/, abgerufen 2.10.2023.

235 Bestehend aus Mauretanien, Mali, Niger, Burkina Faso und Tschad.

236 Natalie Herbert 2021: China’s Belt and Road Initiative invests in African infrastructure – and African military and police forces, Washington Post, 30.4.2021.

237 South China Morning Post 2018: China is helping Afghanistan set up mountain brigade to fight terrorism, SCMP, 28.8.2018.

238 Asia Financial 2023: Taliban and China to Discuss Potential Belt and Road Links, 23.10.2023, online: https://www.asiafinancial.com/taliban-and-china-to-discuss-potential-belt-and-road-links, abgerufen 11.12.2023.

239 Kanat Altynbayev 2021: China’s security expansion in Tajikistan sparks concerns in Russia, online: https://central.asia-news.com/en_GB/articles/cnmi_ca/features/2021/12/13/feature-01, abgerufen 25.6.2023.

240 Catherine Putz 2021: China’s Security Infrastructure continues to grow in Tajikistan, The Diplomat, 27.10.2021.

241 Altynbayev 2021; Linda Lew 2021: Why China is funding a base in Tajikistan, South China Morning Post, 7.11.2021.

242 Altynbayev 2021.

243The Economist: Taiwan’s dominance of the chip industry makes it more important, 6.3.2023, online, https://www.economist.com/special-report/2023/03/06/taiwans-dominance-of-the-chip-industry-makes-it-more-important, abgerufen 2.10.2023.

244ChinaPower (undatiert): How Much Trade Transits the South China Sea, online: https://chinapower.csis.org/much-trade-transits-south-china-sea/, abgerufen 2.10.2023.

245 Hart-Landsberg/Burkett 2006, S.94-108

246Wladimir Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW 22, S. 248.

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